Ein bisschen vorlesen und jede Menge Kaffeeklatsch, so lautet das gängige Klischee über die Arbeit von Erzieherinnen. Unsinn, meint unsere Gesprächspartnerin Hansi Weber, und erklärt, warum es in Kindertagesstätten bald zum Arbeitskampf kommen könnte.
marx21: Zum Jahresbeginn 2015 startet ver.di in den Sozial- und Erziehungsdiensten eine eigene Tarifrunde. Dabei geht es unter anderem um eine deutlich höhere Eingruppierung für Erzieherinnen und Erzieher. Wie kommt ihr zu dieser Forderung?
Hansi Weber: Wie die meisten Beschäftigten in sozialen Berufen werden Erzieherinnen nach wie vor wesentlich schlechter entlohnt als Kollegen in den typischen »Männerberufen«. Erziehungs- und Sozialarbeit ist allgemein unterbewertet, schlecht bezahlt und nicht selten in Teilzeit prekär organisiert. All das entspricht jedoch weder der gesellschaftlichen Bedeutung unserer Arbeit, noch unserer Qualifikation. Die Anforderungen, die an uns Erzieherinnen gestellt werden, sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die Eingruppierung in der Entgelttabelle muss sich endlich dem anpassen, was von uns verlangt wird. Erzieherinnen sind pädagogische Fachkräfte und ihre Arbeit ist ein zentraler Bestandteil des Bildungsangebots dieses Landes. Zudem arbeiten im Erzieherberuf zu etwa 96 Prozent Frauen. Dadurch ist unsere Forderung auch Teil des Kampfes gegen die Lohndiskriminierung von Frauen im Allgemeinen.
Inwiefern sind die Anforderungen in der Kinderbetreuung gestiegen?
Die Arbeits- und Ausbildungsinhalte haben sich in den letzten zwanzig Jahren entscheidend verändert. Die Kinderbetreuung in den Kitas ist heute Teil des Bildungssystems. Dementsprechend richtet sich unsere Arbeit auch stark an Bildungs- und Orientierungsplänen aus. Wir müssen die Entwicklung der Kinder ständig dokumentieren, bewerten, mit den Eltern besprechen und darüber hinaus schauen, was wir tun können, um die Kinder bestmöglich zu fördern. Das Bild, dass Erzieherinnen lediglich auf die Kinder aufpassen, solange die Eltern bei der Arbeit sind, war schon immer falsch. Heute ist es jedoch einfach nur noch absurd. Daher müssen sich auch unsere Eingruppierungsmerkmale und deren Bewertung endlich ändern – und zwar deutlich.
Das würde hohe Mehrkosten für die Kommunen bedeuten. Die sind doch aber jetzt schon Pleite. Wer soll das alles bezahlen?
Man könnte auch fragen, wo das ganze Geld in der Bundesrepublik denn hingeht. Wir müssen immer wieder betonen, dass die öffentlichen Haushalte kein Ausgaben-, sondern ein Einnahmeproblem haben. Die Steuern für Reiche und Konzerne wurden in den letzten fünfzehn Jahren massiv gesenkt und es wurden unzählige Steuerschlupflöcher geschaffen. Die Ausfälle, die dadurch entstanden sind, summieren sich auf viele Milliarden Euro. Das waren alles politische Entscheidungen und die können auch wieder rückgängig gemacht werden. Die großen Konzerne profitieren von gut ausgebildetem Fachpersonal. Sie verlangen nach Arbeitskräften, die von klein auf in einem guten Bildungssystem aufgewachsen sind. Und wenn sie das wollen, dann müssen sie dafür auch Steuern zahlen. Unsere Tarifbewegung ist daher zwangsläufig auch mit der Frage der gesellschaftlichen Umverteilung verbunden. Wir sind es wert, wir arbeiten gut und wir verlangen dafür das entsprechende Entgelt.
Du hast fünfzehn Jahre in einer städtischen Kita in Mannheim gearbeitet. Wie sehen die Arbeitsbedingungen dort aus?
Bei uns in Baden-Württemberg ist die Personalausstattung in den meisten Kitas entweder hart an der Grenze oder schlicht nicht ausreichend, um den Anforderungen noch gerecht zu werden. Und in den meisten anderen Bundesländern sieht es nicht besser aus. Die Fort- und Weiterbildungen sind, genau wie unsere Vorbereitungszeiten, überhaupt nicht im Personalschlüssel mit eingerechnet. Außerdem brauchen wir Zeit für Supervisionen, weil wir auch mit Kindern und deren Familien zurechtkommen müssen, die Probleme haben und besondere Aufmerksamkeit brauchen. All das wird in der Personalplanung überhaupt nicht berücksichtigt. Die Orientierungs- und Bildungspläne, die die Länder ausgearbeitet haben, sehen vor, dass wir jedes einzelne Kind individuell fördern sollen. Das ist natürlich auch richtig – in der Realität jedoch kaum noch möglich. Durch den Personalmangel ist es sehr schwierig geworden, in Kleingruppen intensiv zu arbeiten oder einem einzelnen Kind Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen. Aber die Erzieherinnen wollen ihre Arbeit natürlich gut machen, obwohl die Bedingungen das oft nicht zulassen. Sie stellen hohe Ansprüche an sich selbst und nehmen die Arbeit mit den Kindern sehr ernst. Durch ihr großes Engagement halten sie den Betrieb am Laufen. Das geht jedoch nicht selten auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit. Viele sind überlastet und mit ihrer Arbeitssituation extrem unzufrieden. Sie sind zwar bereit, viel zu geben, wollen dafür dann aber zumindest auch angemessen bezahlt werden.
Wie wollt ihr eure Forderung nach einer höheren Eingruppierung durchsetzen? Seid ihr bereit, dafür zu streiken?
Dass wir, wenn es nötig ist, auch streiken können, haben wir spätestens im Jahr 2009 bewiesen. Damals haben in der Urabstimmung über neunzig Prozent für eine Arbeitsniederlegung gestimmt. Wir streikten über zehn Wochen und am Ende konnten wir wesentliche Verbesserungen und erstmals eine eigenständige Eingruppierung für den Sozial- und Erziehungsdienst erkämpfen. Zehntausende Beschäftigte waren an gemeinsamen Streiktagen auf der Straße. Die Beteiligung war zwar noch ausbaufähig, aber viele Beschäftigte wissen mittlerweile, um was es geht. Sie haben 2009 zum ersten Mal ihre Macht gespürt und daraus großes Selbstbewusstsein geschöpft.
Lange Zeit galten Berufsgruppen wie Erzieherinnen als »unorganisierbar«. Was hat sich geändert, dass ihr mittlerweile zu Tausenden die Arbeit niederlegt?
Geändert hat sich vor allem eines: Wir haben gemerkt, dass wir uns wehren können. Aber das ist natürlich nicht vom Himmel gefallen. Lange waren Streiks im öffentlichen Dienst von den Bereichen geprägt, die Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigen. In Kitas wurde überhaupt nicht gestreikt und im besten Fall gab es ein paar Solidaritätsaktionen. Das erste Mal, dass alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst zum Streik aufgerufen wurden, war 1992 infolge des Generalangriffs der Regierung Kohl. Da haben die Erzieherinnen ihre ersten Arbeitskampferfahrungen gesammelt und gemerkt, dass auch sie streiken können. Es gab zwar noch keine flächendeckenden Schließungen der Kindergärten, aber es war der Beginn eines Lernprozesses. In der Tarifauseinandersetzung 2006 für den Erhalt der 38,5-Stunden-Woche bildeten wir bereits eine große und starke Stütze des Streiks. Das hat dazu geführt, dass in der Gewerkschaft ver.di unsere Rolle als Streikfaktor im öffentlichen Dienst neu diskutiert oder sogar überhaupt erst richtig wahrgenommen wurde. Spätestens seit 2009 kann uns niemand mehr die Streikfähigkeit absprechen. Und auch unser Organisationsgrad nimmt zu. In der diesjährigen allgemeinen Tarifrunde des öffentlichen Diensts kamen etwa die Hälfte der Neueintritte aus dem Bereich der Sozial- und Erziehungsdienste. Durch den Ausbau der Betreuungsplätze für die unter Dreijährigen und die steigenden Qualitätsanforderungen an die frühkindliche Bildung steuern wir zudem auf einen Fachkräftemangel im Erziehungsberuf zu. Das stärkt unsere Position natürlich erheblich, da niemand große Angst vor einer Kündigung haben muss.
Wie sieht ein Streik in einer Kita aus?
Für einen Streik in einer Kita ist es vor allem wichtig, der Öffentlichkeit klarzumachen, dass wir nicht gegen die Eltern oder die Kinder kämpfen. Es ist immer schwierig für die Kolleginnen, tatsächlich die Einrichtungen zu schließen, denn sie haben eine sehr hohe moralische Einstellung zu ihrem Beruf und wissen, dass sie sowohl von den Eltern als auch von den Kindern gebraucht werden. Das ist ähnlich wie im Pflegebereich. Erzieherinnen fühlen sich persönlich sehr ihrem Dienst an den ihnen anvertrauten Kindern verpflichtet. In einem Streik muss das natürlich berücksichtigt werden. Wir sind dann unmittelbar mit den Vorwürfen der Eltern konfrontiert und müssen damit umgehen. Daher ist es wichtig, mit den Eltern zu sprechen, in engem Kontakt zu bleiben und ihnen zu erklären, dass der Streik sich nicht gegen sie richtet. Eine gute Ausstattung der Kitas ist auch in ihrem Interesse. Wer eine gute Betreuung will, braucht eine Kita mit gut ausgebildeten Erzieherinnen und das setzt auch ordentlich bezahltes Fachpersonal voraus.
Und wie sah das in euren bisherigen Streiks aus? Hat die Kommunikation mit den Eltern funktioniert?
Es war mal besser und mal schlechter. Aber viele Eltern hatten Verständnis für uns. Klar, es gibt auch Fälle, da wird es nach einer bestimmten Zeit schon schwierig. Bei länger andauernden Streiks haben sich Notdienstvereinbarungen für die absoluten Härtefälle bewährt. Aber wir haben die Eltern auch aufgefordert, sich mit uns zu solidarisieren und sich untereinander zu helfen. Und wir haben sie ermuntert, ihren Ärger gemeinsam mit uns an die Öffentlichkeit zu tragen, um uns zu unterstützen, damit der Streik nicht so lange dauert.
Aber letztendlich trifft ein Streik in einer kommunalen Kita doch trotzdem nur die Eltern. Ökonomischer Druck auf die Arbeitgeberin entsteht dabei nicht. Vielmehr sparen die Kommunen auch noch die Lohnkosten…
Es entsteht nicht unbedingt ein ökonomischer Druck. In einigen großen Kommunen haben die Eltern aber ihre Beiträge zurückverlangt und konnten das für die Schließzeiten auch erreichen. Es gibt auch die Forderung, dass das Geld, welches im Streik gespart wurde, sofort wieder in die Kitas zurückfließt. Aber natürlich entsteht nicht so ein hoher ökonomischer Druck, wie wenn in der Privatwirtschaft gestreikt wird. Dafür kann der gesellschaftliche Druck enorm hoch sein. Die Eltern brauchen die Kitas, um zur Arbeit gehen zu können. Ich finde auch, dass sie ihren Frust eins zu eins an die Kommunen weitergeben sollten. In vielen Städten gab es Demonstrationszüge um die Rathäuser, bei denen die Eltern ihrem Unmut Luft gemacht haben. Es gab auch Fälle, da sind sie mit ihren Kindern ins Rathaus gegangen, um sie dort symbolisch abzugeben.
Die meisten Erzieherinnen arbeiten in Einrichtungen von freien Trägern, etwa Kirchen oder Wohlfahrtsverbänden. Können sie auch etwas tun?
In aller Regel übernehmen die Kirchen und Wohlfahrtsverbände unseren Tarifvertrag. Damit sind die Beschäftigten aus diesen Einrichtungen zumindest indirekt von unserem Abschluss betroffen. Solidaritätsaktionen sind also auf alle Fälle möglich und auch sehr erwünscht. In Mannheim kamen 2009 aus verschiedenen kirchlichen Kitas Kolleginnen bei uns im Streiklokal vorbei und überreichten uns Solidaritätserklärungen. Einmal bekamen wir sogar Besuch von einer gesamten evangelischen Kita, deren Kinder uns Kuchen gebacken hatten. Einige Kitas haben ihre Fenster mit unseren Streikforderungen behängt und darunter geschrieben: »Wir sind solidarisch«. Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu solidarisieren. Und jede Form der Solidarität hilft uns sehr, da wir im Streik einem enormen Druck ausgesetzt sind. Außerdem ist es wichtig, dass die Beschäftigten, die nicht streiken dürfen, die Kinder aus bestreikten Einrichtungen nicht einfach aufnehmen, sondern deutlich machen, dass sie die Forderungen und den Streik ihrer Kolleginnen aus den kommunalen Einrichtungen unterstützen.
Wie kann Solidaritätsarbeit von außen aussehen?
Die Solidarität aus der Bevölkerung ist eine Voraussetzung für den Erfolg unserer Tarifbewegung. Letztendlich ist es eine politische Frage, was uns eine gute Betreuung unserer Kinder wert ist. Und Solidaritätsarbeit beginnt bereits dort, wo immer unser Arbeitskampf öffentlich verteidigt wird – sowohl unsere Forderungen als auch die Berechtigung, dafür zu streiken. Aber es kann natürlich auch noch mehr getan werden. Für die streikenden Kolleginnen ist es sehr wichtig, Zuspruch für ihre Forderungen zu bekommen, und es stärkt uns moralisch unglaublich, wenn Leute ins Streiklokal kommen und uns die Solidarität aussprechen. Natürlich sind alle auch eingeladen, mit auf die Straße zu gehen und für öffentliche Unterstützung zu werben, vor allem bei den Eltern. Veranstaltungen oder Flugblattaktionen können organisiert werden, es können Solidaritätsunterschriften gesammelt werden, die sich an die Kommunen richten und vieles mehr. Wer helfen will, sollte sich einfach direkt bei einer Kita in der Nähe oder bei den lokalen ver.di-Strukturen erkundigen, wie es vor Ort aussieht. Sollte es im Frühjahr zu einem längeren Streik kommen, ist die Stimmungsmache dagegen bereits vorprogrammiert. Dann kommt es darauf an, dass wir dem etwas entgegensetzen können.
Hansi Weber ist Landesfachgruppenvorsitzende der Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe bei ver.di in Baden-Württemberg. Fünfzehn Jahre lang arbeitete sie in einer städtischen Kita in Mannheim.
(Die Fragen stellte Fanni Stolz)
Foto: UweHiksch
Schlagwörter: Erzieherinnen, Gewerkschaft, Inland, Kita, Kitastreik, Streik, Tarifrunde, Ver.di