Noam Chomsky über Obamas »Friedensinitiative« und die neusten Entwicklung im Nahen Osten.
Im Mai trafen sich Obama, Netanjahu und Abbas und nun fand Obamas Rede in Kairo statt. Allgemein wird dies als Wendepunkt in der amerikanischen Nahostpolitik interpretiert. Einige Kreise sind konsterniert, andere jubeln. Verhältnismäßig typisch ist die Einschätzung des Nahostanalysten der Washington Post, Dan Fromkin. Er sieht »Anzeichen«, dass »Obama eine neue regionale Friedensinitiative für den Nahen Osten unterstützen wird«, die »jener (Initiative), die vom jordanischen König Abdullah favorisiert wird, sehr nahekommt«. Außerdem glaubt Fromkin »erste, definitive Zeichen« zu erkennen, »dass Obama bereit ist, mit Israel ein hartes Spiel zu spielen« (Washington Post vom 29. Mai). König Abdullah besteht darauf, es werde »keine Änderungen an der Arabischen Friedensinitiative« geben, »und es gibt keinen Grund nachzubessern. Jedes Gerede über Nachbesserungen entbehrt der Grundlage«, so Abdullah (AFP vom 16. Mai). Abbas, der weiter regelmäßig als Präsident der Palästinenserbehörde bezeichnet wird (obgleich seine Amtszeit im Januar endete), pflichtet dem entschieden bei.
Die Arabische Friedensinitiative wiederholt den seit langem anerkannten internationalen Konsens, demgemäß Israel sich auf die internationale Grenze zurückziehen muss, mit einigen »minderen und wechselseitigen Anpassungen« – wie es das offizielle Amerika einst ausdrückte (bevor Amerika 1971 einen scharfen Bruch mit dem internationalen Konsens vollzog, um die israelische Ablehnung eines Friedens mit Ägypten, zugunsten des Ausbaus jüdischer Siedlungen (im Nordosten des Sinai), zu unterstützen). Der internationale Konsens fordert zudem einen Palästinenserstaat bestehend aus Gaza und der Westbank – nach einem Rückzug Israels. In der Arabischen Initiative steht ergänzend, dass die Arabischen Staaten danach ihre Beziehungen zu Israel normalisieren würden. Diese Initiative wurde im Nachhinein auch von der 'Organisation der Islamischen Staaten' – einschließlich des Iran – akzeptiert (siehe Akiva Eldars Artikel in der Haaretz vom 1. Juni).
Obama pries die Initiative und forderte die Arabischen Staaten auf, mit der Normalisierung der Beziehungen zu Israel voranzuschreiten. Den Kern des arabischen Vorschlags ließ er bislang allerdings geflissentlich unerwähnt. Seit den 70ger Jahren blockiert die rejektionistische Haltung der USA und des Klientenstaates Israel eine politische Lösung. Sie stehen praktisch isoliert da. Nichts deutet darauf hin, dass Obama die Arabische Initiative auch nur in Betracht ziehen würde – von »Förderung« ganz zu schweigen. Dies wurde durch Obamas vielgepriesene Kairoer Rede am 4. Juni betont. Ich werde darauf zurückkommen.
Ein Palästinenserstaat?
Die amerikanisch-israelische Konfrontation – mit Abbas als Randfigur – kennt zwei Phrasen: »Palästinenserstaat« und »natürliches Wachstum der (jüdischen) Siedlungen«. Sehen wir uns beides nacheinander an. In der Tat hob Obama den Begriff »Palästinenserstaat» hervor – und wiederholte damit Bush. Einen Kontrast bildet das (nicht korrigierte) Wahlprogramm der Likudpartei von 1999. Netanjahus Likud ist heute erneut an der Regierungsmacht. Im Programm des Likud steht, dass »die Etablierung eines palästinensischen, arabischen Staates westlich des Jordanflusses schlicht zurückgewiesen« wird. Es war eine Netanjahu-Regierung, die den Begriff »Palästinenserstaat« (1996) erstmalig benutzte. Sie stimmte damals zu – die Palästinenser dürften die übriggebliebenen Fragmente Palästinas gerne als »Staat« bezeichnen, »wenn sie dies wollen, oder sie können sie auch 'Grillhähnchen' nennen«, so David Bar-Illan, Direktor für Kommunikation und Politische Planung im Büro des israelischen Premierministers (Netanjahu) in einem Interview, das er im August 1996 dem Palestine-Israel Journal gab.
Diese verächtliche Anspielung der ersten Regierung Netanjahu (1996) auf die Ambitionen der Palästinenser machte eine Verschiebung deutlich: Die amerikanische und die israelische Politik näherten sich einander an. Kurz zuvor hatte Shimon Peres sein Amt niedergelegt und trotzig erklärt, es werde nie einen Palästinenserstaat geben (siehe Amnon Barzilais Artikel in der Haaretz vom 24. Oktober 1995). Peres beharrte auf der offiziellen Haltung der USA von 1989, unter (Bush-Baker), die auf israelischer Seite von der Koalitionsregierung (Shamir-Peres) geteilt wurde: Es könne keinen »zusätzlichen palästinensischen Staat« zwischen Israel und Jordanien geben. Gemeinsam erklärten Israel und Amerika Jordanien zum «palästinensischen Staat«. Der Bush-Baker-Shamir-Peres-Plan sah vor, das Schicksal der besetzten Gebiete entsprechend von Richtlinien zu regeln, die von der israelischen Regierung auszuarbeiten seien. Darüber wurde in den USA kaum (wenn überhaupt) berichtet. Nur Palästinenser, die diese Leitlinien akzeptierten, sollten an den Verhandlungen beteiligt werden. Nationale Rechte für die Palästinenser waren nicht vorgesehen.
Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass die Osloer Verträge vom September 1993 (der »Tag der Ehrfurcht«, so die Presse) in dieser Hinsicht viel geändert hätten. Die Prinzipien-Erklärung, die von allen Beteiligten damals akzeptiert wurde, stellte klar, dass am Ende des Prozesses die Verwirklung der Ziele stehen sollte, die in der UNO-Resolution 242 genannt waren. Diese Resolution sieht jedoch keine Rechte für die Palästinenser vor. Zu diesem Zeitpunkt waren die USA von einer früheren Interpretation der Resolution 242 abgerückt, die einen Rückzug der Israelis aus den 1967 eroberten Gebieten vorsah. Jetzt hielt man sich die Sache offen. Die Peres-Shamir-Baker-Erklärung von 1989 war die Antwort auf die offizielle Anerkennung des internationalen Konsensus (Zwei-Staaten-Lösung) durch die Palästinenser im Jahr 1988. 1976 war der Vorschlag einer Zwei-Staaten-Lösung zum erstenmal formal in eine UNO-Sicherheitsratsresolution eingebracht worden – durch die wichtigsten arabischen Staaten und mit stillschweigender Unterstützung der PLO. Die USA legten ihr Veto gegen die Resolution ein. 1980 wiederholte sich dies. Seit damals hat sich nichts an der rejektionistischen Haltung der USA bzw. Israels geändert. Zu einer kurzen, wichtigen Zäsur kam es während der letzten Monate der Ära Clinton.
Damals gestand US-Präsident Clinton ein, die durch ihn gestellten Bedingungen auf den gescheiterten Treffen in Camp David 2000 seien für alle Palästinenser inakzeptabel gewesen. Im Dezember desselben Jahres stellte er seine eigenen »Parameter» vor. Sie waren zwar vage aber entgegenkommender. Er verkündete, beide Seiten hätten diese akzeptiert, allerdings mit einigen Bedenken. Daraufhin trafen sich israelische und palästinensische Unterhändler im ägyptischen Taba, um die Differenzen auszuräumen und konnten beträchtliche Fortschritte erzielen. In wenigen Tagen sei eine vollständige Resolution möglich, verkündeten sie auf der gemeinsamen abschließenden Pressekonferenz. Aber Israel brach die Verhandlungen vorzeitig ab. Sie wurde seitdem nicht mehr formal aufgenommen.
Diese einmalige Ausnahme belegt, dass falls ein US-Präsident gewillt ist, eine echte, diplomatische Lösung zu tolerieren, diese wahrscheinlich auch erzielbar wäre. Diese Tatsachen sind gut dokumentiert – in englischen und hebräischen Quellen (siehe Noam Chomskys Buch: ''Der Gescheiterte Staat', 2006). Die Fakten teilen allerdings das Schicksal eines Großteils der in diesem Zusammenhang relevanten Geschichte: Sie werden regelmäßig verdreht, um doktrinären Bedürfnissen zu nützen. So schrieb Jeffrey Goldberg am 24. Mai in der New York Times: »Im Dezember 2000 hatte Israel Präsident Bill Clintons 'Parameter' akzeptiert, die den Palästinensern den gesamten Gazastreifen anboten, 94 bis 96 Prozent der Westbank sowie die Souveränität über die arabischen Viertel Ostjerusalems. Arafat wies den Deal erneut zurück«. Es ist ein genehmes Märchen – in allen Details falsch oder ernsthaft irreführend – ein weiterer nützlicher Beitrag zum amerikanisch-israelischen Rejektionismus.
Verstoß gegen internationales Recht
Um noch einmal auf den Begriff »Palästinenserstaat« zurückzukommen. Die entscheidende Frage, was die USA angeht, lautet: Versteht Obama darunter den internationalen Konsens oder das »Grillhähnchen«? Bislang blieb diese Frage unbeantwortet – abgesehen von geflissentlich Unausgesprochenem und (wichtig!) der kontinuierlichen amerikanischen Finanzierung der israelischen Siedlungs- und Entwicklungsprogramme im Westjordanland. Alle diese Programme sind ein Verstoß gegen internationales Recht. Das gab der damalige israelische Verteidigungsminister Moshe Dayan schon 1967 zu. Vom UN-Sicherheitsrat und dem Internationalen Gerichtshof wurde dies mehrfach bestätigt. Was Netanjahu angeht, so dürfte er seine Haltung von 1996 heute bekräftigen.
Die Konturen des »Grillhähnchens« in der Landschaft werden täglich sichtbarer. Dafür sorgen die israelischen Programme, die von den USA gedeckt werden. Im Mai 2006 erläuterte der damalige israelische Premierminister Ehud Olmert deren generelle Zielsetzung in einem »Konvergenzprogramm«, das später zu »Konvergenz plus« erweitert wurde. Das Konvergenzprogramm sieht israelische Landnahmen innerhalb der »Separationsmauer» und entlang des Jordantales vor. Was übrigbleibt, wird eingekerkert sein und durch mehrere Ausläufer (der Siedlungen), die nach Osten verlaufen, in einzelne Kantone zerstückelt. Zudem übernimmt Israel ganz Jerusalem (Greater Jerusalem). Derzeit finden die Bautätigkeiten größtenteils in Jerusalem statt. Viele Araber werden vertrieben. Diese Projekte innerhalb Jerusalems verstoßen nicht nur gegen internationales Recht – wie alle anderen auch – sondern auch gegen mehrere Sicherheitsresolutionen, die, zumindest bislang noch, von den USA unterstützt werden.
Die Pläne, die derzeit umgesetzt werden, sollen Israel Kontrolle über das wertvollste Land der Westbank verschaffen. Die Palästinenser sollen in unwirtliche Fragmente verbannt werden, die alle abgeschnitten sein werden von Jerusalem – dem traditionellen Zentrum palästinensischen Lebens. Zudem gewinnt Israel durch die »Separationsmauer« Kontrolle über die Quellen (Aquifer), die unter der Westbank liegen. Somit wird Israel weiterhin in der Lage sein, dafür zu sorgen, dass die Palästinenser nur ein Viertel des Wassers erhalten, das Israelis zur Verfügung steht (wie die Weltbank im April berichtete). In einigen Fällen haben die Palästinenser weniger Wasser als das (von der UNO empfohlene) Mindestmaß. Im Gazastreifen, dem anderen Teil Palästinas, führen regelmäßige israelische Bombardierungen und der brutale Belagerungszustand zu einer noch weit massiveren Wasserknappheit.
Obama wird all diese Programme weiter unterstützen. Er fordert sogar eine beträchtliche Aufstockung der Militärhilfen für Israel über einen nie dagewesenen Zeitraum von zehn Jahren (siehe Stephen Zunes in Foreign Policy in Focus vom 4. März). Es hat den Anschein, als biete man den Palästinensern besagtes Grillhähnchen an – und nicht mehr. Seit 1991 trennt Israel den Gazastreifen gewaltsam von der Westbank. Nach einer freien Wahl im Januar 2006, die zum »falschen Resultat« führte, wurde die Trennung – mit US-Unterstützung – weiter verschärft. Auch dies ignoriert Obama in seiner »neuen Initiative» geflissentlich und untergräbt damit die Hoffnungen auf einen lebensfähigen Palästinenserstaat noch mehr.
Die Tragödie in Gaza wird verdrängt
Gazas zwangsweise Trennung von Palästina und die miserablen Bedingungen, die dort herrschen, werden fast völlig verdrängt. Wir dürfen nicht – durch stillschweigenden Konsens – zu diesen Greueln beitragen. Die israelische Journalistin Amira Hass ist eine der führenden Expertinnen zu Gaza. Sie schreibt: »Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Palästinenser, wie sie von Israel im Januar 1991 eingeführt wurde, kehrte jenen Prozess um, der im Juni 1967 begann. Damals wurde es dem überwiegenden Teil des palästinensischen Volkes – zum erstenmal seit 1948 – wieder möglich, in der territorialen Offenheit eines einzigen Landes zu leben, eines besetzten Landes natürlich, aber immerhin eines ganzen… Die totale Isolierung des Gazastreifens von der Westbank ist einer der größten Erfolge der israelischen Politik. Das Ziel, das über allem steht, ist, eine Lösung auf der Basis internationaler Entscheidungen und Übereinkünfte zu verhindern, um stattdessen ein Arrangement, das auf der militärischen Überlegenheit Israels basiert, zu diktieren…. Seit Januar 1991 perfektioniert Israel die Spaltung und Trennung in bürokratischer und logistscher Hinsicht – nicht nur zwischen den Palästinensern in den besetzten Gebieten und ihren Brüdern in Israel, sondern auch zwischen den palästinensischen Einwohnern Jerusalems und den Menschen in den übrigen (besetzten) Gebieten sowie zwischen denen in Gaza, der Westbank und denen in Jerusalem. Auf demselben Gebiet leben Juden – in einem abgetrennten, überlegenen System, mit Privilegien, eigenen Gesetzen, Dienstleistungen, einer physischen Infrastruktur und mit Bewegungsfreiheit« (erschienen auf BitterLemons.org am 24. April).
Sara Roy, eine der führenden akademischen Expertinnen zu Gaza, ergänzt: »Gaza ist ein Beispiel für eine Gesellschaft, die bewusst in den Zustand absoluten Zerfalls versetzt wurde und deren einst produktive Bevölkerung zu hilfeabhängigen Bettlern gemacht wurde… Die Unterwerfung Gazas begann lange vor dem jüngsten israelischen Krieg gegen (Gaza). Die israelische Besatzung… von der internationalen Gemeinschaft seit langem vergessen oder geleugnet, ruiniert die Wirtschaft und die Menschen in Gaza, insbesondere seit 2006… Nach dem israelischen Angriff im Dezember (2008) sind die ohnehin schwierigen Bedingungen in Gaza praktisch unerträglich geworden. Häuser, Existenzen und die öffentliche Infrastruktur wurden beschädigt oder zerstört und zwar in einem Ausmaß, dass selbst das Israelische Verteidigungsministerium zugab, dass es nicht zu rechtfertigen sei. Heute existiert in Gaza kein privater Sektor mehr, der der Rede wert wäre und keine Industrien. 80 Prozent des landwirtschaftlichen Anbaus im Gazastreifen wurden zerstört. Die Israelis schießen weiter auf Bauern, die versuchen, zu pflanzen oder sich um ihre Felder zu kümmern, die in der Nähe der gut mit Zäunen und Patrouillen gesicherten Grenze liegen. Ein Großteil der produktiven Aktivität wurde ausgelöscht… Heute hängen 96 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens – 1,4 Millionen Menschen – von humanitärer Hilfe ab, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Laut des Welternährungsprogrammes würde der Gazastreifen täglich mindestens 400 Lastwagenladungen mit Nahrung benötigen, um allein die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen. Trotz der Entscheidung des israelischen Kabinetts vom 22. März, alle Einfuhrbeschränkungen für Lebensmittel nach Gaza aufzuheben, durften in der Woche vom 10. Mai nur 653 Lastwagen mit Nahrung und anderen Gütern passieren. Das entspricht bestensfalls 23% der benötigten Güter… Heute genehmigt Israel die Einfuhr von 30 bis 40 verschiedenen Arten von kommerziellen Gütern. Vor dem Juni 2006 waren es 4000«. (erschienen in der Harvard Crimson am 2. Juni 2009).
Es kann nicht oft genug betont werden, dass Israel keine glaubwürdige Rechtfertigung für seinen Angriff im Dezember auf Gaza hatte. Die Attacke erfolgte mit voller Rückendeckung der USA und mit dem illegalen Einsatz von Waffen aus den USA.
Zum Text:
Veröffentlichung auf marx21.de mit freundlicher Genehmigung von ZNet. Dort ist er zuerst auf Deutsch erschienen in der Übersetzung von Andrea Noll.
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