Die National Guard patrouilliert wieder auf den Straßen der USA. Ken Olende erinnert an vier kritische Situationen, als die Truppen gegen Widerstand daheim eingesetzt wurden, und wie sie die Angst unserer Herrschenden vor jeglichem sozialem Aufbegehren dokumentieren
Der Einsatz der Nationalgarde zur Befriedung der Proteste in Ferguson, St. Louis, hat für breite Empörung gesorgt. Die Proteste entzündeten sich an der Tötung des unbewaffneten schwarzen Teenagers Michael Brown durch die Polizei.
Das US-Militär weist eine lange Geschichte von Interventionen in nationale Kämpfe auf. Vier Beispiele werfen ein Schlaglicht auf die Entwicklung von Widerstand in den USA und zeigen, warum Protestierende sich niemals Hilfe vom Militär erbeten sollten.
Die Nationalgarde wurde im Jahr 1916 kreiert, als Reservearmee unter der Kontrolle der einzelnen Bundesstaaten. In Notsituationen war der Präsident aber befugt, sie direkt seiner Befehlsgewalt zu unterstellen.
Diese neue Einrichtung konnte sich sehr bald bewähren. Im Jahr 1917 liefen Weiße Amok gegen den Zuzug von Schwarzen auf der Suche nach Arbeit in der Kriegsindustrie von East St. Louis und brachten 200 Menschen um. Die Nationalgarde wurde zwar eingesetzt, aber Augenzeugen berichten, dass sie sich zum weißen Mob gesellte.
Little Rock
Die Kampagne zur Überwindung der Rassentrennung in Little Rock im Jahr 1957 ruft zwei gegensätzliche Bilder hervor. Das erste zeigt, wie die Nationalgarde von Arkansas schwarzen Teenagern den Weg zur Schule versperrt. Das zweite, wie sie – mit Bajonett ans Gewehre fixiert – die Teenager in die Schule eskortiert.
Das Oberste Gericht hatte zuvor entschieden, dass rassisch segregierte Schulen gegen die Verfassung verstießen. Daraufhin schrieben sich neun schwarze Schüler an der zuvor nur für Weiße zugänglichen Central High School ein.
Das neue Schuljahr war für den 3. September angesetzt und rassistische Mobs stellten sich vorm Schuleingang auf, um die Integration zu verhindern. Sie belästigten die schwarzen Schüler und blockierten den Zutritt.
Am darauf folgenden Tag rief der Staatsgouverneur Orval E. Faubus die Nationalgarde von Arkansas, um die Ordnung wieder herzustellen – heißt, die schwarzen Schüler auszusperren.
Faubus erklärte: »Es war in meinen Augen eine notwendige Entscheidung, um Frieden und Ordnung in der Community zu bewahren und das Leben eben auch der schwarzen Schüler und der schwarzen Bevölkerung zu schützen.«
Zu der Zeit pflegte die US-Regierung ihr Image als demokratische Führung der »freien Welt« gegen Tyrannei und Ungerechtigkeit. Die Berichterstattung über eine so offensichtliche Ungerechtigkeit im eigenen Land war eine Blamage.
Präsident Dwight D. Eisenhower war kein Linker. Aber, um dieser Schmach ein Ende zu bereiten, stellte er die gesamte Nationalgarde von Arkansas unter Zentralgewalt, damit sie den Zugang nicht mehr blockieren konnte. Und er entsandte weitere 1000 Soldaten der regulären Armee.
Die neun Schüler wurden von 22 Soldaten in die Schule begleitet. Diese Eskorte wurde tägliche Routine.
Aus ähnlichen Gründen föderalisierte Präsident John F. Kennedy weitere Nationalgarden in den Südstaaten, um Aufmärsche der Bürgerrechtsbewegung vor mörderischen Mobs zu schützen. Aber ab Mitte der 1960er Jahre schlüpften sie in eine andere Rolle.
Detroit 1967
Im Gegensatz zu den Kämpfern für Bürgerrechte im Süden waren arme Schwarze in den Nordstaaten vor dem Gesetz gleichgestellt. Aber sie trugen die Hauptlast der wirtschaftlichen Not und waren ständigen polizeilichen Schikanen ausgesetzt.
Einer ersten Massenaufruhr in Harlem im Jahr 1964 folgten weitere in etlichen innerstädtischen Ghettos. Es waren regelrechte Aufstände gegen Rassismus und Polizeigewalt – und die Nationalgarde und das Heer wurden eingesetzt, um sie zu unterdrücken.
Die größte Schlacht fand im Jahr 1967 in der Umgebung der 12. Straße in Detroit.
Die Polizei hatte eine von Schwarzen frequentierte, nicht lizenzierte Bar gestürmt. An jenem Abend hatte sie eine Party für heimkehrende Soldaten aus Vietnam geschmissen.
Die Feiernden weigerten sich, das Lokal zu verlassen, und die Polizei kämpfte sich durch das Publikum durch und verhaftete 85 Anwesende.
Aber die ortsansässige Bevölkerung leistete Widerstand. In den darauf folgenden Tagen verlor die Polizei die Kontrolle über die gesamte Gegend. Viele der Aufständischen waren kampferprobt und die Polizei berichtete von Scharfschützen, die sie auf Distanz hielten.
Der Staatsgouverneur rief die Nationalgarde von Michigan. Bereits am ersten Tag ihres Einsatzes wurden 16 Menschen getötet.
Am nächsten Tag beorderte Präsident Lyndon Johnson 2000 Fallschirmjäger in die Stadt. Sie patrouillierten die Straßen in Panzern und gepanzerten Fahrzeugen.
Insgesamt wurden 43 Menschen getötet. Vier von ihnen scheinen von den Aufständischen getötet worden zu sein, ein weiterer war Feuerwehrmann, der im Einsatz den Tod fand. Die übrigen waren von Polizisten oder Soldaten während der Unruhen niedergestreckt worden.
Manche wurden wegen Plünderns erschossen. So Charles Kemp, der angeblich fünf Päckchen Zigarren entwendet hatte. Das jüngste Opfer war die vierjährige Tanya Blandin, von Nationalgardisten erschossen.
Der Anführer der Bürgerrechtsbewegung Martin Luther King war besorgt wegen dieser Abwendung von seiner Strategie der Gewaltlosigkeit hin zu den Aufständen.
Dennoch stellte er fest: »Bei meinen Begegnungen mit diesen verzweifelten, abgelehnten und wütenden jungen Männern sagte ich zu ihnen, dass Molotow-Cocktails und Gewehre ihre Probleme nicht lösen würden.
Ich war bemüht, ihnen mein tiefstes Mitgefühl zu geben, ohne meine Überzeugung aufzugeben, dass soziale Veränderung am sinnvollsten über gewaltlose Aktionen erwirkt wird. Aber dann fragten sie mich und schrieben mir: ›Und was ist mit Vietnam?‹
Ihre Fragen trafen einen wunden Punkt, und ich wusste ganz genau, dass ich niemals wieder meine Stimme gegen die Gewalt der Unterdrückten in den Ghettos werde erheben können, bevor ich nicht laut und deutlich meine Stimme gegen den größten Verfechter von Gewalt erhoben hatte – nämlich meine eigene Regierung.«
Memphis 1968
Ein Jahr nach Detroit traten Müllarbeiter in Memphis, Tennessee gegen ihre kläglichen Löhne und Arbeitsbedingungen. Sie waren aufgebracht, weil sie trotz ihrer Bürgerrechte immer noch ganz unten waren.
Die Ortspolizei griff einen friedlichen Protest zur Unterstützung der Streikenden mit Tränengas an. Als die Wut hochkochte, erschoss die Polizei den 16-jährigen Larry Payne.
Der Streik war ein Schock für die US-amerikanischen Herrschenden. Denn er verband sich mit einer disziplinierten Massenbewegung.
Der Bürgermeister Henry Loeb rief den Notstand aus und holte 4000 Nationalgardisten zur Verstärkung. Am nächsten Tag setzten 200 Streikende ihren alltäglichen Marsch fort. Sie trugen Plakate mit der Aufschrift »Ich bin ein Mensch«.
King ging nach Memphis, um die Streikenden zu unterstützen. Dort hielt er seine berühmte Berggipfel-Rede vor 15.000 Streikenden.
Auf Fragen, wie der Streik am besten zu gewinnen sei, antwortete er: mit Argumenten. »Schließt euch zusammen und organisiert eine allgemeine Arbeitsniederlegung in der Stadt Memphis.«
King wurde am nächsten Tag ermordet. Inmitten einer erneuten Welle von Aufruhr im ganzen Land versuchte der Bürgermeister Kurs zu halten. Aber die Streikenden setzten sich durch.
Die repressive Rolle der Truppen setzte sich fort, in Vietnam und zu Hause. Im Jahr 1970 streckte die Nationalgarde von Ohio Protestierende gegen den Vietnam-Krieg an der Kent State University nieder und tötete vier von ihnen.
Präsident Richard Nixon sah darin keinen Anlass, seine Kontrolle über die Nationalgarde zu behaupten. Im gleichen Jahr riss er allerdings die Befehlsgewalt über die Nationalgarde von New York an sich beim Versuch, einen erbitterten Streik der Postarbeiter niederzuwerfen.
Später wurden die Truppen nicht mehr so oft eingesetzt. Die Polizei selbst gewann im Laufe der Rebellion der 1960er zunehmend ein paramilitärisches Gesicht. Sie entwickelte ihre eigenen Swat-Einheiten (Special Weapons and Tactics – Sonderwaffen und Taktiken). Dennoch war der Staat nicht immer zuversichtlich, dass sie genügend Feuerkraft besaß, um mit die neuen Herausforderungen zu konfrontieren.
Los Angeles 1992
Die Rebellion von Los Angeles brach am 29. April 1992 aus, an dem Tag, als vier, wegen des brutalen Verprügelns des PKW-Fahrers Rodney Glen King angeklagte weiße Polizeioffiziere freigesprochen wurden. Der Übergriff war von einem Augenzeugen auf Video festgehalten worden und tausende Menschen dachten: »Mann, das hätte ich sein können.« In den darauf folgenden fünf Tagen breitete sich der Aufstand über die schwarzen Ghettos hinaus. Mehr als 9800 Truppen der kalifornischen Nationalgarde wurden eingesetzt.
Die Klassenspaltung unter der schwarzen Bevölkerung war viel offensichtlicher als noch in den 1960er Jahren. Der Bürgermeister von Los Angeles, Tom Bradley, war selbst Schwarzer. Er rief die Nationalgarde unter dem Motto: »Ich werde Recht und Gesetz durchsetzen.«
Der Aufstand war auch eine Folge der fünf Jahre langen Operation Hammer, in der junge Menschen im Kampf gegen Drogen systematisch terrorisiert wurden. Polizeichef Daryl Gates gab Anweisungen an seine Beamten, »die Menschen zu belästigen und wegen Belanglosigkeiten zu verhaften«.
Er sagte, mehr Schwarze als Weiße würden durch den polizeilichen Würgegriff den Tod finden, »weil ihre Venen und Arterien sich nicht so schnell wieder ausdehnen würden wie bei normalen Menschen der Fall«.
Der Aufstand hinterließ fünfzig Tote und 2000 Verletzte. Aber die Ereignisse von Ferguson zeigen, wie sehr der Staat seine Repressionsmaßnahmen steigern mag, die Menschen werden immer Mittel und Wege finden zurückzuschlagen.
Foto: AFSCME union
Aus dem Englischen von David Paenson
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