Die Ermordung von 43 Studierenden nach einer Demonstration ist nur ein weiterer trauriger Höhepunkt des seit über 10 Jahren andauernden „Drogenkrieges“ in Mexiko. Frieden wird es erst geben, wenn Armee, Polizei und die Drogenkartelle entmachtet werden.
Demonstranten haben letzte Woche das Parlament des mexikanischen Bundesstaates Guerrero gestürmt und Feuer im Plenarsaal gelegt. Studierende und Lehrer der linken Gewerkschaft Ceteg haben mit Steinen und Knüppeln das Bildungsministerium angegriffen und ebenfalls Studierende besetzten vorübergehend den Flughafen von Acapulco, der größten Stadt des Bundesstaates.
Die Stimmung der Menschen und die Aktionen der Demonstranten sind radikal im Südwesten von Mexiko, aber auch in Mexiko-Stadt versuchten Studierende den Präsidenten-Palast zu stürmen. Der Anlass der Proteste ist die Ermordung von 43 Studierenden, die Ende September nach einer Protestaktion in der Stadt Iguala zwei Busse besetzt hatten. Daraufhin hat die Polizei sie mit Hilfe des Drogenkartells „Guerreros Unidos“ ermordet und die Leichen vergraben.
Danach waren Bürgermeister José Abarca, seine Frau und der Polizeichef der 120.000-Einwohner-Stadt untergetaucht. Abarca und seine Frau wurden nach Demonstrationen im ganzen Land erst Anfang November plötzlich gefunden und festgenommen. Sie stammt aus einer Familie, die mit Drogenhandel reich wurde und war vermutlich ein führendes Mitglied der „Guerreros Unidos“.
Bittere Armut in Mexiko
Was für Europäer wie ein schlechter Gangsterfilm klingt, ist in großen Teilen des Landes nahe am Alltag. Die Datensammlung der Universität von San Diego schätzt die Zahl der Morde in Mexiko allein zwischen 2006 und 12 auf etwa 120.000. Das sind durchschnittlich etwa 55 ermordete Menschen pro Tag. Dazu kommen 27.000 Vermisste, von denen wahrscheinlich die allermeisten ebenfalls ermordet und ihre Leichen vergraben wurden. Die Ursache ist, dass sich der Kapitalismus in Mexiko etwa seit 2000 auf eine besondere Art entwickelt hat, in der Drogenhandel eine der profitabelsten Branchen wurde, gerade weil er verboten ist.
Ein entscheidender Grund, warum zehntausende Mexikaner täglich für Drogenkartelle ihr Leben riskieren, ist die bittere Armut der Menschen. Selbst nach den Berechnungen der Regierung sind 42 Prozent der Mexikaner arm. Tatsächlich verdienen etwa 90 Prozent der arbeitenden Einwohner umgerechnet weniger als 500 Euro im Monat. Diese Armut herrscht, obwohl Mexiko zu den zehn größten Erdölproduzenten der Welt gehört und zum Beispiel Carlos Slim, mit einem Vermögen von umgerechnet 63 Milliarden Euro der zweitreichste Mensch der Welt, in Mexiko-Stadt wohnt.
Drogen-Markt USA
Während schon sehr lange große Armut in Mexiko herrscht, hat sich der Drogenhandel erst in den letzten Jahren entscheidend verändert. Illegale Konzerne vor allem aus Kolumbien verdienen seit Jahrzehnten Milliarden von Euro mit dem Verkauf von Kokain, Heroin, Cannabis und anderem in den USA, dem größten Drogen-Markt der Welt. Traditionell wurden diese Waren tonnenweise relativ ungestört mit Containerschiffen dorthin gebracht. Doch Mitte der 90er Jahre versuchte die US-Regierung ernsthaft, diese Transporte zu verhindern und ließ Häfen und Seewege verstärkt von einer speziellen Anti-Drogen-Polizei überwachen.
Seitdem sind südamerikanische Kartelle gezwungen, Drogen über den Landweg in die USA zu bringen und damit zwangsläufig durch ganz Mexiko zu transportieren. Dafür beauftragte man mexikanische Unternehmen, die sich auf Schmuggel von Waffen und Drogen über die US-amerikanische Grenze spezialisiert hatten. Weil der Seeweg größtenteils versperrt war, erlangten diese „Speditionen“ eine Monopolstellung für Drogentransporte in die USA und konnten den Preis hoch treiben.
Bezahlt wird für die Lieferungen oft mit einem Teil der transportierten Ware selbst, weil bei illegalem Handel keine Banküberweisungen möglich sind. So entstehen seit etwa 10 Jahren in Mexiko reiche Organisationen, die selbst große Mengen Drogen besitzen und miteinander um die Transportrouten in den Milliardenmarkt Nordamerika konkurrieren.
Bestechung und Korruption
Tragischerweise hat gerade der Versuch der Regierung, die Führer des Drogenschmuggels ins Gefängnis zu bringen, zum Ausbruch des Krieges zwischen Kartellen, Polizei und Armee geführt. Denn die Kartelle stützen ihre Transporte auf die Bestechung tausender Polizei- und Armee-Offiziere und Kommunalpolitiker. Weil diese illegalen „Geschäftsbeziehungen“ geheim gehalten werden müssen, brechen sie leicht zusammen, wenn mehrere wichtige Mitglieder eines Kartells ins Gefängnis müssen.
So führte zum Beispiel die Verhaftung der Brüder Benjamin und Ramon Felix 2002 zwar zum Niedergang des Tijuana-Kartells, mit dem beide über 20 Jahre lang Milliarden verdient hatten. Doch gleichzeitig begannen das Sinaloa- und das Golf-Kartell einen Krieg um die frei gewordenen Routen, in dem mehr Menschen starben als zuvor.
Weiter verschlimmert hat sich der Krieg ab 2006, als Felipe Calderon mit dem Wahlversprechen Präsident wurde, die Kartelle zu zerschlagen. Noch im selben Jahr schickte er 6500 Soldaten in das Bundesland Michoacan, um die Kartelle militärisch zu besiegen. In den folgenden Jahren wurde die Zahl der Soldaten im Drogenkrieg Schritt für Schritt auf heute 45.000 erhöht, die neben der Polizei den Drogenschmuggel verhindern sollen. Doch Calderon gestand 2010 selbst ein, dass die Kartelle dabei sind „die Regierung zu ersetzen. Sie versuchen ein Monopol auf Waffengewalt durchzusetzen und führen sogar ihre eigenen Gesetze ein.“
So viel Macht wie die Polizei
Obwohl in Mexiko allein 2010 mehr als 28.000 Menschen wegen Drogenhandels verhaftet wurden, läuft er bis heute ungebremst weiter. Nur die Zahl der Toten und Verwundeten ist deutlich gestiegen. Viele dieser Opfer sind Unbeteiligte, die bei Gefechten auf der Straße zufällig in der Nähe waren und von Kartell-Mitgliedern, Soldaten oder Polizisten versehentlich erschossen wurden. Nachdem 2012 etwa 50 Leichen in der Nähe von Monterrey gefunden wurden, verhaftete die Polizei vier hohe Offiziere der Armee, die vom örtlichen Kartell bestochen wurden, damit sie nichts gegen seine Drogentransporte und Morde unternehmen.
In vielen mexikanischen Städten haben Kartelle heute ähnlich viel Macht wie die Polizei oder arbeiten illegal eng mit ihr zusammen. Als Papst Benedikt XVI. 2012 den mexikanischen Bundesstaat Guanajuato besuchte, hängte das „Tempelritter-Kartell“ in mehreren Städten Transparente auf, mit der Aufschrift: „Die Tempelritter werden sich nicht an Kriegshandlungen beteiligen. Wir sind keine Mörder. Der Papst ist willkommen.“ Die „Tempelritter“ lassen auch Plakate aufhängen, Flugblätter verteilen und Demonstrationen gegen die Polizei organisieren. Laut ihrer Propaganda könnten nur die „Tempelritter“ die Menschen vor der Gewalt anderer Kartelle beschützen.
Ohne demokratische Kontrolle
In Mexiko, mit 120 Millionen Einwohnern das elftgrößte Land der Erde, hat der Staat durch den Drogenkrieg weitgehend die Kontrolle über die Gesellschaft verloren. Diese Entwicklungen ist global der wahrscheinlich deutlichste Beweis, dass nicht der Drogenkonsum, aber auch nicht der Drogenhandel mit Verbot, Strafe und staatlicher Gewalt verhindert werden kann. Denn der Versuch das zu tun, hat in Mexiko zu einem der mörderischsten und längsten Kriege des 21. Jahrhunderts geführt. Und so lange Drogen und Drogenhandel verboten sind, werden die mexikanischen Schmuggel-Routen weiter Milliardenprofite abwerfen und Tausende in die Arme der Kartelle treiben.
Dass Polizei und Armee sich an ihren Verbrechen beteiligen, liegt nicht daran, dass Mexikaner besonders korrupt sind. Viel mehr sind diese Institutionen in Mexiko wie in jedem Staat ohne jede demokratische Kontrolle durch die Menschen. Nur dadurch kann der Staat sie im Konfliktfall gegen die Bevölkerung einsetzen. Wenn dann wie heute in Mexiko der Drogenhandel zu einem der größten Wirtschaftszweige des Landes wird, liegt es nahe, dass sich Polizisten und Soldaten recht einfach für Drogenschmuggel und Morde kaufen lassen.
Landesweite Proteste
Noch immer versucht die Regierung, die Schuld der Polizei am Massaker von Iguala zu vertuschen, indem sie drei junge Kartell-Mitglieder als angeblich alleinige Mörder präsentiert. Doch Demonstrationen im ganzen Land, die vor Kurzem ihren vorläufigen Höhepunkt in einer großen Kundgebung auf dem zentralen Platz der Hauptstadt fanden, haben der ganzen Welt gezeigt, dass der mexikanische Staat sich genau so wenig um die Menschen schert, wie die Drogen-Kartelle.
Der Eltern der ermordeten Studierenden wollen ihre Kampagne gegen die Regierung nur beenden, wenn die Schuldigen ermittelt und vor Gericht gestellt werden. Wenn das nicht passiert, sollen die landesweiten Proteste weitergehen.
Foto: Gatifoto
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