Auf dem Magdeburger Parteitag rang DIE LINKE um Antworten auf die Wahlerfolge der AfD und erteilte einer Orientierung auf Rot-Rot-Grün für die Bundestagswahl 2017 eine Absage. In den Medien fand dennoch nur die Tortenattacke auf Sahra Wagenknecht Beachtung. Eine Auswertung von marx21
Kurz vor dem Parteitag hatte Gregor Gysi die Partei als »saft- und kraftlos« beschrieben und empfohlen, als Stärkungsmittel eine Regierungsbeteiligung der LINKEN auf Bundesebene anzustreben. Als ersten Schritt sollte sie einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten von SPD und Grünen und der LINKEN aufstellen. Der Parteitag sah in seiner großen Mehrheit dieses Mittel nicht als zielführend an. Der Grundton war fast einhellig, dass es zur Zeit keine politische Basis für einen rot-rot-grünen Lagerwahlkampf auf Bundesebene gebe und dass es vielmehr darum gehen müsse, die LINKE als einzige antikapitalistische Protestpartei in ihrer politischen Eigenständigkeit zu betonen. Dabei wurde nicht immer unterschieden zwischen parlamentarischen und außerparlamentarischen Bündnissen, zwischen der notwendigen Einheit in sozialen und politischen Kämpfen und der falschen Einheit von Regierungsbündnissen, in denen die LINKE tatsächlich als »saft- und kraftlos« vorgeführt werden würde.
Es ist allzu verlockend, SPD und Grüne mit CDU/CSU und sogar der AfD als »eine reaktionäre Masse« (Ferdinand Lasalle) abzustempeln und damit auch außerparlamentarische Aktionseinheiten in sozialen und politischen Bewegungen und Kämpfen zu blockieren. In den gefassten Beschlüssen und in den Reden der beiden alten und neuen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger wurde dieser Tendenz eines ultralinken Scheinradikalismus jedenfalls widerstanden. So zum Beispiel mit der nahezu einstimmigen Zustimmung zum Aufruf für ein breites antirassistisches Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«.
Zu Beginn des Parteitags wurde ein Grußwort von Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime (ZdM) in Deutschland, gehalten. Seine Rede war nicht nur ein Appell gegen Rassismus und soziale Spaltung, sondern auch ein Signal gegen den um sich greifenden antimuslimischen Rassismus in Deutschland und eine Kampfansage an die AfD, die wenige Tage zuvor ein Gespräch mit dem ZdM mit Getöse vorzeitig abgebrochen hatte. Zugleich war es auch eine Aufforderung an die Partei im Angesicht der verschärfenden Diskriminierung von religiösen Minderheiten, klar Position für diese zu ergreifen und sie zu verteidigen.
Torte auf Sahra Wagenknecht
Kurz nach der Rede von Aiman Mazyek – Bernd Riexinger hatte gerade angesetzt, kam es zu einer Tortenattacke auf Sahra Wagenknecht durch Antideutsche, also jene Gruppe, die sich als links bezeichnet aber Israels Besatzungspolitik und die US-Kriege feiert. In einem Flugblatt erklärten sie, es ginge um Sahra Wagenknechts umstrittene Äußerungen zu »missbrauchtem Gastrecht« und »Kapazitätsgrenzen«, wie auch um ihre Kritik an der EU und den USA. Im Flugblatt versteigert sich die Gruppe zur Aussage, Sahra sei mit der AfD »vereint im Ziel« und habe der Aussage von Beatrix von Storch zum Schießbefehl »die ideologische Munition geliefert«. Im Flugblatt wird darüber hinaus die These von einem »nationalen Konsens zwischen AfD und Linkspartei« vertreten. Wie falsch solche Behauptungen sind, wird bei jeder Abstimmung zu Asylrechtsverschärfungen deutlich: während die Linke als einzige Partei geschlossen gegen jede Verschärfung gestimmt hat, fordert die AfD weitere Verschärfungen.
Zu Recht gab es nach dem Angriff Solidaritätsbekundungen mit Sahra Wagenknecht und ernst gemeintes Entsetzen über den Angriff durch andere »Linke«. In der Folge der Attacke fand jedoch keine inhaltliche Auseinandersetzung mit Sahras Positionen zur Einwanderungspolitik mehr statt, die damals in der Partei auf wenig Gegenliebe gestoßen waren.
Gemeinsamer Kampf gegen Rechtsaußen
Nichts desto trotz, setzte Bernd Riexinger nach einer kurzen Unterbrechung seine Rede fort. Er sprach sich für ein scharfes und kämpferisches Profil der LINKEN aus: Es gelte, die Gefahr von rechts ernst zu nehmen und die AfD durch breite antirassistischen Bündnisse »auf den Müllhaufen der Geschichte« zu befördern. Die LINKE sei nicht Teil eines »Merkel-Lagers«, sondern stünde gegen die Festung Europa und die Abschottungspolitik der Bundesregierung. Durch ihren falschen Kurs in der Sozial- und Außenpolitik seien SPD und Grüne derzeit nicht Teil eines »linken Lagers«. Statt auf rot-rot-grüne Parlamentsmehrheiten zu hoffen, seien vielmehr gesellschaftliche Kämpfe nötig, um sich mit den Reichen anzulegen. Grob skizzierte Riexinger hier das erst kürzlich von ihm und Katja Kipping verfasste Papier »Eine Revolution für Gerechtigkeit«. Katja Kipping schlug dann auch in eine ähnlich Kerbe. Sie fand sehr deutliche Worte zur Gefahr, die sich durch die Rechtsentwicklung der AfD anbahnt und verwies dabei auf die Verbindungen von AfD und faschistischem Mob. Dagegen müsse Die LINKE Kristallisationspunkt für das Lager der Solidarität werden – eine Anlaufstelle und Hilfe für antirassistische Aktivistinnen, Flüchtlingshelfer sowie Menschen, die sich vor Ort für soziale Gerechtigkeit engagieren.
In der anschließenden Debatte um die Leitanträge zu Sozialpolitik und dem Kampf gegen rechts gab es etliche Beiträge zur Herausforderung, der AfD entgegenzutreten. Spürbar war die Verunsicherung, zu der die Wahlschlappe der LINKEN in Sachsen-Anhalt unter vielen Delegierten, insbesondere aus den Ostverbänden der Partei, geführt hatte. Zu diesem selbstkritischen Unbehagen hatte auch Gysi im Vorfeld mit seiner Bemerkung beigetragen, dass die Linke insbesondere im Osten ihren Charakter als Protestpartei verloren habe.
Ein Dringlichkeitsantrag zur Unterstützung der Großdemo von »Aufstehen gegen Rassismus« unter dem Motto »Deine Stimme gegen die AfD« am 3. September in Berlin wurde mit einer Transparentaktion verbunden (an der sich auch die frisch zurückgekehrte Sahra Wagenknecht beteiligte) und per Akklamation der Delegierten einmütig bekräftigt.
Kein Haupt- und Nebenwiderspruch
Parteivorstandsmitglied Christine Buchholz erklärte, dass wir soziale Kämpfe und den Kampf gegen Rassismus nicht als »Haupt- und Nebenwiderspruch« begreifen dürften. Um den Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen, wird es nicht reichen die soziale Frage zu betonen. Dennoch schien in einigen Redebeiträgen eine solche Einordnung durch, wie auch eine Unterschätzung der Gefahr durch die AfD. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Gefahr, die insbesondere von dem neofaschistischen Flügel der AfD ausgeht, noch zu wenig erkannt wird und deswegen keine wirkliche Taktik im Kampf gegen diese entwickelt wurde. Einige wenige Redebeiträge versuchten in der Debatte daher die Notwendigkeit einer Aktionseinheit gegen die AfD auszubuchstabieren und gleichzeitig deutlich zu machen, dass es eine Klarheit in der sozialen Frage brauche und keine Aufweichung von Positionen. Aber in den meisten Redebeiträgen wurde der Kampf gegen rechts immer wieder mit dem Kampf gegen Neoliberalismus als Einheit dargestellt.
Kämpfe gegen Unterdrückung (Antirassismus, Antisexismus usw.) sind zwar Teil eines Klassenkampfes, allerdings mit unterschiedlichen Fronten und Bündniskonstellationen. Bei Kämpfen für höhere Löhne können und dürfen wir nicht den Streikposten verlassen, auch wenn Streikende rassistische Ideen vertreten. Stattdessen ist es unsere Aufgabe dem entschieden entgegen zu treten und trotzdem die Einheit des Streiks zu wahren. Umgekehrt dürfen wir beim Kampf gegen Rassismus und Faschismus aber auch niemanden ausschließen, die oder der eine falsche Haltung zu Hartz IV hat. Das bedeutet nicht, dass wir unsere Positionen aufweichen oder uns mit Kritik zurückhalten, aber wir machen das nicht zur Vorbedingung für unseren gemeinsamen Kampf. Erst im Laufe ihrer Entwicklung und Zuspitzung werden solche Teilkämpfe gegen Unterdrückungsformen oder für soziale Rechte und höhere Löhne zu einem einheitlichen Klassenkampf zusammenwachsen.
Der Parteitag hat mit dem Leitantrag gegen Rechts eine Basis geschaffen für einen konsequenten Kampf gegen Rassismus und die AfD, allerdings muss dieser mit Leben gefüllt und »Aufstehen gegen Rassismus« als die Chance dazu begriffen werden.
Den Worten müssen Taten folgen
Der Leitantrag zu Sozialpolitik stellte viele richtige Positionen dar, ob er allerdings dazu beitragen kann, dass die Partei sich von einer Wahlpartei zu einer Partei der Klassenkämpfe entwickeln kann, muss sich noch zeigen. Denn das Profil der LINKEN an der Front der sozialen Kämpfe wurde noch zu wenig greifbar. Hier wäre es hilfreich gewesen, konkrete Orientierungen zu geben – etwa auf laufende Kampagnen oder anstehende betriebliche Kämpfe. Die Auseinandersetzungen um mehr Personal an den Krankenhäusern hat das Potential einer Verallgemeinerung. Deshalb kann dieser Kampf auch exemplarischen Charakter für eine Neuorientierung der LINKEN von einer Wahlpartei zu einer Partei der Klassenkämpfe von unten gewinnen. Leider wurden entsprechende Anträge auf Unterstützung der Kämpfe an den Krankenhäusern nicht auf dem Parteitag behandelt.
Die Linke bleibt Friedenspartei
Der Leitantrag zu Frieden zeigte, dass es trotz aller Rufe, die LINKE weiche ihr friedenspolitisches Profil auf, keine Rede davon sein kann. Forderungen der Reformerströmung »Forum Demokratischer Sozialismus« (FDS), linke antimilitaristische Grundpositionen aufzuweichen wurden klar abgelehnt. Es zeigte sich deutlich, wie wenig das Reformerlager in dieser Frage in der Partei ausgreifen kann. Die Positionierung des FDS für eine Einzelfallentscheidung bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, ihre Anträge gegen eine grundsätzliche Ablehnung von Kooperation der deutschen Polizei mit diktatorischen Regimen und gegen den Abzug der internationalen Truppen wurden allesamt mit großer Mehrheit abgelehnt.
Insgesamt hat sich das FDS auf diesem Parteitag eher isoliert, weil sie keine Impulse für konstruktive Politik nach vorne setzen konnten. Dagegen wurden etliche Anträge des linken Flügels angenommen, die sich für Schärfungen des antikapitalistischen und antimilitaristischen Profils aussprachen.
Ablehnung von Aufweichung
Insgesamt hängt die Ablehnung der Positionen des FDS nicht nur mit ihren außenpolitischen Ideen zusammen, sondern auch mit einer verbreiteten Ablehnung, Kernpositionen der LINKEN zugunsten einer Koalition mit SPD und Grünen zu aufzuweichen. Die Partei steht zu den Haltelinien von Erfurt, wo wichtige, für die LINKE unverzichtbare Mindestbedingungen für eine Regierungsbeteiligung ins Parteiprogramm aufgenommen wurden. Allerdings sagte selbst Sahra Wagenknecht, dass sie nicht grundsätzlich gegen Regierungsbeteiligung auf Bundesebene sei.
Hinzu kommt, dass eine »rot-rot-grüne« Mehrheit zur Zeit in weite Ferne gerückt ist. Die anhaltende Krise der SPD und die mit der CDU liebäugelnden Grünen (Kretschmann-Effekt) tun ihr Übriges, um den Anhängern Gysis im Sinne eines einen rot-rot-grüne Lagerwahlkampf das Leben schwer zu machen. Die Aufgabe des linken Flügels muss es nun sein, die Ablehnung nicht nur auf Bundes- sondern auch auf Länderebene zu festigen und für eine bewegungsorientierte Partei des Klassenkampfs zu streiten.
Kritik an zu engem Zeitplan
Die Tagesordnung des Parteitags erwies sich als zu ambitioniert. Neben den Wahlen des 44-köpfigen Parteivorstands und der Behandlung der drei Leitanträge blieb keine Zeit mehr für die Debatte und Beschlussfassung der weiteren von diversen Parteigliederungen eingebrachten Anträgen. Dies führte berechtigterweise bei einigen Delegierten zu Unmut und wird in Hinblick auf die Vorbereitung der kommenden Parteitage kritisch auszuwerten sein.
Besonders polarisierend wurde im Vorfeld des Parteitags ein Antrag aus Sachsen diskutiert, der sich für eine stärkere Religionskritik und für die Forderung nach Trennung von Staat und Kirche aussprach. Trennung von Staat und Kirche und Religionsfreiheit sind die beiden Säulen sozialistischer Religionspolitik. Mit dem Aufstieg der Islamfeindlichkeit zur rassistischen Gefahr ersten Grades und mit dem Rassismus im Gewand der Religionskritik wird die Forderung nach Religionsfreiheit immer wichtiger. Deshalb brauchen wir heute in Deutschland keine Kampagne zur Trennung von Staat und Religion, sondern eine für Religionsfreiheit. Sommerkleidung und Winterkleidung sind beide wichtig. Aber wenn wir im Winter einen Ausflug in die Berge machen, dann kann die Ausrüstung mit Sommerkleidung tödlich enden.
Parteitag hat Weichen gestellt
Insgesamt stellt der Parteitag mit der Absage an einen Lagerwahlkampf 2017 eine Linksverschiebung dar. Das ergänzt sich mit der stärkeren Fokussierung auf Bewegungen und Arbeitskämpfe. Auch eine kritischere Haltung zur EU wurde beschlossen. So findet sich der Satz »die EU ist undemokratisch, neoliberal und militaristisch« im Leitantrag und konnte auch von den Reformern nicht verhindert werden, was ihnen noch vor zwei Jahren gelang.
Im Parteivorstand hat ebenso eine leichte Linksverschiebung stattgefunden. Der geschäftsführende Parteivorstand ist gleich geblieben, bei dem erweiterten Vorstand setzten sich jedoch die Kandidaturen des linken Flügels in großer Mehrheit durch, während es einige Kandidaten des Reformflügels nicht schafften. Dieser Linksruck im Parteivorstand sollte nun auch mit Leben gefüllt werden. Aufgaben dafür gibt es genug – ob im Kampf gegen Rassismus, Militarisierung der Außenpolitik oder Neoliberalismus.
Foto: DIE LINKE
Schlagwörter: AfD, Antirassismus, Aufstehen gegen Rassismus, Bundesparteitag, DIE LINKE, Flügelkämpfe, Magdeburg, Parteitag, Parteivorstand, Rassismus, Reformer, Rot-Rot, Wagenknecht