Trump und Putin wollen verhandeln, um den Ukrainekrieg zu beenden. Doch was wird solch ein »Frieden« dem ukrainischen Volk bringen? Von Volkhard Mosler
Ich bin der Sieg
Mein Vater war der Krieg
Der Friede ist mein lieber Sohn
Der gleicht meinem Vater schon.
Erich Fried, 1945
Die bisher bekannt gewordenen Absprachen zwischen Wladimir Putin und Donald Trump laufen auf eine Aufteilung der Ukraine in einen östlichen, von Russland annektierten Teil, und einen größeren, westlichen Teil hinaus, dessen Bodenschätze Trump für die USA in Höhe von 500 Milliarden Dollar für schon getätigte Waffenlieferungen und Finanzhilfen beansprucht. Die Regierung Selenskyj in Kiew schätzt hingegen den Wert der von den USA seit Kriegsbeginn gelieferten Waffen auf 64 Milliarden US-Dollar. Hinzu kommen weitere etwa 50 Milliarden US-Dollar andere Hilfen.
Putin wird die bereits eroberten Gebiete der Ostukraine annektieren, eine Nato-Mitgliedschaft der verbleibenden Ukraine wird ausgeschlossen.
Zum Krach im Weißen Haus in Washington kam es, als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für den Rohstoff-Deal eine Gegenleistung von Trump forderte, nämlich Sicherheitsgarantien der USA für die Ukraine. Trump will aber Entschädigungen für vergangene Unterstützungsleistungen, für den Schutz der Ukraine vor zukünftigen Angriffen Russlands sollen die Europäer aufkommen.
Die Forderung von 500 Milliarden US-Dollar für vergangene Militärhilfe entspricht dem dreifachen des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine von 2023 und übersteigt den Wert der von den USA in den drei Kriegsjahren gelieferten Waffen und Unterstützungsleistungen bei weitem.
Lenin bezeichnete den Versailler Friedensvertrag (1919) zwischen den Siegermächten des Ersten Weltkriegs, Großbritannien, Frankreich, den USA sowie ihren Verbündeten, und dem Deutschen Reich als Kriegsverlierer als einen Vertrag von »Räubern und Wegelagerern«. Nichts Anderes ist der sich abzeichnende »Deal« zwischen Trump und Putin auf dem Rücken des ukrainischen Volkes.
Ukrainekrieg: Trump verdreht die Tatsachen
Und als Sahnehäubchen, das den von Trump Putin angebotenen Teil vom Kuchen noch appetitlicher machen soll, beschuldigt Trump die Regierung Selenskyj, diese habe den Krieg mit Russland verschuldet, indem sie die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine angestrebt und so den Krieg ausgelöst habe.
Das ist eine typisch Trumpsche Lüge und Verdrehung der Tatsachen. Die Mehrheit der Ukraine stand bis vor dem Putsch der westlich gesinnten Oligarchen 2014 im Zuge der Maidan-Proteste für eine Beibehaltung der Neutralität ihres Landes. 2012 sahen bei einer repräsentativen Umfrage 43 Prozent der Ukrainer:innen die Nato-Mitgliedschaft als Bedrohung für das Land an – nur 15 Prozent sahen sie als Schutz.
Erst nach dem von den USA unterstützten erfolgreichen Putsch von 2014 gegen eine eher prorussische Regierung wurde ein Beitritt zur EU 2019 als politisches Ziel in die Verfassung aufgenommen. Dabei spielten diverse US-Regierungen eine entscheidende Rolle dabei, die Ukraine in die Nato zu drängen. Sie scheiterten bis zum Überfall Putins auf die Ukraine vor drei Jahren am Einspruch Deutschlands und Frankreichs, die ihr Gasgeschäft mit Russland in Gefahr sahen – zu Recht, wie die weitere Entwicklung gezeigt hat.
Trump selbst forcierte in seiner ersten Präsidentschaft (2017-2021) die Aufnahme der Ukraine in die Nato. Auf dem Brüsseler Nato-Gipfel 2018 wurde die Ukraine auf Betreiben Trumps offiziell zum Aufnahmekandidaten ernannt. 2019 wurde daraufhin die Nato- und EU-Mitgliedschaft als politisches Ziel in die ukrainische Verfassung aufgenommen. Bis zum Ende von Trumps erster Präsidentschaft 2021 rüsteten die USA die ukrainische Armee mit ihren Strukturen und Waffentechniken auf den Nato-Standard um.
Interessant an Trumps Lüge ist das Element von Wahrheit darin, nämlich die geplante und angestrebte Nato-Mitgliedschaft als auslösender Faktor für Putins Überfall auf die Ukraine im Jahr 2022.
Die Bezeichnung des Krieges als »russischen Angriffskrieg« reicht also nicht hin, um den Charakter dieses Kriegs zu kennzeichnen. Es ist auch ein imperialistischer Stellvertreterkrieg, ausgetragen von der Ukraine und Russland, angezettelt und geführt vom US-Imperialismus und den europäischen mittleren Mächten der EU, die ihre eigenen imperialistischen Pläne im Rahmen einer EU-Osterweiterung damit verbinden.
Wer schreibt das Drehbuch im Ukrainekrieg?
Es ist nicht immer leicht, zwischen wirklichen nationalen Befreiungskriegen und solchen interimperialistischen Stellvertreterkriegen zu unterscheiden. Am einfachsten ist es, die Frage zu beantworten, wer das Drehbuch des Kriegstheaters schreibt und was die Triebkräfte des Konflikts sind. Putin steht als einer der Autoren offensichtlich fest, aber wer schrieb und schreibt das Drehbuch auf der Gegenseite?
Zwei Ereignisse des bisherigen Kriegsverlaufs geben uns Auskunft über den Drehbuchautor der Gegenseite.
Erstens: Wenige Wochen nach Beginn des großangelegten russischen Überfalls am 24. Februar 2022 machte die ukrainische Regierung Putin ein Waffenstillstandsangebot mit der Zusage der dauerhaften Neutralität der Ukraine und einer (vorläufigen) Anerkennung der 2014 und danach von prorussischen Kräften eroberten Landesteilen der Krim und des Donbass. In die Wege geleitet und vermittelt wurden die Verhandlungen vom damaligen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennet. Neben Putin und Selenskyj waren auch Bundeskanzler Olaf Scholz, UK-Premierminister Boris Johnson, der französische Präsident Emmanuel Macron und US-Präsident Joe Biden in die Verhandlungen einbezogen. Bennet schätzte die Chancen, dass seine Vermittlungen Erfolg hätten haben können, auch heute noch 50 zu 50 ein. Und Bennet hält bis heute an seiner Aussage fest, dass die Verhandlungen auf Druck der USA und Großbritanniens abgebrochen wurden.
Boris Johnson hatte persönlich in Kiew interveniert und dies sicher nicht ohne vorherige Absprache mit US-Präsident Biden. Seine Bedingung für einen Waffenstillstand war damals der sofortige und bedingungslose Rückzug aller russischen Truppen aus der Ukraine, was natürlich eine Fortsetzung des Krieges bedeutete. Trump wirft heute Selenskyj vor: »Ihr hättet es (den Krieg) nie anfangen sollen. Ihr hättet einen Deal machen können.« In Wahrheit war Selenskyj kurz nach Kriegsbeginn bereit, einen »Deal« zu machen, der von Johnson und Biden aber im Keim erstickt wurde.
Triebkräfte des Konflikts
Zweitens: Die Ankündigung und der Beginn der Waffenstillstandsverhandlung durch Donald Trump mit der russischen Regierung unter Ausschluss der Ukraine sowie die öffentliche Demütigung Selenskyjs im Weißen Haus zeigen einmal mehr, was die Triebkräfte dieses Krieges sind.
Der Unterschied zwischen einem antiimperialistischen nationalen Unabhängigkeitskrieg und einem imperialistischen Stellvertreterkrieg wird deutlich, wenn wir das aktuelle Geschehen im Krieg um die Ukraine etwa mit der Beendigung des Vietnamkriegs im Jahr 1975 vergleichen. Damals wie heute hat eine imperiale Großmacht, damals die USA, heute Russland, einen imperialistischen Unterdrückungskrieg gegen ein schwächeres, kleineres Land geführt. Damals wie heute lieferten zwei größere konkurrierende Mächte (damals China und die Sowjetunion, heute die USA sowie die EU und Großbritannien) riesige Mengen an Waffen an das kleinere, in seiner nationalen Unabhängigkeit bedrohte Land.
Aber im Unterschied zum Ukrainekrieg heute hatten die Waffenlieferanten von damals, also Peking und Moskau, keinen politischen Einfluss auf die nationale Befreiungsbewegung des unterdrückten Volkes, also auf die Regierung Nordvietnams und die Guerillabewegung Vietcong in Südvietnam. Bei den geheimen Friedensverhandlungen 1973/74 in Paris waren die Waffenlieferanten China und Sowjetunion außen vor. Für die USA verhandelte der damalige Berater von Präsident Richard Nixon, Henry Kissinger, für die nordvietnamesische Seite, der Widerstandskämpfer und Mitbegründer der Vietcong, Le Duc Tho. Auch die südvietnamesische Regierung war nicht informiert und schon gar nicht beteiligt. Der Krieg gegen den US-Imperialismus wurde von vietnamesischer Seite allerdings mit den Mitteln des Volkskrieges geführt, d.h. einer allgemeinen Bewaffnung großer Teile der ländlichen Bevölkerung in Südvietnam in Form einer verdeckt operierenden Guerilla-Armee, dem Vietcong.
Die Tatsache, dass es überhaupt so weit kommen konnte, dass der Präsident der USA eigenmächtig und vorbei an dem betroffenen ukrainischem Volk mit dem Aggressor Putin die Bedingungen eines Friedensvertrages festlegen will, zeigt überdeutlich, dass wir es beim Ukrainekrieg mit einem Stellvertreterkrieg zu tun haben, ausgeführt und mit Menschenleben bezahlt von der Ukraine, geplant und kalkuliert in Moskau und Washington.
Kriegsziele des »Westens«
Im Handelsblatt konnte man am 26. Februar über Trump lesen, er sei »nur der Prolet, der die Dinge ganz offen ausspricht«. Was sind das für Dinge? Erstens sei der Ukrainekrieg nicht zu gewinnen, seine Fortsetzung aussichtslos und teuer. Deshalb sei zweitens das Festhalten an einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine unrealistisch. Drittens seien die von Russland besetzten Gebiete verloren und nicht zurückzuholen. Eine Fortsetzung des Krieges koste daher unnötige Menschenleben. Trump sagte noch etwas: Selenskyj riskiere einen Dritten Weltkrieg. Auch das ist wahr.
Von Kriegsbeginn an hat Selenskyj immer wieder die direkte Beteiligung von Nato-Streitkräften gefordert, so etwa gleich zu Beginn des Kriegs, als er eine von der Nato durchzusetzende Flugverbotszone für die russische Luftwaffe forderte. Außerdem stellte er großmäulig in Aussicht, eine siegreiche Ukraine werde die Rolle, die Israel im arabischen Raum spiele, in Osteuropa übernehmen – also die Rolle eines scharfen Wachhunds zu Diensten des US-Imperialismus und des »Westens«. Keine kleinere, unterdrückte Nation hat aber das Recht, seine Befreiung mit der Inkaufnahme eines Weltkriegs zu fordern, eines inter-imperialistischen Großkriegs, wie er zuletzt im Zweiten Weltkrieg stattfand.
Die Unabhängigkeit der Ukraine und die Verteidigung »westlicher Werte« waren nie das Ziel der Ukrainepolitik der USA und auch nicht der Europäischen Union und Großbritanniens. Das Hauptziel war die Nato-Osterweiterung und – von deutscher und EU-Seite – die Aufnahme der Ukraine in die EU. Ein weiteres Kriegsziel war die langfristige Schwächung Russlands als geopolitischer Player.
Mit der gescheiterten Sommeroffensive der Ukraine von 2023 hat sich das militärische Blatt zugunsten der russischen Seite gewendet, eine Mitgliedschaft der Ukraine in den westlichen Bündnissystemen Nato und EU rückte damit in immer weitere Ferne. Die Schwächung Russlands als geopolitischer Player war bis zu einem gewissen Grad hingegen erfolgreich. So war Russland nicht in der Lage, noch einmal den Sturz ihres Bündnispartners Baschar al-Assad in Syrien durch Militärintervention wie 2015 zu verhindern.
Eine Entwicklung wie in Afghanistan 1988, als die Sowjetarmee sich nach knapp zehnjährigem Krieg geschlagen und demoralisiert zurückziehen musste, ist nicht absehbar und zu einem direkten militärischen Eingreifen waren keine der Nato-Mächte bereit. Putins Überfall auf die Ukraine 2022 hat, anders als der Afghanistankrieg von 1979 bis 1988, immer noch die zumindest passive Unterstützung der Mehrheit der russischen Bevölkerung. Die militärische Umzingelung Russlands durch die Nato-Osterweiterung gab Putin die Chance, seine eigenen Rückeroberungspläne des »nahen Auslands«, also einer ehemaligen Sowjetrepublik gegenüber der eigenen Bevölkerung als Verteidigungmaßnahme zu kaschieren.
Ukrainekrieg: Trumps Blick nach China
Und so konnte es zur Demütigung Selenkyjs durch Trump im Weißen Haus kommen. Wenn es dem wichtigsten Drehbuchautor des Kriegs in Washington nicht mehr sinnvoll erscheint, wird der »Stellvertreter«, das ist die Ukraine, fallengelassen. Alles deutet darauf hin, dass Trump eine »umgekehrte Nixon/Kissinger-Taktik« einschlägt. 1972 war der damalige Präsident Richard Nixon zu Mao nach China gereist, um China gegen den damaligen Kriegsgegner Vietnam zu neutralisieren und längerfristig China gegen die Sowjetunion in Stellung zu bringen. Das Ziel Trumps ist es, China zu isolieren und Putins Russland zu neutralisieren, das heißt, das Bündnis Russland-China aufzubrechen.
US-Außenminister Marco Rubio sprach dies in einem Interview mit dem rechtsradikalen Nachrichtenportal Breitbart kürzlich offen aus: »Die große Geschichte des 21. Jahrhunderts werden die amerikanisch-chinesischen Beziehungen sein«, so Rubio. Und weiter: »Aber ich denke, dass eine Situation, in der die Russen permanent ein Juniorpartner Chinas sind und aufgrund ihrer Abhängigkeit von China alles tun müssen, was China von ihnen verlangt, weder für Russland noch für Amerika, Europa oder die Welt ein gutes Ergebnis ist.«
Der Ukrainekrieg ist ein Hindernis auf dem Weg der Annäherung zwischen den USA und Russland. Der lokale Krieg in der Ukraine wird eingestellt, um einen globalen Konflikt mit China vorzubereiten.
Die europäischen Mittelmächte, die bisher in engem Bündnis mit den USA die Ukraine als Prellbock gegen den russischen Konkurrenten nutzten, sind empört, dass sie nicht an den Verhandlungen und damit an der Aufteilung der Kriegsbeute beteiligt sind. Die deutsche Ex-Außenministerin Annalena Baerbock, die nicht müde wurde zu erzählen, dass es im Ukrainekrieg um die Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten gegen das autokratische Russland Putins ginge, gibt sich besonders entsetzt, dass die deutsche Regierung und die EU nicht gefragt sind.
Die von Trump Putin angebotenen »Friedens«bedingungen sind angesichts der hohen Verluste an Menschen und Material durch Russland optimal aus dessen Sicht. Eine Ablehnung der Trumpschen Bedingungen könnte die Stimmung in der russischen Bevölkerung hingegen gegen Putin kippen lassen.
Als Sozialist:innen und Internationalist:innen unterstützen wir antiimperialistische nationale Befreiungskämpfe. Der sich abzeichnende von Trump und Putin angestrebte Raubfrieden dient der Unterdrückung und neokolonialen Ausbeutung durch die beiden Großmächte Russland und die USA.
Nein zu Imperialismus und Aufrüstung!
Die Aufregung in Europas Hauptstädten ist groß. Sie empören sich jetzt, dass die ukrainische Regierung nicht an den Verhandlungen beteiligt ist, dass ihr die »Friedens«bedingungen von Trump und Putin diktiert werden. Dabei geht es ihnen jedoch allein darum, dass sie selbst übergangen wurden. So schrieb das Handelsblatt: »Europa hat seine Chancen auf Rohstoffe aus der Ukraine nicht genutzt.« Die EU-Kommissionschefin von der Leyen hätte »schon aus purem Eigennutz wirtschaftlich die Ukraine an sich binden müssen.« Es sei »aber noch nicht zu spät.« Und bei T-Online liest man: »Trump will Gewinn machen.« Der US-Rohstoff-Deal sei »empörend«. »Trump möchte, dass dieser Krieg für die Amerikaner am Ende mit einem finanziellen ›Plus‹ endet.«
Die Grünen in Deutschland sprechen vom »Neoimperialismus«. Dabei hatte die EU selbst bereits im Juli 2021 eine »strategische Partnerschaft« geschlossen. »Man hatte sich auf die Gewinnung und Verarbeitung von kritischen Rohstoffen« verständigt. »Leider« sei die Abmachung »nicht über deine Absichtserklärung hinausgegangen«, kommentierte das Handelsblatt.
Unsere Antwort auf Trumps Agenda im Ukrainekrieg muss lauten: Nein zum imperialistischen Gewaltfrieden von Trump und Putin! Nein zum russischen Annexionismus! Nein zur amerikanischen Ausplünderung der Ukraine! Nein zur Beteiligung der EU-Imperialisten! Nein zu Truppenstationierungen! Für das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht der ukrainischen Volkes! Für einen sofortigen Schuldenerlass für die Ukraine! Gegen Annexionismus in der Ukraine, in Palästina, Grönland, Panama und sonstwo! Nieder mit dem Imperialismus in Ost und West! Nein zur geplanten Aufrüstung in der EU und in Deutschland!
Foto: Ліонкінг / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0
Schlagwörter: Krieg, Putin, Russland, Trump, Ukraine, USA