Der Afghanistankrieg ist zentral für Obamas Strategie in Zentralasien, meint Lee Sustar. Es geht es den USA darum, fossile Ressourcen zu kontrollieren, die Konkurrenten Russland und China zu behindern und den Iran weiter unter Druck zu setzen.
Wenn Barack Obama davon spricht, dass er den »Job in Afghanistan erledigen« will, meint er weit mehr als nur die Zerschlagung der Al Kaida oder der Taliban. Er hat es auf einen dauerhaften Außenposten des US-Imperialismus in Zentralasien, einer der strategisch bedeutsamsten Regionen der Welt, abgesehen.
Einige belesene Beobachter jedoch bestreiten, dass der Krieg in Afghanistan sich in eine größere Strategie der USA einfüge. »Die wirklichen Ziele der Eskalation in Afghanistan sind innenpolitischer und wahltaktischer Natur« , schrieb kürzlich der Journalist Christian Parenti, »Wie Lyndon Johnson, der den Krieg in Vietnam ausweitete, hat Obama schreckliche Angst davor, dass die Republikaner ihn als 'Schwächling' betiteln könnten.«
Parenti zufolge, der zu den führenden unabhängigen Berichterstattern aus Afghanistan zählt, war die US-Invasion Afghanistans für die Bush-Administration das »Trampolin« , um in den Irak zu gelangen. Und es ist nicht zu bestreiten, dass Bushs Neo-Konservative es eilig hatten, im Irak einzumarschieren. Wir wissen, dass der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz sich sofort nach den Anschlägen vom 11. September für einen Angriff auf den Irak aussprach.
»Pipelineistan«
Tatsächlich aber hatte die Invasion Afghanistans aus der Perspektive der imperialen US-Strategen eine eigene zwingende Logik. Eine der zentralen Motivationen ist der Zugang zum Öl und Gas des Kaspischen Meeres und Zentralasiens. Der Journalist Pepe Escobar nennt die Region »Pipelineistan« , und die USA sind ganz offensichtlich damit beschäftigt, Pipelines zu bauen, die kaspisches Gas entlang einer Route abtransportieren können, die an Russland und Iran vorbeiführt.
Escobar schreibt: »Ja, es geht letztlich um das Schwarze und das Blaue Gold (Gas), fossile Reichtümer jenseits aller Beschreibung, und so ist es an der Zeit, in das immer sprudelnde Wunderland zurückzukehren – Pipelineistan. Es ist an der Zeit, die Abkürzungen aufzufrischen, besonders die SCO (Shanghai Gruppe für Zusammenarbeit), die asiatische Antwort auf die NATO, und sich ein paar neue einzuprägen wie zum Beispiel IPI (Iran-Pakistan-Indien-Pipeline) und TAPI (Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien). Vor allem aber ist es Zeit, sich die jüngsten Züge auf dem riesigen Schachbrett Eurasien anzusehen, auf dem Washington ein entscheidender, wenn nicht der beherrschende Spieler werden will.«
Escobar behauptet, dass die USA und China daran arbeiten, als Teil einer Wiederaufnahme des »Großen Spiels« des 19. Jahrhunderts, in dem konkurrierende Imperialmächte um Einfluss in Zentralasien rangen, den pakistanischen Hafen in Gwadar zur End- und Umladestation zweier rivalisierender Pipelines auszubauen.
Es geht um mehr
Escobars Analyse klingt einleuchtend, zumindest zum Teil. Er lenkt unsren Blick zu Recht auf die Auseinandersetzungen um den für moderne Industriegesellschaften wichtigsten Rohstoff – Öl. Aber das allein unterschätzt die Bedeutung Zentralasiens für den US-Imperialismus. Um zu verstehen, warum das so ist, muss man sich in Erinnerung rufen, was die strategischen Ziele der USA nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren, als das Land als beherrschende Imperialmacht der Welt erstand.
Nach 1945 gab es nur einen ernst zu nehmenden Rivalen für die Vormachtstellung der USA, nämlich die UdSSR, die Ostdeutschland und die osteuropäischen Staaten zu ihren Satelliten gemacht hatte. Die Sowjetunion sollte bald mit den USA als Nuklearmacht ungefähr gleich ziehen und so gegenseitige Zerstörung für den Fall sicherstellen, dass eine Seite gegen die andere in den Krieg zöge.
Die Nationale Sicherheitsstrategie der USA in den späten 40er Jahren konzentrierte sich auf den vermeintlich expansionistischen »Kommunismus« der UdSSR. Tatsächlich aber waren die USA die treibende Kraft hinter der Teilung der Welt, indem sie die Nordatlantische Vertragsorganisation (NATO) gründeten, um die westeuropäischen Staaten zu drängen, sich unwiderruflich Washington anzuschließen. Wie der erste NATO-Generalsekretär, der Brite Lord Ismay, es formulierte, war die Aufgabe der NATO, »die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten.«
Kalter Krieg
Während des langen Kalten Krieges rangen Washington und Moskau miteinander um Einfluss in allen Teilen der Erde. Dieser Streit begann mit einem Stellvertreterkrieg um die koreanische Halbinsel und erstreckte sich bald in viele Ecken der so genannten Dritten Welt. Während eines Großteils dieser Zeit gehörte Zentralasien zu den Regionen, die Washingtons Einfluss am weitesten entrückt waren. Aber Russlands Einmarsch in Afghanistan 1979, der das bedrohte pro-russische Regime an der Macht halten sollte, veränderte das.
Anfang des selben Jahres war Washington von der iranischen Revolution erschüttert worden, die das Regime des Schahs beendete – ein von Washington gestützter Diktators, der den USA dabei behilflich war, Druck auf die südliche Flanke der Sowjetunion auszuüben. Aus Furcht vor Moskaus möglichem Einfluss im post-revolutionären Iran erklärte der Demokratische Präsident Jimmy Carter, dass die USA jeden Versuch der UdSSR, in die Region um den Persischen Golf vorzustoßen, als feindlichen Akt verstehen würden. Diese Politik wurde kurz darauf als Carter Doktrin bekannt.
Aber zur selben Zeit, als Washington wegen Russlands vermeintlichen Plänen am Golf die Alarmglocken läutete, wurde die US-Aggression in der Einflusszone der Sowjetunion verstärkt, indem man den afghanischen Widerstand unterstützte. Wie der damalige Nationale Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski sich in einem Interview erinnerte: »Ich schrieb an Präsident Carter. Wir haben jetzt die Gelegenheit, den Russen ihren Vietnamkrieg zu bescheren.«
Der Zusammenbruch der UdSSR schuf in Afghanistan ein Vakuum, das schließlich von den Taliban gefüllt wurde. Diese Bewegung war aus den islamistischen Kämpfergruppen hervorgegangen, die die USA bewaffnet und ausgebildet hatten. Gleichzeitig eröffnete der zunehmende Zerfall der UdSSR ganze neue Regionen für die wirtschaftliche, politische und militärische Ausbreitung der USA.
NATO expandiert
Ab 1996 stand das US-Komitee zur NATO-Erweiterung, das von Waffenherstellern finanziert und mit neokonservativen Politikspezialisten besetzt war, bereit, um die wichtigsten osteuropäischen Satelliten Russlands sowie die drei baltischen Staaten zu vereinnahmen.
Die NATO verkündete als ihre neue Daseinsberechtigung ihren vermeintlich »humanitären« Krieg gegen Jugoslawien, der angeblich geführt wurde, um die albanische Minderheit in Serbien zu beschützen, aber tatsächlich den Zweck erfüllte, die Allianz für die neue Zeit nach dem Kalten Krieg zusammenzuschweißen. Als das US-Militär 2001 die Kontrolle in Afghanistan übernahm, folgten ihm NATO-Truppen auf dem Fuß. Als Rechtfertigung wurden diesmal die Anschläge vom 11. September angeführt. Die Allianz berief sich auf einen Artikel ihrer Charta, in dem es heißt, dass ein Angriff auf ein Mitglied einem Angriff auf alle gleichkomme. Da die USA Afghanistan für den Angriff verantwortlich machten, hatte die gesamte NATO eine Rechtfertigung zum Einmarsch.
Seither haben die meisten NATO-Staaten eher gezögert, einen großen Einsatz in Afghanistan zu riskieren, und so die USA gezwungen, immer wieder mehr Geld und Einheiten von ihnen einzufordern. Aber die USA sind – bis jetzt – dabei erfolgreich gewesen, ihre Alliierten bei einem tiefen Vorstoß nach Asien mitzunehmen, mithin in eine Region, die weit von der atlantischen Region entfernt ist, welche die NATO ursprünglich verteidigen sollte.
Vorstoß nach Asien
Diesen Schritt haben die USA tatsächlich viele Jahre lang vorbereitet. Der General Anthony Zinni, während der 90er Jahre Chef des für Europa und den Nahen Osten zuständigen Central Command des US-Militärs, verglich sich mit einem römischen Prokonsul, als er sein Kommando über die US-Einheiten im Nahen Osten und am Golf dazu benutzte, die politischen Ziele der USA in dieser Region und darüber hinaus zu verwirklichen. Andrew Bacevich, ein pensionierter US-Colonel, der jetzt eine akademische Stellung innehat, nannte diese Periode eine »historisch einmalige Militarisierung der US-Außenpolitik« .
Dies ging so weit, dass Spitzenkommandeure des US-Militärs sich 1995 im NATO-Hauptquartier trafen, um zu beraten, wie sich die »Sicherheitsgarantien für den Persischen Golf« auf Zentralasien ausweiten ließen. Ihre Anstrengungen trugen Früchte, symbolisiert in der öffentlichkeitswirksamen »Nummer« , die General John Sheehan, Oberbefehlshaber des »US Atlantic Command« , 1997 aufführte. Sheehan flog 19 Stunden von einer US-Luftwaffenbasis in North Carolina, um in Kasachstan im Herzen Zentralasiens mit einem Fallschirm abzuspringen. »Die Botschaft ist, dass es keine Nation auf der Erde gibt, die sich unserem Zugriff entziehen könnte« , erklärte er damals.
Nach 9/11
Diese Vorbereitungen zahlten sich für die USA nach dem 11. September aus. Die USA richteten sogleich militärische »Einrichtungen« in fünf zentralasiatischen Staaten ein, die früher Teil der UdSSR gewesen waren. Diese Basen spielten im Folgenden wichtige Rollen bei der Invasion und Besetzung Afghanistans. Plötzlich hatte das stärkste Militär der Welt sich eine Position gesichert, die es seinen Ziele ein großes Stück näher brachten: der Iran ließ sich nun vermehrt militärisch unter Druck setzen, und das US-Militär verfügte über Luftwaffenbasen in kurzer Flugdistanz zu zentralen Städten in Russland und China.
Sicherlich sind die in Planung befindlichen Öl- und Gaspipelines ein wichtiger Teil der Gleichung. Aber die USA verfolgen auch sehr viel größere Ziele, nämlich die Behinderung eines wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Wiedererstarkens Russlands und eine Warnung an China, das versucht, sein wachsendes wirtschaftliches Gewicht in größeren politischen Einfluss zu verwandeln.
Obama will retten, was Bush »vermasselt« hat
Diese Vorteile zu sichern war für die USA nicht einfach. Nicht nur sehen sie sich in Afghanistan einem Widerstand gegenüber, der sehr viel stärker ist, als anfangs vermutet wurde. Sie befinden sich zudem in einem stetigen Kampf mit Russland um Einfluss in den zentralasiatischen Staaten, insbesondere Kirgisien und Usbekistan. Aber auch die Russen haben sich mit Washingtons Plänen in der Region ein Stück weit abfinden müssen, da sie eine US-Besatzung Afghanistans einer erneuten Machtübernahme der Taliban vorziehen – zumindest bis auf Weiteres.
Aus all diesen Gründen ist der Krieg in Afghanistan für Obama und seine Militärstrategen sehr viel wichtiger als jener »dumme« im Irak. In ihrer Einschätzung war der Irak unter Saddam Hussein schwach und durch Sanktionen eingehegt, während die militärische Vormachtstellung der USA am Golf von niemandem in Frage gestellt wurde. Im Gegensatz dazu bietet das neue »Große Spiel« in Zentralasien nie gekannte Möglichkeiten für den US-Imperialismus.
Nun versucht Obama in Afghanistan einen Einsatz zu retten, den Bush vermasselt hat. Obamas Kriegspläne werden anders verpackt, und zwar so anders, dass sie sich in eine Dankesrede zum Empfang des Friedensnobelpreises einbauen lassen. Aber die Ziele bleiben dieselben: einen abhängigen Staat mit einer großen und dauerhaften US-Militärpräsenz zu etablieren.
Obamas imperialistische Kriegstreiberei zu stoppen, ist eine Aufgabe für die Friedensbewegung.
Zum Text:
Veröffentlichung auf marx21.de mit freundlicher Genehmigung des US-Onlinemagazins SocialistWorker.org. Übersetzung: David Meienreis