Das geplante Freihandelsabkommen TTIP dient der Gewinnsteigerung von Konzernen beiderseits des Atlantiks auf Kosten der Menschen weltweit. Journalist und Aktivist Jules El-Khatib erläutertim marx21-Interview die Ziele und Auswirkungen des Abkommens und zeigt auf, was Widerstand dagegen erreichen kann
marx21: Das momentan von der EU und den USA verhandelte Freihandelsabkommen TTIP stößt auf viel Ablehnung. Im Mittelpunkt der Kritik steht dabei meist die Aufweichung des Verbraucherschutzes. Sind »Chlor-Hühnchen« und Genfood tatsächlich der Kern des Problems?
Jules El-Khatib: Die Zerstörung der Umwelt, die durch TTIP voranschreiten wird, ist sicherlich eines der Probleme, wobei Chlor-Hühnchen wohl nicht zu den größten Gefahren gehören. Das Abkommen selbst dürfte allerdings massive Auswirkungen auf den Umweltbereich haben.
Wieso?
Unter anderem durch die Einführung von Fracking. Durch den sogenannten Investitionsschutz können Unternehmen Staaten vor Schiedsgerichten verklagen, wenn sie Einschränkungen in ihre Investitionen sehen Genau das könnte zum Beispiel beim Fracking, welches in Europa noch verboten ist, geschehen.
Was genau sind diese Schiedsgerichte?
Ausländische Investoren sollen vor Schiedsstellen gegen Staaten klagen können, wenn ihnen aus Gesetzesänderungen Gewinneinbußen erwachsen könnten. Obwohl allen Unternehmen der ordentliche Rechtsweg offen steht, sollen internationale Investoren zusätzlich Sonderklagerechte erhalten. Die Unabhängigkeit dieser Schiedsgerichte bedeutet vor allem, dass dort von Konzernen bezahlte Juristinnen und Juristen über die Rechtsprechung entscheiden und damit das Kapital direkten Einfluss auf die Entscheidungen nimmt.
Dieser Text ist die gekürzte Fassung eines Interviews aus dem neuen marx21 Magazin »Neue Gesten, alte Strategie? Sieben Thesen zur deutschen Flüchtlingspolitik«. Du willst das ganze Interview lesen? Dann bestelle dir bis zum 12. Oktober ein Probeheft und bekomme die neue Ausgabe kostenfrei nach Hause geschickt. Du musst anschließend nichts abbestellen. Wir werden dich lediglich einmal anrufen, nach deiner Meinung zum Heft fragen, und ob du dir vorstellen kannst, es zu abonnieren.
Was wäre davon betroffen?
Einige bekannt gewordene Klauseln der TTIP-Verträge besagen, dass Sektoren, die einst öffentlich waren und dann privatisiert wurden, nicht wieder verstaatlicht werden dürfen, sobald TTIP in Kraft getreten ist. Das hätte massive Auswirkungen auf alle Kräfte, die dafür kämpfen, die kommunale Energieversorgung wieder in die Kontrolle der Städte und Gemeinden zu überführen. Ein anderes Beispiel sind die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Die USA haben nur zwei der Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation unterzeichnet und weigern sich, gewerkschaftliche Grundrechte wie Kollektivverhandlungen, Koalitionsfreiheit und Vereinigungsrecht vertraglich anzuerkennen. Es könnte daher auch in Europa zu Absenkungen der Standards kommen, weil diese nach TTIP einheitlich sein müssten. Für die organisierte Arbeiterbewegung wäre die Anpassung an die US-Normen ein massiver Rückschritt, weswegen auch der gesamte DGB zur Zentraldemo nach Berlin mobilisiert und sich klar gegen das Abkommen positioniert hat.
Also werden durch TTIP vor allem europäische Schutzstandards aufgehoben?
Das Bild von der »guten« EU und den »bösen« USA ist falsch und dient vor allem dazu, von der aggressiven Handelspolitik der Bundesregierung und der EU abzulenken. Die EU versucht in den TTIP-Verhandlungen beispielsweise, die europäischen Banken und Konzerne vor den strengeren US-Finanzmarktregeln zu bewahren. In den sogenannten EPA-Abkommen mit afrikanischen und karibischen Staaten hat sich die EU bereits als rücksichtsloser Hardliner erwiesen: Soziale Sicherheit und Menschenrechte in den betroffenen Staaten wurden systematisch den Interessen europäischer Großunternehmen geopfert.
TTIP ist nur ein weiteres Freihandelsabkommen unter vielen. Weltweit gibt es mehr als 500. Welche Bedeutung haben diese Abkommen für die kapitalistische Wirtschaft?
Freihandelsabkommen sind ein wichtiges Instrument der führenden kapitalistischen Staaten, um sich auf dem Weltmarkt besser gegen die internationale Konkurrenz durchsetzen zu können. Die Verschärfung der kapitalistischen Konkurrenz ist die wesentliche Triebfeder für diese Abkommen.
Kannst du das genauer erklären?
Europa und die USA sehen sich auf dem Weltmarkt mit neuen potenten Konkurrenten konfrontiert. Hierzu gehören in erster Linie die sogenannten BRICS-Staaten, also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Mit ihrer zunehmenden wirtschaftlichen Potenz erarbeiten sich die BRICS-Staaten auch politische und militärische Macht. Das wollen die USA und Europa verhindern.
Die Initiative zu TTIP ging von der US-Regierung aus. Warum macht Europa mit?
Für Linke sollte klar sein, dass das Freihandelsprojekt voller Widersprüche steckt. Karl Marx nannte die Herrschenden der kapitalistischen Staaten »eine Bande verfeindeter Brüder«. Verfeindet, weil die Herrschenden in ökonomischer und militärischer Konkurrenz um die Aufteilung der Welt stehen. Brüder deshalb, weil sie punktuelle Bündnisse schmieden, um ihre Interessen durchzusetzen, und doch alle zusammenstehen, wenn ihr System von unten bedroht wird. Auch die EU und die USA sind Konkurrenten, die sich zu einem übergeordneten Zweck zusammenfinden: Die Wiederherstellung und den Ausbau ihrer wirtschaftlichen Macht. Diese Strategie hat explizit eine machtpolitische Stoßrichtung, wie Merkel in ihrer Regierungserklärung vom 25. März 2011 offen formulierte: »Nur ein wettbewerbsstarkes Europa hat Gewicht in der Welt.«
Als Vorbild für das jetzige TTIP-Abkommen gilt das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI), das Ende der 1990er Jahre verhandelt wurde. Es wurde damals von globalisierungskritischen Gruppen stark kritisiert und auch wegen ihres Widerstands nie beschlossen. Reichen Demonstrationen aus, um Freihandelsabkommen zu stoppen?
Massenbewegungen sind mit Sicherheit ein wichtiges Mittel, um TTIP zu verhindern. Ohne massiven Druck wird es keine Erfolge geben, da sich die Sozialdemokratie in den meisten Ländern hinter das Abkommen gestellt hat. In Deutschland ist es unsere zentrale Aufgabe, den Druck auf unsere Regierung zu erhöhen und so dafür zu sorgen, dass die SPD es sich nicht mehr erlauben kann, TTIP zu unterstützen. Der entscheidende Moment dürfte die Massendemonstration am 10. Oktober in Berlin werden, bei der mehr als 80.000 Menschen erwartet werden, die gegen TTIP demonstrieren wollen.
Dass überhaupt eine so starke Bewegung möglich ist, liegt einerseits an den Gewerkschaften, die sich durch Druck von der Basis inzwischen klar gegen das Abkommen gestellt haben, wie auch an den lokalen Akteuren, die seit mehr als einem Jahr mobil machen gegen TTIP. Auch DIE LINKE hat durch inhaltliche Arbeit zu den geplanten Freihandelsabkommen wie auch durch eine Beteiligung an den Aktionstagen ein deutliches Zeichen gesetzt. Die Demonstration in Berlin wird vielleicht nicht das Abkommen verhindern, doch sie könnte der Anstoß für weitere Proteste sein und den Druck dadurch so stark erhöhen, dass die deutsche Regierung die Verhandlungen zu TTIP aussetzt und dieses Projekt möglicherweise auch ganz aufgibt.
(Die Fragen stellte Yaak Pabst)
Zum Autor: Jules El-Khatib ist Mitglied im Landesvorstand der LINKEN in NRW, Autor des Onlinemagazins »Die Freiheitsliebe« und Unterstützer von marx21.
Zum Text: Dieser Text ist die gekürzte Fassung eines Interviews aus dem neuen marx21 Magazin »Neue Gesten, alte Strategie? Sieben Thesen zur deutschen Flüchtlingspolitik«. Du willst das ganze Interview lesen? Dann bestelle dir bis zum 12. Oktober ein Probeheft und bekomme die neue Ausgabe kostenfrei nach Hause geschickt. Du musst anschließend nichts abbestellen. Wir werden dich lediglich einmal anrufen, nach deiner Meinung zum Heft fragen, und ob du dir vorstellen kannst, es zu abonnieren.
Schlagwörter: EU, Europa, Freihandel, Freihandelsabkommen, Kapitalismus, marx21, Merkel, Obama, Protest, TTIP, USA