Der Aufstieg der rassistischen Partei für Freiheit (PVV) in den Niederlanden ist eine Warnung. marx21 sprach mit dem Sozialisten Pepijn Brandon aus Amsterdam über die Ursachen des »Rechtsruck« und die jetzigen Herausforderungen für die Linke.
marx21: Die Kommunalwahlen in den Niederladen endeten mit einem »Rechtsruck«. Die Partei für Freiheit (PVV) von Geert Wilders konnte mit einem rassistischen Wahlkampf Stimmen gewinnen. In Den Haag, dem Sitz der Regierung, wurde die Partei zweitstärkste politische Kraft nach der sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PvdA), in der Stadt Almere stärkste Kraft. Wofür steht die PVV eigentlich? Ist Geert Wilders nur ein Rechtspopulist oder geht es ihm um mehr? Wie gefährlich ist die Partei?
Pepijn Brandon: In den politischen Positionen der PVV von Wilders gibt es drei Hauptstränge. Der erste Strang, über den auch am meisten berichtet wird, ist ein bösartiger antiislamischer Rassismus. In einem Interview mit dem dänischen Fernsehen DR2 machte Wilders seinen berüchtigten Aufruf, »Millionen, zehntausende Millionen« Muslime aus Europa »wegzuschicken« (Link zum Aufruf als .pdf). Auch wenn einige liberale Kommentatoren gerne das Gegenteil glauben möchten, gibt es für Wilders keinen Unterschied zwischen Religion und Ethnie. Er fordert das Ende jeder Einwanderung aus muslimischen Ländern, unabhängig von den religiösen Ansichten der Einwanderer. Er brandmarkt systematisch marokkanische Jugendliche als »Straßenterroristen« und hat sogar vorgeschlagen, die Armee einzusetzen, um nach ein paar Vorfällen, an denen marokkanische Jugendliche beteiligt waren, »die Ordnung wiederherzustellen«.
Der zweite Strang ist eine kraftvolle Rhetorik, die sich gegen das Establishment richtet. Als im vergangenen Jahr im niederländischen Parlament über Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise diskutiert wurde, weigerte sich Wilders' Fraktion, an der »Farce« teilzunehmen, und verließ den Saal. Nach dem Wahlsieg in Den Haag erklärte Sietse Fritsma, Lokalchef der PVV und Parlamentsmitglied: »Wir werden die bürgerlichen Parteien in den Wahnsinn treiben.« Mit solchen Äußerungen gelingt es der Partei, die weit verbreitete Wut über das politische System an sich anzuzapfen. Der dritte Strang, worüber am wenigstens berichtet wird, ist ihr knallharter Neoliberalismus. Wilders selbst war für die Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), die holländische Version der FDP, im Parlament. Das Parteiprogramm der Partei für Freiheit enthält Forderungen nach drastischen Kürzungen der Sozialleistungen. Im vergangenen Jahr hat sie jedoch versucht, nach außen hin ein anderes Bild abzugeben, indem sie den Großteil ihres neoliberalen Katalogs verbirgt und sich zu ein paar sozialen Fragen opportunistisch verhält, zum Beispiel hat sie sich gegen die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre geäußert.
Angesichts dieser Ideenmischung ist es kein Wunder, dass faschistische Parteien in ganz Europa Wilders' Sieg feiern. Einige öffentliche Äußerungen von Parlamentsmitgliedern der PVV kommen faschistischer Ideologie sehr nah, wie der Vorschlag, »Bürgerwehren« in Almere aufzustellen, um die Kriminalität zu bekämpfen. An den Rändern versuchen Neonazis in die PVV einzutreten und auf deren Erfolg aufzubauen. Das heisst aber nicht, dass man die Partei selbst als faschistisch bezeichnen könnte. Ihre Aktivität konzentriert sich bis jetzt fast ausschließlich auf die Wahlebene. Dennoch sollten wir die Gefahr, die von ihr ausgeht, nicht unterschätzen. Der Aufstieg der PVV hat als sichtbarste Folge einen großen Sog nach rechts für die bürgerliche Politik erzeugt. Mit ihrer Saat aus Hass und Rassismus hat sie zudem den Boden für die Wiederkehr faschistischer Politik innerhalb und außerhalb der Partei geschaffen.
Warum konnte die PVV gewinnen? In Almere beispielsweise leben Menschen aus 140 Ländern, im Vergleich mit anderer Städte gibt es deutlich weniger Kriminalität. Warum findet die PVV ausgerechnet hier dieses Wählerpotenzial?
Als Erstes muss gesagt werden, dass es keine direkte Verbindung zwischen dem Erstarken der Partei für Freiheit und der Zahl der Migranten oder der Kriminalitätsrate in einer Stadt gibt. In früheren Wahlen konnte Wilders einige seiner besten Erfolge in Gegenden erzielen, die faktisch rein weiß sind und eine geringe Kriminalitätsrate aufweisen. Die Ursache für den Erfolg der Rechten liegt in dem, was der Neoliberalismus bei Durchschnittsmenschen angerichtet hat, und bei einer Linken, die es nicht geschafft hat, eine glaubwürdige Alternative zu bilden.
Um Wilders' Erfolg zu verstehen, müssen wir aber weiter zurückgehen: Die Rechtswende in der niederländischen Politik begann bereits 2002 mit dem spektakulären Durchbruch der weit rechts stehenden, antiislamischen Partei von Pim Fortuyn nach einem Jahrzehnt sozialdemokratischer Regierungskoalitionen mit Parteien der Rechten: zunächst den Christdemokraten (CDA), dann der VVD. Aber der Durchbruch von Fortuyns Partei ein paar Tage nach seiner Ermordung war keine Abwendung von der Politik der vorherigen Regierungen, sondern gab der CDA und der VVD das Selbstbewusstsein, ohne die Sozialdemokraten zu regieren und die neoliberalen »Reformen« zu beschleunigen. Als Reaktion auf eine rein rechte Regierung entstand eine lebendige Protestbewegung, die im Jahr 2003 und 2004 mit Massendemonstrationen gegen den Krieg im Irak und der größten Gewerkschaftsdemonstration der holländischen Nachkriegsgeschichte ihren Höhepunkt erreichte. Dadurch konnte die Linke in den Regional- und nationalen Wahlen gewinnen. Im Jahr 2006 erhielten die Sozialdemokraten in Almere mit 27,5 Prozent die meisten Stimmen und die Sozialistische Partei gewann fast 10 Prozent. In Den Haag erhielten sie jeweils 28,4 Prozent und 7,7 Prozent.
Die Linke hat dieses Potenzial tragischerweise ungenutzt gelassen. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei (PvdA) trat in die Regierung der Christdemokraten ein und übernahm die Verantwortung für Milliarden-Euro-Geschenke an die Banken, den Versuch, das Rentenalter zu erhöhen und die Vorbereitung einer 20-prozentigen Kürzung in allen Bereichen des Regierungshaushalts. Die Sozialistische Partei war so besessen von der Idee, Koalitionspartner einer künftigen Regierung werden zu können, dass sie praktisch keine Straßenproteste mehr durchführte. Inzwischen wurde die Wirtschaftskrise spürbar. Von April 2008 bis April 2009 stieg die Arbeitslosigkeit in Almere um 19 Prozent, vor allem im Produktionsbereich. Fünfzehn Prozent der Bevölkerung lebt am Rande des Existenzminimums. Das Schweigen der Linken hat es der PVV ermöglicht, die Wut über die sich verschlechternde Lage gegen muslimische Einwanderer zu lenken – gerade die Gruppierung, die nach sämtlichen Statistiken am meisten unter sozialer Verelendung leidet.
Für Wilders sind die Regionalwahlen nur der »Testlauf«. Er plant einen »Durchmarsch« nach dem Bruch der schwarz-roten Koalition in Den Haag. Umfragen erwarten für die vorgezogenen Wahlen am 9. Juni einen Rechtsruck. Wie schätzt du die Situation ein?
Die Entscheidung von Wilders, all seine Kräfte auf die zwei Städte zu konzentrieren, in denen seine Partei bei den Europawahlen am besten abgeschnitten hat, war ein Geniestreich. Der vorhersehbare Erfolg in Almere und Den Haag erzeugte das Bild der Unbezwingbarkeit, und wie immer tun die Medien ihres dazu, dieses Bild noch zu verstärken. Die größte Gefahr ist jetzt, dass die Linke sich aus Angst vor einem Durchmarsch der PVV lähmen lässt, oder, was noch schlimmer wäre, dass sie Wilders' Rassismus übernimmt, um ihm ein paar Stimmen abspenstig zu machen.
Aber der Hauptgrund für die Wahlniederlage der Linken ist nicht, dass linke Wähler zu Wilders übergelaufen sind. Die meisten Wähler der PVV haben bei den letzten Wahlen entweder die Liberalen, also VVD, oder gar nicht gewählt. Zweifellos gibt es auch einige Wähler der Linken, die die Seite gewechselt haben. Aber eine Umfrage der Sozialistischen Partei unter ihren eigenen Anhängern hat ergeben, dass der Hauptgrund für ihre Niederlage darin lag, dass frühere Wähler diesmal gar nicht erst wählen gingen. Das wirkliche Problem ist nicht, dass diese Leute die Linke aufgegeben haben, sondern gerade umgekehrt. Um das Blatt wieder zu wenden muss diese Kluft wieder geschlossen werden, indem wir in der Praxis zeigen, dass wir gegen Kürzungen kämpfen und Solidarität aufbauen können, dass wir gegen den Rassismus antreten können und so weiter. Unglücklicherweise scheint das nicht die Antwort der Parteispitzen zu sein. Welche Verwirrung das Ergebnis der Regionalwahlen gestiftet hat, zeigt sich klar daran, dass die sozialdemokratische wie die sozialistische Fraktionsführung zurückgetreten ist. Falls das einen positiven Effekt auf die kommenden Wahlen haben sollte, sind solche Personalveränderungen aber kein Ausdruck eines echten und dringend erforderlichen Strategiewechsels. Auch wenn es schwierig zu sagen ist, was hinter den Kulissen vor sich geht, deutet alles darauf hin, dass eine neue Führungsperson der SP die Partei weiter in die Mitte rücken wird, statt eine Linkswende einzuleiten.
Was macht die Linke in den Niederladen, um die PVV zu stoppen? Was macht die Sozialistische Partei SP?
All das darf kein Grund für Mutlosigkeit sein. Der Verlauf der niederländischen Politik im vergangenen Jahrzehnt zeigt, wie schnell Wahlerfolge der Rechten sich in Luft auflösen können, wenn die Linke zu kämpfen anfängt. Die PVV kann sich nur deshalb als »Protestpartei« aufführen, weil es zu wenig echten Protesten gegen die Kürzungspolitik der Regierung gibt, die die PVV aber heimlich begrüßt. Zurzeit spielt die kleine nichtparlametarische Linke eine Hauptrolle in der Unterstützung von Streiks wie jene der Gebäudereiniger für einen höheren Lohn und in der neue Studentenbewegung (Anfang Februar waren Universitätsgebäude in vier Städten besetzt). Aber es ist unsere Aufgabe, die linken Parteien in diese Aktivitäten mit hineinzuziehen. Viele ihrer Mitglieder wollen kämpfen, selbst wenn ihre Führung sie im Moment zurückhält.
Die zweite Aufgabe der Linken besteht darin, gegen den Rassismus vorzugehen, der sich jetzt ausbreitet. Leider muss dieser Kampf nach wie vor nicht nur in der Gesamtgesellschaft, sondern auch in der Linken ausgefochten werden. Es ist unglaublich, dass nach allem, was geschehen ist, weite Teile der liberalen Linken sich weigern, Islamophobie als Rassismus anzuerkennen, wodurch sie ihre Anhänger entwaffnen angesichts des ideologischen Generalangriffs, vor dem wir jetzt stehen. In dieser Hinsicht ist die Haltung der Sozialistischen Partei besonders bedauerlich, da sie in vielen Fragen die am meisten links stehende Parlamentspartei ist. Wenn es aber darum geht, dem Rassismus gegen muslimische Einwanderer etwas entgegenzusetzen, versagt sie kläglich.
Dennoch können wir diese Schlachten gemeinsam gewinnen. Der Erfolg von Wilders hat viele dazu gezwungen, ihre Gedanken zu klären und Wilders Rassismus auch als solchen zu begreifen. Während der Wahlen in Den Haag kam es zu spontanen Demonstrationen von weißen und nichtweißen Frauen, die provokativ mit Kopftuch in die Wahlkabine gegangen sind. Während die Wahlergebnisse bei den linken Parteiführern zu Verwirrung geführt hat, waren für viele ihrer Parteimitglieder die Wahlen ein beängstigender, aber auch klärender Moment. Jetzt ist es an der Zeit, darauf aufzubauen. Ob wir Wilders' Durchbruch bei den nächsten landesweiten Wahlen in gerade einmal drei Monaten noch verhindern können, wissen wir nicht. Aber wir müssen jetzt die Grundlage für eine Bewegung schaffen, die das Blatt wieder wenden kann.
Das Gespräch führte Yaak Pabst. Übersetzung aus dem Englischen von Rosemarie Nünning.
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