Verfolgt, verstoßen, verprügelt – Homosexuelle haben es in Serbien besonders schwer. Am Sonntag konnte zum ersten Mal seit vier Jahren in Belgrad die Gay Pride stattfinden.
Vor vier Jahren standen sich in Belgrad 500 LGBT-AktivistInnen, 5000 Polizisten und 6000 Faschisten gegenüber. Die erste Belgrade Pride seit neun Jahren endete in Straßenschlachten mit mehreren hundert Verletzten. Vier Jahre lang wurden alle Versuche erneuter Demonstrationen verboten. Doch an diesem Sonntag konnte die Parade – begleitet von tausenden Polizisten – erstmals wieder stattfinden.
Homophobie ist weit in der serbischen Gesellschaft verbreitet: Einen Tag vor der letzten Pride demonstrierten 20.000 serbische Rechte gegen die »Krankheit« Homosexualität. Ihnen stimmen zwei von drei SerbInnen zu – die Mehrheit der serbischen Bevölkerung empfindet LGBT-Aktionen als Provokation. Zwanzig Prozent befürworten Gewalt gegen Homosexuelle. Auch unter Beamten und Polizisten ist die Meinung verbreitet, die Schwulen und Lesben seien selbst für ihre Probleme verantwortlich und sie weigern sich, AktivistInnen gegen Nazis, rechte Hooligans und Schläger zu verteidigen.
67% der Serben glauben, Homosexualität sei eine Krankheit
Unter dem Druck der EU-Beitrittsverhandlungen hat Serbien 2009 Antidiskriminierungsgesetze eingeführt. Zu Übergriffen kommt es dennoch jeden Tag. Angehörige sexueller Minderheiten werden diskriminiert, AktivistInnen bedroht und verprügelt. Veranstaltungen werden von Faschisten überfallen und mit Molotow-Cocktails angegriffen. Ein Coming Out ist oft selbst in der Familie undenkbar. Viele Homosexuelle müssen ihre Identität verheimlichen, leben in ständiger Angst und wollen Serbien verlassen.
Hinter diesen Übergriffen stehen nationalistische Gruppen, aber auch rechte Fußball-Hooligans und religiöse Fundamentalisten. Möglich wird die Gewalt aber erst durch eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft. Homophobie ist in Serbien noch stärker ausgeprägt als in anderen Ländern des Balkans. Das liegt daran, dass in Serbien PolitikerInnen und die serbisch-orthodoxe Kirche offen gegen sexuelle Minderheiten agitieren. Auf Seiten der GegendemonstrantInnen in Belgrad waren Gruppen von Nonnen und Popen zu sehen, die sich auch nicht scheuen, in der Kirche von der Kanzel zu hetzen. Der Patriarch forderte wenige Tage vor der diesjährigen Parade ein erneutes Verbot – mit einem Verweis auf die Gewalt der letzten Jahre, der wie eine Drohung klang.
Belgrads Schwule und Lesben sollten keine Hoffnung in die EU setzten
PolitikerInnen haben – anstatt die AktivistInnen in ihren Rechten auf freie Meinungsäußerung und sexuelle Selbstbestimmung zu unterstützen – die Ausschreitungen zum Grund genommen, den CSD und andere Aktionen Jahr für Jahr zu verbieten. Erst diese Unterstützung durch Politik und Kirche bildet die Legitimation der Gewalt der Schlägertrupps und Rechtsradikalen.
Dass die Belgrade Pride dieses Jahr – wenn auch nur unter großem Polizeischutz – stattfinden konnte, ist dem Druck der EU-Beitrittsverhandlungen Serbiens zu verdanken. Für die Fortsetzung der Beitrittsverhandlung wurde die Verbesserung der Menschen- und Minderheitenrechte gefordert. Dennoch sollten sich die Schwulen und Lesben Serbiens nicht auf den Westen verlassen. Zwar ist die alltägliche Diskriminierung in den meisten EU-Ländern deutlich geringer und die oft durchkommerzialisierten Pride Paraden verlaufen friedlich ab, die EU ist aber nicht nur eine Organsation, die sich mit Antidiskriminierung brüstet. Sie steht auch für Privatisierungen und Verarmungspolitik, Sozialabbau, Militarisierung und eine Umverteilung von unten nach oben. Und diese können wie zum Beispiel in Griechenland wiederum zu einem Aufschwung der Rechten führen und die Ausgrenzung von Minderheiten befeuern.
Foto: Aleksandar Maćašev
Schlagwörter: Belgrad, Diskriminierung, EU, Faschisten, Gay Pride, Homophobie, Homosexualität, LGBT, Nationalismus, Repression, Serbien