Wolfgang Schorlaus Kriminalromane über den Privatdetektiv Georg Dengler gehören zu den erfolgreichsten in Deutschland. Die Bücher behandeln brandaktuelle Themen: Im Neuesten soll der Ermittler das Rätsel um den NSU lösen. Von Lisa Hofmann
Beate Zschäpe kündigt an, im NSU-Prozess umfassend auszusagen. In der gleichen Woche erscheint der neue Roman »Die schützende Hand« des Stuttgarter Autors Wolfgang Schorlau. Der Krimi dreht sich um den Nationalsozialistischen Untergrund und die Verstrickungen staatlicher Stellen und Geheimdienste in die Machenschaften der Zwickauer Terrorzelle sowie die rechte Szene in Deutschland.
Der ehemalige BKA-Zielfahnder Georg Dengler, dessen Broterwerb als Privatdetektiv mehr schlecht als recht läuft, erhält von einem anonymen Anrufer einen neuen Auftrag: Er soll herausfinden, wer die zwei Mitglieder des NSU, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, in ihrem Wohnmobil erschossen hat. Auf der Suche nach einer Antwort gerät Dengler in einen Fall, in dem Sicherheitskräfte jahrelang gegen die Opfer und nicht gegen die Täter ermittelten, staatliche Stellen Akten geschreddert haben und die Grenzen zwischen Verfassungsschutz und rechter Szene fließend zu sein scheinen. Mit jedem weiteren Detail, das der Detektiv zu Tage fördert, stellt sich immer stärker die Frage, ob es sich bei den Ermittlungspannen lediglich um Behördenversagen handelt, oder ob jemand eine schützende Hand über die Mörder hält und versucht, staatliche Verwicklungen zu verschleiern.
Schorlau bezieht eine klare politische Position
Wie in den vorherigen sieben Kriminalromanen um den Privatdetektiv Georg Dengler greift Schorlau auch in seinem neuen Buch wieder ein aktuelles politisches Thema auf und bezieht eine klare Position. Immer wieder versucht er dabei, die verschiedenen Facetten zweifelhaften staatlichen Handelns zu verdeutlichen: »Wozu ich beitragen kann, ist, eine gesellschaftliche Atmosphäre zu schaffen, in der sich Menschen dafür interessieren, dass etwas nicht stimmt, und welche verschiedenen Sichtweisen es gibt.«
So beschäftigt sich Schorlau in seinem ersten Roman »Die blaue Liste« mit der Abwicklung der DDR, alternativen Eigentumsformen für Produktionsmittel und der Frage, wer den Präsidenten der Treuhandanstalt, Detlev Rohwedder, erschossen hat. Daneben thematisiert der Roman zwei weitere ungeklärte Ereignisse aus der Zeit der deutschen Wiedervereinigung, den Tod des RAF-Terroristen Wolfgang Grams in Bad Kleinen und den Absturz der Lauda-Air-Maschine am 26. Mai 1991.
Die folgenden Romane drehen sich um Lynchjustiz in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, die Privatisierung von Wasser, die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan, das Attentat auf das Münchner Oktoberfest, das skrupellose Agieren der Pharmakonzerne und die Arbeitsbedingungen in der Massentierhaltung. Anders als die meisten Krimiautoren wählte Schorlau als Hauptfigur keinen Polizisten, sondern einen Privatdetektiv. Dies ermöglicht dem Autor, einen kritischen Blick auf das Handeln von Polizei und Geheimdiensten zu werfen und seinen Protagonisten auch gegen sie ermitteln zu lassen. Auch in der Biografie des Privatermittlers Dengler spiegelt sich diese Funktion wider und ist ein wichtiger Erzählstrang der Rahmenerzählung, die die einzelnen Kriminalromane miteinander verbindet.
Schorlau ist auch selbst in Bewegungen aktiv
Im Verlauf der acht Krimis erfahren die Leserinnen, dass Georg Dengler Mitarbeiter des Bundeskriminalamts in Wiesbaden war, bis es dort bei dem Terroranschlag auf einen Bankmanager, der stark an das Attentat auf Alfred Herrhausen erinnert, zu Ungereimtheiten kam. Seitdem misstraut Dengler Geheimdiensten und Polizei und versucht, deren dunkle Machenschaften aufzudecken. In »Die schützende Hand« erfährt Georg Dengler, dass sein ehemaliger Gegenspieler beim BKA, Harry Nopper, jetzt Vizepräsident des Thüringer Verfassungsschutzes ist. Dies bringt den Privatdetektiv dazu, mit vollem Einsatz in diesem Fall zu ermitteln und der Frage nachzugehen, von wem die Neonaziszene in Thüringen aufgebaut wurde. Dabei gerät Dengler immer tiefer in ein Geflecht aus Neonazis und Verfassungsschutz.
Für die Hintergrundrecherche seiner Romane arbeitet Schorlau eng mit politischen Aktivistinnen und Aktivisten zusammen. Zum Teil ist er ist selbst in Bewegungen aktiv. In seinen Romanen verkörpert Denglers Sohn Jakob die Rolle des politischen Aktivisten. »Der zwölfte Tag« zeigt Jakob als Teil einer Gruppe, die sich für Tierrechte einsetzt und versucht, Tiere aus Massentierhaltung zu befreien. In »Die letzte Flucht« beteiligt er sich an den Protesten gegen Stuttgart 21. Zusammen mit seinem Vater erlebt er am »schwarzen Donnerstag« im Schlosspark die gewaltsame Eskalation der Polizei. Der Autor ist selbst aktiver Gegner des Bauprojektes S21, hat ein Buch zu diesem Thema herausgegeben und sich am Widerstand gegen den Bahnhofsumbau beteiligt.
Wolfgang Schorlau politisierte sich während der 68er-Bewegung. Damals machte er eine Ausbildung als Großhandelsfachmann in Freiburg. Er schloss sich der Lehrlingsbewegung an und kam dort mit den Ideen von Karl Marx in Berührung.
Nicht nur spannend, sondern hervorragend recherchiert
Sehr früh schon hatte er eine Begeisterung für das Lesen entwickelt. Während seiner Kindheit als einer von drei Söhnen einer alleinerziehenden Mutter und später im Waisenhaus waren Bücher für ihn ein Mittel, der düsteren Realität zu entkommen. »Lesen war für mich immer eine Reise in eine andere Welt, eine Flucht aus der Wirklichkeit, auch und gerade im Waisenhaus«, erinnert sich Schorlau.
Von einem Tag auf den anderen gibt Wolfgang Schorlau seine gesicherte berufliche Existenz als Manager einer Softwarefirma auf und beginnt mit weniger als 10.000 Euro Rücklage auf dem Konto, Bücher zu schreiben. Anfangs verkauften sie sich nur schleppend, aber mittlerweile gehören sie zu den erfolgreichsten Kriminalromanen in Deutschland. Der Autor erhielt verschiedene Krimipreise und sein Roman »Die letzte Flucht« wurde bereits verfilmt.
Die Romane von Wolfgang Schorlau sind nicht nur spannend, sondern bieten auch sehr gut recherchierte Darstellungen der jeweiligen Ereignisse und ihrer Hintergründe. Am Ende jedes Romans gibt es statt einem Nachwort das Kapitel »Finden und Erfinden«. Hier benennt Schorlau seine Quellen und erklärt, welche realen Vorbilder seine Romane haben und was er tatsächlich nur erfunden hat. Oft veröffentlicht er auch weitere Artikel oder Interviews zu den Themen der Romane. Am Ende des Romans »Der zwölfte Tag«, der sich mit den Zuständen in der Fleischindustrie beschäftigt, ist zum Beispiel ein Interview mit einem Gewerkschaftssekretär über die realen Arbeitsbedingungen in diesem Bereich abgedruckt.
Seine Quellen unterscheiden den Autor von Verschwörungstheoretikern
Wer noch tiefer in die jeweiligen Themen einsteigen möchte, findet auf der Homepage des Autors (www.schorlau.de) alles verwendete Material und weitere Literaturempfehlungen. So können die Leser zwischen der Fiktion der Erzählung und der gesellschaftlichen Wirklichkeit unterscheiden. »Warum soll alles, was die Polizei und Justiz sagt, immer wahr sein? Warum sollten wir nicht mal in eine andere Richtung denken?«, fragt Schorlau. Er betrachtet die geschichtlichen Fakten aus einem anderen Blickwinkel oder setzt die bekannten Mosaiksteinchen anders zusammen und erzeugt ein neues Bild der Realität. Das Offenlegen der Quellen unterscheidet Schorlau von Verschwörungstheoretikern. Seine Bücher lassen die Leserinnen entscheiden, ob sie der Sichtweise des Autors folgen.
Im aktuellen Roman »Die schützende Hand« geht Schorlau den Weg der literarischen Ermittlung und des aufklärerischen Kriminalromans noch einen Schritt weiter. Er verflicht nicht nur die Erzählung mit tatsächlichen Begebenheiten, sondern macht Originaldokumente und andere Quellen zu einem Teil der Handlung. So können die Leser Georg Dengler bei seinen Ermittlungen über die Schulter schauen.
Schorlau schreibt spannende Krimis zu politisch brisanten Themen, die die Leserinnen dazu auffordern, über vermeintlich klare Sachverhalte und Zusammenhänge noch einmal nachzudenken. Dabei wirkt er nie belehrend, sondern macht Angebote zum Fragen und Zweifeln. Für alle, die einen gut recherchierten und spannenden Krimi schätzen, der seine Leser ernst nimmt und zum Denken anregt, ist die Reihe um den Privatdetektiv Georg Dengler eine gute Wahl.
Bild: kiwi-verlag.de
Wolfgang Schorlau
Die schützende Hand. Denglers achter Fall
Köln 2015
Kiepenheuer und Witsch
384 Seiten
14,99 Euro
Foto: Marcus Sümnick
Schlagwörter: Buch, Bücher, Buchrezension, Krimi, Kriminalroman, Kultur, Nationalsozialistischer Untergrund, NSU, NSU-Prozess, Roman, Terror