Auf der letzten Streikkonferenz des Sozial- und Erziehungsdiensts haben die Delegierten eine Befragung der Mitglieder über den Schlichterspruch beschlossen. marx21 sprach mit den Konferenz-Delegierten Marianne Hübinger und Inga Dey über Streiks in Kitas, die Aufwertung von Frauenberufen und die Solidarität von Studierenden.
marx21: Marianne und Inga, ihr wart am 24. Juni auf der Streikdelegiertenkonferenz der Tarifrunde des Sozial- und Erziehungsdiensts in Frankfurt. Wie war die Stimmung der Delegierten?
Marianne Hübinger: Wir hatten am Vortag schon eine Versammlung der Frankfurter Kolleginnen und von dort haben wir den eindeutigen Auftrag bekommen, den Schlichterspruch auf der Delegiertenkonferenz abzulehnen. Denn dieses Ergebnis hat nichts mit einer Aufwertung unserer Berufe zu tun.
Inga Dey: Sowohl der hessische als auch die anderen Landesverbände waren auf der Konferenz gegen den Schlichterspruch. Die Mindestforderungen von ver.di sind nicht erfüllt. Deshalb ist dieser Kompromiss für uns nicht tragbar.
Marianne Hübinger ist stellvertretende Leiterin einer Einrichtung von »Kita Frankfurt« und dort Sprecherin der Ver.di-Vertrauensleute.
Viele Kolleginnen wurden vom Beginn der Schlichtung kalt erwischt. Wie habt ihr das besprochen?
Marianne: Ich weiß noch, wie ich morgens in der Küche stand, im Radio gehört habe, dass es eine Schlichtung gibt und dachte: „Die haben doch ’nen Schuss“. Niemand wusste, dass die Tarifparteien die Möglichkeit haben, auch einseitig die Schlichtung anzurufen. Wenn die Arbeitgeber jederzeit die Schlichtung anrufen können, ist das praktisch ein Veto-Recht gegen jeden Streik.
Ich hab mich gefragt, warum ich überhaupt noch zur Streikdelegiertenkonferenz gehe. Gleichzeitig war ich auf die Erklärung gespannt. Und so ähnlich ging es vielen der Delegierten.
Ver.di hatte erklärt, der Schlichterspruch sei nach dem Streik 2009 ein weiterer Schritt in die richtige Richtung
Marianne: Unsere Forderung für die Erzieherinnen ist die Aufwertung von der Entgeltgruppe 6 in die 10. Laut Schlichterspruch kämen wir aber nicht mal in die 8. Stattdessen würde eine neue Stufe geschaffen, die zwar eine kleine finanzielle Verbesserung wäre, aber eben keine Aufwertung.
Inga: Wichtig ist auch, dass es ein gutes Angebot für alle Berufe des Sozial- und Erziehungsdiensts gibt. Solidarität ist für uns wichtig. Aber der Schlichterspruch sieht für Sozialarbeiter und -pädagogen in einigen Stufen nicht einen Cent Verbesserung vor!
Für mich wären es 48 Euro mehr im Monat. Darüber brauchen wir uns gar nicht unterhalten.
Wir bleiben solidarisch und entschlossen weil wir wissen, wie wichtig unsere Berufe für die Gesellschaft sind: zum Beispiel Kollegen, die mit Behinderten arbeiten. Bei denen gäbe es nur für die Leitungen eine Aufwertung, aber nicht für alle. Wir sagen hingegen: Keine Spaltung!
Marianne: Je länger wir gestreikt haben, desto mehr Kolleginnen haben verstanden, dass es nicht um ein bisschen mehr Geld geht, sondern um eine gesellschaftspolitische Veränderung: Die Aufwertung von sozialen Berufen, auch weil sie klassische Frauenberufe sind.
Die Arbeitgeber fürchten offensichtlich, dass Kolleginnen aus anderen Berufen auch mehr haben wollen, wenn wir in dieser Tarif-Kampagne Erfolg haben. Auch das ist unser Ziel.
Der Schlichterspruch sieht auch eine Laufzeit bis 2020 vor. Was haltet ihr davon?
Inga: Mehrere Landesverbände haben den Auftrag erteilt, der Bundestarifkommission zu sagen, dass wir diese lange Laufzeit auf keinen Fall akzeptieren. Auch deshalb ist es kein Schritt in die richtige Richtung, weil wir uns die Chance verbauen, weitere Schritte zu gehen. So etwas von uns zu verlangen ist albern.
Ein Hauptargument der Arbeitgeber ist, dass die Kommunen kein Geld haben, um die Forderungen zu erfüllen.
Marianne: Jeder Streik im öffentlichen Dienst hat auch einen politischen Aspekt. Viele Kommunen sind pleite. Deshalb brauchen wir eine Umverteilung vom Bund zu den Kommunen und eine andere Steuerpolitik.
Die Kommunen hatten trotz vier Wochen Streik kein Angebot vorgelegt. Habt ihr sie unterschätzt?
Inga: Nein. Wir wissen, dass wir hohe Forderungen haben, obwohl unser Streik keinen ökonomischen Druck ausübt. Deshalb war von Anfang an klar, dass wir nicht nach zwei Wochen Streik gewonnen haben. Vielmehr ist unser Streik auch der Beginn einer gesellschaftlichen Kampagne, zum Beispiel auch darüber, warum Frauen weniger verdienen als Männer.
Marianne: Mein Fazit ist: Lieber keinen Abschluss als diesen Schlichterspruch!
Was haltet ihr von der Mitgliederbefragung?
Inga: Die ist wichtig. Wie sollen sich die Kolleginnen in 24 Stunden eine Meinung über einen Tarifvertrag bilden? Jetzt haben wir mehrere Wochen Zeit zu diskutieren und können dann abstimmen.
Marianne: Die Mitglieder müssen am Ende mit dem Schlichterspruch leben oder den Streik weiterführen. Deshalb ist es richtig, dass sie darüber abstimmen.
Wie ist der Streik bei euch verlaufen?
Inga: Als der Streik begann, waren von der Kommunalen Kinder- Jugend- und Familienhilfe Frankfurt 90 Kollegen auf der Straße. Das gab es noch nie und war für uns ein enormer Erfolg.
Es war mit vier Wochen natürlich auch unser längster Erzwingungsstreik, wobei die Zahl der Streikenden von Woche zu Woche gestiegen ist. Bei uns war der Streik sehr gut und wir haben Motivation, weiter zu streiken.
Wie sind die Erzieherinnen mit der Kritik der Eltern umgegangen?
Marianne: Streiks in Kitas sind für Eltern immer ein Problem, aber auch für die Erzieherinnen, weil sie schnell ein schlechtes Gewissen bekommen. Deshalb haben wir schon vor über einem Jahr begonnen, den Gesamtelternbeirat Kita Frankfurt zu informieren.
Haben die Eltern das angenommen?
Marianne: Ja. Wir haben den Gesamtelternbeirat in sämtliche Entwicklungsstufen dieser Tarifrunde eingebunden. Dadurch war der Elternbeirat informiert und hat den Eltern angeboten, sich zu vernetzen. Es gab zwei Elternveranstaltungen vor dem Rathaus und eine von ver.di im Gewerkschaftshaus.
Wir können die Betreuungsprobleme der Eltern während eines Streiks nicht lösen. Aber wenn wir sie langfristig auf einen Streik vorbereiten und einbinden, bekommen wir viel mehr Unterstützung als wenn die Eltern nur die üblichen Presse-Informationen bekommen.
Habt ihr auch versucht, Unterstützung von außerhalb zu bekommen?
Marianne: Ja. Wir waren schon vor dem Streik als Ver.di-Vertrauensleute in mehreren sozialpädagogischen Fachschulen und an der Frankfurt University of Applied Sciences (ehemalige FH Frankfurt, die Redaktion) in Vorlesungen für Soziale Arbeit und haben dort die Tarifrunde vorgestellt.
Das wurde euch erlaubt?
Inga: Ja. Wir haben einfach den Lehrern und Professoren angeboten, die Tarifrunde vorzustellen und viele haben angenommen. Unsere Erfahrungen waren sehr gut. Die Studierenden hatten großes Interesse und Lust über die Aufwertung der sozialen Berufe zu diskutieren, sogar die Erstsemester.
Es ist einfach allen wichtig, wie unser Ansehen in der Gesellschaft ist. Mehrere Professoren haben uns sogar gebeten, nochmal vorbei zu kommen.
Als dann später unsere große Streikdemo war, haben uns einige der Studierenden begrüßt, die wir zuvor in der Uni getroffen hatten. Da haben wir gesehen, dass sie tatsächlich solidarisch handeln. Ein starkes Gefühl!
(Die Fragen stellte Volkhard Mosler.)
Marianne Hübinger ist stellvertretende Leiterin einer Einrichtung von „Kita Frankfurt“ und dort Sprecherin der Ver.di-Vertrauensleute. Inga Dey ist Sozialpädagogin bei der „Kommunalen Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Frankfurt am Main.
Ver.di hat den Streik im Sozial- und Erziehungsdienst ausgesetzt. Die Mitgliederbefragung über die Annahme des Schlichterspruchs läuft bis 5. August. Danach wird eine weitere Streikdelegiertenkonferenz das Ergebnis beraten. Ab 13. August sollen die Tarifverhandlungen mit den Kommunen fortgesetzt werden.
Foto: Jonas Priester
Schlagwörter: Erzieher, Erzieherinnen, Frankfurt, Gewerkschaft, Kindergarten, Kita, Schlichtung, Streik, Tarifrunde, Ver.di, Verdi