Dass die Auswirkungen des Erdbebens gerade auf der Karibikinsel so verheerend waren, ist kein Zufall, meint David Paenson
Andrew Taylor hat drei Jahre auf Haiti gelebt. Nach dem verheerenden Erdbeben Mitte Januar machte der Drucker und Gewerkschafter sich umgehend auf die Suche nach seinen Freunden. »Die Kommunikation ist sehr schwierig, es gibt kaum Strom, um die Handys aufzuladen. Außerdem haben die Menschen auch kein Geld für ihre Prepaid-Handys.« Taylor ist jedoch beeindruckt von der Solidarität vieler Haitianer untereinander: »Die Menschen bleiben, wenn sie nur können, in ihren Stadtvierteln und helfen sich gegenseitig. Sie passen auf die Nachbarkinder auf, kochen gemeinsam, schicken ihre Jungs in die Stadt, um sich über die aktuelle Lage zu informieren.«
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Kleinere Geschäfte öffneten unmittelbar nach dem Beben wieder, um die Versorgung aufrecht zu erhalten. Aber die Vorräte reichten vorn und hinten nicht aus. Um nicht zu verhungern, brachen die Menschen in Lagerhäuser ein. Aus Angst, dabei von der Polizei und den UN-Soldaten erschossen zu werden, machten sie das vor laufender Kamera, unter dem Schutz von Journalisten. Das erklärt, weshalb man im Fernsehen so viele Bilder von »Plünderern« zu sehen bekommt.
Dass das Erdbeben Haiti so massiv getroffen hat, ist auf die große Armut der Inselbevölkerung zurückzuführen. »Ein Erdbeben des Ausmaßes, wie es die haitianische Hauptstadt heimgesucht hat, hätte in jeder Großstadt der Welt zu erheblichen Zerstörungen geführt. Dennoch ist es kein Zufall, dass Port-au-Prince heute wie eine Kriegszone aussieht«, erklärt der kanadische Politikwissenschaftler Peter Hallward. 60 Prozent der Häuser in Port-au- Prince entsprachen nicht den Baustandards. Der Grund für die Armut ist westliche Einmischung. Haiti ist in den letzten Jahren in ein Billiglohnland für die amerikanische Textilindustrie verwandelt worden. Vor 40 Jahren konnte der Inselstaat seinen Lebensmittelbedarf noch zu 80 Prozent selbst decken. Mittlerweile ist Haiti weitgehend von Importen abhängig. Und diese sind für die 75 Prozent der Bevölkerung, die mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen, unerschwinglich.
Und auch jetzt ist die westliche Intervention nicht nur hilfreich: Vor der Küste patrouillieren Kriegsschiffe, um Flüchtlinge aufzufangen, bevor sie das amerikanische Festland erreichen. Hilfsflüge aus Kuba und Venezuela erhielten keine Landeerlaubnis, obwohl Kuba seinerseits den USA sofort Überflugrechte über den eigenen Luftraum gewährt hatte.
Video: Die Politik des Wideraufbaus in Haiti (The Politics of Rebuilding from Al Jazeera English)
Haiti war aber nicht nur oft Fremdherrschern ausgeliefert, sondern verfügt auch über eine lange Tradition des Widerstands – angefangen mit einem Sklavenaufstand gegen die französischen Kolonialherren im späten 18. Jahrhundert. Napoleon schickte damals 10.000 Soldaten auf die Insel, auf der von knapp einer Million Sklaven Dreiviertel des französischen Bruttoinlandproduktes erwirtschaftet wurde. Trotz dieser militärischen Übermacht konnten die Haitianer 1804 ihre Unabhängigkeit erkämpfen. 1915 wurde die Insel erneut besetzt, diesmal von den USA. Rassentrennung und Zwangsarbeit wurden wieder eingeführt. Es folgten erneut Jahrzehnte des Widerstandes, bis die Amerikaner 1934 wieder abzogen. Sich abwechselnde Familien- und Militärdiktaturen beherrschten in den kommenden Jahrzehnten das Land, bis der populäre Pfarrer Jean-Bertrand Aristide 1990 an die Macht kam. Doch er wurde acht Monate später vom Militär weggeputscht. Als er 1994 unter der Schirmherrschaft der USA und der UN wieder ins Amt kam, war die Bewegung, die ihn bis dahin unterstützt hatte, längst zerschlagen. Im April 2008 kam es erneut zu größeren Protesten, dieses Mal gegen drastische Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel.
Die Geschichte zeigt: Die Haitianer könnten die Hilfen selbst organisieren, wenn man sie nur ließe. Der Imperialismus steht ihnen jedoch im Weg, damals wie heute.
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- »Die Menschen können es sich nicht leisten erdbebensichere Häuser zu bauen«: Der kanadische Politikwissenschaftler Peter Hallward meint, dass es ist kein Zufall ist, dass Port-au-Prince wie eine Kriegszone aussieht.
- Haitis Albtraum: 2004 hat die USA den Putsch gegen den gewählten Präsident Aristide unterstützt. Jetzt besetzt die US-Armee das Land mit 10.000 Soldaten. marx21 meint: Statt Soldaten müssen zivile Helfer und genügend Nahrung nach Haiti.