Seit dem Aufkommen der Pegida-Demonstrationen wird viel darüber diskutiert, ob sie »rechtspopulistisch«, »rechtsextrem« oder gar »faschistisch« sind. Doch kaum jemand sagt, was mit diesen Begriffen überhaupt gemeint ist. Von Jan Maas
Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger sorgte auf der Innenministerkonferenz in Köln mit seiner Äußerung, bei den Pegida-Initiatoren handele es sich um »Neonazis in Nadelstreifen« für großes Aufsehen. Es sei besorgniserregend, dass es »dem organisierten Rechtsextremismus gelingt, Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft, die Angst vor einer Islamisierung haben, dort abzuholen und an den Rand unserer Gesellschaft zu ziehen«, sagte der SPD-Politiker.
Vor allem bei seinen Amtskollegen aus der Union stieß die Formulierung »Neonazis in Nadelstreifen« auf Kritik. Die Bewegung zu »stigmatisieren«, sei der »völlig falsche Weg«, sagte etwa Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier. Und auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière mahnte, dass die Sorgen jener Teile der Bevölkerung, die sich »wie Fremde im eigenen Land« fühlten, ernst genommen werden müssten. Zugleich warnte er jedoch auch vor der Gefahr durch »populistische Brandstifter«. Deutlich schärfere Worte wählte hingegen Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn von den Grünen. Wer die Pegida-Bewegung gutheiße, mache sich zum »Wegbereiter von Faschisten und Rechtsradikalen«.
Doch trotz der Kontroverse um den Charakter der Pegida-Bewegung macht sich selten jemand die Mühe zu erklären, was mit den verwendeten Begriffen überhaupt gemeint ist. Was unterscheidet »Rechtsextremismus« und »Rechtspopulismus«? Und ist eine solche Unterscheidung überhaupt wichtig? Wann ist eine Bewegung faschistisch und trifft das auf Pegida zu? Hinter den verschiedenen Etiketten verbergen sich unterschiedliche Einschätzungen der Bewegung. Indes ist das Entscheidende nicht, die Bewegung in der einen oder anderen Schublade abzulegen, sondern die gesellschaftliche Dynamik dahinter zu verstehen, um eingreifen zu können.
Sozialdarwinistische Einstellungen
Den Begriff »Rechtsextremismus« definierten führende Sozialwissenschaftler im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2006 wie folgt: »Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in einer Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen.«
An dieser Definition gibt es viel zu kritisieren. Der wichtigste Gesichtspunkt, der dabei außen vor bleibt, ist die Frage, ob Menschen diese Einstellungen passiv teilen oder ob sie auch bereit sind, ihre Ansichten aktiv durchzusetzen, und welche Mittel sie dazu gegebenenfalls zu wählen bereit sind. Mit anderen Worten: Sitzen die Rassistinnen und Rassisten nur am Tresen oder jagen sie auch Menschen? Für Menschen, deren Leib und Leben bedroht sind, ein erheblicher Unterschied.
Ein wenig klarer in dieser Hinsicht ist das Bundesamt für Verfassungsschutz (BFV). Das BFV sprach bis Mitte der siebziger Jahre grundsätzlich nur von Rechtsradikalismus. Seit 1974 unterscheidet es zwischen »radikalen« Ansichten und »extremistischen« Taten: »In früheren Verfassungsschutzberichten werden (verfassungsfeindliche) Bestrebungen als ›radikal‹ bezeichnet. Der Begriff ›extremistisch‹ trägt demgegenüber der Tatsache Rechnung, dass politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine bestimmte, nach allgemeinem Sprachgebrauch ›radikale‹, das heißt bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben. Sie sind ›extremistisch‹ und damit verfassungsfeindlich im Rechtssinne nur dann, wenn sie sich gegen den Grundbestand unserer freiheitlich rechtsstaatlichen Verfassung richten.«
Problematischer Extremismusbegriff
Trotz dieser vermeintlichen Trennschärfe hilft es aber nicht, das Begriffspaar »rechtsextrem« und »rechtsradikal« einfach zu übernehmen. Der Begriff des Extremismus hat seine eigene Bedeutung. Er steht für den Versuch, linke und rechte Bewegungen gleichermaßen zur Gefahr für »die Demokratie« zu erklären. Er beinhaltet den Gedanken, dass die Gesellschaft eine »Mitte« habe, in der die vernünftigen Parteien und Ideen von der CSU bis zu den Grünen ihren Platz haben. Dieser parlamentarischen Demokratie stehen angeblich »Extremistinnen und Extremisten« gegenüber, die einen auf der linken und die anderen auf der rechten Seite.
Die Extremismustheorie unterschlägt mehreres: zum einen, dass die Gesellschaft vor allem in oben und unten gespalten ist, in Menschen, die ihre Arbeitskraft zu Markte tragen müssen, und Menschen, die diese Arbeitskraft ausbeuten. Zum zweiten verschweigt sie, dass es linken Bewegungen um die Ausweitung der Demokratie, beispielsweise in den Betrieben, geht, während rechte für die Abschaffung jeglicher Demokratie kämpfen. Und zum dritten blendet sie aus, dass es die Parteien der angeblichen »Mitte« selbst sind, die per Gesetz demokratische Rechte aushöhlen und Menschen ausgrenzen.
Elitärte Kritik am Populismus
Diese Problematik trifft auf den Begriff des Rechtspopulismus ebenfalls zu. Kritikerinnen und Kritiker werfen vermeintlichen Rechtspopulisten vor, in der Bevölkerung vorhandene rassistische Einstellungen auszunutzen. Allerdings lassen sie dabei außer Acht, dass Kräfte wie Pegida oder die AfD dabei an die menschenverachtende Ausgrenzung von Geflüchteten durch die EU oder auch an Aussagen von Politikerinnen und Politikern der »Mitte« anknüpfen. Schließlich waren es Bundespräsident Joachim Gauck oder Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), die behaupteten, der Islam gehöre nicht zu Deutschland oder zu Sachsen. Der Begriff »Rechtspopulismus« kritisiert die Form, nicht den Inhalt.
Zudem bedeutet die Verwendung des Begriffs »Rechtspopulismus« automatisch, dass man von der Existenz anderer Populismen ausgeht, zum Beispiel der des Linkspopulismus. Dieser Vorwurf ist oft etwa gegen Oskar Lafontaine oder auch gegen Hugo Chávez erhoben worden. Dahinter steht immer der elitäre Vorwurf, die so Kritisierten redeten den Menschen nach dem Mund und versprächen ihnen unrealistische Politik, um gewählt zu werden.
Noch nicht faschistisch
Ein weiteres Problem mit dem Begriff des Rechtspopulismus besteht darin, dass er die Rolle von faschistischen Kräften in den fraglichen Bewegungen unterschlägt. Jedoch ist der Begriff Faschismus selbst auch umstritten. Eine unter Linken weitverbreitete Definition stammt von dem Vorsitzenden der stalinisierten Komintern, Georgi Dimitroff. Dieser beschrieb den Faschismus 1935 als »die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals«.
Zwar ist es richtig, dass die deutsche herrschende Klasse ab Anfang der 1930er Jahre Hitler unterstützte und dem deutschen Faschismus zur Macht verhalf. Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Die deutsche herrschende Klasse unterstützte die Nazis vor allem deshalb, weil diese mit der SA eine mehrere hunderttausend Mann starke Bürgerkriegsarmee kontrollierte, die vor allem gegen die Organisationen der Arbeiterbewegung kämpfte. Deren Macht wollten die Herrschenden brechen, um die Krise zu überwinden. Erst als die Mittel der Weimarer Republik Anfang der 1930er Jahre dafür nicht mehr ausreichten, schwenkten die Herrschenden nach und nach zu Hitler um. Die faschistische Massenbewegung selbst dagegen rekrutierte sich bis dahin vor allem aus den Reihen des vom Abstieg bedrohten Kleinbürgertums und der Deklassierten.
Die gleichen gesellschaftlichen Wurzeln haben auch AfD und Pegida. Zwar sind sie gegenwärtig nicht faschistisch, aber in beiden Organisationen sind Nazis vertreten – obwohl AfD und Pegida sich Mühe geben, Distanz zu zeigen. Die Gefahr liegt darin, dass sich Faschistinnen und Faschisten als grundsätzliche Systemgegner darstellen und in Krisenzeiten eine radikalisierende Dynamik auslösen können.
Es bestehen jedoch entscheidende Unterschiede zwischen der AfD und Pegida: Die eine mobilisiert kleinbürgerliche Stimmungen an der Wahlurne, die andere stellt eine kleinbürgerliche Bewegung auf der Straße dar, aber beide Organisationen sind instabil.
Rassistische Bewegung
Um den Kern dessen zu beschreiben, was Pegida ausmacht, eignet sich vor allem der Begriff des Rassismus. Ein verbreiteter Einwand lautet, dass der Begriff untauglich sei, um die aktuelle Hetze gegen den Islam zu beschreiben. Schließlich handele es sich ja hier um keine »Rasse«, sondern um eine Religion. Dazu ist jedoch zunächst einmal zu sagen, dass es Rassen ohnehin nicht gibt. Jede Form von Rassismus beruht auf willkürlich ausgewählten Merkmalen, das einzig Entscheidende ist, dass sie als unveränderbar gedacht werden. Seit dem Holocaust ist der biologisch begründete Rassismus, der vor allem auf körperlichen Merkmalen beruhte, zu Recht in Verruf geraten. Verschwunden ist er aber keineswegs.
Allerdings beruht der Rassismus heute eher auf kulturellen Merkmalen, die aber als ebenso unveränderlich gedacht werden. Hieß das Vorurteil früher eher: »Die Schwarzen sind halt so«, heißt es heute eher: »Die Muslimas und Muslime sind halt so.« Folgen wir beispielsweise Pegida, dann hat eine Kassiererin bei Lidl mehr mit Angela Merkel gemeinsam als mit ihrer muslimischen Kollegin, die vielleicht ein Kopftuch trägt. In Wirklichkeit haben die beiden Kassiererinnen aber das gemeinsame Interesse, nicht ausgebeutet zu werden. Genau das ist die gesellschaftliche Funktion von Rassismus: Teile der Unterdrückten werden ausgegrenzt und andere Teile mit den Herrschenden in einen Topf geworfen.
Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus bringt Verwerfungen mit sich, die zu Herrschaftskrisen führen können, wie gerade in vielen Ländern des europäischen Südens zu beobachten ist. Gerade in solchen Situationen ist es aus Sicht der Herrschenden wichtig, dass die Arbeiterklasse gespalten bleibt und sich nicht gegen sie vereinigt.
Gespaltene Eliten
Die Tatsache, dass die Herrschenden auch unter sich gespalten sind, erklärt deren unterschiedlichen Umgang mit Pegida. Während ein Teil der CDU offensichtlich bereit ist, ganz gezielt antimuslimische Hetze zu unterstützen, indem er hasserfüllte Vorurteile zu berechtigten Ängsten schönredet, ist ein anderer Teil sich der Tatsache bewusst, dass ein moderner Kapitalismus kontrollierte Einwanderung braucht und dass eine rassistische Bewegung dem entgegen steht. Aus dem gleichen Grund wendet sich ein Flügel der AfD um Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel entschieden von Pegida ab, während AfD-Vorstand Alexander Gauland an Pegida-Demos teilgenommen hat.
Der antimuslimische Rassismus dient als sinnstiftendes Element für die im Zuge der Krise vom Abstieg bedrohte und sich radikalisierende Mittelschicht, die sich früher an der FDP orientiert hat. Pegida lenkt diesen Rassismus in eine Bewegung auf der Straße und macht ihn so zu einer realen Bedrohung für Leib und Leben von Muslimas und Muslimen. Wichtige Elemente einer faschistischen Bewegung sind damit in Keimform zwar vorhanden. Aber andere wichtige Elemente wie die paramilitärische Bewaffnung und die Orientierung, die Organisationen der Arbeiterbewegung zu zerschlagen, fehlen dagegen bisher völlig.
Antimuslimische Hetze
Die gesellschaftliche Dynamik hinter solcherlei politischen Umgruppierungen hat der italienische revolutionäre Marxist Antonio Gramsci beschrieben: »An einem gewissen Punkte ihres geschichtlichen Lebens lösen sich die gesellschaftlichen Klassen von ihren traditionellen Parteien. Die traditionellen Parteien in ihrer gegebenen Organisationsform, mit bestimmten, diese Partei bildenden, sie vertretenden und leitenden Menschen, werden nicht mehr als eigentlicher Ausdruck ihrer Klasse oder Klassenfraktion anerkannt.«
Mit dem Niedergang der FDP erleben wir bereits die Ablösung einer Klassenfraktion von ihrer traditionellen Partei und die Orientierung eines Teils davon an der AfD. Gramsci schreibt weiter: »Wenn solche Krisen auftreten, so wird die unmittelbare Situation delikat und gefährlich, weil das Feld den Lösungen durch Gewalt und der Tätigkeit dunkler Mächte überlassen wird. Ihr Ausdruck sind die charismatischen oder von der Vorsehung ausersehenen Menschen.« Deutschland scheint von einer solchen Krise noch weit entfernt. Doch sollte es Merkel irgendwann einmal nicht mehr gelingen, die Eurokrise in den Süden zu exportieren, könnte sich das schnell ändern.
Pegida und AfD greifen nur die Ausgrenzung von Muslimas und Muslimen auf, die die letzten Regierungen seit mehr als einem Jahrzehnt parallel zum »Krieg gegen den Terror« betrieben haben. Dieses Wechselspiel zwischen dem Rassismus der Herrschenden und neuen Parteien und Bewegungen, die ihn auf die Spitze treiben, wird durch die Diskussion, ob es sich bei Pegida nun um »Rechtspopulismus«, »Rechtsextremismus« oder »Faschismus« handelt, vollkommen verschleiert. Es ist hilfreicher, sich die soziale Basis der Parteien und Bewegungen anzusehen, wenn man ihre Dynamik verstehen will. So rassistisch die antimuslimische Hetze von Teilen der CDU auch ist – die antimuslimische Bewegung auf der Straße in Form von Pegida hat eine neue, gefährlichere Qualität.
Foto: blu-news.org
Schlagwörter: Antimuslimischer Rassismus, Dresden, Extremismus, Faschismus, Inland, Islamophobie, Neonazis, Pegida, Rassismus, Rassisten, Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Rechtspopulisten