Obwohl 12.000 Menschen in Dresden gegen die Nazis demonstrierten, konnten die Faschisten marschieren. Was lief schief? Jan Maas war vor Ort und zieht Bilanz.
6000 Nazis marschierten am 14. Februar durch Dresden. Es kamen fast doppelt so viele wie im letzten Jahr – zum größten Naziaufmarsch in Deutschland seit Jahren. Dagegen demonstrierten so viele Menschen wie noch nie in Dresden. Doch auch tausende engagierte Antifaschisten stoppten den Aufmarsch nicht.
Das größere Bündnis »Geh denken!« aus Parteien und Gewerkschaften zog recht harmlos an der Elbe entlang, während die Nazis die Altstadt eroberten. Das radikalere antifaschistische Bündnis »No Pasarán!« versuchte währenddessen, sich ihnen entgegenzustellen. Aber erst, als der Nazispuk schon so gut wie vorbei war, gab es einen Impuls zur Vereinigung, was die Polizei ziemlich brutal verhinderte. Welches Selbstbewusstsein die Faschisten aus ihrem Erfolg gezogen haben, lässt sich daran messen, dass einige von ihnen noch am Abend einen vom DGB organisierten Bus mit Antifaschisten überfielen und fünf Menschen verletzten, einen davon schwer. Aufmarsch und Überfall sollten deshalb eine deutliche Warnung sein und das Signal zu einer ernsthaften Debatte über die Taktik, mit der Naziaufmärsche in Zukunft gestoppt werden können.
DIE LINKE forderte auf ihrem Leittransparent in Dresden richtig: »Den Nazis entgegentreten«. Falsch wird es dann, wenn diese Parole Symbol bleibt. Dann kommt das heraus, was Dresden am 14. Februar erlebt hat. Den Nazis entgegenzutreten heißt, Aufmärsche der Faschisten physisch zu blockieren, und zwar massenhaft und entschlossen. Ausgangspunkt dieser Überzeugung ist, dass die Gefahr, die von den Nazis ausgeht, real ist. Davon zeugen die über 100 Menschen, die Faschisten seit der Wiedervereinigung in Deutschland ermordet haben.
Wirtschaftskrise
Wachsende Angst vor der Wirtschaftskrise, Verelendung durch Hartz IV und jahrelange Angstkampagnen gegen Muslime schaffen einen Nährboden, auf dem Ausländerfeindlichkeit und Gewalt sich sehr schnell ausbreiten können. Naziparteien riefen in den letzten Jahren beispielsweise in Berlin und Köln Kampagnen gegen den Bau von Moscheen ins Leben, die weit ins bürgerliche Lager hinein Unterstützung fanden. Obwohl die stärkste Nazipartei, die NPD, in einer tiefen Krise steckt, haben die Faschisten mehr Menschen nach Dresden bringen können als zuvor. Deshalb greift DGB-Chef Michael Sommer zu kurz, wenn er nach dem Überfall auf den Gewerkschaftsbus einen neuen Anlauf für ein Verbot der NPD fordert. Sicher würde ein Verbot der Partei die Nazis beim Aufbau stören. Zum Beispiel dadurch, dass sie kein Geld mehr aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhielten. Doch in der Vergangenheit sind immer wieder Naziparteien verboten worden, ohne dass dadurch die Nazistrukturen nachhaltig geschwächt worden wären. Außerdem hat die NPD beim Aufmarsch von Dresden keine entscheidende Rolle gespielt. Dieser Aufmarsch wurde getragen von gut organisierten Nazikameradschaften, die den Kern einer zukünftigen Bürgerkriegsarmee bilden wollen. Diesen Mob mit einem Parteiverbot stoppen zu wollen, bedeutet, seine Entschlossenheit zu unterschätzen.
Polizeistreifen nach Naziaufmärschen auf Brücken und Rastplätze zu schicken, wie Linksfraktionsvize Bodo Ramelow forderte, beseitigt die Nazigefahr ebenso wenig. Vor allem, wenn dieselbe Polizei vorher den Aufmarsch schützt, der den Nazis erst den Aufwind gibt. Aufmärsche wie in Dresden stellen eines der zentralen Elemente in der Strategie der Faschisten dar. Neben dem Kampf um die Köpfe und dem Kampf um die Parlamente führen Nazis bewusst einen Kampf um die Straße, um Macht zu demonstrieren. Faschisten können dann Anziehungskraft auf ihr Umfeld ausüben, wenn sie den Eindruck erwecken, als könnten sie ihre Scheinlösungen durchsetzen und ihre Gegner niederhalten. Aufmärsche lassen sie als die Macht auf der Straße erscheinen. Deshalb ist es nötig, sie zu verhindern. Das hat in Dresden leider nicht funktioniert, obwohl die Umstände dafür günstig waren.
Masse und Entschlossenheit
Doch um die Nazis zu stoppen, müssen Masse und Entschlossenheit zusammenkommen. Erst die Mischung macht’s. Dafür gibt es viele Beispiele, von München 1997 bis Köln 2008. Eines davon ereignete sich am 8. Mai 2005 in Berlin. Auch damals gab es ein Bündnis, das fernab des Aufmarsches demonstrierte und radikalere Gruppen, die sich den Faschisten in den Weg stellen wollten. Der Unterschied zu Dresden war der, dass es schon im Vorfeld politische Kräfte gab, die offen, klar und deutlich zum Ausdruck gebracht hatten, dass es nötig ist, die Nazis massenhaft und entschlossen zu stoppen und in beiden Lagern dafür geworben hatten. Damit war jedem klar, dass es nicht um einen symbolischen Protest ging, sondern darum, Faschisten wirklich an ihrem Aufmarsch zu hindern.
So hatten sie den Grundstein dafür gelegt, dass im entscheidenden Moment genügend Menschen von Rentnern bis hin zu Müttern mit Kinderwagen bereit waren, sich gemeinsam mit organisierten Antifaschisten auf einer Demonstration den Nazis in den Weg zu stellen und die Polizeisperren beiseite zu schieben. Diese Bereitschaft reichte sogar bis in die grüne Fraktionsspitze hinein, als der Damm erst einmal gebrochen war. Massenhaft und entschlossen – das ist kein Widerspruch, sondern das einzige Mittel gegen Naziaufmärsche. Es muss allerdings organisiert werden. 2010 werden die Nazis versuchen, ihren Erfolg zu wiederholen. Die Aufgabe der LINKEN ist es, jetzt die Debatte zu führen, damit spätestens dann Masse und Entschlossenheit wieder zusammen kommen können.
Zum Autor:
Jan Maas ist Mitglied der LINKEN in Berlin-Neukölln und hat in Dresden gegen die Nazis demonstriert.
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