Im März 2016 sind Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt. DIE LINKE will mit Wulf Gallert den zweiten linken Ministerpräsidenten nach Bodo Ramelow in Thüringen stellen. Doch diese Orientierung ist problematisch, findet Vincent Streichhahn
In Sachsen-Anhalt beginnt der Wahlkampf. Parteichefin Birke Bull und Spitzenkandidat Wulf Gallert werben dafür, dass DIE LINKE ab März mitregiert. Ihr wesentliches Argument ist, dass die Partei so am besten einen Beitrag zur Verbesserung der Lebenslage der lohnabhängig Beschäftigten, der Rentnerinnen und Rentner und der Jugendlichen leisten kann. Doch es gibt gute Gründe, am Gelingen dieses Vorhabens zu zweifeln.
Nach mehr als neun Jahren Große Koalition steht das Land wirtschaftlich schlecht da. Sachsen-Anhalt liegt mit einem Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent bundesweit an letzter Stelle. Das durchschnittliche Arbeitseinkommen ist das zweitniedrigste in Deutschland. Außerdem wuchs im vergangenen Jahr in allen Bundesländern die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse, nur in Sachsen-Anhalt sank sie um 6400.
Auch im Bildungswesen sieht es schlimm aus: Jede zehnte Stunde Fachunterricht fällt inzwischen aus. Mittlerweile bekommen Schülerinnen und Schüler in manchen Fächern keine Noten mehr, weil nicht genügend Unterricht stattgefunden hat.
Nach einer Prognose des Kultusministeriums werden im Jahr 2017 mindestens 948 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen aus Altersgründen aus dem Dienst ausscheiden. Doch bisher plant die Landesregierung, höchstens 350 neue Lehrerinnen und Lehrer einzustellen.
Linke Pläne für Sachsen-Anhalt
Die sachsen-anhaltinische LINKE will diese Zustände verbessern. In dem gerade beschlossenen Landtagswahlprogramm ist die Messlatte klar formuliert: Die Partei will mindestens 14.300 Vollzeitstellen schaffen, es sollen mehr Lehrkräfte eingestellt werden als in Rente gehen.
Im Hochschulbereich will die Linkspartei die Kürzungen der Landesregierung in zweistelliger Millionenhöhe zurücknehmen und den Hochschulen ein »auskömmliches und verlässliches Grundbudget zu Verfügung stellen«. Der Niedriglohnpolitik will DIE LINKE dadurch begegnen, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die mindestens zehn Euro pro Stunde zahlen.
Das Landtagswahlprogramm weist also in eine sozialere Richtung, aber die politischen Spielräume in Sachsen-Anhalt sind äußerst klein.
Spielräume bleiben klein
Seit 2011 haben alle Regierungen in Deutschland mit der Schuldenbremse zu kämpfen. Sie verbietet Bund, Ländern und Kommunen neue Schulden aufzunehmen. Dies kombiniert mit den Steuersenkungen für Unternehmer und Reiche, die insbesondere die Regierung Schröder (1998-2005) durchgeführt hat, führt zu einer desaströsen finanziellen Lage vieler Länder und Kommunen. Keine Landesregierung kann sich von diesen »Sachzwängen« befreien. Das bekommt auch Ministerpräsident Bodo Ramelow in Thüringen zu spüren.
Auch Sachsen-Anhalt ist massiv von der knappen Kassenlage betroffen. Jährlich muss das Land auf 200 Millionen Euro verzichten, weil Bundes- und EU-Zuschüsse sinken. Zwar gäbe es durchaus die Möglichkeit zu kleineren sozialen Verbesserungen: Beispielsweise wurden durch die Übernahme der BAföG-Kosten von Seiten des Bundes für das Land etwa 30 Millionen Euro frei, welche die gegenwärtige Landesregierung nicht in den Hochschulbereich fließen lässt. Dennoch würden die Spielräume auch unter einer rot-roten Koalition sehr eng bleiben, weil wesentliche Stellschrauben im Bereich der Steuerpolitik vom Bund gedreht werden müssen.
Die Große Koalition auf Bundesebene wird absehbar keine Schritte in Richtung Umverteilung unternehmen. Entlastungen für Sachsen-Anhalt sind daher nicht in Sicht. Eine rot-rote Regierung hätte also nicht mehr Geld zur Verfügung als die gegenwärtige Koalition. Sie könnte höchstens an der einen oder anderen Stelle Budgets umschichten – doch die Fortführung des Sparkurses wäre unvermeidbar, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht grundlegend ändern.
SPD trägt Kürzungen mit
Die SPD, potenzielle Koalitionspartnerin der LINKEN in Sachsen-Anhalt, stellt diese Bedingungen nicht in Frage. Sie hat noch jede Kürzung mitgetragen. Ihrem Jugendverband, den Jusos in Halle, untersagte die Mutterpartei sogar, Fahnen zu einer Demo gegen die Kürzungen mitzubringen.
Der über die Landesliste Sachsen-Anhalt gewählte Burkhard Lischka war als innenpolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion maßgeblich an der Asylgesetzverschärfung von Anfang Juli beteiligt. Die SPD-Parteivorsitzende von Sachsen-Anhalt, Katrin Budde, hat sich beim SPD-Konvent im Juni für die Vorratsdatenspeicherung stark gemacht und sie gegen den Widerstand weiter Teile der Parteibasis durchgesetzt.
Diese SPD stellt der LINKEN nun Bedingungen für eine Koalition: Sie müsse stärkste Kraft werden und dementsprechend den Ministerpräsidenten stellen. Mit einer konkreten Koalitionsaussage geht die Sozialdemokratie aber nicht in den Wahlkampf – nicht zuletzt, weil DIE LINKE bei einer Umfrage im März auf 26 Prozent kam und damit fünf Prozentpunkte vor der Sozialdemokratie lag.
LINKEN-Spitze schont die SPD
Die Spitze der LINKEN schont die SPD, um ihre mögliche Koalitionspartnerin nicht zu verschrecken. Die Koalitionsabsage der Sozialdemokraten vor den Bundestagswahlen 2013 dürfe man ihnen, so warnt Bull, nicht aus »Eitelkeit und Trotz« nachtragen.
Auch beim Landesparteitag der LINKEN im Oktober wurde die Zurückhaltung der Partei deutlich: Durch die gesamte Debatte zog sich das Argument der Finanzierbarkeit und zwängte alle politischen Forderungen in das Korsett der Schuldenbremse. Dementsprechend bekennt sich die Partei in ihrem Landtagswahlprogramm zum Schuldenabbau, auch wenn dieser »so gestaltet werden« solle, »dass Spielräume für Neueinstellungen in den Schulen, bei der Polizei und im Landesdienst sowie wichtige Investitionen möglich bleiben«. Die Forderung nach einem kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wurde zur Forderung nach einem kostengünstigen ÖPNV zurückgeschraubt.
An vielen Stellen macht das Programm den Eindruck, auf radikale Forderungen zu verzichten, um »regierungsfähig« zu sein. Zu befürchten ist, dass weitere Projekte aus dem Programm während der Koalitionsverhandlungen unter den Tisch fallen. Wie weit solche »Kompromisse« am Verhandlungstisch gehen können, zeigen die Erfahrungen von anderen linken Regierungsbeteiligungen.
Gescheiterte Regierungsbeteiligungen
Bull hofft, die SPD nach links drängen zu können. Doch dieses Vorhaben ist in der Vergangenheit schon häufiger gescheitert, beispielsweise in Brandenburg, wo DIE LINKE seit dem Jahr 2009 zusammen mit der SPD regiert. Hier konnte die Partei zwar einige positive Reformen durchsetzen, wie die Einführung des Wahlrechts ab 16 Jahren, die Einstellung von mehr Lehrkräften, eine Verbesserung der Kitabetreuung oder die Einführung eines Mindestlohns bei öffentlichen Aufträgen.
Doch im Gegenzug zu diesen Verbesserungen musste DIE LINKE viele bittere Pillen schlucken: Sie hat die öffentlichen Investitionen gesenkt und Millionen Euro an die Banken zurückgezahlt. Trotz Steuermehreinnahmen und einer besseren Finanzierung können einige Kommunen keinen Haushalt aufstellen. An den Hochschulen hat DIE LINKE die Beibehaltung von Rückmeldegebühren mitgetragen und die Zusammenlegung zweier Hochschulen trotz des massiven Protests der Studierenden beschlossen. Zudem hat die rot-rote Regierung den Stellenabbau im öffentlichen Dienst fortgeführt und das Pensionsalter von Beamten angehoben.
Wirtschaftsminister Ralf Christoffers von der LINKEN hat sich für die umweltschädliche Vergrabung von Kohlendioxid im Boden starkgemacht – gegen den Protest vieler Gemeinden und Parteigliederungen. Zudem stimmte DIE LINKE der Ausweitung des von Vattenfall betriebenen Braunkohle-Tagebaus in Welzow zu. Das widersprach nicht nur ihrem Parteiprogramm für eine soziale Energiewende, sondern auch den Forderungen aus dem Landtagswahlkampf von 2009 (»Konsequent gegen neue Tagebaue«).
Nicht von ungefähr hat die Partei in den Braunkohlegebieten im Süden Brandenburgs mit elf bis dreizehn Prozentpunkten überdurchschnittlich viele Stimmen verloren.
Der AfD entgegentreten
Aber auch landesweit hat sie ihr Ziel verfehlt, zum ersten Mal in ihrer Geschichte trotz einer Regierungsbeteiligung stabil zu bleiben. Stattdessen sank ihr Stimmenanteil bei der Landtagswahl im Jahr 2014 von 27,2 auf 18,6 Prozent. Rund 115.000 ehemalige LINKE-Wähler blieben zu Hause, 20.000 wählten diesmal die AfD.
Auch in Sachsen-Anhalt besteht die Gefahr, dass die AfD auf der Welle der rassistischen Hetze gegen Flüchtlinge in den Landtag gewählt wird. DIE LINKE kann mit antirassistischen und sozialen Argumenten sowie durch praktische Solidarität mit den Flüchtlingen einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das zu verhindern. Die Erfahrung der Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen sollte uns eine Lehre sein. Dort hat ein auf Regierungsbeteiligung ausgerichteter, moderater Wahlkampf der AfD das Feld der Opposition gegen die »etablierten« Parteien überlassen. Antirassistische und antikapitalistische Plakate der LINKEN gab es dort nicht. Im Ergebnis verlor die Partei auch in Thüringen 16.000 Wählerinnen und Wähler an die AfD.
Soziale Kämpfe organisieren
Es komme darauf an Verantwortung zu übernehmen, lautet eine oft bemühte Rechtfertigung für Regierungsbeteiligungen. Doch Verantwortung ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit Ministerposten, sondern könnte auch heißen, soziale Kämpfe für bessere Lebensverhältnisse zu organisieren.
Hierfür gab es in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren genügend Gelegenheiten. Die Beschäftigten des Sparkassen-Callcenters »S-Direkt« in Halle streikten 2012 erfolgreich für einen Tarifvertrag, ganze 117 Streiktage lang. Das war nur durch die Unterstützung von ver.di, einer ständigen Kommunikation untereinander, starke Betriebsgruppen und einen starken Betriebsrat möglich. DIE LINKE begleitete die Proteste durch ihre Teilnahme und dadurch, dass linke Kommunalpolitiker Druck auf die Aufsichtsräte der Sparkasse ausübten. Seit 2013 gingen Studierende und Kulturschaffende mehrmals gemeinsam gegen Kürzungen auf die Straße. Ihre Demonstrationen erreichten Teilnehmerzahlen von bis zu 10.000. Mit ihrem Abwehrkampf konnten sie zumindest einen Teilerfolg erringen. Doch die Beteiligten hätten sich hier mehr Unterstützung von der LINKEN gewünscht.
Denn diese begleitete die Proteste lediglich rhetorisch im Parlament. Gerne ließen sich ihre Spitzenpolitiker zudem bei den großen Demonstrationen in der ersten Reihe ablichten.
Haltelinien formulieren
Wenn DIE LINKE in eine Regierung eintritt, wird sie sich entscheiden müssen, ob sie Rücksicht auf ihre Koalitionspartnerin nimmt oder Protestbewegungen gegen Sozialkürzungen unterstützt. Ich meine: Anstatt an der Seite der SPD den Elendsverwalter zu geben, kommt es darauf an, außerparlamentarischen Widerstand aufzubauen und Druck auf die Regierung auszuüben. DIE LINKE in Sachsen-Anhalt muss viel stärker in solche Kämpfe eingreifen und zum Motor der außerparlamentarischen Bewegung werden.
Es bleibt daher zu hoffen, dass die Partei ein starkes Wahlergebnis einfährt und dann selbstbewusst gegenüber der SPD auftritt, ihrem Wahlprogramm treu bleibt und klare rote Haltelinien formuliert: keine Privatisierungen, kein Sozialabbau, keine Verschlechterung der Aufgabenerfüllung des öffentlichen Diensts und keine Abschiebungen. Ansonsten verliert sie ihren Daseinszweck.
Foto: Petra_Sitte_MdB
Schlagwörter: AfD, Alternative für Deutschland, Bodo Ramelow, Brandenburg, DIE LINKE, Haltelinien, Linksfraktion, Linkspartei, Magdeburg, R2G, Ramelow, Regierungsbeteiligung, Rot-Rot, Rot-Rot-Grün, Sachsen-Anhalt, Thüringen