In den USA wurde die demokratische Politikerin Gabrielle Giffords bei einem Attentat lebensgefährlich verletzt. Nicole Colson erklärt, welche Verantwortung die rechte Tea-Party-Bewegung und die Republikanische Partei dafür haben und warum Obama ihnen nichts entgegensetzt
Nach dem Amoklauf in Arizona drängt sich die Frage nach der Verbindung zwischen der Gewalttat selbst und der gewalttätigen Rhetorik des rechten Flügels der Republikanischen Partei auf, und auch die Frage, ob sich die Medien und das politische Establishment dieser Frage zu stellen bereit sind.
Am 8. Januar wurden bei einem Amoklauf vor einem Einkaufzentrum in Tucson, Arizona, sechs Menschen erschossen und mindestens 14 verletzt. Der mutmaßliche Schütze, der 22 Jahre alte Jared Lee Loughner, hatte es offensichtlich auf die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords abgesehen. Giffords ist eine gemäßigte Demokratin, die kürzlich wiedergewählt worden war und an einer politischen Veranstaltung mit Wählern vor dem örtlichen Supermarkt Safeway teilnahm.
Giffords hat den Kopfschuss vorläufig überlebt, befindet sich aber in einem kritischen Zustand. Zu den Toten gehören der Bundesrichter John Roll und die neun Jahre alte Christina Taylor Green, die kürzlich an ihrer Schule als Schülervertreterin gewählt worden war und ihre Abgeordnete treffen wollte.
Rassistische Organisation
Die Motive von Loughner sind noch unklar. Er hat eine Reihe von Videos auf Youtube eingestellt, in denen er sich weitschweifig über eine angebliche Gedankenkontrolle durch die Regierung und eine neue Währung auslässt, was auf eine psychische Erkrankung hindeutet. Auch seine politischen Ansichten bleiben unklar. Eine Frau, die behauptete, sie habe Loughner als Teenager gekannt, beschrieb ihn als liberal. Als Loughner kürzlich versuchte, sich bei der Armee einzuschreiben, wurde er aus nicht bekannten Gründen abgelehnt.
Laut Greta Van Susteren von Fox News wurde in einer der Öffentlichkeit zugespielten Aktennotiz des Heimatschutzes darüber spekuliert, dass Loughner sich von der »American Renaissance« angezogen fühlte, einer rassistischen und antisemitischen Organisation.
In der Notiz heißt es: »Starker Verdacht gegen AmRen / American Renaissance. Verdächtiger steht möglicherweise in Kontakt mit dieser Gruppe (durch Videos, die er auf seinem Myspace- und Youtube-Konto eingestellt hat). Die Ideologie der Gruppierung ist gegen Regierung, gegen Einwanderung, gegen ZOG (Zionist Occupational Government = zionistisch besetzte US-Regierung), antisemitisch. Gabrielle Gifford ist die erste jüdische Frau, die in eine so hohe Stellung in der US-Regierung gewählt wurde. Sie vertrat bei der Einwanderungsdebatte auch eine genau gegenteilige Ansicht als die Gruppe.«
Mekka der Vorurteile
Egal, was wir in den kommenden Tagen noch über Loughner erfahren werden: Es ist klar, in welchem übergreifenden Kontext er gehandelt hat. Die Schmähungen und der Hass, den die rechtsgerichtete Tea-Party-Bewegung und ihre Verbündeten in der Republikanischen Partei ausgespuckt haben – nicht nur gegen Sündenböcke wie Einwanderer und Muslime, sondern auch gegen etablierte Politiker, die nicht mit jedem wüsten Vorurteil der Rechten übereinstimmen – haben Wirkung gezeigt.
Auf einer Pressekonferenz beschrieb Clarence Dupnik, Sheriff von Pima County, die Realitäten der US-amerikanischen Politik mit verblüffender Deutlichkeit: »Man muss sich nur die unausgeglichen Menschen ansehen, wie sie auf das Gift reagieren, das bestimmte Leute absondern, die die Regierung stürzen wollen. Die Wut, der Hass, die Heuchelei in diesem Land, das wird immer abscheulicher. Und unglücklicherweise hat sich Arizona zu einer Art Zentrum dafür entwickelt, scheint mir. Wir sind zum Mekka für Vorurteile und Heuchelei geworden […]. Die Leute gehen gerne verächtlich hinweg über die Giftspritzerei der Leute, die davon leben und die die amerikanische öffentliche Meinung anheizen. Das mag zur Redefreiheit gehören, aber es bleibt nicht ohne Folgen.«
Senator Jon Kyl aus Arizona beeilte sich, Dupnik für diese Äußerung zu kritisieren. Er erklärte in der Sendung »Face the Nation« gleich am folgenden Tag: »Ich glaube nicht, dass das irgendwas in einer Unterrichtung über eine Straftat zu suchen hat.« Tatsächlich haben konservative Republikaner wie Kyl eben diese Art vergifteter Stimmung angeheizt, auf die Dupnik sich bezog – und ihre Intoleranz stieß in der Tea-Party-Bewegung und ihrem äußerst rechten Rand auf offene Ohren.
Obamas Versäumnis
Bedauerlicherweise waren die Demokraten bisher nicht bereit, die Republikaner für ihre Hasskampagne zur Rechenschaft zu ziehen. Barack Obama steht in dieser Hinsicht am schlechtesten da: Er hat sich bei jeder Gelegenheit geweigert, offen rassistische Angriffe auf ihn als angeblicher Nichtbürger der USA und heimlicher Muslim abzuwehren, egal, wie wüst sie waren. Und mit jedem Rückzug der Demokraten sind die Hassprediger lauter geworden.
Giffords war schon vorher zum Ziel gewalttätiger Angriffe geworden: Nachdem sie im vergangenen Jahr für die Gesundheitsreform gestimmt hatte, wurde ihre Bürotür mit Schüssen zerstört, anscheinend mit einem Luftgewehr. Im August musste die Polizei einen Mann aus einer Wählerveranstaltung entfernen, nachdem ihm eine Pistole aus dem Holster gefallen war.
Während der Wahl im vergangenen Jahr gehörte Giffords zu den 20 Demokraten, die Sarah Palin in Facebook aufs Korn genommen hatte. Palin hatte eine US-Karte mit Fadenkreuzen in 20 Kongressbezirken eingestellt. Die Karte war verknüpft mit einer Botschaft von Palin auf Twitter an ihre Anhänger, in der es hieß: »Konservative des Common Sense und Amerika-Liebende: Zieht euch nicht zurück, sondern ladet nach!«
»Feuert mit einer M16«
Dann gibt es noch den Gegenkandidaten von Giffords bei den Wahlen im November, den Tea-Party-Kandidaten Jesse Kelly, gegen den Giffords nur knapp gewann. Kelly zeigte sich als ehemaliger Marinesoldat auf seiner Wahlkampfwebsite im Tarnanzug mit einem Gewehr als Werbung für eine Veranstaltung, auf der Anhänger angeregt wurden, mit Automatikwaffen zu schießen. »Nehmt den Sieg im November ins Visier«, lautete die Botschaft von Kelly. »Helft uns, Gabrielle Giffords aus dem Amt zu jagen. Feuert mit einer vollautomatischen M16 gemeinsam mit Jesse Kelly.«
Socialistworker.org hat bereits vor einem Jahr, nach der Verabschiedung des Gesetzes für die Gesundheitsreform, geschrieben, dass der angebliche Basisprotest von Tea-Party-Gruppen »denselben nackten Rassismus (und nackte Dummheit) aufweist wie ähnliche Proteste der Vergangenheit: Obama wurde als Nazi bezeichnet und in Hitler-Kleidung abgebildet; Fragen über seine Herkunft wurden gestellt; das Gesundheitsreformgesetz wurde als kommunistische Verschwörung und »Todesstrafe für Rentner« dargestellt.«
Während einer Demonstration vor dem Capitol in Washington umringten Tea-Party-Anhänger den Abgeordneten John Lewis, ehemaliger Führer der Bürgerrechtsbewegung, und beschimpften ihn als »Nigger«. Der Abgeordnete Barney Frank wurde als »Schwuchtel« angemacht.
Morddrohungen gegen Demokraten
Giffords war nicht die einzige Demokratin, deren Büro nach dem Ja für das Gesetz demoliert wurde. Etliche weitere Politiker, darunter die ehemalige Kongresssprecherin Nancy Pelosi, Senator Patty Murray aus Washington und der Abgeordnete James Clybourn aus South Carolina erhielten Morddrohungen per Telefon, Fax oder E-Mail.
Verschiedene Republikaner stachelten Tea-Party-Leute noch offen an: Abgeordnete der Republikaner winkten beispielsweise am Tag der Abstimmung vom Balkon des Kapitols rechten Demonstranten mit gelben Fahnen zu, die die Aufschrift »Don‘t tread on me« trugen. Diese Parole – auf Deutsch »Tritt nicht auf mich!« – stand als Warnung auf einer der ersten US-amerikanischen Flaggen unter einer Klapperschlange. Die Klapperschlangenfahne gilt als Symbol des Patriotismus.
Von Gewalt durchzogene Reden gab es bis zu den Kongresswahlen. In Nevada sprach die Senatskandatin Sharron Angle, die das Rennen knapp an den Mehrheitsführer Harry Reid verlor, über die Notwendigkeit, Abhilfe über das verfassungsgemäße Recht auf Tragen einer Waffe zu schaffen, wenn die politischen Veränderungen nicht den Fantasien der Tea Party entsprechen. Socialistworker.org schrieb:
»Diese Rhetorik ist ein kaum verhüllter Versuch, die schlimmsten Elemente der Rechten anzustacheln. Diese Art von Taktik kann aber kaum überraschen. Denn egal, was die Tea-Party-Leute über sich als angebliche Basisbewegung behaupten, sind sie im Wesentlichen doch nur derselbe alte reaktionäre Kern der Republikaner […]. Heute sind die Tea-Party-Proteste Teil einer Bewegung, die dieselben Mythen und Lügen für eine neue Generation wieder aufwärmen. Aber es muss betont werden, dass sie keinesfalls eine Massenbewegung sind, wie die Medien uns glauben machen wollen.«
Palins Zielscheibe
Unabhängig davon, ob Loughner ein Anhänger der Tea Party war, ist davon auszugehen, dass der vor Gewalt strotzende Ton und die Aktionen der Rechten das Klima schufen, in dem er handelte.
Nach dem Attentat versuchte das republikanische Establishment angesichts des Abscheus, mit dem die meisten Leute jetzt Sarah Palins Zielscheibe betrachten, den aufwieglerischen Ton zurückzunehmen. Der Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, zum Beispiel sprach den Opfern sein Beileid aus und lobte insbesondere Giffords.
Aber die republikanische Führung konnte die hasserfüllten Stimmen in ihrer Partei nicht völlig zum Schweigen bringen, es gibt einfach zu viele davon. Sarah Palins Sprecherin Rebecca Mansour beispielsweise behauptete, dass Palin nichts Falsches gemacht habe, als sie eine Landkarte mit Fadenkreuz über Giffords Distrikt veröffentlichte – und fügte obendrein noch hinzu, Loughner sei ein »Linksliberaler«.
»Das war niemals als Fadenkreuz gemeint«, behauptete Mansour in einem Radiointerview. »Es war einfach eine geografische Markierung, wie es sie auf allen Karten gibt.« Palin selbst nannte das Symbol unmittelbar nach der Wahl ein »Volltreffersymbol«.
Kommentare gelöscht
Nach den Schüssen beeilten sich Palins Flakhelfer, die negativen Kommentare auf ihrer Facebookseite zu löschen, die Palin wegen ihrer Hetze gegen Giffords angriffen. Ein Kommentator wies darauf hin, dass Palins Leute einen Kommentar stehen ließen, in dem der Tod der 9 Jahre alten Christina Taylor Green gefeiert wurde. »Das ist okay«, hieß es in dem Kommentar , »Christina Taylor Green war vermutlich auf dem Weg, ein linker Gutmensch zu werden. Hey, wie »sie« sagen: Was würdest du tun, wenn du die Möglichkeit hättest, Hitler noch als Kind zu töten? Eben!«
Noch ekelhafter, wenn das überhaupt möglich ist, war der Gründer der Tea Party Nation, Judson Phillips, der in einer Stellungnahme, die kurz vor der Bestätigung, dass Giffords am Leben geblieben war, klagte, dass er und andere Rechte unfairerweise aufs Korn genommen wurden. Phillips ergriff auch die Gelegenheit, jeden daran zu erinnern, dass Giffords eine Liberale sei. Faktisch hat sie sich jedoch nur von einer Republikanerin in eine konservative »Blue Dog«-Demokratin verwandelt. Die Blue-Dog-Koalition ist eine konservative Abgeordnetenfraktion in der Demokratischen Partei.
In einer anderen Stellungnahme, die direkt an die Tea-Party-Nation-Mitglieder gerichtet war, ergänzte Phillips: »Die harte Linke wird versuchen, die Tea-Party-Bewegung zum Schweigen zu bringen und uns dafür [den Amoklauf] verantwortlich zu machen.« Bill Clinton, schrieb er, benutzte das Bombenattentat von Oklahoma City im Jahr 1995, um »konservativen Talksendungen wie der von Rush Limbaugh die Verantwortung zuzuschieben. Die Taktik funktionierte damals, die Konservativen knickten ein und verhalfen damit Clinton möglicherweise zu seiner zweiten Amtszeit.«
Rechte wie Phillips sind zu Recht besorgt über die Zukunft. Die Schießerei von Arizona hat auf schockierendste Weise gezeigt, wie leicht hasserfüllte Rhetorik angeblich respektabler Politiker in direkte Gewalt übergehen kann. Ob es sich um die Welle von Islamophobie handelt, die zu einem Messerangriff auf einen New Yorker Taxifahrer führte, oder den politischen Angriff auf Einwandererrechte, die sich in konkrete Gewalt gegen Immigranten verwandelt, oder das Klima gegen Abtreibung, in dem Ärzte umgebracht werden können, wenn sie gerade zur Kirche gehen, all diese Handlungen finden nicht in einem Vakuum statt.
Doppelmoral der Republikaner
Würden Tea-Party-Anhänger wie Phillips auch über eine Vorverurteilung klagen, wenn der Schütze beispielsweise ein illegaler Einwanderer wäre? Oder wie Filmregisseur Michael Moore auf Twitter fragte: »Wenn ein Muslim aus Detroit eine Landkarte mit Fadenkreuzen über 20 Zielpersonen ins Web stellen würde und dann einer davon erschossen würde, wo wären wir dann jetzt? Ich frage ja nur.«
Phillips‘ Bezugnahme auf das Bombenattentat auf das Bundesgebäude in Oklahoma City im Jahr 1995 spricht Bände. Dieser mörderische Angriff geschah auch im Gefolge einer Zwischenwahl, in der die Republikaner mit der Parole von einer »kleinen Regierung« und Haushaltskürzungen an die Macht kamen.
Newt Gingrich und seine republikanischen angeblichen Mitrevolutionäre in Washington bewiesen damals sehr schnell, dass sie den Konzerninteressen verpflichtet waren und nicht dem kleinen Mann, den sie angeblich vertraten. In Oklahoma City zeigte der Attentäter Timothy McVeigh die Folgen einer Rhetorik, die sich gegen eine »große Regierung« wandte, wenn sie von der extremen Rechten als Entschuldigung für Terrorismus genutzt wird.
Die große Mehrheit der Menschen ist gegen die wahre Tagesordnung des rechten Flügels, bei der es um erhebliche Haushaltskürzungen und das Wohlergehen der Konzerne, um gemeinen Hass und rassistische Sündenbocksuche geht. Wir brauchen jedoch eine Antwort von unten, um die Wahrheit über die Republikaner und die Tea Party offenzulegen – und eine Alternative aufzubauen, die die Interessen der arbeitenden Menschen an die erste Stelle setzt.
Dieser Artikel erschien zuerst auf www.socialistworker.org. Übersetzung: Rosemarie Nünning
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