Links von Syriza arbeitet in Griechenland vor allem Antarsya (Aufstand), das Wahlbündnis der radikalen Linken. Sein Sprecher Panagiotis Sotiris erklärt im marx21-Gespräch, warum eine Alternative zu Syriza jetzt schon wichtig ist.
Marx21: Antarsya hat bei den Wahlen 0,64 Prozent bekommen. Ein schlechtes Ergebnis?
Panagiotis Sotiris: Einerseits schon. Dieses Ergebnis zeigt, wie polarisiert die Stimmung in Griechenland zwischen der linken Syriza und der konservativen Nea Dimokratia ist. Andererseits haben wir uns von 0,33 auf 0,64 Prozent verbessert.
Warum seid ihr überhaupt angetreten, wenn eure Chancen gering waren?
Wir wollen Antarsya als radikale Alternative links von Syriza bekannt machen. Das ist wichtig, damit die Menschen nicht verzweifeln, falls Alexis Tsipras scheitert.
Tsipras‘ Regierung hat linke Reformen beschlossen. Ist das nicht gut?
Doch. Aber wie lange geht das so weiter? Gerade weil Tsipras jetzt Ministerpräsident ist, müssen wir nicht nur darauf achten, wo er steht, sondern auch, in welche Richtung er sich bewegt.
War Tsipras mal weiter links?
Ja. Seit 2012 senkt er seine Forderung nach einem vollständigen Schuldenschnitt für Griechenland immer weiter ab. Damals sollten die Schulden noch komplett „gestrichen“ werden, jetzt nur noch „neu verhandelt“. Auch die Koalition mit der rechten ANEL ist Teil dieser Entwicklung.
Aber es gibt auch innerhalb von Syriza einen linken Flügel, der diese Entwicklung kritisiert. Außerdem ist der Wahlsieg von Syriza auf jeden Fall wichtig. Auch weil die Pro-Sparpaket-Parteien dadurch eine schwere Niederlage einstecken müssen.
In Deutschland ist die sichtbarste politische Kraft links von Syriza die Kommunistische Partei (KKE), die sich einer besonders radikalen Rhetorik bedient. Was sind die Unterschiede zwischen KKE und Antarsya?
Der Unterschied zwischen KKE und Antarsya liegt vor allem in der unterschiedlichen Einschätzung der aktuellen Periode. Die KKE meint, dass sich im zurzeit nichts wirklich verändern kann und betrachtet den Sozialismus als abstraktes Ziel für eine ferne Zukunft.
Antarsya versucht, eine antikapitalistische Übergangsstrategie mit konkreten Schritten zu entwickeln, etwa die Verstaatlichung der Banken unter Arbeiterkontrolle. Das mag nicht als wichtiger Unterschied erscheinen. Aber ihre Ideologie bringt die KKE dazu, hauptsächlich ihre politische Nische zu suchen und gemeinsame Aktionen aller Linken abzulehnen. Das reduziert ihre radikalen Parolen zu programmatischen Erklärungen ohne aktuelle Bedeutung.
Ich hoffe, dass uns trotzdem eine Aktionseinheit von Syriza, KKE und Antarsya gelingt. Sie wäre in den nächsten Monaten wichtig, um linken Druck auf die neue Regierung zu machen.
Die sozialen Bewegungen sind nicht mehr so groß wie vor 2012. Könnten sie mit der linken Regierung wieder erstarken?
Streiks und Demonstrationen sind tatsächlich zurückgegangen. Das liegt einerseits daran, dass viele Menschen von ihrer Armut und Arbeitslosigkeit erschöpft sind und ihnen die Kraft fehlt, zu kämpfen. Andererseits hat sich das Gefühl ausgebreitet, dass der parlamentarische Weg die einzige Hoffnung auf Veränderungen ist.
Ich denke aber, dass wir das Fenster des Optimismus nach dem Wahlsieg von Syriza nutzen können und müssen, um die sofortige Umsetzung von Tsipras‘ Wahlversprechen zu fordern und darüber hinauszugehen. Damit können wir wieder Leben in die Massenbewegungen bringen, die wir angesichts der zweifelhaften Verhandlungsstrategie der Syriza-Führung brauchen.
Die Aktivistinnen und Aktivisten von Antarsya sind ein wichtiger Teil der antifaschistischen Bewegung in Griechenland. Die „Goldene Morgenröte“ ist drittstärkste Partei. Für einen beachtlichen Teil der Bevölkerung spielt es keine Rolle, dass es sich hier um Nazis und Kriminelle handelt. Gleichzeitig befinden sich die Schlägertrupps der Partei im Rückzug. Wie erklärst Du Dir dieses widersprüchliche Phänomen?
Die „Goldene Morgenröte“ hat 6,3 Prozent erreicht und damit Stimmen verloren. Das ist dennoch besorgniserregend.
Jagen ihre Schlägertrupps immer noch Migranten?
Leider ja. Allerdings sind es weniger geworden, seit ihre Führung im Gefängnis sitzt. Die Prozesse gegen die „Goldene Morgenröte“ müssen weitergehen und ausgeweitet werden, aber die juristischen Mittel haben im antifaschistischen Kampf nur begrenzte Wirkung. Auch hier bietet die neue optimistische Stimmung in Griechenland eine Chance, eine größere Offensive gegen die Nazis zu starten und sie aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens endgültig zurückzudrängen.
Seit Beginn der Krise haben die Griechen selbstverwaltete Organisationen geschaffen. Was ist aus ihnen geworden?
Es gibt immer noch viele Arztpraxen für arme Menschen, einige selbstverwaltete Betriebe und Medien. Zwischen diesen Initiativen gibt es verschiedene Formen der Kommunikation und Koordination.
Die wichtigste Herausforderung besteht darin, diese Initiativen von ihrem bisherigen defensiven Charakter gegenüber den Auswirkungen der Krise hin zu einer Institutionalisierung zu bewegen, die einen antikapitalistischen Charakter aufweisen kann.
Das würde eine Überwindung des engen Rahmens der EU-Gesetzgebung voraussetzen, die lediglich gegenüber Selbsthilfe-Kooperativen wohlwollend eingestellt ist. Das kann beispielsweise durch die Übernahme und Verwaltung von Betrieben geschehen, die von ihren Besitzern bewusst lahmgelegt wurden. Das wäre ein wichtiges Experiment für ein alternatives Modell sozialer Organisation und demokratischerer Machtausübung.
Was können Linke in Deutschland tun, um zu helfen?
Das Wichtigste ist, in Deutschland eine Bewegung gegen die Politik der Regierung Merkel auf die Beine zu stellen. Auch aus Solidarität mit den Menschen in Griechenland, aber vor allem aus der Perspektive der Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland selbst.
Die deutsche Regierung versucht, die Kürzungsprogramme in Griechenland als vorteilhaft für die ganze deutsche Gesellschaft darzustellen. Aber wir wissen, dass die deutschen Beschäftigten seit Jahrzehnten einen ziemlich hohen Preis zahlen, der hauptsächlich dem deutschen Kapital nutzt. Und unabhängig von meiner Kritik die an der Führung von Syriza, glaub ich, dass ihr Wahlsieg eine Botschaft an alle europäischen Gesellschaften schickt: Ein anderer Weg ist möglich.
Panagiotis, vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Leandros Fischer am 28. Januar in Athen.
Schlagwörter: Antarsya, Goldene Morgenröte, Griechenland, KKE, Syriza, Tsipras