Auch wenn das Ergebnis des Streiks der Erzieherinnen und Sozialarbeiter dem Ziel einer Aufwertung des Berufsfeldes nicht gerecht wird, hat sich der wochenlange Arbeitskampf dennoch gelohnt, meinen Oskar Stolz und Heinz Willemsen
In den Verhandlungen zwischen ver.di und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände über den Tarifvertrag im Sozial- und Erziehungsdienst gibt es eine Einigung. Jetzt werden die ver.di Mitglieder in einer Urabstimmung befragt, ob das Ergebnis angenommen oder der Streik wieder aufgenommen werden soll. Die Gewerkschaft ver.di spricht in ihrer Presseerklärung von einem »Durchbruch« und meint, dass das jetzt ausgehandelte Ergebnis den Wünschen und Erfordernissen eher Rechnung trage, als die mit großer Mehrheit abgelehnte Schlichtungsempfehlung. Von vielen Streikenden, vor allem in den Hochburgen des Arbeitskampfes, wurde das Verhandlungsergebnis jedoch mit Skepsis aufgenommen. Letztlich stimmten die Delegierten der bundesweiten Streikkonferenz in Fulda aber mit einer deutlichen Mehrheit für die Annahme.
Da laut Satzung von ver.di nur 25 Prozent der Stimmen der Mitglieder ausreichen, um die Auseinandersetzung nun zu beenden, scheint eine Wiederaufnahme des Streiks unwahrscheinlich. Damit endet wohl einer der bedeutendsten Arbeitskämpfe des Jahres, ohne sein Ziel einer deutlichen Aufwertung sozialer Berufe erreicht zu haben. Eine Niederlage ist es dennoch nicht, denn neben den konkreten Verbesserungen, die erreicht werden konnten, wurden im Streik viele wichtige Erfahrungen gemacht, die es nun auszuwerten gilt, um gestärkt in die nächste Auseinandersetzung zu gehen.
Solidaritätsstreiks sind möglich
Als Anfang Mai zehntausende Erzieherinnen und Erzieher in den Streik traten, beteiligten sich erstmals auch die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter im größerem Maße. Gemeinsam kämpften die Beschäftigten auf beeindruckende Art und Weise für eine Aufwertung ihres Berufes. Es war die größte Mobilisierung des Jahres. Der Anteil von Frauen im Streik war historisch hoch. In den Hochburgen des Arbeitskampfes gab es tägliche Streikversammlungen. In Städten wie Frankfurt, München oder Köln nahmen mehrere hundert Menschen daran teil. Auf diesen Versammlungen wurden Aktionen geplant, Debatten geführt, Menschen organisiert und politisiert.
Ver.di gewann in den Tagen des Streiks 25.000 neue Mitglieder. In vielen Städten haben die Streikenden Stadtratssitzungen aufgesucht, um den Druck auf die kommunalen Arbeitgeber zu verstärken. Vereinzelt gelang es sogar über den Bereich des öffentlichen Dienstes hinauszugehen. So haben im Saarland und in Rheinland-Pfalz auch die Beschäftigten einzelner kirchlicher Kitas an einigen Tagen am Streik teilgenommen. In Aachen ist es nicht nur gelungen eine erfolgreiche Solidaritätsarbeit unter den Eltern zu organisieren. Der Solidaritätsgruppe der Eltern gelang es sogar, in zwei Kitas der freien Träger die Erzieherinnen und Erzieher für eine Organisierung in ver.di und die Aufnahme von Solidaritätsstreiks zu gewinnen.
Die Basis begehrt auf
Was diesen Streik aber besonders auszeichnete, war ein Schritt in Richtung einer Demokratisierung der Gewerkschaften. Die Streikdelegiertenversammlungen, die von der Gewerkschaftsführung vor allem für die Mobilisierung der Mitgliedschaft vorgesehen waren, haben sich im Laufe der Auseinandersetzung das Recht erstritten selbst über ein Ende des Streiks mitzubestimmen. Nach der überraschenden Einberufung der Schlichtung im Sommer, begehrte die Basis und teilweise auch die Gewerkschaftssekretäre mit viel Wut gegen die Schlichtungsempfehlung auf und lehnte sie mit einer deutlichen Mehrheit von fast 70 Prozent ab.
Das war ein enormes Signal. Der massive Widerstand überraschte nicht nur die Presse, die schon das Ende des Konflikts verkündet hatte, auch Frank Bsirske musste eingestehen, dass er in seiner vierzigjährigen Gewerkschaftslaufbahn noch nie eine so eindeutige Ablehnung eines Schlichtungsergebnisses erlebt habe. Trotzdem hat es nicht gereicht im Nachlauf eine substantielle Verbesserung über die Schlichtung hinaus zu erreichen. Es fehlte letztlich an einer Strategie, wie der Arbeitskampf erfolgreich hätte fortgesetzt werden können. Hieran muss gearbeitet werden, wenn in einigen Jahren ein neuer Anlauf für eine grundsätzliche Aufwertung gemacht werden soll.
Die Entschlossenheit der Erzieherinnen wurde nicht belohnt
Das Ergebnis muss letztlich an den Ansprüchen der ver.di-Führung nach der Ablehnung der Schlichtung gemessen werden. Erklärtes Ziel war es ein besseres Resultat zu erzielen. Konkret ging es insbesondere darum Verbesserungen für junge Erzieherinnen und Sozialarbeiter zu erreichen sowie die hohe Laufzeit des Tarifvertrages von fünf Jahren zu verkürzen. Die Bilanz ist jedoch ernüchternd. Weder ist es gelungen die Laufzeit zu verringern, noch für die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter substantielle Verbesserungen zu erreichen. Lediglich für die jungen Erzieherinnen gibt es einen Aufschlag von etwa drei Prozent, der im Vergleich zur Schlichtungsempfehlung jedoch auf Kosten anderer Berufsgruppen geht.
Die enorme Kampfbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen wurde letztlich nicht belohnt. Eine deutliche Aufwertung des gesamten Berufsfeldes stellt das Ergebnis in jedem Fall nicht dar. Nur bei einem Teil der Kita-Leitungen kann man von Aufwertung sprechen: Hier steigen die Gehälter teilweise um bis zu 13 Prozent. Aber besser als das, was die Arbeitgeberseite in den ersten Verhandlungen geboten hatten, ist das Ergebnis dennoch. Die Erzieherinnen, als stärkste Berufsgruppe im Streik, werden künftig bis zu vier Prozent mehr verdienen.
Es fehte eine Strategie den Druck zu erhöhen
Weil es nicht gelang die Frage zu beantworten, mit welcher Strategie der Druck erhöht werden kann, hat ver.di in der Verhandlung am 30. September kaum mehr Geld von den kommunalen Arbeitgebern herausholen können. Was ver.di erreicht hat, ist die ungleiche Verteilung der Gehaltssteigerungen über die Berufsjahre hinweg zu verändern. Berufseinsteiger bei den Erzieherinnen erhalten nun mehr als in der Schlichtung vorgesehen. Dafür fallen die Steigerungen im Laufe des weiteren Berufslebens wieder etwas geringer aus.
Die Streikdelegiertenkonferenzen waren ein Schritt in die richtige Richtung eines demokratisch und von unten selbst organisierten Streiks, dieser blieb aber begrenzt. Die Konferenzen haben es zwar ermöglicht Druck auf die Führung ver.dis auszuüben und an wichtigen Wegpunkten Entscheidungen signifikant zu beeinflussen, sie waren aber nicht in der Lage eine alternative Strategie zu entwickeln und damit selbst die Führung zu übernehmen. Daher stellt sich vor allem die Frage, wie es in Zukunft gelingen kann handlungsfähige Basisstrukturen und die Fähigkeit zur Initiative von unten aufzubauen.
Eine neue Streikkultur etablieren
Daher sollte die Auseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst auch im Kontext der Diskussion um die Erneuerung und Demokratisierung der Gewerkschaftsbewegung insgesamt betrachtet werden. Innerhalb der Gewerkschaften muss sich für die Fortführung des Modells der Streikdelegiertenkonferenzen eingesetzt und die positiven Erfahrungen in der Solidaritäts- und Elternarbeit verallgemeinert werden. Dringend muss für die Zukunft an einer Strategie gearbeitet werden, Kämpfe in der Öffentlichen Daseinsvorsorge, die oftmals kaum ökonomischen Druck ausüben können, zum Erfolg zu führen.
Gleichzeitig muss die Rolle der LINKEN kritisch aufgearbeitet werden. Sie hat ihren Platz in der gewerkschaftlichen Erneuerungsbewegung noch nicht so recht gefunden. Zwar gibt es immer wieder gute Beispiele, wie Kämpfe aktiv begleitet werden können, ohne ihnen dabei die eigene Fahne aufzudrücken, eine bundesweite Kraftanstrengung und Strategie der LINKEN ist aber bislang kaum auszumachen.
Die ver.di Bundesführung hat in einer kritischen Phase den Streik ins Leere laufen lassen. In den Wochen während und nach der Schlichtung wurde wenig dafür getan, eine erfolgversprechende Perspektive zu entwickeln und die Streikdynamik wieder aufzubauen. Dies führte zu Resignation und zu dem Gefühl mehr sei nicht drin. So lief es schon fast zwangsläufig auf den wenig befriedigenden Abschluss hinaus. Offen bleibt die Frage, ob der Verlauf des Konflikts, das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die kollektive Gegenmacht der Kolleginnen und Kollegen geschwächt hat oder ob aus einer ehrlichen Analyse der Probleme und Fehler gelernt und so mit besseren Voraussetzungen in die nächste Auseinandersetzung gegangen werden kann.
Foto: Jonas Priester
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