Mitte Oktober beginnen die Erzieherinnen ihre nächste Streikwelle. Warum Unterstützung gerade jetzt wichtig ist, erklärt Daniel Anton vom Freiburger Solidaritätsbündnis im marx21-Gespräch
marx21: Daniel, du hast mit anderen Mitgliedern der LINKEN im Oktober 2014 »Mehr wert! Solidaritätsbündnis Sozial- und Erziehungsdienste Freiburg« gegründet. Wie kam es dazu?
Daniel Anton: Die Idee kam von Genossen, die auch ver.di-Personalräte sind. Uns war klar, dass der Streik der Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen 2015 ein harter Konflikt wird, in dem die Kolleginnen Unterstützung brauchen. Deshalb haben wir frühzeitig ein Solidaritätsbündnis gegründet.
Wie habt ihr angefangen?
Wir haben den zuständigen ver.di-Sekretär in Freiburg angerufen, der sehr offen für unser Solidaritätsbündnis war. Unser Gründungstreffen konnte im Gewerkschaftshaus stattfinden und wir haben dafür an Hochschulen plakatiert.
Kann man Studierende für Solidaritätsarbeit für Erzieherinnen gewinnen?
Auf jeden Fall. Wir haben gezielt an der Pädagogischen Hochschule, der Evangelischen Hochschule und der Katholischen Hochschule in Freiburg plakatiert. Dort studieren Leute, die später im Sozialarbeiterinnen- und Erzieherinnen-Bereich arbeiten.
Zusätzlich haben wir gezielt Linke angesprochen, die sich für das Thema interessieren. Zum Gründungstreffen kamen 20 Leute.
Was habt ihr gemacht?
Unser erstes Ziel war, auf unser Bündnis und das Thema Erzieherinnen-Tarifrunde aufmerksam zu machen und weitere Leute dafür zu gewinnen. Wir haben ein Video über die Ziele des Streiks gemacht und im Internet verbreitet.
Gab’s noch weitere Aktionen?
Wir haben auf dem Campus der Pädagogischen Hochschule eine Kamera aufgebaut. Die Studierenden konnten sich dort mit einem Schild fotografieren lassen, auf das sie selbst geschrieben hatten, warum sie die Forderungen der Tarifrunde unterstützen. Die Leute standen Schlange, um ein Foto zu machen und die gingen natürlich auch über Facebook, Twitter und so weiter.
Daniel Anton mit einer Studentin bei der Uni-Aktion von »Mehr wert! Solidaritätsbündnis Sozial- und Erziehungsdienste Freiburg«
Habt ihr auch eine Art Routine?
Ja. Wir haben Info-Stände in der Fußgängerzone aufgestellt und Unterstützungsunterschriften gesammelt. Unsere Forderung war „10 Prozent“, entsprechend der ungefähren Lohnerhöhung, die die geforderte Aufwertung des Erzieherinnen-Berufs bringen würde.
Besonders interessant war es dabei, mit Eltern über die gesellschaftliche Bedeutung des Erzieherinnenberufs im Vergleich zum Beispiel zur Industrie zu sprechen. Viele Eltern haben verstanden, warum der Streik auch für sie wichtig ist.
Und während des Streiks?
Als die Warnstreiks begannen, haben wir für die erste Streik-Kundgebung am 20. März 2015 mobilisiert. Wir haben eigene Plakate gemacht und in der Fußgängerzone mit Kleister auf Stromkästen und ähnliche Flächen geklebt. Dazu haben wir Flugblätter verteilt und über Facebook mobilisiert.
Hat das funktioniert?
Und wie. Ver.di hatte bei der Kundgebung mit 300 Teilnehmern gerechnet und 700 sind gekommen.
Ihr habt 400 Leute mobilisiert?
Na ja, der zuständige Gewerkschaftssekretär hat sich zwar genau dafür ganz herzlich bei uns bedankt. Aber es kamen durch die Ver.di-Mobilisierung sicher auch mehr Erzieherinnen als erwartet.
Aber natürlich haben auch wir einen wichtigen Beitrag geleistet. Einfach dadurch, weil wir in der Welt außerhalb der Kitas mobilisiert haben. Einen Bereich, den ver.di ziemlich ignoriert hat.
Was gab es noch für Aktionen?
Besonders wichtig war unsere Solidaritätsdemonstration am 9. Mai. Einen Tag nach einer großen Streik-Demonstration der Erzieherinnen haben wir eine Demo mit nochmals 300 Studierenden, Eltern und Erzieherinnen auf die Beine gestellt. Einige Kita-Belegschaften waren komplett anwesend.
Eine kleine Demo nach der großen Demo? Wozu das?
Wir waren der politische Beweis, dass die Erzieherinnen nicht gegen den Rest der Welt streiken, sondern große Unterstützung in der gesamten Bevölkerung und auch unter betroffenen Eltern haben. Den Erzieherinnen, die dabei waren, hat das viel Mut gemacht, ihren Kampf fortzusetzen.
Wie ist die Demonstration verlaufen?
Unter anderem haben wir unsere 1200 gesammelten Unterschriften an Gerda Stuchlik, die Freiburger Bürgermeisterin für Bildung übergeben. Beim Abschluss haben auch Erzieherinnen und Eltern gesprochen. Es war ein großartiges Zeichen der Solidarität.
Wie habt ihr im Juni auf den Schlichterspruch reagiert?
Auch wir waren sehr enttäuscht darüber, dass ver.di dieses schlechte Ergebnis annehmen wollte. Ich hatte schon Bedenken, dass die Mitglieder unseres Bündnisses aufgeben würden.
Aber?
Beim nächsten Treffen waren immer noch etwa 20 Leute da und sie waren kämpferisch. Wir haben beschlossen, während der Mitgliederbefragung über den Schlichterspruch eine „Nein“-Kampagne zu machen und auch ver.di hatte da nichts dagegen.
Wir haben „Nein“-Flugblätter gemacht und im Internet für das Ablehnen des Schlichterspruchs geworben. Auch wir haben einen kleinen Beitrag dazu geleistet, dass 69 Prozent der Kolleginnen dagegen gestimmt haben.
Das Freiburger Solidaritätsbündnis für den Erzieherinnen-Streik mobilisiert für die Ablehnung des Schlichterspruchs. Am Ende stimmten deutschlandweit 69 Prozent der Kolleginnen dagegen
Gibt es Solidaritätsbündnisse auch woanders?
Ja. In etwa einem Dutzend Städte. In München hat die LINKE ein Bündnis gegründet und mich eingeladen, um von den Freiburger Aktionen zu berichten. Jemand aus Bremen hat sich bei mir gemeldet und um Tipps für die Gründung eines Bündnisses gebeten. Wir konnten mit unseren Erfahrungen auch woanders ein bisschen mithelfen.
Hat euer Bündnis auch Probleme?
Ich würde es nicht „Probleme“ nennen …
Sondern?
Unser Bündnis hat mir gezeigt, wie viel ungenutzte Möglichkeiten bei Streiks in der Solidaritätsarbeit liegen. Wenn man bedenkt, dass wir vom Klapptisch bis zum Plakat alles komplett selber organisieren und bezahlen mussten, kann man sich ausmalen, was möglich wäre, wenn ver.di solche Bündnisse mit seinen Mitteln deutschlandweit hochziehen würde.
Hat ver.di euch im Stich gelassen?
Keineswegs. Der ver.di-Sekretär vor Ort hat an all unseren Treffen teilgenommen, von Tarifgesprächen und Streik berichtet und wertvolle Hinweise gegeben. Und seine Dankbarkeit war überdeutlich.
Aber ver.di hat einfach noch keine Idee davon, wie Solidaritätsarbeit funktionieren kann und wofür sie wichtig ist. Gerade bei Streiks, die nicht in der Lage sind, für Konzerne Millionen Euro an Kosten zu verursachen.
Wie hat sich das ausgewirkt?
Zum Beispiel haben wir über Erzieherinnen und SozialarbeiterInnen, zu denen wir Kontakt hatten, insgesamt fünf Kitas und andere Einrichtungen in kirchlicher oder freier Trägerschaft besucht. Die Kolleginnen konnten nicht ohne weiteres mitstreiken, weil für sie formal ein anderer Tarifvertrag gilt als für die Kitas der Städte. Deswegen haben wir in der Mittagspause Fotos mit ihnen gemacht, auf denen sie ihre Unterstützung des Streiks ausdrücken konnten.
Klingt nach einer tollen Aktion …
… und das war es auch. Aber die Kolleginnen haben gefragt: „Was können wir noch tun, um zu helfen?“
Und spätestens hier hätten wir die aktive Unterstützung von ver.di gebraucht. Diese Erzieherinnen von kirchlichen Kitas hätten wir für einen Solidaritätsstreik gewinnen können. Aber so etwas war in der Planung der Gewerkschaft nicht vorgesehen und so konnten wir nur mit den Achseln zucken.
Wenn man das noch weiterdenkt, …
… ist noch eine ganze Menge möglich. Ver.di kann mit guter Arbeit über die bestreikten Bereiche hinaus auch Beschäftigte aus anderen Betrieben des öffentlichen Dienstes für Solidaritätsaktionen und vielleicht sogar für Streiks gewinnen. Mit geplanter Solidaritätsarbeit kann man natürlich auch wesentlich mehr Leute dafür begeistern als unser 20-köpfiges Bündnis.
Besuch des Solidaritätsbündnisses bei der Freiburger Einrichtung »Basler 8 für Mädchen und Frauen«
Mitte Oktober beginnt die nächste Streikrunde. Was macht ihr?
Wir haben entschieden, jetzt einen Schwerpunkt auf die Eltern-Arbeit zu legen. Unser neues Flugblatt richtet sich speziell an Eltern und wir verteilen es vor großen Kitas und auf Spielplätzen.
Warum jetzt Eltern-Arbeit?
Ihre Solidarität kann jetzt ein entscheidender Punkt sein. Viele Eltern haben dieses Jahr keinen Urlaub mehr übrig und die neue Streikwelle kann für sie zu echten Problemen führen. Deswegen wollen wir besondere Anstrengungen machen und um ihre weitere Unterstützung kämpfen.
Kann man jetzt neue Solidaritätsbündnisse gründen oder ist es zu spät?
Wenn nicht jetzt, wann dann? Jetzt sind die Solidaritätsbündnisse wichtiger als je zuvor. Die Auseinandersetzung wird jetzt schärfer. Die Medien werden mit den Erzieherinnen möglicherweise nicht mehr nett umgehen. Gründet Solidaritätsbündnisse, wo auch immer ihr seid!
Welche Voraussetzungen braucht man dafür?
Keine, außer den Streik der Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen zum Erfolg bringen zu wollen. Wir in Freiburg hatten null Ahnung, was zu tun ist und haben einfach angefangen und mobilisiert. Das kann jede und jeder nachmachen, insbesondere jede LINKE- und jede LINKE.SDS-Gruppe.
In Köln hat die SDS-Gruppe letzten Monat ein Solidaritätsbündnis mitgegründet und beim ersten Treffen waren 60 Leute. Was uns hindert, sind nicht die objektiven Umstände, sondern dass wir es noch nicht gewohnt sind, Streiks aktiv zu unterstützen. Das können wir jetzt ändern.
Mehr Informationen zu »Mehr wert! Solidaritätsbündnis Sozial- und Erziehungsdienste Freiburg« findest du hier: https://www.facebook.com/SuEsoliFreiburg?fref=ts.
Daniel Anton studiert Englisch, Geschichte und Theologie auf Lehramt an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Er ist Mitbegründer von „Mehr wert! Solidaritätsbündnis Sozial- und Erziehungsdienste Freiburg“, aktiv in der LINKEN und Unterstützer von marx21.
(Die Fragen stellte Hans Krause.)
Schlagwörter: Erzieher, Erzieherin, Erzieherinnen, Gewerkschaft, Solidarität, Streik