Am 21. März demonstrierten 80.000 Menschen in Dublin gegen Wassergebühren. marx21 sprach mit dem Abgeordneten Richard Boyd Barrett über den Boykott von Wasseruhren, die Rolle der EU und den Jubel über Syriza
marx21: Wie hoch sollen die Wassergebühren in Irland nach den neuesten Plänen sein?
Richard Boyd Barrett: Die neuesten Pläne legen die Gebühren für eine Familie auf 260 Euro pro Jahr und für eine Einzelperson auf 160 Euro pro Jahr fest. Aber der Staat will jedem Haushalt einen Scheck über 100 Euro als Ausgleich schenken, wenn der Haushalt sich grundsätzlich bereit erklärt, die Gebühren zu bezahlen.
Das ist eine ganz außergewöhnliche Situation, da die Gebühren ursprünglich viel höher geplant waren. In dem verzweifelten Versuch, die Gebühren endlich einführen zu können, hat der Staat die Gebühren deutlich gesenkt und dann nach riesigen Protesten Ende letzten Jahres den Menschen auch noch dieses Bestechungsgeld angeboten.
Das ist absurd. Aber offensichtlich ist die Regierung der Meinung, dass es ein politischer Sieg für sie wäre, wenn sie die Gebühren in irgendeiner Form durchdrücken könnte und sie dann die Gebühren in den folgenden Jahren erhöhen könnte. Um die vollen Kosten zurückzubekommen, was unter den Regeln des EU-Fiskalpakts erforderlich wäre, müssten die Gebühren in Wirklichkeit 600 Euro oder mehr im Jahr betragen. Und genau dahin würden sie sich sehr schnell bewegen, wenn wir sie nicht zunichte machen.
Falls sie auf dem von dir erwähnten Niveau eingeführt werden, was würde das für den durchschnittlichen irischen Haushalt bedeuten?
Zurzeit leben 28 Prozent aller Kinder in Irland in Armut, 64 Prozent der alleinstehenden Eltern leiden unter Not, etwa 20 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Also wird jede zusätzliche Belastung, egal wie klein, für eine große Anzahl von Familien einfach unbezahlbar sein.
Aber über diejenigen hinaus, die in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten stecken, gibt es einen viel breiteren prinzipiellen Widerstand gegen die Gebühren, weil sie im Wesentlichen ungerecht sind. Ob man Millionär ist oder den Mindestlohn verdient – man muss die gleiche Summe bezahlen.
In einer Situation, wo Menschen aus der Arbeiterklasse und die weniger Wohlhabenden seit sechs Jahren die Belastungen der Sparpolitik tragen mussten, ist die Gebühr für sehr viele Menschen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Was erwarten die Menschen, die an den Protesten teilnehmen, von der Zukunft?
Ich glaube, dass die Wassergebühren für viele Menschen der Scheidepunkt sind, der bestimmt, ob wir uns der ungerechten und gescheiterten Sparpolitik weiterhin unterordnen oder ob wir einen neuen Weg einschlagen, der darauf zielt, die Bevölkerung von der Last der Sparpolitik zu befreien und den Reichtum und die Macht in der irischen Gesellschaft umzuverteilen.
Ich denke, die Menschen wollen, dass die Reichen ihren gerechten Anteil bezahlen, was zurzeit nicht passiert. Auch wenn die Armut und die Not in den letzten sechs Jahren massiv gestiegen sind, ist der Reichtum im Lande, besonders ganz oben unter den Reichsten, bedeutend gestiegen. Also wollen die Menschen eine gerechte Verteilung des Reichtums. Sie wollen das Ende der Armut und der Not.
Gehen wir ein bisschen zurück. Warum hat die Regierung das Versorgungsunternehmen Irish Water gegründet?
Sie sagte, Irish Water müsse gegründet werden, da die irische Wasserinfrastruktur einer Erneuerung bedürfe und diese müsse durch ein einziges zentrales Versorgungsunternehmen erfolgen. Aber wir – und die meisten Menschen im Lande – glaubten, die Gründung von Irish Water sei nur das Vorspiel für die Wasserprivatisierung.
Alle denken, dass wir eine massive Investition in die Wasserinfrastruktur brauchen, weil 40 Prozent des Wassers durch Lecks aus den Leitungen läuft. Aber die Menschen glaubten nicht – meiner Meinung nach zu recht –, dass es bei Irish Water vorwiegend um die Reparatur der Wasserinfrastruktur gehe. Wenn die Regierung es damit ernst gemeint hätte, hätte sie direkt in die Leitungen investiert. Allein die Installation der Wasseruhren kostet etwa eine Milliarde Euro. Dazu kommen noch die Gründungskosten von Irish Water, die großenteils in die Taschen von Beratern und Führungskräften geflossen sind. Dieses ganze Geld hätte man benutzen können, um die Leitungen zu reparieren.
Wie wurde die Wasserversorgung vor der Gründung von Irish Water im Jahre 2013 geregelt?
Die Kommunen lieferten das Wasser, und finanziert wurde es durch Steuern. Aber seit 20 oder 30 Jahren leiden die Kommunen unter chronischer Unterfinanzierung. Als Folge davon konnten sie die Lecks nicht reparieren, weil ihnen das Geld fehlte, obwohl sie sehr wohl wussten, wo sie waren.
Jetzt wird dies als Begründung benutzt, um die Wasserinfrastruktur Irlands in eine Versorgungsfirma zu schieben, die man dann privatisieren kann. Die Regierung meint, auf Grund von Irlands Schulden und des Haushaltsdefizits fehle Geld, um die Wasserinfrastruktur zu reparieren, und wegen der Regeln des EU-Fiskalpakts sei sie nicht in der Lage, welches zu leihen. Also sei der einzige Weg ein neues Versorgungsunternehmen. Aber natürlich bedeutet das, dass die irische Wasserinfrastruktur in Wirklichkeit zum Eigentum der Obligationäre werden wird. Sie werden die Prioritäten dieser neuen Wasserversorgungsfirma diktieren und offensichtlich werden sie enorm Druck machen, die Gebühren zu erhöhen, um Rendite auf ihre Investition zu bekommen.
Du hast schon einige Erfolge der Bewegung gegen die Wassergebühren genannt. Außerdem hat die Regierung wiederholt die Frist für die Anmeldung verschoben. Und wie ich es verstanden habe, hat sie den Plan aufgegeben, dass das Wasser im Zweifelsfall abgedreht wird. Wie ist es Euch gelungen, die Regierung so weit zu zwingen?
Der Rückzug der Regierung im Vergleich zu ihrer Anfangsposition ist erstaunlich. Jetzt hat sie sich auf eine Position zurückgezogen, wo sie im Wesentlichen die Gebühren auf ein vergleichsweise niedriges Niveau reduziert hat und die Frage der Strafen auf die Zeit nach den nächsten Wahlen verschoben hat, die in etwa einem Jahr stattfinden. Das ist das Ergebnis der absolut beispiellosen Proteste.
Der erste Protest hatte etwa 100.000 Teilnehmer auf den Straßen in Dublin. Am zweiten Protest nahmen etwa 200.000 in etwa 70 oder 80 Orten überall im Land teil. Dann erreichte die Bewegung im Dezember mit etwa 70 bis 80 Tausend Menschen vor dem Parlament während der Arbeitszeit eine neue Dimension. Im Vergleich mit der Bevölkerungszahl Irlands von 4,5 Millionen sind diese Proteste absolut riesig.
Wie hat die Regierung sonst auf die Kampagne reagiert?
Einerseits reagiert sie mit den schon erwähnten Rückzügen. Die andere Taktik besteht darin, polizeiliche Repression gegen Protestierende in den Gemeinden anzuwenden, wo sie durch Blockaden die Installation von Wasseruhren durch Irish Water verhindern. Mehrere Menschen sind an mehreren Orten verhaftet worden, besonders in Dublin. Vier Menschen wurden ins Gefängnis gesteckt und nach großen Protesten freigelassen.
Der Staat versucht, die Menschen von der Beteiligung an den großen landesweiten Demonstrationen abzuschrecken. Wir sind aber zuversichtlich, dass die überwältigende Stimmung in der Bevölkerung eigentlich wachsendes Selbstvertrauen ist, da sie sieht, wie die Regierung sich angesichts der Massenproteste zurückzieht.
Was wäre deiner Meinung nach nötig, um die Wassergebühren endgültig zu stoppen?
Ich glaube, wir sind ganz nah dran, einen Sieg zu erringen, wenn es uns gelingt, die Straßenproteste aufrechtzuerhalten. Die Nagelprobe für die Bewegung besteht in der Frage: Wird es uns gelingen, weiterhin die großen Zahlen auf die Straße zu bringen und die Frage bis zu den nächsten Wahlen lebendig zu halten?
Aber die ersten Rechnungen kommen am 1. April – was unter breiten Teilen der Bevölkerung beträchtliche Heiterkeit verursacht. Wir setzen uns für einen Gebührenboykott ein. Dieser würde der Regierung erhebliche Probleme machen, was ihre Glaubwürdigkeit und die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit von Irish Water angeht. Wir sind sehr zuversichtlich, dass der Boykott erfolgreich wird.
Du bist Abgeordneter für das antikapitalistische Bündnis »People before Profit«. Hat die Kampagne dadurch einen Vorteil, dass Du ihre Positionen im Parlament darstellen kannst?
Ja, da gibt es keinen Zweifel. »People before Profit« benutzte die Position im Parlament, um den Anstoß für die »Right to Water«-Kampagne zu geben. Die ersten Treffen der »Right to Water«-Kampagne wurden von meinem Büro im Parlament organisiert, als wir andere linke Kräfte im Parlament und einige der linken Gewerkschaften zu einem Treffen einluden, um über die Gründung einer Einheitsfront gegen die Wassergebühren zu diskutieren. Das wäre sicherlich schwieriger gewesen, wenn wir nicht die Position im Parlament hätten.
In ähnlicher Weise sind sozialistische und andere linke Abgeordnete sehr hilfreich dabei gewesen, das öffentliche Profil der Kampagne gegen die Wassergebühren zu etablieren. Und nicht bloß gegen die Wassergebühren, sondern auch gegen die gesamte Sparpolitik.
In Deutschland wird Irland zurzeit als das glänzende Gegenbeispiel zu Griechenland dargestellt. Die irische Regierung habe angeblich die Krise durch strenge Sparpolitik überwunden, während Syriza vermeintlich unverantwortliche Politik verfolge. Was sind die Konsequenzen der Eurokrise für den durchschnittlichen irischen Haushalt?
Ich glaube, die irische Regierung ist sehr darauf erpicht, sich vor ihren europäischen Partnern als Klassenbester darzustellen. Aber trotz der Propaganda über die wirtschaftliche Erholung und den Erfolg des irischen Sparprogramms ist die Realität für die einfachen Menschen sehr grausam gewesen. Eine Viertelmillion Menschen haben das Land verlassen. Einer der Hauptgründe dafür, dass die Arbeitslosenzahlen gefallen sind, ist also die Tatsache, dass ein großer Teil besonders der jungen Menschen einfach abgehauen ist. Natürlich wird das langfristig wirtschaftliche und soziale Schäden für das Land verursachen.
Darüber hinaus sind Armut und Not, besonders Kinderarmut, sehr deutlich gestiegen. Wir haben auch einen riesigen Anstieg der Selbstmordrate gesehen. Innerhalb der Eurozone liegt sie nur in Griechenland höher. Wir haben eine gewaltige Wohnungskrise. Die Obdachlosigkeit ist auf Rekordniveau, und es warten ungefähr 100.000 Familien 10 bis 15 Jahre, um eine Sozialwohnung zu bekommen. Unser Gesundheitswesen ist in einer absolut schwierigen Lage. Es gibt eine enorme Krise in den Notaufnahmen. Sie können die Situation wegen des Abbaus von Arbeitsplätzen und Betten nicht mehr bewältigen. Menschen warten jahrelang auf elementare Operationen. Das Bildungssystem ist ramponiert worden, die Größe der Klassen ist gestiegen, die Unterstützung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen ist deutlich gekürzt worden.
Wie betrachten die Menschen die Politik der Regierung und die Regierung selbst?
Wenn man nach den Meinungsumfragen geht, sehen wir in der irischen politischen Landschaft einen gewaltigen Umbruch. Während die beiden Mitte-Rechts-Parteien, Fianna Fáil und Fine Gael, im Verlauf des größten Teils der Geschichte des Staates und bis noch vor kurzem zusammen 70 bis 80 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnten, haben sie jetzt zusammen wahrscheinlich weniger als 40 Prozent. Auch die Unterstützung für die Labour-Partei (Sozialdemokraten) ist total zusammengebrochen – von etwa 21 Prozent bei den letzten Wahlen auf etwa 7 Prozent jetzt.
Auf der anderen Seite haben wir massive Anstiege bei kleineren linken Parteien und unabhängigen Abgeordneten, von denen die meisten Linke sind. Es gibt es eine historische Verschiebung der politischen Loyalitäten der Bevölkerung weg von den Mitte-Rechts-Parteien, deren Ursprünge im Irischen Bürgerkrieg (1922-23) liegen, und eine wachsende Polarisierung nach links und zu den Parteien, die gegen das politische Establishment sind.
Wie haben die Menschen in Irland auf die Wahl von Syriza in Griechenland reagiert?
Mit riesiger Begeisterung und Aufregung. Es ist ganz außerordentlich, wenn man die Menschen an Bushaltestellen, in Gemeindezentren und in Läden über eine Wahl in Griechenland im fernen Südosten Europas reden hört. Nie habe ich so etwas je auch nur annähernd erlebt.
Wir haben in den letzten Wochen viele Iren gesehen, die bei den Protesten gegen die Wassergebühren oder gegen andere Aspekte der Sparpolitik griechische Fahnen getragen haben. Es gibt unter den Menschen eine starke Identifizierung mit der Bevölkerung Griechenlands, Spaniens, Portugals und Italiens. Es gibt ein sehr starkes Bewusstsein, das der Kampf nicht auf Irland beschränkt, sondern Teil eines internationalen Kampfs ist.
Wie siehst Du die Entwicklung der Kampagne ab hier und jetzt?
Ich denke, es gibt mehrere unterschiedliche Aspekte. Zuallererst müssen wir die Menschen auf den Straßen halten – und der Gebührenboykott organisieren. Der wird entscheidend sein.
Außerdem haben wir ein Niveau der Selbstorganisierung in den Gemeinden, das ich in all den Jahren meiner politischen Aktivität noch nie erlebt habe. Dabei ist es nicht bloß die politische Linke, die Aktivitäten gegen die Wassergebühren und die Sparpolitik initiiert.
Auch die nächsten Wahlen, die irgendwann im Laufe des kommenden Jahres stattfinden werden, werden sehr wichtig sein. Ein große Herausforderung ist der Versuch, aus einigen der kleinen linken Parteien und der linken Unabhängigen und einigen der Basisorganisationen, die entstanden sind, eine Art neues linkes Bündnis zu machen.
Ich glaube, dass es jetzt dafür einen wirklichen Impuls gibt. Es gibt eine große von einigen linken Gewerkschaften gesponserte Konferenz am Wochenende des 1. Mai, die darauf zielt, so ein Bündnis zu gründen. Wir im Bündnis »People before Profit« fördere die Entstehung eines solchen neuen Bündnisses. Dieses Projekt hat durch die Wahl von Syriza in Griechenland und wegen der Fortschritte von Podemos in Spanien jetzt Rückenwind bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch wurde von Einde O’Callaghan geführt und übersetzt.
Richard Boyd Barrett ist Abgeordneter im irischen Parlament, wo er das antikapitalistische Bündnis »People before Profit« vertritt. Er ist auch Mitinitiator und führendes Mitglied der »Right to Water Campaign«.
Foto: infomatique
Schlagwörter: Austerität, Austeritätspolitik, EU, Euro-Krise, Europa, Irland, Massenbewegung, Podemos, Protest, Sparpolitik, Syriza