Nach dem Wahlsieg analysiert Stathis Kouvelakis, Mitglied des Vorstands von Syriza, Chancen und Risiken der Regierungsbildung in Griechenland mit der rechten Partei „Unabhängige Griechen“.
Der Wahltriumph von Syriza hat der europäischen radikalen Linken und der Arbeiterbewegung Hoffnung und eine große Chance gebracht. Wir können diese Frage auch umgekehrt stellen – diesen Test nicht zu bestehen, könnte unberechenbare Folgen haben.
Ein paar Anmerkungen bezüglich der ersten Probleme und Schwierigkeiten die vor uns liegen:
Erstens war Syriza dabei eine absolute Mehrheit zu erreichen, scheiterte jedoch letztendlich an diesem Ziel. Das Endergebnis (36,3%) ist am unteren Ende der Prognose am Wahltag, während die konservative Nea Dimokratia am oberen Grenze der Vorhersagen steht. So gesehen herrschte ein Gefühl der Enttäuschung in der Syriza-Zentrale sowie am Propylea-Platz, wo Alexis Tsipras seine Siegesrede hielt. Es waren weniger Menschen auf der Straße als bei den Wahlsiegen der sozialdemokratischen PASOK in den 80er und 90er Jahren.
Auch wenn der Vorsprung von 8,5% gegenüber Nea Dimokratia ein wichtiger Sieg ist, müssen wir trotzdem erklären, warum die Dynamik des Syriza-Siegs nicht so groß war, wie wir uns erhofft hatten. Ein bemerkenswerter Aspekt des Wahlergebnisses ist, dass sich Syrizas landesweiter Wahlanteil verglichen mit 2012 und der Europawahl 2014 um 10% verbesserte, die Steigerung in den großen städtischen Ballungsräumen (vor allem in Athen und Thessaloniki) aber etwas gedämpft war, genauer gesagt um die 6%. Während im Juni 2012 Syriza ihr bestes Ergebnis im „roten“ zweiten Wahlbezirk von Piräus hatte (wenn wir Xanthi nicht mitzählen, wo die Unterstützung der türkischsprachigen Minderheit massiv war), schnitt die Partei in anderen Gegenden diesmal besser ab (zum Beispiel in vielen ehemaligen PASOK-Hochburgen wie Kreta und dem nördlichen Peloponnes), als in der Industriegegend von Piräus (obwohl auch hier der Anteil von 37 auf 42% stieg).
Marx21-Veranstaltung in Berlin am 4.2., 19 Uhr in der »Vierten Welt«, Adalbertstr. 4.
Mit Antonis Davanellos, Mitglied der Geschäftsführung von Syriza.
Syriza war also auf dem Vormarsch in ländlichen und in halbstädtischen Gegenden, sowie in kleinen Provinzstädten, in Landesteilen, die konservativer und „legitimistisch“ sind. Syrizas Einfluss im Land ist jetzt gleichmäßiger, weil sie den Anschein einer legitimen „Regierungspartei“ hat; aber es fehlte die Dynamik, um den Vorsprung in den großen Städten auszubauen und die notwendigen Sitze in Athen und Thessaloniki zu sichern. Syrizas Wahlprofil ist jetzt eher das einer Volkspartei, ohne die „Asymmetrie“ von 2012: Ihre Unterstützung ist jetzt weniger bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der großen urbanen Zentren verwurzelt, auch wenn ihr Einfluss in diesem Teil der Bevölkerung sehr groß ist und sie einen großen Teil von Syrizas Wählern ausmachen.
Das Wahlprogramm war zu optimistisch
Dies muss im Zusammenhang mit dem (begrenzten) Aufstieg der Kommunistischen Partei (KKE) um 1% verglichen zu 2012 gesehen werden, sowie mit dem Aufstieg der Wahlbündnisses der radikalen Linken Antarsya von 0,33 auf 0,64%. Deren Zuwachs lag mehrheitlich in den großen urbanen Zentren. Syriza musste also kleine Verluste von links hinnehmen und war vor allem unfähig, wichtige Reserven von Wahlverdrossenen zu mobilisieren; mit lediglich 64% war die Wahlbeteiligung dieses Mal ziemlich schwach.
Die neue Regierung wird mit großen Hindernissen konfrontiert sein. Die Staatskassen sind leer und die Staatseinnahmen brechen rasanter zusammen als erwartet. Es wird sehr schnell deutlich werden, dass der im Wahlprogramm von Syriza vorgesehene Finanzierungsplan auf überoptimistischen (oder einfach falschen) Prognosen basiert war. Das Ziel war es, den Eindruck zu vermitteln, das Programm könne zur Hälfte durch die Umleitung europäischer Kredite (die für Griechenland vorgesehen sind – manche sind schon bezahlt – und deren Zahlung von der Zustimmung der EU abhängig ist) realisiert werden, und zur Hälfte durch eine effektivere Steuereintreibung, ohne eine Steuerreform und ohne die Notwendigkeit eines höheren Haushaltsdefizits. Die strategische Orientierung der Regierung gegenüber der EU ist ebenfalls eher unklar. Gestern war Tsipras darauf bedacht, die EU und die Finanzmärkte zu beruhigen, indem er von einem „ehrlichen Dialog“ und einer „gemeinnützigen Lösung“ sprach. Das Wort „Schulden“ wurde nicht erwähnt.
Ich war gestern beunruhigt von Genossen, die EZB-Präsident Mario Draghi als einen angeblich großen Rivalen von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, und fast wie einen Verbündeten von Syriza feierten. Heute ist als einziger europäischer Politiker das lächelnde Gesicht des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) auf der offiziellen Internetseite von Syriza zu sehen. Er bat direkt um ein Treffen mit Tsipras. Es sieht so aus, als ob manche Kreise in der Partei so weit gehen, sich selbst von Wahlkampfparolen wie „Europa ändert sich“ zu überzeugen, so dass jetzt behauptet wird, dass „die EU bereit ist, mit uns einen ehrbaren Kompromiss einzugehen“. Aber die Aussicht an dieser Front wäre im besten Fall, die Troika zu umgehen und eine verwässerte Version des Sparpakets direkt mit den EU-Institutionen „auszuhandeln“ (dieses magische Wort!).
Die Hoffnung auf Syriza ist riesig
Abschließend sind Panos Kammenos und seine Partei der „Unabhängigen Griechen“ (ANEL) als Koalitionspartner, verglichen zu „To Potami“ („Der Fluss“) (dessen erklärtes Ziel es war, Syriza einen Sparpaketkurs aufzuzwingen) das „kleinere Übel“, sie sind nichtsdestotrotz ein Übel. Deren Beteiligung an der Regierung (auch mit nur einem Minister) würde das Ende der Idee einer „Anti-Sparpaket-Regierung der Linken“ symbolisieren. Außerdem ist es eine Partei der Rechten, deren besonderes Anliegen es ist, den „harten Kern“ des Staatsapparats zu schützen (es wird wichtig sein, sehr aufmerksam auf das Ministerium zu achten, das diese Partei in der Regierung übernimmt). Es wäre nicht überraschend, wenn ANEL das Justiz- oder Verteidigungsministerium fordert, obwohl dies als unwahrscheinlich gilt.
Syriza bewegt sich gerade entlang eines schmalen Grats, der wenig Abweichung zulässt – aber diese Unklarheiten müssen sich bald auflösen. Die Gesellschaft ist gerade passiv, aber die Hoffnungen, die auf Syriza gelegt werden, sind sehr groß und sehr konkret. Immens wichtige Aufgaben liegen vor den Kräften, die sich den kommenden Gefahren bewusst und entschlossen sind, die wichtigsten Forderungen des Parteiprogramms zu verteidigen, indem wir die Sparpakete beenden. Mehr als zuvor müssen wir uns im Klaren sein, dass es keinen Mittelweg zwischen Konfrontation und Kapitulation gibt. Die Stunde der Wahrheit kommt noch auf uns zu.
Stathis Kouvelakis, Athen, den 26. Januar 2015
Aus dem Englischen übersetzt von Leandros Fischer
Dies ist die leicht gekürzte Version des ursprünglich auf www.versobooks.com auf Englisch erschienenen Textes von Stathis Kouvelakis: http://www.versobooks.com/blogs/1829-stathis-kouvelakis-after-syriza-s-victory.
Schlagwörter: Griechenland, Schuldenschnitt, Sparpaket, Syriza, Tsipras