Seit Anfang des Jahres regiert Syriza in Griechenland. Doch wie ist die Situation vor Ort? Wir haben uns umgehört.
Kostas Katarachias, Vorsitzender des Betriebsrats des Krankenhauses »Agios Savvas« in Athen, berichtet:
Die Kürzungspolitik hat einen Großteil der Strukturen des öffentlichen Gesundheitssystems in Griechenland zerstört. Wir stehen vor einem heillosen Chaos: Die staatliche Finanzierung ist um 60 Prozent gesunken, das Personal wurde durch Pensionierungen und Einstellungsstopp halbiert. In den vergangenen zwei Jahren wurde die gesamte Grundversorgung gestrichen. Insgesamt sind 10.000 Bettenplätze verloren gegangen, mehrere Kliniken und Labore wurden geschlossen, darunter acht Krankenhäuser in Athen und Thessaloniki. Über eine Million Menschen haben keine Krankenversicherung.
Hinzu kommt die Privatisierung einiger Dienste in den Krankenhäusern. Die privaten Dienstleister haben Gebühren eingeführt, die für viele unbezahlbar sind. Dementsprechend fatal sind die Auswirkungen dieser Maßnahmen.
Auch die neue Regierung konnte das Rad bisher nicht wieder zurückdrehen. Syriza hatte vor den Wahlen neues Personal, die Abschaffung der Gebühren und den freien Zugang der Nichtversicherten zu den Krankenhäusern versprochen – allerdings ohne über eine bessere finanzielle Ausstattung und die Wiedereröffnung der Krankenhäuser zu sprechen. Bisher wurde nur die Ambulanzgebühr von fünf Euro abgeschafft. Auch die Manager, die für die Situation in den Krankenhäusern verantwortlich sind, sind noch immer im Amt. Es fehlen 20.000 Krankenpflegerinnen und -pfleger sowie 8.000 Ärztinnen und Ärzte, um wenigstens einen Mindestbetrieb in den Krankenhäusern zu gewährleisten.
»Wir müssen uns organisieren«
Unter dem Druck der Streiks, die im März in vielen Krankenhäusern stattgefunden haben, hat Tsipras 4.500 Neueinstellungen angekündigt. Das sind jedoch eindeutig zu wenig, zumal es größtenteils auf ein Jahr befristete Stellen sind. Über eine Erhöhung der Finanzierung des gesamten Gesundheitswesens wird immer noch nicht gesprochen.
Der Kampf geht also weiter. Der Widerstand der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die damals gegen die Zerstörung des Gesundheitssystems gekämpft haben, hat dazu beigetragen, dass die verhasste Regierung von Samaras und Venizelos gestürzt wurde. Jetzt dürfen wir nicht schlapp machen und abwarten. Wir müssen vorangehen und die Kämpfe weiter organisieren. In den letzten drei Jahren sind viele Antikapitalisten in Betriebsräte gewählt worden. Wir haben es, ausgehend vom Krankenhaus »Agios Savvas«, geschafft, ein Koordinierungsbündnis von zwanzig Betriebsräten verschiedener Krankenhäuser zu gründen. Die Vernetzung hat dazu geführt, dass wir am 11. März einen großen Streik und eine Demonstration zum Gesundheitsministerium organisieren konnten. Diese Aktion konnte auch die Untätigkeit der Gewerkschaftsführung brechen. Nun planen wir einen starken Auftritt am 1. Mai und einen weiteren großen Streik der Krankenhäuser im selben Monat.
Wir fordern von der Regierung neue Einstellungen, die Erhöhung der Finanzierung des Gesundheitssystems, die Wiedereröffnung der geschlossenen Krankenhäuser und die Wiedereinführung der Grundversorgung. Außerdem muss umgehend das dringend benötigte Personal eingestellt werden. Das bedeutet mindestens eine Verdoppelung des Gelds und somit ein sofortiges Ende der Sparpolitik. Das kann nur durch die Besteuerung der Reichen und einen Schuldenschnitt erreicht werden. Es hat sich in den letzten Monaten gezeigt: Für diese Forderungen müssen wir uns organisieren, kämpfen und streiken.
Irini Fotelli, Mitglied im Vorstand der Gewerkschaft PSYP-ERT, erzählt:
Wir fordern von der neuen Regierung die Wiedereröffnung der öffentlichen Rundfunkanstalt ERT, die am 11. Juni 2013 geschlossen wurde. Wir wollen, dass alle Fernseh- und Radiosender und die Website wieder betrieben werden. Wir wollen, dass alle Angestellten zu ihrer Arbeit zurückkehren können. Und wir wünschen uns, dass die neue ERT unseren Kampf weiterführt, also eine Stimme der Gesellschaft und nicht mehr eine Stimme der Macht.
Die ERT wurde geschlossen, weil die Troika Entlassungen im öffentlichen Dienst gefordert hatte. Zudem machte die Schließung den Platz frei für den größeren Anteil an digitalen Frequenzen, den die privaten Fernsehsender schon lange gefordert hatten.
Wir haben die Entscheidung der Regierung damals ignoriert. Wir haben uns entschieden, zu kämpfen, die Anlagen zu besetzen und weiter zu senden. Und das machen wir bis heute. Die einzige Anlage, die wir nicht behalten konnten, war das Zentralgebäude, das die Polizei geräumt hat. Wir haben nun genau gegenüber ein Büro gemietet.
»Kein Respekt für unseren Kampf«
Syriza hatte im Wahlkampf versprochen, die ERT wiederzueröffnen »aus Respekt für den Kampf seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer«. Aber nun hat die Regierung lediglich den Fernsehsender NERIT in ERT umbenannt. Wir werden aufgefordert, dort zu arbeiten. Aber das gilt nur für diejenigen, die einen unbefristeten Arbeitsvertrag hatten, nicht jedoch für die mit einem befristeten. Zudem würde unsere Gewerkschaft herausgedrängt, da nun das Management die Dienstvorschriften ohne Mitsprache der Arbeitnehmervertreter bestimmen kann. Wir haben 22 Monate lang den Betrieb von ERT unter Arbeiterkontrolle aufrechterhalten. Nun soll der Vorstand alles bestimmen. Ich würde nicht sagen, dass das Respekt für unseren Kampf zeigt.
Daher kämpfen wir weiter, senden weiter unser Radio- und Fernsehprogramm, betreiben unsere Webseite www.ertopen.gr und bringen wie bisher unseren Protest auf die Straße.
In den Demonstrationen lautete unsere Parole: »Endgültige Schuldenstreichung, das ist die Lösung für die Arbeiterinnen und Arbeiter«. Ich glaube tatsächlich, dass es keine andere Lösung gibt, als Schluss zu machen mit den Memoranden und der Unterwerfung unter die Troika. Die Krankenhäuser, die Schulen und öffentlichen Einrichtungen, die geschlossen wurden, müssen wieder öffnen. Die Entlassenen müssen zur Arbeit zurückkehren, der Ausverkauf von staatlichen Unternehmen und staatlicher Infrastruktur wie Flughäfen oder Häfen muss beendet werden. Die Regierung muss die Forderungen der Bevölkerung erfüllen – und nicht die Interessen der Troika.
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Foto: Adolfo Lujan
Schlagwörter: Griechenland, Krankenhäuser, Syriza