Die Wahl von Barack Obama ist ein historisches Ereignis. marx21 dokumentiert Statements von Mike Davis, Howard Zinn und anderen Aktivisten zur US-Wahl. Aus dem Englischen von David Paenson.
Howard Zinn
Der Historiker und langjährige Aktivist Howard Zinn ist Autor des Klassikers „Eine Geschichte des amerikanischen Volkes«
ICH MUSS ZUGEBEN, dass mich der Gedanke, dass Obama Präsident wird, mit freudiger Spannung erfüllt, auch wenn ich mir seiner Grenzen schmerzhaft bewusst bin. Denn seine schmeidige, wortgewandte Intelligenz überdeckt doch nur eine eher traditionelle Einstellung in Bezug auf die Innen- wie auf die Außenpolitik und er umgibt sich bloß mit einer aus der alten Clinton-Regierung und anderen Teilen des Establischments aufpolierten Beraterriege.
Glaubt er ernsthaft, dass Robert Rubin ein kühnes Konzept für die Wirtschaft entwickeln und Madeleine Albright eine neue Richtung in der Außenpolitik einschlagen werden? Albright war es doch, die 1998 das ganze Land bereiste und zur Rechtfertigung von Clintons Bombardierung des Irak vor „Massenvernichtungswaffen« warnte.
Wenn Richard Hofstadter sein Buch „The American Political Tradtion« fortsetzte, in dem er feststellt, dass sowohl „konservative« wie auch „liberale« Präsidenten, Demokraten wie Republikaner gleichermaßen die beiden Kernelemente des amerikanischen Systems, den Nationalismus und den Kapitalismus, mit ihrer ganzen Lebensenergie hochhalten, dann würde Obama nahtlos in diese Kette passen.
Sein unterwürfiger Schulterschluss mit McCain, als es darum ging, das 700 Milliarden Dollar schwere „Rettungspaket« für die Finanzgiganten zu genehmigen, ist ein trauriges Signal. Mehr dazu (sag ich mal ganz eingebildet) in meinem kürzlich erschienen Artikel für die Nation zum Thema Rettungsplan, der ja nichts mehr als ein vergeblicher „es wird schon unten ankommen«-Akt ist, anstatt dass das Geld direkt den Menschen zugute kommt, die Obama nach eigenem Bekunden vertritt.
Eine wiederbelebte soziale Bewegung muss also her, um für Obama das zu leisten, was die Streikenden, die Organisatoren der Mietervereinigungen und Arbeitslosenräte und die Agitatoren der frühen 1930er Jahre für Franklin Delano Roosevelt geleistet haben, als sie ihn zu einer Richtungsänderung zwangen, die die Superreichen so maßlos ärgerte, dass sich FDR in einem seiner besten Momente zu der Bemerkung hinreißen ließ: „Sie hassen mich, aber mir ist ihr Hass willkommen!« Obama braucht dieses Feuer. Es liegt an uns, den Bürgern und Nichtbürgern, es anzuzünden.
Camilo Mejía
Camilo Mejía war der erste Soldat im aktiven Dienst, der seine Entscheidung, einen erneuten Einsatz im Irak zu verweigern, publik machte. Er ist Vorsitzender des Rates der Irakveteranen gegen den Krieg.
WÄHREND DER Schlussdebate zwischen den Präsidentschafts-kandidaten in Hempstead, New York, forderten Mitglieder der Iraq Veterans of War (IVAW) den Moderator Bob Schieffer dazu auf, ihnen zu gestatten, den beiden Kandidaten jeweils eine Frage zu stellen.
Die Frage an Senator McCain bezog sich auf die Beihilfen für die Veteranen, da er selbst als Kriegsveteran und ehemaliger Kriegsgefangener besser abschneiden müsse, wenn das Wohlergehen der Veteranen thematisiert werde. Die Frage an Senator Obama, der ja gegen den Einmarsch in den Irak gestimmt hatte und sie zweitweise für illegal erklärt hatte, fokussierte auf seine Bereitschaft, ja oder nein, Soldaten zu unterstützen, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigern wollten. Es wurde der IVAW verwehrt, die Fragen zu stellen, aber nicht nur das, wir wurden von der berittenen Polizei Hempsteads angegriffen. Zehn unserer Mitglieder und einige engagierte Zivilisten wurden festgenommen und zwei unserer Mitglieder verletzt, wobei einer einen Kieferbruch erlitt. Keiner der beiden Kandidaten erwähnte den Irak oder Afghanistan während der gesamten Dauer der 90-minutigen Debatte.
Das Versprechen einer erneuerten Nation, deren Ressourcen der Besserung sozialer Bedingungen gewidment und ihr Reichtum zum Wohl der arbeitenden Bevölkerungsschichten verteilt werden sollte, klingt hohl, wenn Militärveteranen nicht einmal eine Frage stellen dürfen, ohne gewalttätig unterdrückt zu werden. Das alles unterstreicht nur, dass egal wer gewählt wird, die Aufgabe, eine bessere Welt zu schaffen, nach wie vor in den Händen der Bevölkerung liegt und von unserer Fähigkeit abhängt, uns als die wahren Architekten unserer Zukunft zu behaupten. Obama wird für den Antikriegskandidaten gehalten, weil er gegen den Irakeinmarsch votierte und einen schrittweisen Truppenabzug aus jenem Land versprach. Sowohl er als auch McCain sprachen vom Erfolg der zwischenzeitlich erfolgten Truppenaufstockung („Surge«) im Irak.
Aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Lage im Irak und dem schließlichen Abzug erforderte, dass Obama auch die Frage der 180.000 privaten Agenten im Irak, der permanenten Militärbasen, des diplomatischen und Konzernkomplexes, von dem aus die US-Regierung das Land regieren will, behandelte. Außerdem ignoriert der „Erfolg« der Truppenaufstockung das Schicksal der Bevölkerung im Irak, die zur Hälfte vertrieben, notleidend oder tot ist. Der „globale Krieg gegen den Terror«, diese irreführende Bezeichnung vergangener und gegenwärtiger Regierungen für profitgetriebene Einmärsche und Besatzungen, braucht einen neuen Fokus. Der Irakkrieg ist zu unbeliebt geworden, um die imperiale Agenda der USA weiterhin zu rechtfertigen. Wir dürfen es keinem Präsidenten gestatten, die Aufmerksamkeit auf Afghanistan zu lenken, um die amerikanische Kriegstreiberei fortzusetzen. Präsident Obama hat versprochen, weitere Truppen in jenes Land zu verschiffen, und den Krieg auf Pakistan auszuweiten, sollte er das für erforderlich halten.
Die Antikriegsbewegung muss die Notwendigkeit erkennen, den Kampf um Frieden und Gerechtigkeit fortzusetzen. Dieser Kampf beginnt daheim. In unserer Ablehnung kostspieliger und illegaler Aggressionskriege lehnen wir uns zugleich gegen die Armut, den Rassismus und die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die herrschende Elite auf. Nur durch den Aufbau einer wirklichen Basisbewegung zur Bekämpfung der unternehmerhörigen Regierung werden wir eine Welt schaffen können, in der Frieden, Gerechtigkeit und soziale Gleichheit vorherrschen. Das ist das Werk des Volkes, nicht der Politiker, ganz unabhängig davon, wer Präsident ist. Diesen Kampf hat es bereits in der Vergangenheit gegeben, er wird fortgesetzr, er kann nicht aufhören, nicht einmal für eine Minute.
Rosi Carrasco
Rosi Carrasco ist Aktivistin in der Bewegung für Migrantenrechte in Chicago und einer der Sprecherinnen der Illinois Coalition for Immigrant and Refugee Rights (ICIRR) im Südwesten.
ICH GLAUBE, dass die Wahl eine historische ist. Es ist ein herrlicher Augenblick hier in Chicago, denn zum ersten Mal haben wir einen Präsidenten, der die gesamte Bush-Politik der letzten acht Jahren ablehnt. Ich glaube, dass nicht nur die Bewegung für die Rechte der Migranten Hoffnung schöpfen darf, sondern alle Menschen, die gegen den Krieg sind, alle progressiven Bewegungen.
Es wird eine Öffnung geben für die Fortsetzung des Kampfes für die Migranten, gegen den Krieg und für viele Fragen, die unsere Gemeinwesen betreffen. Es ist nicht so, dass wir infolge der Wahlen magische Wandlungen erwarten dürfen, aber wir haben die Gelegenheit, die Dinge in Amerika zu ändern.
Die neuen Einwanderungsgesetze scheiterten letztes Jahr am Rassismus. Die Hauptzielscheibe der Rassisten waren die Migranten ohne Papiere. Einen afrikanischen amerikanischen Präsidenten zu haben, ist eine historische Wende. Es wird den Rassismus bremsen. Das sollten wir feiern. Wir müssen aber unsere Organisationsbemühungen vor Ort aufrechterhalten, denn nur so können wir etwas erreichen – ohne Kampf keine Veränderung.
Es hat sich gezeigt, dass die Politik von Bush, der Irakkrieg, der Einmarsch in andere Länder, die Rechtlosigkeit der Migranten von einer ganzen Menge Menschen in diesem Land, aber auch weltweit abgelehnt wird. Die Politik dieser Regierung wirkte sich verheerend auf die Menschen Lateinamerikas aus. Die Regierung ist nur darauf aus, den Reichsten zu helfen. Es überrascht mich zu sehen, wie sich die Jugend einsetzt und wie hoffnungsvoll sie ist. Ich glaube, wir befinden uns an einer Wende und dass wir eine Gelegenheit haben, neue Kampffelder zu eröffnen. Die Bewegung für die Rechte der Migranten ließ sich letztes Jahr ziemlich entmutigen, aber jetzt sind wir wieder bereit zu kämpfen. Wir werden eine neue Regierung und einen Richtungswechsel in diesem Land haben. Die neue Regierung muss uns zusichern, keine weiteren Überfälle und Abschiebungen vorzunehmen. Das ist eine Forderung, die alle teilen. Wir müssen eine Reform der Einwanderung einklagen. Es ist noch nicht klar, welche Art Reform die Regierung bereit ist anzubieten, denn bislang haben die Demokraten keine klare Linie zugunsten der Einwanderung vertreten.
Wir müssen ganz klar machen, dass unser Kampf um Bürger- und Menschenrechte handelt. Wir müssen erwachsen genug sein um zu verstehen, dass wir mit ganz unterschiedlichen Leuten mit unterschiedlichen Standpunkten zusammenarbeiten müssen. Ich denke, dass wir eine sehr offene und breite Bewegung brauchen, die jeden einzelnen Menschen einbezieht, der an die Menschen- und Bürgerrechte glaubt.
Arbeiter verlieren ihren Job wegen Unstimmigkeiten in ihrer Sozialversicherungsnummer, sie erhalten niedrige Löhne, weil ihre Papiere nicht in Ordnung sind, ihre Rechte werden ihnen wegen ihrer Situation vorenthalten. Daher müssen wir weiterhin darum kämpfen, die Menschen am Arbeitsplatz und in ihren Wohnorten zu organisieren. Wenn wir das vergessen, werden wir keine starke Bewegung aufbauen, die in der Lage ist, überzeugende Vorschläge zu machen und die Menschen zu verteidigen. Alle sind sich darin einig, dass wir den Marsch antreten müssen.
Am 1. Mai müssen wir wieder auf die Straße, aber wir müssen die Menschen auch direkt am Arbeitsplatz und an ihren Wohnorten organisieren, damit sie ihre Rechte kennen und sich verteidigen können. Die Wahl ist ein historischer Moment und bietet eine wunderbare Gelegenheit, die Politik in diesem Land zu verändern. Sie bietet uns eine großartige Gelegenheit, uns selbst zu organisieren, aber auch nur eine Gelegenheit. Wir müssen alles dran setzen, unsere Gemeinden zu organisieren. Wir dürfen die Gelegenheit nicht verpassen, denn sie wird sich uns nicht so schnell wieder präsentieren.
Ich glaube, dass die Menschen kampfbereit sind. Schaut, wie viele Menschen es sind, die sich an der Antikriegsbewegung, an der Bewegung für Migrantenrechte, für Krankenversicherung, für gute Löhne und Arbeiterrechte und viele andere Dinge einsetzen. Nun hoffe ich, dass diese Dinge angepackt werden. Mich elektriziert diese Wahl. Es ist eine aufregende Vorstellung, Obama als Präsidenten zu haben. Ich hoffe, dass wir diesen historischen Moment feiern können. Es wird zu einem fundamentalen Wandel in der Politik kommen, aber dieser wird nicht von allein eintreten. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen sich organisieren, um diese Öffnung zu nutzen.
Ken Riley
Ken Riley ist Präsident der Internationalen Hafenarbeitergewerkschaft, Ortsgruppe 1422 in Charleston, Südkarolina
DER WAHLTAG war ein bombastisches Ereignis in Südkarolina. Unter jungen afrikanischen Amerikanern war die Vorstellung, nicht wählen zu gehen, einfach uncool.
Am Wahltag stellte ich mich früh an, um meine Stimme abzugeben, und sah viele junge Leute, die ich kannte. Ich konnte kaum glauben, dass sie bereits 18 Jahre alt waren. Einen jungen Mann, der gerade 18 geworden war, hatte ich im Auto mitgenommen. Er war so stolz. Das ist die Energie, die Aufregung, die wir zur Zeit in der afrikanischen amerikanischen Community Charlestons erleben. Wir erwarten für heute Abend 2000 Menschen im Gewerkschaftshaus.
Es sind schwere Zeiten für uns, die Wirtschaftslage ist äußerst vertrackt. Manche Faktoren, mit denen unsere Wirtschaft zu kämpfen hat, sind gänzlich neu. Eine zentrale Erwartung an die neue Obama-Regierung für uns als organisierte Arbeiterbewegung in Südkarolina, in dessen Verfassung das Recht auf Arbeit verankert ist, ist die Einführung der freien Gewerkschaftswahl. Wir hoffen, dass sich dies auch auf die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze im öffentlichen Dienst auswirken wird. Die Wahl macht deutlich, dass die Wirtschaftsdoktrin, wonach der Reichtum irgendwann automatisch unten ankommen wird, einfach nicht funktioniert. Man begeistert sich und blickt optimistisch in die Zukunft nicht bloß weil Amerika seinen ersten schwarzen Präsidenten gewählt hat man will, dass die Regierung Erfolge hat. Deshalb wirst du nicht erleben, dass Menschen einfach ihre Stimme abgeben und sich danach wieder zurückziehen. Es wird einen Organisierungsschub geben. Wenn es überhaupt ein unten Ankommen gibt, dann dieses.
Donna Smith
Gesundheitsaktivistin Donna Smith hat in Michael Moores Doku „Sicko« mitgewirkt und ist Bundeskoordinatorin der American Patients United (Amerikanische Patienten Vereint)
ICH GLAUBE, die meisten unter uns laufen herum mit einem Knoten im Bauch. Wird er es wirklich schaffen? Es sind spannende Momente. Aber gehen wir davon aus, dass Obama die Wahl gewinnt und es ein paar zusätzliche progressive Parlamentarier gibt. Auch dann stehen wir erst am Anfang. Es ist seit vielen Jahren so vieles ganz grundsätzlich falsch gelaufen in den Regierungsgeschäften. Damit meine ich nicht bloß die letzten acht Jahre. Es gab die Jahre davor, die auch nicht die günstigsten für arbeitende Menschen, für die Mittelschichten und die darunter waren. Es sind 30 schwierige Jahre gewesen.
Es liegt eine Menge Arbeit vor uns, und wir alle sind gefordert, neue Wege der Zusammenarbeit zu finden. Das Geschenk, das uns die Obama-Kampagne gemacht hat, geht über die Ablösung von Bush und Cheney hinaus: Wir haben gelernt, dass gemeinsame Organisierung der Schlüssel ist, die Dinge zu verändern. Es wird nicht einfach sein. Der Kampf um eine einheitliche Gesundheitsversicherung wird sich in den kommenden Monaten schwierig gestalten, sehr schwierig. Wir werden noch mehr als in der Vergangenheit die Vorzüge eines einheitlichen Systems deutlich machen müssen. Ich glaube, wir werden eine Menge Reformvorschläge von allen möglichen Leuten erleben, die aber nicht unbedingt das System als Ganzes reparieren werden. Die Deckungsmöglichkeiten für manche Amerikaner werden vielleicht erweitert, das wird aber die tiefen Risse im System nicht kitten, vor allem das Problem der Mittelmänner, die profitorientierte Gesundheitsindustrie, die uns den Zugang zur Gesundheitsversorgung erschweren.
In der Eile, etwas schnell hinzukriegen, werden wir deshalb nicht unbedingt das Richtige tun. Diejenigen unter uns, die für die einheitliche Kasse sind, werden sehr zielstrebig arbeiten müssen, wir werden uns richtig organisieren müssen, um unser Ziel zu erreichen. Wir müssen immer bedenken, dass die Wahl eines einzigen Individuums unmöglich alle Systeme reparieren kann, die einer Reparatur bedürfen. Das ist lediglich ein Schritt in Richtung eines offeneren Regierungsstils. Ich glaube, das ist unser aller Hoffnung. Es wäre aber falsch zu glauben, dass die Wahl Obamas bzw. einer progressiveren Zusammensetzung des Kongresses gleichbedeutend mit einem Aufbruch zu neuen Ufern sei. Es wird einer kontinuierlichen, einer harten und konzentrierten Arbeit bedürfen, den Chaos, den uns die Reagan-Revolution hinterlassen hat, aufzuräumen. Es dauerte eine Weile, bis sich die Auswirkungen der Reagan-Revolution für arbeitende Menschen voll entfalten konnten, so meine Wahrnehmung. Und es wird ebenfalls eine Weile dauern, bis alles wieder hergerichtet ist. Menschen werden während dieser Aufräumungsphase leiden. Meine Hoffnung, meine Sorge ist, dass wir Wege und Mittel finden müssen, einander zu helfen, die Dinge in Bewegung zu bekommen, und dem neuen Präsidenten und dem Kongress zu helfen, aus diesem Land ein besseres zu machen.
Tariq Ali
Historiker und Schriftsteller Tariq Ali, prominenter Aktivist der sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre, ist Autor unter anderem von „Pakistan: ein Staat zwischen Diktatur und Korruption« und „Piraten der Karibik. Die Achse der Hoffnung«.
DIE EHEMALIGE Chefin des britischen Geheimdienstes stellte fest, dass ihrer Ansicht nach das ganze Konzept vom „Krieg gegen den Terror« von Anfang an fehlgeleitet, eine Überreaktion auf einen terroristischen Angriff war. Sollten ihre Kollegen der CIA und des US-Militärischen Geheimdienstes ihre Meinung teilen, können wir unter einer Obama-Regierung mit einigen Änderungen in der US-Außenpolitik rechnen. Vor allem ist eine Rückkehr zu der lang bewährten Methode der Verteidigung von US-Interessen durch Vertreter vor Ort zu erwarten.
Das hieße, der pakistanischen Regierung die Aufsicht über Afghanistan anzuvertrauen, und einem Iran unter einem Nachfolger Ahmadinedschads die gleiche Rolle im Irak einzuräumen. Der Grund ist, dass beide Kriege ein Desaster waren. Obamas Ansichten über Afghanistan/Pakistan sind weit gefehlt. Die Tatsache, dass die US-Regierung bereits seit einiger Zeit direkte Gespräche mit dem neotalibanischen Widerstand aufgenommen hat, ist ein ernsthaftes Zeichen, dass sie den Krieg für verloren hält.
Die Neotaliban haben den Gesandten Washingtons gesagt, dass sie keiner Koalitionsregierung beitreten werden, solange sich irgendwelche ausländischen Truppen auf afghanischem Boden befinden. Danach sind sie offen für Angebote. Obama muss davon gewusst haben. Die Ausweitung des Kriegs auf Pakistan würde das Land nur noch weiter destabilisieren. Wem soll das nutzen?
Die US-Außenpolitik in Lateinamerika ist durch ein hohes Maß an Verwirrung gekennzeichnet. Es wird erwogen, Nixons historische Reise nach Beijing in Gestalt einer Obama-Reise nach Havana zu wiederholen. Das Problem ist nur, dass Predigten über die Vorzüge des neoliberalen Kapitalismus etwas hohl klingen werden, angesichts des kapitalistischen Debakels im Westen. Die Cheney-Linie in Bezug auf Venezuela und Bolivien, Ecuador und Paraguay einfach fortzusetzen, wäre absolut kontraproduktiv, da Methoden, die in der Vergangenheit versagt haben, ganuso in der Zukunft versagen werden, auch mit einem menschlicheren Antlitz am Ruder. Sogar amerikafreundliche Staaten wie Chile und Brasilien lehnen neue US-Abenteuer ab. Vom ersten Tag des Obama-Sieges an, der eine Welle hoher Erwartungen im Land und in der Welt freisetzen wird, müssen Aktivisten Druck entfalten, wenn überhaupt etwas erreicht werden soll. Ich denke, Antikriegsaktivisten sollten die Amtseinführung zahlreich aufsuchen mit Bannern mit dem Slogan „Herzliche Glückwünsche – jetzt raus aus Kabul und dem Irak!«
Mike Davis
Autor, Historiker und sozialistischer Aktivist Mike Davis hat zahlreiche Bücher verfasst, darunter „Planet der Slums«, „Die Geburt der Dritten Welt: Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter«,
VOR GENAU vierzig Jahren erlitt die Demokratische Partei – die Partei Jim Crows und des Kalten Kriegs, nicht nur des New Deal – Schiffbruch an den Klippen eines unbeliebten Vietnamkriegs und einer weißen Reaktion gegen Rassengleichheit. Die von Nixons hauseigenem Machiavelli Kevin Phillips propagierte „aufkommende republikanische Mehrheit« war in Wirklichkeit schon immer eher eine episodenhafte Erscheinung und anlässlich von Bundeswahlen oft genug äußerst dünn, aber sie erhielt neuen Schub durch den eindrucksvollen ideologischen und religiösen Eifer und Dank den großzügigen Spenden einer Unternehmerklasse, die überall in die Offensive gegen die New Deal-Gewerkschaften und Sozialprogramme ging.
Die Republikaner, obwohl sie die meiste Zeit keine Mehrheit im Kongress besaßen, bestimmten die Tagesordnung in vielen Fragen – des neuen Kalten Kriegs, des Steueraufstands, des Drogenkriegs usw. und preschten bei der Neustrukturierung von staatlichen Leistungen vor: der Abschaffung direkter Bundeshilfen an die Städte, dem willentlichen Schuldenmachen, um Sozialausgaben zu drücken usw. Die Antwort der Demokraten auf die Reagansche Revolution von 1981 war nicht prinzipientreuer Widerstand, sondern feige Anpassung. Die „Neuen Demokraten« unter Bill Clinton (dessen persönliches Vorbild Richard Nixon war) gaben der Wirtschaftspolitik von Nixon und Reagan nicht nur ihr offizielles Segen, sie übertrafen sie manchmal sogar in ihrem Eifer, die neoliberale Doktrin durchzusetzen – so Clinton mit seinem Kreuzzug zur „Reform« der Sozialsysteme (in Wirklichkeit ein Kreuzzug zur Schaffung von mehr Armut), zur Senkung des Staatsdefizits und zur Umsetzung der NAFTA ohne Arbeiterrechte.
Obwohl die Kernbereiche der New Deal-Arbeiterschaft weiterhin der Demokratischen Partei 60 Prozent ihrer Wählerstimmen verschaffen, ließ sich die Parteipolitik weitgehend von Clintons Begeisterung für die Eliten der „New Economy«, die Mogule der Unterhaltungsindustrie, die reichen Vorstädter, die gutbetuchten Gentrifier der Innenstädte und eine Welt nach der Vorstellung von Goldman Sachs leiten. Bedeutende Wählerabwanderungen zugunsten Bush in den Jahren 2000 und 2004 hatten weniger zu tun mit republikanischer Manipulation von „Familienwerten«, dafür umso mehr mit Gores und Kerrys Parteinahme für eine Globalisierung, die Hüttenstätten und Industrielandschaften verwüstete. Die diesjährige Wahl signalisiert paradoxerweise sowohl eine grundlegende Neuformierung als auch eine grundlegende Kontinuität. Die Republikaner wissen jetzt, wie sich die Demokraten 1968 gefühlt haben müssen. Blaue Siege in vormals sicheren Roten Vororten sind überraschende Einbrüche in das feindliche Kernland und durchaus vergleichbar mit den Siegen von George Wallace und Richard Nixon vor über einer Generation in den nördlichen, ethnisch weißen Gegenden von IT-Leitern. Währenddessen tut die übereilte Höllenhochzeit von Palin und McCain Kund von der unmittelbar bevorstehenden Scheidung der kirchtreuen Ultras von den sündigen Country Clubbern. Die durch Karl Roves knüppelbereites Genie mühsam aufgebaute Bush-Koalition bricht jetzt auseinander. Wichtiger noch ist, dass Zigmillionen Wähler das Urteil von 1968 aufgehoben und sich diesmal für wirtschaftliche Solidarität anstelle von Rassentrennung entschieden haben. Diese Wahl bedeutet faktisch einen Volksentscheid über die Zukunft des Klassenbewusstseins in den Vereinigten Staaten, und ihr Ausgang, vor allem Dank den arbeitenden Frauen, ist eine außerordentliche Bekräftigung progressiver Hoffnungen.
Was sich von der Person des demokratischen Kandidaten nicht sagen lässt. Denn obwohl die Wirtschaftskrise und die besondere Dynamik, die der Wahlkampf in industriellen Pendelstaaten zwangsläufig mit sich bringt, Obama schließlich dazu brachten, das Thema Arbeitsplätze in den Vordergrund zu rücken, war sein „Sozialismus« viel zu höflich, um die breite Wut gegen die kriminelle Rettungsaktion aufzugreifen, und kritisierte nicht mal die Schwergewichte der Ölindustrie (im Gegensatz zum gelegentlichen Populisten McCain). Was die politische Richtung angeht – was wäre anders gekommen, hätte Hillary Clinton an seiner Stelle gewonnen? Möglicherweise ein besserer Gesundheitspflegeplan? Ansonsten wäre das Resultat das gleiche gewesen. Man könnte sogar behaupten, dass Obama mehr Gefangene der Clinton-Erbschaft ist als die Clintons selbst. In den Seitengängen wartet eine ganze Schar von Wall Street-Staatsmännern, „humanitären« Imperialisten, kaltblütigen Technikern des politischen Betriebs und wiederaufbereiteten republikanischen „Realisten«, um seine ersten 100 Tage zu geleiten ‒ zur äußersten Beruhigung in den Chefetagen, angefangen vom Rat für Auswärtige Beziehungen bis hin zum Internationalen Währungsfonds. Trotz aller Fantasien von „Hoffnung« und „Veränderung«, die auf die gutaussende Maske des neuen Präsidenten projeziert werden, sind es wohlbekannte, vorprogrammierte Zombies der rechten Mitte, die in seiner Regierung das Sagen haben werden. Clinton 2.0.
Angesichts der Großen Depression der Globalisierung würde das amerikanische Staatsschiff egal mit welcher Mannschaft wahrscheinlich über den Rand der bekannten Welt segeln. Nach meiner Meinung sind drei Entwicklungen zu erwarten:
Erstens gibt es nicht die geringste Hoffnung auf eine spontane Wiedergeburt des New Deal oder eine liberale Rooseveltsche Politik ohne das Feuer massiver sozialer Kämpfe.
Zweitens wird auf den kurzen Woodstock der Obama-Amtseinführung die große Ernüchterung für Millionen Menschen folgen, angesichts der Unfähigkeit der Regierung, Massenkonkurse und steigende Arbeitslosigkeit zu bewältigen und die Kriege in Nahost zu beenden.
Drittens mögen die Bushianer aussterben, aber die Hass speiende, migrantenfeindliche Rechte, vor allem der Flügel um Lou Dobbs, steht in den Startlöchern, um ein dramatisches Comeback zu feiern, sobald die neoliberalen Lösungen versagen.
Die große Herausforderung für die kleinen Scharen der Linken ist, diese Massendesillusionierung zu antizipieren und zu verstehen, dass es nicht unsere Aufgabe ist, „Obama nach links zu ziehen«, sondern die erschütterten Hoffnungen zu retten und zu reorganisieren. Das Übergangsprogramm muss der Sozialismus selbst sein.
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US-Wahlanalyse: Zwei Klassen Der neue US-Präsident: Gewählt und getragen von den Hoffnungen von Millionen – finanziert und gefördert von den Reichen, der Wallstreet und den Großkonzernen. Yaak Pabst über den widersprüchlichen Charakter der Wahlmobilisierung für Barack Obama.
Quellen: Die Texte sind zuerst erschienen in: Socialist Worker vom 05.11.2008, Issue 684,
What next for struggle in the Obama era?, Übersetzung der Originaltexte: David Paenson.