Aufruhr an den Universitäten. Karin Haedicke berichtet über die Proteste der österreichischen Studierenden.
Oktober 2009: 2000 Druckereibeschäftigte gehen für ihren Tarifvertrag auf die Straße. 2000 Kindergärtner und Kindergärtnerinnen demonstrieren mit Unterstützung der Eltern für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. 1500 Menschen nehmen an einer Kundgebung gegen die erneute Verschärfung des Asylrechts teil. Hörsäle an Universitäten in ganz Österreich werden von Studierenden besetzt.
Nach jahrelangen Umstrukturierungen und Sozialabbau hat sich die Wut der Österreicher das erste Mal bei der Demonstration »Wir zahlen nicht für Eure Krise« am 28. März gezeigt. 15.000 Menschen protestierten in Wien gegen die Politik der Bundesregierung, die den Banken in kürzester Zeit Milliarden Euro zugeschoben hat.
Zunächst setzte sich die Dynamik der Demonstration jedoch nicht fort. Vielmehr kam es zu einem Aufschwung der Rechten. Bei diversen Landtagswahlen verloren die in einer Großen Koalition regierenden Sozialdemokraten massiv an Stimmen. Zugleich konnte die rechtsradikale FPÖ ihre Ergebnisse verdoppeln.
Besetzungen
Und plötzlich der Aufruhr an den Universitäten! Zuerst besetzten Studierende die Akademie der Bildenden Künste. Sie protestieren gegen die Auswirkungen des Bologna-Prozesses. Es ist keine spontane Aktion – eine Gruppe an der Hochschule beschäftigte sich schon seit längerem mit den Problemen, organisierte Diskussionen und versuchte sich mit anderen Strukturen wie dem Widerstandscafé an der Universität Wien zu vernetzen. Diese waren dann auch die ersten Anlaufstellen zur Ausweitung der Proteste – schon einen Tag später wurde auch der Audimax der Uni Wien besetzt – es folgten Graz, Linz, Klagenfurt, Innsbruck…
Dass sich Tausende an den Protesten beteiligten, hat mehrere Gründe: Erstens gelten die Umstrukturierungen der letzten Jahre als gescheitert. Zweitens führte die Unterfinanzierung der Unis und demgegenüber die schnelle Unterstützung der Banken in der Finanzkrise zu großem Unmut. Und drittens hat die Umsetzung von Forderungen allein über den Verhandlungsweg bislang keine Verbesserungen gebracht.
Die Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft (ÖH) als Interessenvertretung der Studierenden ist zwar an den Protesten beteiligt, ihr Einfluss aber gering. Mehr zu sagen haben die Arbeitsgruppen und das tägliche Plenum. Sie geben vielen die Möglichkeit, sich aktiv an der Gestaltung von Veranstaltungen und Aktionen zu beteiligen – das völlige Gegenteil von dem, was sie sonst an der Uni erleben. Es entsteht das Gefühl, endlich als Mensch wahrgenommen zu werden und nicht nur als Träger von Humankapital.
Sympathiewelle
Die Bewegung wird von einer Sympathiewelle begleitet: Gewerkschaften, Landtage und Prominente senden Solidaritäts-Erklärungen. Es geht offensichtlich nicht nur um den Bildungsnotstand, sondern um gesellschaftlich relevante Fragen wie Umverteilung, Demokratie und Antidiskriminierung. Diese Ausstrahlung nach außen birgt ein großes Potential, um mit nicht-studentischen Initiativen oder den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten. Aus den gemeinsamen Anliegen heraus kann ein breites Bündnis entstehen, das die Regierung ernst nehmen muss.
Es besteht zudem die Chance, dass sich aus der Protestbewegung heraus eine landesweite Organisierung der Studierenden entwickelt, die dazu beitragen kann, eine Kraft links der Sozialdemokratie zu etablieren. Das wäre angesichts ihrer katastrophalen Politik bitter notwendig.