In Nordrhein-Westfalen will Rot-Grün eine Minderheitsregierung statt einem rot-rot-grünen Bündnis. Nils Böhlke erklärt die Gründe und fragt, wie sich die LINKE verhalten soll
Hannelore Kraft verkündete Ende letzter Woche, dass sie nach langem hin und her mit Sondierungsgesprächen mit allen Parteien eine Minderheitsregierung mit den Grünen bilden möchte. Kurz darauf erklärte Jürgen Rüttgers, dass er nicht mehr als Ministerpräsident antreten wird. Damit hat DIE LINKE eines ihrer Wahlziele erreicht. Rüttgers ist weg! Es ist gut, dass dieses Ziel erreicht worden ist, aber nun muss das zweite im Wahlkampf ausgegebene Ziel erreicht werden. Es muss einen Politikwechsel geben. Allerdings weiß Hannelore Kraft sehr genau, dass unter der gegebenen Haushaltssituation dieser nur schwer umsetzbar ist. Bereits während der Sondierungsgespräche hatte sie angekündigt, dass sie an dem von Rüttgers geplanten Abbau von 12.000 Stellen festhalten wird. Deshalb wird sie die nächsten Monate nutzen, um einige Anträge in den Landtag einzubringen, denen auch DIE LINKE zustimmen kann, die aber kaum etwas kosten. In erster Linie wird es sich dabei um die Verbesserung des Landespersonalvertretungsgesetzes und die Abschaffung der Kopfnoten drehen. Zudem hat sie angekündigt, dass sie schrittweise bis 2012 die Studiengebühren abschaffen möchte. Mit diesen Anträgen will sie ihr soziales Profil schärfen und deutlich machen, dass für linke Politik der Einzug der LINKEN nicht notwendig ist. Im Herbst wird sie dann einen Sparhaushalt vorlegen, dem DIE LINKE nicht zustimmen kann, wenn sie nicht von ihren im Wahlkampf formulierten roten Haltelinien abrücken will. Nach möglicherweise dann gescheiterten Haushaltsauseinandersetzungen wird sie sich für Neuwahlen stark machen, um DIE LINKE wieder aus dem Landtag herauszuhalten.
Somit tritt eine grundsätzlich andere Situation ein als nach der Landtagswahl in Hessen. Damals war unsere klare Position, dass wir Ypsilanti wählen würden und uns an der Seite der sozialen Bewegungen sehen in der eine »Anti-Koch-Stimmung« verbreitet war. Nun ist aber Rüttgers nicht Koch und Kraft nicht Ypsilanti, wodurch eine solche Stimmung die einen Politikwechsel an Personen festmacht, in dem Maße in den sozialen Bewegungen nicht bemerkbar ist. Zudem ist Rüttgers bereits weg und die Gefahr, dass er weiter Ministerpräsident bleibt, ist gebannt. Vielmehr befinden wir uns bereits jetzt in einem Vorwahlkampf indem es gilt deutlich zu machen, dass DIE LINKE kein Anhängsel von Rot-Grün ist, wie dies vereinzelt in bürgerlichen Medien schon suggeriert worden ist.
DIE LINKE ist eine völlig neue politische Kraft, die Veränderung nicht durch taktische Spielchen im Parlament erreichen will, sondern indem sie den Aufbau sozialer Bewegungen stärkt und sich selber auch als Bewegungspartei versteht. Dies muss bereits bei der Wahl der Ministerpräsidentin deutlich werden. Da im vierten Wahlgang für die Wahl von Hannelore Kraft eine einfache Mehrheit reicht, ist sie dabei – wie dies auch bei einer Rot-Grünen Koalition der Fall wäre – weder auf die Stimmen der LINKEN noch irgendeiner anderen Partei angewiesen. DIE LINKE sollte daher klar stellen, dass Hannelore Kraft ihre Stimmen nur für ihre inhaltliche Zugeständnisse, wie dem Ausschluss von Stellenabbau im Öffentlichen Dienst bekommt. Auch bei künftigen Anträgen im Parlament darf es keine taktischen Spielchen geben, in denen DIE LINKE einer sozialen Zumutung zustimmt und dafür auch eigene Anträge durchbekommt. Auch darf sie nicht allen Anträgen, die marginale Zugeständnisse der SPD und der Grünen bedeuten ohne Diskussion zustimmen, sondern sollte immer wieder darauf drängen, dass ihre Stimmen nicht umsonst zu haben sind. Kompromisse müssen auch wirkliche Kompromisse zwischen verschiedenen Parteien sein und nicht bloß das Abnicken Rot-Grüner Anträge. Konkret bedeutet dies, wenn die SPD jetzt einen Antrag einbringt, die Studiengebühren bis 2012 abzuschaffen, stimmen wir nicht zu, weil wir für eine sofortige Abschaffung der Studiengebühren gekämpft haben, wenn die SPD diese erst 2012 abschaffen möchte, kann sie in zwei Jahren wieder an uns herantreten und ist bis dahin weiter dafür verantwortlich, dass es Studiengebühren gibt.
Eine besondere Bedeutung werden dann die Verhandlungen über den Haushalt bekommen. Unter der durch die Sparpakete, Fiskalpolitik und Umverteilung zu Lasten der Länder und Kommunen entstandene Haushaltslage werden Rot-Grün versuchen einen rigorosen Sparhaushalt durchzusetzen. Um den sozialen Protest gegen diese Umverteilungspolitik zu verstärken, muss DIE LINKE in den nächsten Wochen und Monaten Bündnisse aufbauen und Proteste organisieren. Ein weiterer Aufbau solcher Proteste würde durch die Zustimmung zu einem Sparhaushalt vollkommen entwertet. Bisher ist eine solche Zustimmung durch die Fraktion in NRW nicht absehbar, damit dies auch so bleibt, ist der weitere Aufbau sozialer Proteste dennoch unerlässlich.
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