Bernie Sanders mischt die US-Politik bei den Vorwahlen von links auf. Seine Kampagne eröffnet neue Räume für sozialistische Politik in den USA, wirf aber auch wichtige Fragen auf. Von Loren Balhorn.
Es sind die wohl spannendsten und sicherlich kuriosesten Vorwahlen in den USA seit langem: Vor nur einem Jahr galten Jeb Bush und Hillary Clinton noch als sichere Sieger im innerparteilichen Wettbewerb um die Präsidentschaftskandidaturen von Republikanern und Demokraten. Mittlerweile hat Bush, infolge des Aufstiegs des Rechtspopulisten Donald Trump, aufgegeben und auch Clinton gerät zunehmend unter Druck. Ausgerechnet ein Kandidat, der sich selbst als Sozialist bezeichnet, bedroht ihren sicher geglaubten Sieg. Mit dem 74-jährigen Bernie Sanders hat die US-amerikanische Linke wieder ein Gesicht bekommen.
Bis vor einigen Monaten galt Sanders noch als hoffnungsloser Randkandidat. Doch mithilfe seines linkspopulistischen Auftretens schaffte er es in der polarisierten US-Gesellschaft unerwartet viele Menschen anzusprechen und Clinton mächtig unter Druck zu setzen. Obwohl sie bisher die meisten Vorwahlen gewinnen konnte und nach wie vor sehr gute Aussichten auf den Sieg hat, ist es Sanders, der im Wahlkampf Zehntausende elektrisiert. Auch wenn die »Clinton-Maschine« und ihre Verbündeten in den Führungskreisen der Demokratischen Partei eine Kandidatur von Sanders höchstwahrscheinlich verhindern werden, besteht zum ersten mal seit 1972 die reale Möglichkeit, dass ein Linker der Kandidat einer der großen US-Parteien wird. Die gestiegene Sichtbarkeit von linken Inhalten, die seine Kandidatur schafft, eröffnet Chancen und wirft neue Fragen auf für sozialistische Politik in den USA.
Sanders ist eine Gefahr für die Eliten
In der radikalen Linken sind die Meinungen über Sanders gespalten: Während die einen seine Erfolge euphorisch feiern, sehen andere in ihm lediglich eine Neuauflage von Obama und kritisieren ihn dafür, nicht unabhängig von der Demokratischen Partei zu kandidieren. Sanders wäre auch nicht der erste Linke, der nach einem gescheiterten Versuch seine Wahlkampfinfrastruktur und seine Basis an die Parteiführung übergibt – oder, wie Obama, nach seinem Sieg so gut wie alle Wahlversprechen preisgibt. Doch diese schematische Darstellung wird der Situation nicht gerecht, denn Obama war schon im Wahlkampf nicht besonders links. Seine Kampagne stütze sich von Anfang an auf vage Hoffnungen und diente eher als Projektionsfläche für die Wünsche seiner Basis, die wesentlich radikaler war als er.
Sanders ist weder ein Obama, noch ein wirklicher Sozialist. Aber er ist ein klassischer linker Sozialdemokrat und Reformer und damit immerhin substantiell linker als alle Anderen in der gegenwärtigen US-amerikanischen Politik. Seit mindestens drei Jahrzehnten hat kein Politiker in den USA mehr so offen über Ungleichheit und Unterdrückung gesprochen und damit die Massen erreicht. Während die linken Außenseiter der letzten Jahre, wie Ralph Nader oder Dennis Kucinich, nie über Umfragewerte von drei bis fünf Prozent hinaus kamen, stellt Sanders eine ernsthafte Konkurrenz für das Establishment dar. Und genau das macht ihn für die Eliten so gefährlich. Zunehmend dringt er in Milieus ein, die bis vor kurzem noch mehrheitlich hinter Clinton oder sogar den Republikanern standen. Umfragen zeigen, dass er vor allem unter jungen Arbeiterinnen und Arbeitern und Geringverdienern Anklang findet. Seine Kandidatur zeigt, dass sich auch in den vermeintlich reaktionären USA Mehrheiten für soziale Gleichheit und Gerechtigkeit organisieren lassen, wenn der richtige Ton getroffen wird.
Sanders muss die Spaltung der Demokraten vorantreiben
Unabhängig davon, ob Sanders tatsächlich gewinnt: Indem er Themen wie strukturelle Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung setzt, öffnet er Räume für linke Ideen, die seit den 1970er Jahren verschlossen waren. Für Millionen wird zum ersten Mal eine linke Antwort auf die Krise sichtbar – egal, wie reformistisch ausgelegt sie auch ist. Genau deswegen bekämpfen ihn Kapital und politisches Establishment mit allen Mitteln. Sowohl die Führung der Demokraten als auch die Gewerkschaftsbürokratie und große Teile der linksliberalen Eliten stehen hinter Clinton. Um diesen Apparat ausmanövrieren zu können, müsste Sanders die vorhandenen Ansätze einer Spaltung in seiner Partei und der Gesellschaft mit aller Kraft vorantreiben. Bisher zögert er jedoch seine Kritik an Clinton allzu scharf zu formulieren.
Auch wenn Sanders tatsächlich der nächste Präsident werden würde, wäre es fraglich, wie viel er verändern könnte. Die strukturellen Blockaden des politischen Systems in den USA sind so groß, dass sie die allermeisten politischen Initiativen eines linken Präsidenten verhindern würden. Zudem lehnen Apparat und Führung seiner eigenen Partei seine politische Vision ab. Er scheint das zu wissen und spricht von der Notwendigkeit einer »politischen Revolution«. Ob er aber versuchen würde, diese »Revolution« auch vom Amt aus voranzutreiben, bleibt abzusehen.
Der Widerstand formiert sich innerhalb der etablierten Strukturen
Bernie Sanders ist nach Jeremy Corbyn, dem neuen Vorsitzenden der britischen Labour Party, das zweite Beispiel für eine bedeutsame Linkswende einer Partei, welche die radikale Linke längst abgeschrieben hatte. Auch in den USA formiert sich der Widerstand gegen Jahrzehnte der Austeritätspolitik innerhalb der etablierten politischen Strukturen. Was der Grund dafür ist und vor allem warum jeglicher vorherige Versuch kläglich gescheitert ist, werden in der kommenden Zeit wichtige strategische Fragen für die US-Linke. Zunächst geht es aber um die Frage, wie Sozialisten die Kampagne konstruktiv unterstützen können, ohne ihre Unabhängigkeit aufzugeben.
Die Gefahr, dass seine Unterstützerinnen und Unterstützer durch eine Niederlage frustriert und passiv werden, ist groß. Gleichzeitig ist die Kampagne von Sanders, gemessen an der Verbreitung sozialistischer Ideen in der US-Bevölkerung, wahrscheinlich schon jetzt erfolgreicher als alle anderen Aktivitäten der antikapitalistischen Linken der vergangenen dreißig Jahre. Die von seiner Kampagne verursachte Polarisierung und die zehntausenden Aktivistinnen und Aktivisten, die sie mobilisiert, stellen etwas qualitativ Neues in der politischen Landschaft der USA dar. Die Herausforderung für die radikale Linke ist, dazu ein konstruktives Verhältnis aufzubauen und zu lernen, wie man erfolgreich in dieser neuen Landschaft arbeitet.
Schlagwörter: Barack Obama, Bernie Sanders, Clinton, Demokraten, Demokratische Partei, Donald Trump, Hillary Clinton, Jeremy Corbyn, Obama, Polarisierung, Präsidentschaftswahl, Sanders, US-Präsident, US-Wahl, USA, Vorwahlen