Binnen weniger Jahre wuchs die NSDAP zu einer Massenbewegung. Dabei agierte sie ähnlich wie die heutigen Nazis, meint Christine Buchholz.
Der Skandal war perfekt. »Die NPD ist keine faschistische Partei«, dozierte der Soziologe Bernd Rabehl im Juni 2005 bei einer Pressekonferenz im Sächsischen Landtag. Anschließend posierte er für die Fotografen freudig lächelnd mit NPD-Wahlkampfleiter Peter Marx.
Die Empörung in der Öffentlichkeit war groß – doch weniger über Rabehls Charakterisierung der NPD als über sein klares Bekenntnis zu den Nationaldemokraten. Denn auch wenn die NPD von großen Teilen der Bevölkerung verabscheut wird, ist in der öffentlichen Diskussion doch umstritten, wie man die Partei am Besten bezeichnet. Meist werden wahllos Begriffe wie »rechtsextrem«, »verfassungsfeindlich« und »rassistisch« verwendet.
Dabei ist es wichtig, den Charakter der NPD klar zu analysieren. Erst dann kann man sie auch effektiv bekämpfen. Daher soll im Folgenden gezeigt werden, dass es sich bei ihr – anders als von Rabehl behauptet – durchaus um eine faschistische Partei handelt.
Ein Blick zurück kann helfen
Was aber genau ist Faschismus? Auch hier gehen die Meinungen weit auseinander. Einige Wissenschaftler beschreiben Faschismus als eine besondere Herrschaftsform der 1930er Jahre, die heute nicht mehr möglich sei. Manche Linke hingegen neigen dazu, beispielsweise auch bürgerliche Politiker wie Wolfgang Schäuble als »Faschist« zu beschimpfen.
Beides ist falsch. Nicht jeder, der für eine unsoziale oder rassistische Politik steht, ist ein Faschist. Umgekehrt ist es aber auch fatal, davon auszugehen, der Faschismus könnte nie wieder kommen. Auch wenn er glücklicherweise derzeit nirgendwo als Herrschaftsform existiert, sind die Wahlerfolge und Regierungsbeteiligungen von Faschisten in den letzten Jahren ein deutliches Warnsignal.
»Ich glaube, dass es wieder passieren kann, und ich glaube auch, dass wir uns deswegen so genau mit Hitler und dem Dritten Reich beschäftigen müssen, um uns klarzumachen, unter welchen Umständen eine so fürchterliche Entwicklung möglich ist«, sagt die Historikerin und Hitler-Biographin Brigitte Hamann. Tatsächlich kann ein Blick zurück auf den Aufstieg der Nazis Ende der 1920er Jahre bei der Analyse helfen.
Börsencrash und Massenarmut
Noch wenige Jahre vor ihrer Machtübernahme 1933 war Hitlers Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) eine unbedeutende Splittergruppe. Bei den Reichstagswahlen 1928 erhielt sie lediglich 2,8 Prozent der Stimmen. Doch schon zwei Jahre später zog sie mit einem Stimmenzuwachs von 5,6 Millionen als zweitstärkste Fraktion in den Reichstag ein. 1932 konnte sie ihre Stimmenzahl noch einmal mehr als verdoppeln und wurde mit 37,3 Prozent stärkste Kraft.
Dazwischen lag die Weltwirtschaftskrise. Im Oktober 1929 wurde der Kapitalismus bis auf seine Grundfesten erschüttert: Nach dem Börsencrash an der New Yorker Wall Street kam es zur globalen Krise. In Deutschland gingen große und kleine Firmen bankrott. Erhebliche Teile des Mittelstandes stürzten in Armut. Die Arbeitslosigkeit wuchs von 1,3 Millionen im Jahr 1929 auf etwa 6 Millionen Anfang 1933.
Zwischen 1930 und 1932 zerschlugen die Kanzler Heinrich Brüning und Franz von Papen den Sozialstaat fast vollständig. Die Kürzungen geschahen im Interesse der deutschen Wirtschaft. Die Unternehmer behaupteten, »übermäßige« Sozialleistungen, zu hohe Löhne und zu niedrige Arbeitszeiten hätten die Krise verursacht. Sie kündigten Tarifverträge, kürzten Löhne und schafften den Achtstundentag ab. Die Regierung wollte so die Wirtschaft entlasten, deutsche Produkte auf dem Weltmarkt billiger machen und Wachstum erreichen. Doch da alle großen Wirtschaftsmächte dieselbe Politik betrieben, kam es zu keinem Aufschwung. Lediglich die Armut stieg immer weiter.
Zwischen Hammer und Amboss
Die Arbeitslosen und die Mittelschichten waren am härtesten von der Krise betroffen. Aus ihnen rekrutierte sich größtenteils die Anhängerschaft der Nationalsozialisten.
Für die Mittelschichten – vor allem Handwerker, Kleinunternehmer, mittlere Beamte und Geschäftsinhaber – war die Krise deshalb so schlimm, weil sie von zwei Seiten unter Druck standen. Sie »sahen oder fühlten sich gleichermaßen bedroht von der zunehmenden Konzentration des industriell-gewerblichen oder handelskapitalistischen Besitzes auf der einen, wie von den Ansprüchen der gut organisierten Industriearbeiterschaft auf der anderen Seite«, wie es der Soziologe Arno Klönne ausdrückt.
Die sowohl gegen das Großkapital als auch gegen die organisierte Arbeiterschaft gerichtete Demagogie der Nationalsozialisten fiel hier auf fruchtbaren Boden. Der Antisemitismus bot den Mittelschichten scheinbar eine Erklärung für ihre Armut: Um das »deutsche Volk« zu vernichten, hätte sich das »jüdische Finanzkapital« mit der »jüdisch-bolschewistischen Arbeiterbewegung« verschworen. Dem setzten die Nazis die scheinbar revolutionäre Lösung der »Volksgemeinschaft« ohne Juden gegenüber.
Scheinlösung »Volksgemeinschaft«
Die Situation der Arbeitslosen war noch verzweifelter. Da alle sozialen Sicherungssysteme zusammengebrochen waren, bedeutete arbeitslos zu sein meist den Kampf ums Überleben zu führen. Gleichzeitig ließen die hohen Arbeitslosenzahlen keine Hoffnung zu, bald wieder angestellt zu werden. Die SA und andere Terrororganisationen der Nationalsozialisten konnten so zum Auffangbecken für Arbeitslose werden. Hier konnten diese eine soziale Heimat, Kameradschaft und ein neues Machtgefühl finden. Der Rassismus und Antisemitismus der Nazis erlaubte es ihnen, wieder »stolz« zu sein, weil es nach dieser Ideologie Menschen gab, die noch unter ihnen standen: Juden, »Fremde« oder Homosexuelle.
Zudem versprach die NSDAP eine radikale Alternative zum Weimarer Staat. Gerade »die jungen und die Dauer-Arbeitslosen (waren) von Verzweiflung und Ungeduld bestimmt; ihnen konnte man nicht mit einer ›langfristigen Perspektive‹ kommen, sondern sie wollten Arbeit und Brot, hier und jetzt. (…) Die NSDAP versprach Abhilfe gegenüber ihrer Not in kürzester Frist«, so Klönne. Auf diese Weise gelang es Hitlers Partei innerhalb weniger Jahre eine wirkliche Massenbewegung aufzubauen. Im Juli 1932 war die Mitgliedschaft der SA auf 400.000 angewachsen.
Das Schreckgespenst der Revolution
Die Wirtschaftskrise hatte nicht nur ein Erstarken der extremen Rechten zur Folge. Vielmehr bewirkte sie eine politische Polarisierung – auch die Linke gewann. So bescherte die erste Wahl nach Beginn der Krise den Kommunisten einen Stimmenzugewinn von 1,3 Millionen. Bis 1932 wuchs ihre Mitgliederzahl von 100.000 (1928) auf eine Viertelmillion. Die Partei organisierte Demonstrationen gegen Sozialabbau und die Nazigefahr. Wie stark die Linke war, zeigt sich daran, dass bei den letzten freien Wahlen 1932 die beiden Parteien der Arbeiterklasse, SPD und KPD, zusammen mehr Stimmen als die Nationalsozialisten erhielten.
Die deutschen Unternehmer erkannten, dass die zugespitzte Lage nicht endlos bestehen bleiben würde. Sie fürchteten, dass die Arbeiterklasse ihnen die Macht entreißen könnte. Ihnen waren noch gut die Entwicklungen anderthalb Jahrzehnte zuvor im Gedächtnis, als in der Novemberrevolution eine Massenbewegung den Kaiser gestürzt und Arbeiter in ihren Betrieben Räte gebildet hatten.
Die Skepsis endet
Derweil versprachen die Nazis, die Interessen der Wirtschaft mit aller Gewalt durchzusetzen. Je stärker die Arbeiterbewegung wurde, desto mehr wuchs die Unterstützung für die Nazis im Unternehmerlager. Der ehemalige Hamburger Gauleiter der NSDAP Albert Krebs schrieb in seinen Memoiren: »Zwar waren keineswegs alle Kapitalisten hellauf von den Nazis begeistert. Ihre Skepsis war aber nur relativ. Sie endete, je mehr klar wurde, dass nur Hitler in der Lage war, die Arbeiterbewegung restlos zu zerschlagen.«
Der Nationalsozialismus war also keineswegs eine Erfindung des Kapitals, wie es später in einer berühmten Definition von Georgi Dimitroff hieß. Der Generalsekretär der Kommunistischen Internationale erklärte 1935 den Faschismus zur »offenen, terroristischen Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals«. Dabei übersah er jedoch, dass die Nazis als eigenständige Massenbewegung entstanden und erst später vom Kapital unterstützt worden waren. Insofern ist die Beschreibung des oppositionellen Kommunisten Leo Trotzki treffender. Er meinte, dass die Unternehmer den Faschismus ebenso sehr lieben »wie ein Mensch mit kranken Kiefern das Zahnziehen« – es ist nicht schön, aber manchmal eben notwendig.
Programm: Massenmord
Hitler hielt schließlich sein Versprechen. Noch bevor die Nazis den Massenmord an den europäischen Juden begangen, zerschlugen sie die deutsche Arbeiterbewegung. Nachdem er im Januar 1933 vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Kanzler ernannt worden war, verbot Hitler innerhalb weniger Monate die Arbeiterparteien und die Gewerkschaften. Tausende Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter wurden verhaftet oder ermordet.
Deutschland war kein Einzelfall. In der Zeit zwischen den Weltkriegen gewannen Naziparteien auch in anderen europäischen Ländern Zulauf. In Italien und Spanien wurden faschistische Diktaturen errichtet. Sowohl Benito Mussolini in Italien (1922) als auch General Franco in Spanien (1939) konnten sich auf die deklassierten Mittelschichten stützen, bauten eine starke paramilitärische Bewegung auf, kamen schließlich mit Unterstützung der Wirtschaft an die Macht und zerschlugen als erstes die Arbeiterbewegung ihres Landes.
Die Nazitradition der NPD
Betrachtet man nun die NPD, so entdeckt man alle Elemente vergangener faschistischer Parteien. Ganz offensichtlich ist die Partei rassistisch: Ihre Mitglieder hetzen gegen Juden, Muslime, Polen und kämpfen gegen die angebliche »Überfremdung« Deutschlands. Gleichzeitig richtet sich die NPD gegen die organisierte Arbeiterbewegung. Während eines Streiks bei Opel in Bochum verlangte sie in einem Demoaufruf die »Auflösung der Gewerkschaften«. Genau wie die Faschisten der 1920er und 1930er Jahre versuchen die heutigen Nazis eine starke paramilitärische Bewegung aufzubauen. Das, was für Franco die Falange und für Hitler die SA waren, sind für die Führer der NPD die Freien Kameradschaften.
Zudem mobilisiert auch die NPD die Deklassierten dieser Gesellschaft als Mitglieder und Wähler. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie ihre besten Ergebnisse dort erzielt, wo die Arbeitslosigkeit am höchsten ist. Ähnlich wie Hitler geben sich die Repräsentanten der neuen Nazipartei pseudo-antikapitalistisch. So erklärte der sächsische Landeschef Holger Apfel, die NPD sei die einzige Partei, »die das politische System in der BRD bis auf die Wurzel bekämpft«. Doch schon die NSDAP hat gezeigt, dass sie letztendlich Politik für das Kapital macht.
Das kann die NPD (noch) nicht. Denn anders als ihre historischen Vorbilder ist sie weder an der Macht noch wird sie von den deutschen Unternehmern unterstützt. Doch man sollte sich davon nicht täuschen lassen. Die Krise von 1929 hat gezeigt, wie schnell eine gesellschaftliche Radikalisierung stattfinden kann.
Christine Buchholz ist Bundestagsabgeordnete und Mitglied im geschäftsführenden Parteivorstand der LINKEN.
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