Der neue Film von Thomas Vinterberg ist solides Mainstreamkino. Doch von einem ehemaligen »Dogma«-Regisseur hätte unser Rezensent Phil Butland mehr erwartet.
In den 1970er Jahren versuchten übriggebliebene Anhängerinnen und Anhänger der 68er-Bewegung, örtlich begrenzte Alternativen zum Kapitalismus zu schaffen. An Orten wie Westberlin oder dem Kopenhagener Stadtteil Christiania entstanden neue, von alternativem Lebensstil geprägte Kommunen und Häuser wurden besetzt.
Die optimistischeren unter den Kommunardinnen und Kommunarden dachten, sie können sich völlig vom Einfluss des herrschenden Systems befreien. Andere suchten nur einen Insel, wo Frauen und Männer von den strikten Regeln von Ausbeutung und Reproduktion verschont blieben und miteinander auf Augenhöhe leben konnten.
Die Spannung zwischen solchen tief empfundenen Idealen und der täglichen Verhandlung des Alltags wäre Stoff für einen interessanten und lustigen Film über die Beschaffenheit des Menschlichen in der kapitalistischen Gesellschaft. Und in der Tat gibt es so einen Film bereits. Leider ist damit nicht Thomas Vinterbergs »Die Kommune« gemeint, sondern »Zusammen!«, den sein schwedischer Kollege Lukas Moodysson bereits im Jahr 2000 gedreht hat.
Sozialexperiment gegen Mittelschichtslangeweile
Moodysson ist ein politisch engagierter Regisseur und teilt den Wunsch seiner Protagonistinnen und Protagonisten nach einer gerechten Gesellschaft. Seine empathische Darstellung erlaubt es ihm jedoch auch, sich ab und zu über ihre Marotten lustig zu machen.
Für Vinterberg – wie für seine Charaktere, den Architekten Erik (Ulrich Thomsen) und seine Frau Anna (Trine Dyrholm), die als Nachrichtensprecherin beim Fernsehen arbeitet – scheint es beim Leben in Gemeinschaft eher um ein persönliches Experiment zu gehen. Ihr Ziel ist nicht, die Welt zu verändern, sondern ihre Langeweile kurzfristig zu bekämpfen. Obwohl der Film in einer politisch geprägten Zeit spielt, zeigt er keine Diskussion über Politik, außer einem Bericht über Kambodscha, der unbeachtet im Fernseher läuft.
Erik erbt eine Villa in einem Nobelviertel und er und Anna müssen entscheiden, ob sie das Haus verkaufen oder die Anstrengung auf sich nehmen, Mitbewohner zu finden, die Miete zahlen. Geld ist allerdings kein wirkliches Problem – wer sich die Miete nicht leisten kann, wird von Erik subventioniert. Während Kommunarden anderswo häufig – zusätzlich zu ihrem politischen oder sozialen Engagement – ums Überleben kämpfen müssen, bilden Erik, Anna und ihre Gäste eine privilegierte Elite.
Tatsächlich sind die anderen viel eher Gäste als gleichberechtigte Genossinnen und Genossen. Kommt es hart auf hart, führt Erik sein Eigentumsrecht ins Feld. Diese Ungleichheit spiegelt sich in der Inszenierung des Films. Die Kamera folgt Erik, Anna und ihrer Tochter Freja (Martha Sofie Wallstrøm Hansen) überall hin. Alle anderen sind kaum mehr als Komparsen, schlecht gezeichnete Stereotype mit wenig persönlichen Eigenschaften.
Desinteresse und Manipulation
Das heißt, wir werden mit einer Gruppe von Leuten konfrontiert, die wir kaum kennen und bei deren Ersten-Welt-Problemen es schwer fällt, mitzufühlen. Wenn sie dann doch einmal vor wirklichen Schwierigkeiten stehen, dann hat man zu wenig Interesse an ihrem Schicksal, als dass Mitleid aufkäme. Eine Beziehung bricht zusammen und die Frau hätte alles Recht, ihrem selbstgefälligen und arroganten Partner die Schuld zu geben. Doch als Zuschauer hatte man nicht die Gelegenheit, genug in den Charakter zu investieren, um sich groß darüber zu ärgern, wenn sie vor der Gleichgültigkeit des Manns einfach aufgibt. Noch unerfreulicher: Die lebensbedrohliche Krankheit eines Kinds ruft eher den Eindruck hervor, dass Vinterberg uns emotional zu manipulieren versucht, als Mitgefühl für die leidende Familie.
Das alles wäre nicht weiter schlimm, wenn Vinterberg irgendein zweitrangiger Hollywood-Filmemacher wäre. Aber er ist der Regisseur von »Das Fest«, dem ersten und wahrscheinlich besten Film der Bewegung »Dogma 95«, die mit dem Ziel auftrat, Film demokratischer und ehrlicher zu machen. »Das Fest« zeigt die Heuchelei einer adligen Familie – diesmal scheint Vinterbergs Sympathie den Reichen zu gelten. Auch wenn hinlänglich bekannt ist, dass der Regisseur sich von seinen Dogmen verabschiedet hat, um Mainstream-Streifen wie »Am grünen Rand der Welt« zu drehen, hätte man mehr von einem Künstler erwarten können, der selbst in einer Kommune aufgewachsen ist.
»Die Kommune« ist kein richtig schlechter Film – Vinterberg ist ein zu begabter Regisseur, um Schrott zu liefern. Aber es ist auf jeden Fall eine verschenkte Gelegenheit. Das beste, was ich über den Film sagen kann, ist, dass er mich angeregt hat, Moodyssons hervorragendes »Zusammen!« nochmal zu schauen. Dasselbe würde ich euch auch empfehlen.
Der Film: Die Kommune, Regie: Thomas Vinterberg, Dänemark 2015, Prokino Filmverleih, 111 Minuten, ab 21. April 2016 in den Kinos.
Schlagwörter: 68er-Bewegung, Dänemark, Kommune, Kultur