Die Linkspartei zählt eine beachtliche Zahl aktiver Gewerkschaftsmitglieder und Betriebsräte in ihren Reihen. Doch welchen Beitrag kann sie zu einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik beitragen? Vier Thesen
Von Jürgen Ehlers und Yaak Pabst
1.
DIE LINKE interveniert bislang zu wenig in gewerkschaftliche Kämpfe. Doch ohne eine organisierte Opposition von unten, die für eine sozialistische statt korporatistische Politik eintritt, wird der Niedergang der Gewerkschaften anhalten. Dieser lähmt zudem auch DIE LINKE, die ohne außerparlamentarische Klassenkämpfe nur leere Wahlversprechungen machen kann.
Die Gewerkschaften in Deutschland befinden sich in der Defensive. Die tiefen Einschnitte in den sozialen Sicherungssystemen, verbunden mit sogenannten Arbeitsmarktreformen, haben dazu geführt, dass Deutschland über den größten Niedriglohnsektor in Europa verfüg. Fast ein Viertel aller Beschäftigten sind inzwischen davon betroffen, die Tendenz ist weiter steigend. Während in den anderen Ländern die Wirtschaft stagniert, weist die deutsche Industrie seit vielen Jahren einen hohen Exportüberschuss aus. Der Niedriglohnsektor, die Befristung von Arbeitsverhältnissen, die Rente mit 67 und vieles mehr sind die Basis eines wirtschaftlichen Erfolgs, von dem nur wenige profitieren. Die Auseinandersetzungen um das Herzstück dieser Grausamkeiten, der Einführung von Hartz IV vor zehn Jahren, war die Geburtsstunde der heutigen LINKEN. Eine entscheidende Rolle spielten dabei Gewerkschaftssekretäre, die zum linken Flügel der SPD gehörten. Sie beteiligten sich am Aufbau einer politischen Alternative, nachdem es dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder gelang, die »Agenda 2010« gegen lautstarken Protest in der SPD und der Gesellschaft durchzusetzen.
Doch die Hoffnung, die in der propagierten These »Je stärker die LINKE, desto sozialer das Land« zum Ausdruck kam, ist enttäuscht worden. Der Sozialabbau ist trotz des Aufstiegs der LINKEN unvermindert weitergegangen. Die Aufbruchstimmung der frühen Jahre ist verflogen, weil sich die Hoffnungen auf schnelle Veränderungen der politischen Verhältnisse nach den ersten Wahlerfolgen nicht erfüllt haben. Stattdessen hat sich Ernüchterung breit gemacht. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und das niedrige Niveau der Klassenkämpfe bestimmen die Situation, in der sich DIE LINKE befindet.
Aber es sind nicht allein die objektiven Verhältnisse, sondern auch die oft ausgebliebenen oder unzulänglichen Bemühungen der Partei, Motor von Veränderungen unter den vorgefundenen schwierigen Bedingungen zu sein. Das gilt besonders für die Gewerkschaftsbewegung. Denn ohne die massenhafte Aktivität von Beschäftigten wird auch DIE LINKE im Parlament kaum etwas verändern können.
Eine andere, klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik ist nötig, wenn sie Wahlkampfparolen wie »Harz IV muss weg!« in die Tat umsetzen will. Genau hier setzen die Überlegungen der beiden Parteivorsitzenden an. In ihrem Strategiepapier schreiben Katja Kipping und Bernd Riexinger, ehemaliger Gewerkschaftssekretär bei ver.di in Stuttgart: »Linke Politik will die gesellschaftlichen Verhältnisse umkrempeln. Und dabei spielt die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit eine entscheidende Rolle. Deshalb sind die Gewerkschaften für uns nicht irgendein Bündnispartner, sondern ein besonders wichtiger Bezugspunkt. Und natürlich wollen Linke einen Beitrag dazu leisten, die Konfliktorientierung und Politisierung der Gewerkschaften voranzutreiben. Ebenso wie die Sozialdemokratie ihre Aufgabe darin sieht, in den Gewerkschaften eine stärker korporatistische Politik zu vertreten.« Doch um eine solche Politik umzusetzen, muss DIE LINKE neue Wege in der Gewerkschaftsarbeit gehen.
2.
In Deutschland gibt es zwar keine politischen Richtungsgewerkschaften. Doch zwischen SPD und DGB-Gewerkschaften ist historisch eine »privilegierte Partnerschaft« gewachsen. Die sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionäre wollen mehrheitlich Ordnungsfaktoren sein und eine Vermittlerrolle zwischen Kapital und Arbeit einnehmen. Diese sozialpartnerschaftliche Ausrichtung steht einer auf Streiks und Konflikte setzenden Gewerkschaftsstrategie im Weg. DIE LINKE sollte das nicht kampflos hinnehmen.
Die DGB-Gewerkschaften verstehen sich als Einheitsgewerkschaften. Sie sind nicht an eine bestimmte Partei gebunden und werden auch nicht von politischen Parteien finanziert. Doch sie sind kein parteipolitisch freier Raum. Historisch bestehen besonders enge Beziehungen zur Sozialdemokratie. So ist der von 2002 bis 2014 amtierende DGB-Vorsitzende Michael Sommer seit 1981 Mitglied der SPD und war zeitweilig kooptiertes Mitglied des Parteirats. Auch fast alle Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften gehören der Sozialdemokratie an. Eine Ausnahme ist der Vorsitzende von ver.di, Frank Bsirske, der Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen ist.
Seit Jahrzehnten ist die SPD der konkurrenzlose politische Bezugspunkt der Gewerkschaften im Parlament gewesen. Jede Regierung, an der die Sozialdemokratie beteiligt war, konnte im Gegenzug immer auf eine weitgehende Loyalität der Gewerkschaftsführungen bauen. Auch beim Kampf gegen die Hartz-IV-Gesetzgebung im Jahr 2004 hat das eine entscheidende Rolle gespielt, es blieb im Wesentlichen beim verbalen Protest der DGB-Gewerkschaften. Als sich die Chance zu einer Zuspitzung und damit verbunden eine Kraftprobe mit der SPD-Regierung bot, zogen sie sich zurück, weil ihre Führungen einen Kontrollverlust fürchteten. Mit Gründung der Linkspartei hat sich an der privilegierten Partnerschaft zwischen Gewerkschaften und SPD nicht viel geändert. Zwar hat die Sozialdemokratie einen Teil ihrer Kontrolle über die unteren und mittleren Funktionärsschichten verloren. Das ist schon ein wichtiger Erfolg der LINKEN. Doch wenn Teile des Gewerkschaftsapparats bei Arbeitskämpfen keine Berührungsängste mit der LINKEN haben und Angebote zur Unterstützung aus deren Reihen gerne annehmen, ist das noch kein Signal für die Bereitschaft, weitergehende Veränderungen zu initiieren. Denn diese Funktionäre stehen selbst häufig unter starkem politischen Druck und sind oft »Gefangene« der Apparate, deren »Politik« sie vertreten müssen, selbst wenn sie diese kritisieren.
In ihrem Strategiepapier beschreiben Riexinger und Kipping die Aufgaben der LINKEN in den Gewerkschaften wie folgt: »Auch in den Gewerkschaften wird um unterschiedliche Strategien gerungen. Wir sind darin nicht selbstverständlich auf der Seite der Vorstände und offiziellen Verlautbarungen: Wir stehen innerhalb der Gewerkschaften auf Seiten derer, die die Spaltungen von Prekären und Kernbelegschaften bekämpfen, die keinen Frieden mit dem Niedriglohn machen, die an den Perspektiven internationaler Solidarität festhalten und sich dem Standortwettbewerb entgegenstellen und die an Alternativen zur Rüstungsindustrie arbeiten wollen.«
Dem ist zuzustimmen. Denn das vergangene Jahrzehnt war vor allem von der weitgehend kampflosen Kapitulation der Gewerkschaften vor einem sozialdemokratischen »Thatcherismus« geprägt. Eine Umorientierung der Gewerkschaften wird ohne eine Änderung ihrer inneren Struktur kaum gelingen.
Ihre politische Wiederbelebung erfordert die Politisierung der Mitglieder, die Öffnung für neue soziale Gruppen, eine neue Bündnisfähigkeit und die bewusste Weiterentwicklung der innergewerkschaftlichen Demokratie. DIE LINKE sollte sich hier einmischen und für diejenigen ein Kraftzentrum darstellen, die für diese demokratische Erneuerung kämpfen.
3.
DIE LINKE muss ihre Gewerkschaftsstrategie verändern. Wenn sie die Sozialdemokratie herausfordern will, muss sie mehr sein als nur ein Sprachrohr der Gewerkschaften im parlamentarisch-politischen Raum. Notwendig ist ein Bruch mit der Vorstellung, dass Gewerkschaftspolitik und allgemeine Politik zwei voneinander getrennte Sphären sind.
DIE LINKE hat sich durch ihre Solidaritätsarbeit vor Ort vielfach einen guten Namen gemacht. Abgeordnete sind zu den Streiks gegangen und haben sich solidarisiert. Die Partei hat im Bundestag und in den Landtagen aktuelle Stunden zur Unterstützung der Streikenden genutzt oder durch ihre Pressearbeit geholfen. Funktionäre und einfache Mitglieder haben praktische Solidarität geleistet. Manchmal führte dies auch zum Eintritt von Streikaktivistinnen und -aktivisten in der LINKEN.
Allerdings interveniert die LINKE bislang viel zu wenig in diese Kämpfe. Sie diskutiert zu wenig über die Erfahrungen aus diesen Kämpfen und versucht zu selten, diese zu verallgemeinern. Woran liegt das? Ein gewichtiger Grund ist, dass manche prominente Gewerkschafter in der LINKEN die Partei leider nur als »Sprachrohr« der Gewerkschaften im parlamentarisch-politischen Raum verstehen. Genau diese Arbeitsteilung führt dazu, dass sich die Mitglieder der LINKEN nicht in den Gewerkschaften für eine Politik einsetzen, die darauf ausgerichtet ist, den Krisenkorporatismus durch eine konfliktorientierte Interessenvertretung abzulösen. So bleiben auch in der LINKEN viele Gewerkschafter in einer programmistischen Strategie verfangen. Damit ist gemeint, dass sie ihre Aufgabe vor allem darin sehen, gewerkschaftliche Forderungen in der LINKEN und durch die LINKE zu verteidigen und zu vertreten. Das ist nicht falsch, eine solche Strategie bleibt jedoch auf den parlamentarisch-politischen Raum beschränkt und schneidet sich von breiteren gesellschaftlichen Kämpfen und Kampagnen ab.
So hat beispielsweise der Kampf von ver.di für eine Aufwertung der Sozial- und Erziehungsdienste eine unmittelbare politische Dimension. Es geht um den Stellenwert der Sozial- und Erziehungsarbeit in der Bildungspolitik, es geht aber auch um die schlechte Haushaltslage vieler Kommunen. Diese ist sicherlich nicht das Ergebnis überzogener Gehälter im öffentlichen Dienst, sondern die Folge einer Steuerpolitik, die gezielt die Unternehmen entlastet hat, um sie international wettbewerbsfähiger zu machen. Die 2009 beschlossene Schuldenbremse engt die finanziellen Spielräume noch weiter ein.
DIE LINKE sollte versuchen, politische Mobilisierung und die Dynamik von Tarifbewegungen miteinander zu kombinieren. Die parlamentarisch-politische Position, die sie erobert hat, sollte sie nutzen, um die außerparlamentarischen Kämpfe zu unterstützen, ohne diese zu dominieren oder zu bevormunden. Eine Taktik unserer Partei, die dieses Ziel nicht verfolgt, ist reine Zeitverschwendung. Denn sie wird uns selbst dem kleinen Ziel, die Verarmungs- und Verelendungsprozesse aufzuhalten, nicht näher bringen. Die Menschen, die heute ihre Hoffnungen auf uns setzen, würden sich wieder enttäuscht abwenden.
4.
DIE LINKE kann zur Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung einen wichtigen Beitrag leisten. Sie sollte zu einem Vernetzungs- und Lernraum für kämpferische Betriebsaktivistinnen und Betriebsaktivisten werden.
Bernd Riexinger schreibt, DIE LINKE sollte »Motor von sozialen Bewegungen« werden. Wenn die Partei diesen Anspruch einlösen will, dann muss sie sich nicht nur in Diskussionen einmischen, sondern vor allem auch Kämpfe unterstützen. Nur das schafft die Voraussetzung, Diskussionen über die Perspektive einer Gewerkschaftspolitik, die ohne Stellvertretertum auskommt, in einem größeren Kreis zu führen.
Um dieses Ziel zu erreichen, sind mehrere Schritte notwendig. Einige sind bereits erfolgreich ausprobiert worden, jedoch ohne dass die positiven Erfahrungen in der Partei eine breite Wirkung entfaltet hätten. Die beiden Konferenzen unter dem Titel »Erneuerung durch Streik« haben einen wichtigen Beitrag geleistet, um Erfahrungen auszutauschen und Anregungen zu vermitteln. Die eigentliche Arbeit allerdings muss an der Parteibasis geleistet werden, wenn es gelingen soll, praktische Solidarität mit kämpfenden Belegschaften zu leisten. Nur darüber kann die Partei zu einem Anziehungspunkt für kämpferische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter werden, die sich vernetzen, weil sie weitergehende Perspektiven diskutieren wollen und dabei die LINKE als wichtigen Partner kennengelernt haben. Im Thesenpapier der beiden Parteivorsitzenden wird dieser Ansatz für eine grundlegende Veränderung der Parteiarbeit so beschrieben: »DIE LINKE will die politischen Verhältnisse nach links verschieben und die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft verändern, zu Gunsten von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Bürgerinitiativen, Selbsthilfeorganisationen, usw. Sie geht dabei grundsätzlich von einem emanzipatorischen Verständnis aus, das auf die Selbstorganisation, Bewegung und Tätigkeit der Menschen selbst setzt. Die Partei DIE LINKE sieht sich so nicht als Stellvertreterpartei, sondern als Organisation, die den Menschen in ihren Kämpfen und Auseinandersetzungen für soziale, demokratische, ökologische Rechte und Forderungen nützlich ist.«
DIE LINKE hat in ihren Reihen viele aktive Gewerkschaftsmitglieder, Betriebsräte, Vertrauensleute und hauptamtliche Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die oft über jahrzehntelange politische Erfahrung verfügen. Aber nicht alle teilen die Vorstellung von einer anderen Gewerkschaftspolitik. Zugleich gibt es Gewerkschaftsaktive außerhalb der LINKEN, die die Gewerkschaftsarbeit der Partei genau beobachten und bisher zu der Einschätzung gekommen sind, dass sie ihnen gegenwärtig keine Hilfe sein kann. Wenn es gelingt, diese durch Solidaritätsarbeit und Diskussionsangebote davon zu überzeugen, mitzumachen, kann eine Dynamik entstehen, die den einen oder anderen Skeptiker in den eigenen Reihen zum Nachdenken bewegt.
Foto: DIE LINKE
Schlagwörter: DIE LINKE, Gewerkschaft, Gewerkschaften, Linke Opposition, Solidarität, Streik