Harald Schumann / Christiane Grefe: »Der globale Countdown: Gerechtigkeit oder Selbstzerstörung – Die Zukunft der Globalisierung«, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 458 Seiten, 19,95 Euro
Von Verena Smöch
Für Christiane Grefe und Harald Schumann läuft der „Countdown« der derzeitigen Globalisierung: Die heutige Situation erinnere „beängstigend an den Wettlauf um Ressourcen und Einflusssphären zu Zeiten des Globalisierungsbooms am Beginn des 20. Jahrhunderts. Und würde die künftige Entwicklung historischen Mustern folgen, wäre früher oder später ein großer Krieg (…) wohl unvermeidlich«.
Die Autoren stellen auf 458 Seiten anschaulich die Auswüchse des Kapitalismus dar: ungehinderter Trend in Richtung Klimakatastrophe aufgrund der Profitlogik; lukrativer Emissionshandel als angeblicher Umweltschutz; vermeintlicher „Biosprit«, dem Regenwälder weichen müssen und der die Preise für Grundnahrungsmittel steigen lässt; Anarchie auf den Finanzmärkten, die Millionen von Menschen in die Armut treibt; Ressourcenkriege. Sie beschreiben die Umverteilung von unten nach oben, die auch in den Industrieländern größere Unzufriedenheit hervorbringt – und sie zeigen auf, wie die Konkurrenz zwischen Nationalstaaten sowie weltweite Krisen das System erschüttern.
„Der globale Countdown« ist nicht nur eine Bestandsaufnahme des globalen Kapitalismus. Die Autoren suchen auch nach Auswegen. Für sie wäre das die Herstellung eines globalen Ausgleichs, einer Weltgesellschaft. Ihr Modell der „Global Governance« sieht vor: mehr staatliche Regulierung, Wiederbelebung von internationalen Institutionen wie der UNO, die Einbindung von NGOs, um Demokratie auf internationaler Ebene zu fördern, sowie die Gleichstellung von Entwicklungs-, Schwellen- und entwickelten Industrieländern. Ziel ist es, „die Bändigung der globalisierten Finanzindustrie, die Überwindung der Massenarmut in den Entwicklungsländern und der sozialen Spaltung in der Wohlstandszone, ebenso wie die Ersetzung der fossilen und nuklearen Ressourcen durch erneuerbare Energiequellen« zu erreichen und das System dadurch stabil zu halten.
Die Diskussion über Alternativen ist weniger überzeugend als die von Grefe und Schumann treffend analysierte Zuspitzung globaler Widersprüche. Denn ob und wie das von den Autoren skizzierte linkssozialdemokratische Modell durch- und umgesetzt werden kann, bleibt fraglich. Bisherige Versuche, den Kapitalismus durch Regulierung zu bändigen und die ihm innewohnenden Krisen abzuwenden, sind gescheitert. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Staaten Regulierungen in einem sozial gerechten, demokratischen Sinne durchführen, da sie mit der Profitlogik eng verknüpft sind. Ein Auswechseln des Führungspersonals ist nicht genug. Nur weil Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann in Zeiten einer Finanzkrise nach Regulierung schreit, heißt dies nicht, dass der Prediger des freien Kapitalmarktes bekehrt wurde. Eher wird der kapitalistische Staat dazu aufgerufen, im Dienste der Konzerne Auswirkungen von Krisen auf die Allgemeinheit abzuwälzen.
Der Reform des Kapitalismus und der Staaten sind enge Grenzen gesetzt. Wenn die Annahme der Autoren zur Zuspitzung von globalen Widersprüchen stimmig ist – und es spricht einiges dafür, dass dem so ist – müsste eine linke Alternative weitaus radikaler formuliert werden.
In diesem Sinne sollte ein von den Autoren eher vernachlässigter Punkt noch stärker hervorgehoben werden: die Rolle der sozialen Bewegungen. Allein sie besitzen die Möglichkeiten, ernsthaften Druck auf die Herrschenden aufzubauen und das System grundlegend zu überwinden.