Sie erinnere an eine Sekte, schrieb »Die Zeit«. Tatsächlich spielt die »Liste Links« in der LINKEN und deren Studierendenverband eine unrühmliche Rolle. Doch welche theoretischen Grundlagen stehen hinter den belehrenden und pöbelnden Auftritten? Einige Überlegungen von marx21 Hamburg und von Studierenden aus dem marx21-Netzwerk.
»Ich lass mich nicht blenden von ihren Redebeiträgen, ihren Flugblättern und Anträgen. Nichts als eitles Blendwerk, Geschwafel mit Versatzstücken aus linker Analyse – ohne Erbarmen mit ihren VerfasserInnen aus den historischen, sozialen und inhaltlichen Kontexten gerissen und zu Leerformeln degradiert. Tünche, produziert aus linkem Vokabular! Wie predigerhafte Bibelsprücheklopferei! So kommen sie daher.«
Christian Arndt, Landesinfo PDS Hamburg, 20.02.2003
Mitglieder der Liste Links sind zum Teil seit über zwanzig Jahren an der Universität Hamburg aktiv. Ihre führenden Kader verstehen sich als Zusammenhang, der die politische Tradition des MSB Spartakus in »historischer Kontinuität« (Zitat eines Mitglieds) weiterführt. Die Organisation selbst ist klar hierarchisch strukturiert. Es gibt ein Zentralkomitee, welches sich selbst als »Senioren« bezeichnet und die politische Richtung gegenüber den »Junioren« vorgibt und für dessen Lebensunterhalt die »Junioren« aufkommen.
Noch vor einigen Jahren bestand ein breiter Konsens an der Universität Hamburg darüber, mit der Liste Links in Gremien keine gemeinsame Politik zu machen (z. B. lehnten breite »Bündnisse« von Linksradikalen bis RCDS ihre Initiativen ab). Doch mittlerweile ist es der Gruppe gelungen, eine führende Rolle in den Gremien der studentischen Selbstverwaltung einzunehmen.
Die politischen Leitideen der Liste Links wirken auf den ersten Blick unproblematisch und teilweise sogar reizvoll. Ihre Forderungen nach einer gerechten und humanen Gesellschaft und nach einem solidarischen (anstatt instrumentellen) Umgang miteinander scheinen plausibel, sogar erstrebenswert. Doch hört man genauer hin oder liest ihre Pamphlete, zeigt sich, dass die Gruppe ein vollkommen anderes Verständnis von »Emanzipation«, »aufklärender Praxis« und ähnlichem hat.
Wir wollen im Folgenden diese Widersprüchlichkeit zwischen Begriff/Proklamation und tatsächlichem Inhalt/politischem Verständnis aufzeigen. Wir möchten also beispielsweise versuchen zu klären, was es tatsächlich bedeutet, wenn die Liste Links von der »allseitigen Emanzipation als erste[m] Bedürfnis« spricht. Auch möchten wir klären, ob das, was sie dort als »Emanzipation« bezeichnen, dem entspricht, was wir im Kopf haben, wenn wir mit Marx sagen, dass »alle Emanzipation [die] Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst« ist.
Aufklärungssozialismus
Die politische Tradition der Liste Links kann mit dem Begriff »Aufklärungssozialismus« beschrieben werden. Grundlegendes Ziel ist es, die Menschen zu »kulturell befreiten und aufgeklärten Subjekten« zu formen. Dies soll maßgeblich durch die – aus ihrer Sicht – richtige Bildung geschehen. Mit deren Hilfe sei die Mündigkeit eines jeden Subjektes zu erlangen, welche die erste Voraussetzung für sämtliches politisches Handeln und Agieren ist: »Diese mündige Haltung und Orientierung hat Bedeutung für die nächsten Wahlentscheidungen, die Wirksamkeit des (kooperativen) Handelns und das Pfeifen auf der Straße.«
Aus diesem Ausspruch lässt sich auch schließen: Liste Links denkt Aufklärung nicht innerhalb einer umfassenden politischen Praxis, sondern Aufklärung ist einfach »das Sagen der Wahrheit […]. Der Wahrheit die Ehre!« Es geht ausschließlich um die Vermittlung ihres Wissens von Wahrheit gegenüber anderen.
Wir und die Anderen: Das ist ein Verhältnis, das weniger einem marxistischen Anspruch auf »gemeinsame Befreiung mit allen Unterdrückten« ähnelt, als vielmehr dem kantischen Prinzip: »Aufklärung als Mündigkeit«. Bei Liste Links klingt das so: »Vielmehr ist zunehmend von Bedeutung, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, dem Friedensanspruch Ausdruck zu verleihen und auch sonst sozial, kulturell und politisch anspruchsvoller zu werden.«
Bewusstwerdung und Politisierung heißt mit anderen Worten: Wahrheit erkennen! Denn erst wenn diese Wahrheit erkannt ist, werden die Menschen »das Pfeifen auf der Straße« mit Sinn erfüllen. Linker politischer Organisierung kommt in diesem Verständnis die Aufgabe zu, über die »Wahrheit« (also den wissenschaftlichen Sozialismus) aufzuklären. Denn die Erkenntnis führt in den Rezipienten dazu, dass sie ihren Verstand gebrauchen und entwickeln, was dann letztlich in sinnstiftende Taten mündet: »Der Gedanke geht der Tat voraus wie der Blitz dem Donner.«
Während die Liste Links kritische Bewusstwerdung ausschließlich als einen Prozess betrachtet, der anderen durch richtige Aufklärung beigebracht wird, sehen wir Prozesse der kritischen Bewusstwerdung oder Politisierung an kollektive Erfahrung und Praxis gebunden. Innerhalb derer können die individuell empfundenen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse reflektiert und zu kollektiven Interessen (Klasseninteressen) artikuliert werden.
Anders als Liste Links, Hegel und die utopischen Sozialisten teilen wir nicht die Auffassung, dass das Denken der Menschen von ihrer sozialen Praxis abgetrennt werden kann. Denn das würde darauf hinaus laufen, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Ideen und sich miteinander ablösenden Weltanschauungen wäre. In ihrer Auseinandersetzung mit den Theorien Feuerbachs schreiben Marx und Engels: »Das Bewusstsein kann nie etwas Anderes sein als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß.« Das bedeutet, das Denken der Menschen fällt (fast) immer unmittelbar mit ihrer gesellschaftlichen Praxis zusammen. Diese wiederum ist eingebunden in größere soziale Gruppen und in Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse. Unser Denken kann also nie losgelöst von seiner sozialen Einbettung existieren. Weiter schreiben Marx und Engels: »Die materielle Produktion und ihren materiellen Verkehr entwickelnden Menschen ändern mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denken und die Produkte ihres Denkens. Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein.«
Das Bewusstsein der Menschen durch Aufklärung zu verändern, läuft aber darauf hinaus, das Bestehende nur anders zu interpretieren. Der Glaube, dass eine Veränderung der Ideen schon die Wirklichkeit selbst verändern würde, führt lediglich zu einer anderen Betrachtungsweise der Wirklichkeit, die aber selbst gänzlich unverändert bleibt.
Die subjektive Erkenntnis (etwa durch Verstehen oder Lesen) ist für den politischen Prozess wichtig, aber sie besitzt kein aus sich selbst heraus zu entwickelndes Potential, über die Grenzen des Gegebenen hinaus zu kommen. Nur wenn Denken und kritisches Hinterfragen mit kollektiven, also auch praktischen und sinnlichen Erfahrungen vermittelt ist, wird spürbar, dass die Welt, in der wir leben, veränderbar ist. Erst in diesem Zusammenspiel aus kritischer Hinterfragung und kollektiver Praxis begreifen wir tatsächlich, dass alles, was ist, geschichtlich bedingt, also von Menschen gemacht ist.
Um es an dieser Stelle einmal zuzuspitzen: Der Kampf um Ideen ist kein Ersatz für den Klassenkampf, also für den Kampf für die Veränderung der materiellen und gesellschaftlichen Bedingungen, die sich im Denken widerspiegeln. Wir wollen die Welt nicht anders interpretieren, sondern wir wollen sie verändern.
Anders ausgedrückt: Die Selbstemanzipation der Unterdrückten verstehen wir nicht als einen Prozess, in dem ein Studierender am Mensatisch einen philosophisch anregenden und tiefgründigen Flyer in die Hand bekommt, mit dem Ergebnis, dass er gleich nach dem Mittagessen plötzlich auf ganz neue Ideen kommt. Wir sind keine aufgeklärte und allseitig gebildete Minderheit, die für sich die absolute Wahrheit beanspruchen kann, da sie glücklicherweise der Zurichtung durch den Kapitalismus entkommen ist. Und trotz der Möglichkeit eines modischen Revivals tragen wir keine schwarzen »Matrix«-Ledermäntel, mit blauen Pillen in der rechten und roten Pillen in der linken Tasche, deren Einnahme dazu befähigt, endlich die Wahrheit hinter dem kapitalistischen Schleier zu erfahren.
Unter Selbstemanzipation der Unterdrückten verstehen wir die gesamte Bandbreite von geistigen und praktisch-sinnlichen Tätigkeiten, durch die Menschen gegen die konkret erfahrenen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse aufbegehren. Wir meinen also Momente, in denen sie im Kleinen und im Großen Widerständigkeit entwickeln und neue Fähigkeiten erlernen, sich bemühen eigene Erfahrungen zu reflektieren und zu verallgemeinern sowie der erzwungenen Vereinzelung des Systems kollektive Gegenmacht entgegensetzen. Nicht zuletzt meinen wir Aktivitäten, bei denen sie erkennen, dass ihr Teil der Erzählung, wie die gesamte Geschichte selbst, von Menschen gemacht wird, und sie das Selbstbewusstsein entwickeln, diese zu verändern.
Vom besetzten Hörsaal über Blockaden und Aktionen des zivilen Ungehorsams bis zum Streik: Selbstveränderung und Veränderung der Umstände fallen in unserem Verständnis von Emanzipation zusammen. Es kann keine Selbstveränderung geben, wenn sich nicht gleichwohl die Umwelt, in der wir leben, verändert und dabei ein neues gesellschaftliches Sein entwickelt, dass unser Bewusstsein formt. Andererseits ist auch die Veränderung der Umstände an eine Selbstveränderung der Menschen gekoppelt. Entscheidend ist aber: Sie fallen zusammen! Es sind wechselseitige Pole einer permanenten und sich entwickelnden Einheit. Selbstverständlich machen auch wir aufklärende Praxis, aber mit dem Unterschied, dass wir uns nicht als allwissend verstehen, sondern auf die kollektive Erschließung und Veränderung des Gegebenen – als Teil dessen – setzen. Emanzipation ist für uns ein kollektiver Akt der Selbstermächtigung. Wir leben und verteidigen den Marxismus nicht als Dogma, sondern verstehen ihn als Methode und gesellschaftliche Praxis.
»Der wahre Mensch« der Liste Links
Die politische Strategie der Liste Links basiert auf einer steifen Vorstellung davon, was die wahre Gesellschaft ist (nämlich eine humanere, egalitäre und solidarische Gesellschaft). Diese wiederum gründet auf einem ebenso vorgeschriebenen Menschenbild, als »kulturelles, solidarisches und souveränes Subjekt«.
Es gibt ein Plakat von Liste Links mit folgendem Marx-Zitat: »Wo das monarchistische Prinzip in der Majorität ist, da sind die Menschen in der Minorität, wo es nicht bezweifelt wird, da gibt es keine Menschen.« Hier deutet sich die Problematik davon an, wenn man meint definieren zu können, was genau den »wahren Menschen« ausmacht. All diejenigen, die anders denken als man selbst, die (noch) nicht das sind, was den »wahren Menschen« ausmacht, sind notwendigerweise (noch) Nicht-Menschen.
Mit einer für sich beanspruchten »Wahrheit« politisch zu arbeiten ist problematisch: Man wird automatisch zum Dogmatiker oder zur Dogmatikerin und zur elitären Minderheit. Alles, was von dem für »wahr« gehaltenen abweicht, ist notwendigerweise falsch und muss korrigiert werden. Das ist im Übrigen nicht nur technokratisches Übel, sondern auch eine idealistische Setzung von der »wahren Idee«. »Wahrheit« sollte keine Maxime sein, mit der wir arbeiten. Wir erkennen sehr wohl objektive Misstände oder Tatsachen, die wir ablehnen, weil wir sie für ungerecht oder ausbeuterisch halten. Aber wir lehnen sie nicht ab, weil wir von einer fernen idealen Idee überzeugt sind, nach der wir streben sollten.
Diese allumfassende Wahrheit gibt es im Marxismus nicht. Engels schrieb sogar: »Ein allumfassendes, ein für allemal abschließendes System der Erkenntnis von Natur und Geschichte steht im Widerspruch mit den Grundgesetzen des dialektischen Denkens.« Wahres, so kann man verkürzt sagen, ist für Marx gerade solches, was in permanenter Veränderung besteht, etwas Werdendes. Anschließend an Hegel betonte Marx, dass wir das Wahre nur bestimmen könnten, wenn wir über das Gegebene hinaus auch alle anderen Möglichkeiten kennen würden, also alle Vermittlungen des Gegenstandes zu seiner totalen Umgebung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das soll heißen: Von »Wahrem« zu sprechen ist nicht nur gewagt, sondern es wäre nur möglich, wenn ein Mensch allwissend wäre. Doch das war noch nicht einmal Marx.
Ebenso wie wir also nicht von der »absoluten Wahrheit« ausgehen, gehen wir auch nicht von dem eigentlich »wahren« Menschen aus.
Wir denken den Menschen historisch, das heißt: werdend. Er ist immer im Wechselverhältnis zwischen sich und der Umwelt zu betrachten, im ständigen Prozess seiner Entwicklungen. Marx formuliert sinngemäß in seinen »Thesen über Feuerbach«: Das Wesen des Menschen ist in seiner Wirklichkeit das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse und eben kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum.
Menschliches Bewusstsein ist widersprüchlich und geprägt von den fortschrittlichsten und rückständigsten Ideen der Menschheitsgeschichte. Es existieren Konzepte, die sich aus den Interessen der Herrschenden entwickeln und von den politischen und Ideologischen Institutionen des Überbaus beständig reproduziert werden. Diese Ideen sind ein organischer Bestandteil im Bewusstsein der ausgebeuteten Klasse, bestehend aus einem komplexen und widersprüchlichen Ensemble von Vorstellungen, Ideen und Handlungen. Diese lassen sich nicht einfach durch das richtige Bewusstsein, wie eine zu enge Hose, ausziehen.
Doch in diesem »Alltagsverstand« (Gramsci) finden die Menschen auch ihre konkreten Erfahrungen von gesellschaftlicher Erniedrigung, von Abstumpfung, von Entfremdung und eben den Momenten, in denen sie dagegen Solidarität, Selbstorganisation, Gemeinschaftlichkeit aufbauen. In eben diesen Momenten liegt der Keim einer anderen Gesellschaft – der fortschrittliche Moment der Gegenwart für eine noch nicht erstrittene Zukunft. Doch der fortschrittliche Teil des Bewusstseins wird nicht durch das aufklärerische Geschwafel aus Versatzstücken linker Analyse genährt, sondern im kollektiven Akt der Selbstermächtigung.
Demenstprechend wollen wir den Menschen also kein »richtiges« oder »wahres« Menschenbild vor die Nase halten. Das ist moralistisch und setzt nicht am Bewusstsein der Akteure an, die wir für unsere politische Arbeit gewinnen wollen. Als Marxistinnen und Marxisten erahnen wir das menschliche Potential in unmittelbaren Handlungen, aber wir nehmen nicht in Anspruch, wissen zu können, was der ideale Mensch eigentlich ist. Unter den Verhältnissen kapitalistischer Unterdrückung ist es unsere Aufgabe, Organisationen aufzubauen, die die Individualität des Einzelnen bewahren, aber seine Fähigkeiten im gemeinsamen Lernen weiterentwickeln. Wir stellen den Menschen keine abstrakten Idealbilder gegenüber, sondern beurteilen jeden nach seiner Fähigkeit zu lernen, sich auf andere einzustellen und seine eigenen Kenntnisse für alle anzuwenden.
Frieden ist der positive Ausdruck von Krieg: Der Pazifismus der Liste Links
Liste Links sieht in Kriegen die unmittelbarste Zuspitzung der kapitalistischen Gesellschaft. Krieg ist für sie genau das Gegenteil einer »humanistischen Gesellschaft«. Somit sind ihre Mitglieder davon überzeugt, dass die »Krieg und Frieden«-Frage auch für die politische Arbeit immer an vorderster Stelle stehen muss, weil sie als absolute Zuspitzung kapitalistischer Widersprüche in den Köpfen allgegenwärtig wäre.
Sie verstehen nicht nur »die« Friedensbewegung als die alles entscheidende soziale Kraft, sondern auch der wissenschaftliche Sozialismus muss notwendigerweise »friedenspolitisch«, weil »humanistisch«, ausgerichtet sein. Deswegen fordert Liste Links immer wieder, »Friedenswissenschaft als Leitwissenschaft« zu verstehen.
Auch für uns spielt die Friedensfrage eine wichtige Rolle. Unzählige Demonstrationen und Veranstaltungen etwa gegen die Kriege in Palästina, Irak und Afghanistan haben wir mitorganisiert. Doch wir betrachten die Friedensfrage nicht als »ultima ratio«. Auch in Zeiten zahlreicher militärischer Konflikte gibt es Momente, in denen andere gesellschaftliche Konflikte im bundesdeutschen Kontext wichtiger sind, sich hier gesellschaftliche Widersprüche vertiefen und dementsprechend das Potential für die Entwicklung eines antikapitalistischen Bewusstseins wächst. Gleichwohl ist die Friedensfrage nicht einfach eines unter vielen Themen. Ein Verständnis davon, warum Kapitalismus – zumal als imperialistische Staaten-Konkurrenz – immer wieder zu Kriegen führt, sollte zur theoretischen Grundlage des Handelns der LINKEN gehören.
Nach Ansicht von Liste Links befinden wir uns seit zwanzig Jahren kontinuierlich im Momentum der Entscheidung zwischen »Sozialismus oder Barbarei« – und darin erfreulicherweise an einem Punkt, wo der notwendige »Bruch bereits begonnen« hat. Diese Annahme ist ahistorisch und belegt die mangelnde Fähigkeit der Gruppe, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu analysieren. Hinzu kommt, dass Liste Links weder eine tatsächliche Imperialismustheorie vertritt, noch über eine politische Strategie dafür verfügt, wie eine Friedensbewegung wieder aufgebaut werden könnte. Dabei wäre eine solche Strategie heute wichtiger denn je. Die Strukturen der klassischen Friedensbewegung sind teilweise noch stärker überaltert als die Bezirksverbände der LINKEN im Osten. Unter die Akteure der »neuen« Friedensbewegung mischen sich – neben fortschrittlichen Kräften – leider auch Vertreter der Querfrontstrategie.
Die umstrittene Mahnwachenbewegung im Frühjahr 2014 gegen den Krieg in der Ukraine hat die Probleme verdeutlicht: Weder die alte Friedensbewegung noch DIE LINKE sind kaum in der Lage zu mobilisieren. Auch die radikale Linke ist zu schwach, um in diesem Feld ausstrahlungskräftige eigenständige Angebote zu entwickeln. Wir müssen mit anderen linken Akteuren zu einer notwendigen strategischen Klärung kommen, weil die Auseinandersetzungen zunehmen werden. Aufklärerischer Idealismus bringt uns da keinen Schritt weiter.
Redeverhalten und Auftreten
In Debatten fallen Mitglieder der Liste Links häufig dadurch auf, dass sie trotz numerischer Minderheit sehr hohe Redeanteile haben. Sie zitieren regelmäßig aus linken Klassikern, wobei die Zitate weniger durch ihren Inhalt als durch die Autorität des Verfassers das Argument bekräftigen sollen. Mitglieder von Liste Links treten häufig aggressiv und belehrend auf, sie stellen viele nervende Geschäftsordnungsanträge und pöbeln während der Redebeiträge anderer. Vertreter der Liste haben dieses für andere Menschen abschreckende und durchaus auch einschüchternde Verhalten als »produktive Polarisierung« bezeichnet. Nach ihrem Verständnis kommen Debatten nur richtig zustande, wenn Extrempositionen aufeinandertreffen und die Teilnehmenden ihre Argumente an diesen ausrichten müssen. Besonders wichtig ist Liste Links dabei, dass es ausreichend Zeit für solche Scheindebatten gibt. Seit zwanzig Jahren bringen sie bereits den Vorwurf des »Biologismus«, wenn Genossinnen und Genossen gegen 23 Uhr nicht mehr diskutieren möchten. Auch kritisieren sie, dass Bundeskongresse des Studierendenverbands und Parteitage an Sonntagnachmittagen beendet werden.
Viele Genossinnen und Genossen aus dem SDS werten dieses Verhalten als Widerspruch zur Theorie der Liste Links. Wir hingegen vertreten die Ansicht, dass sich das aggressive und dominierende Redeverhalten durchaus aus der Theorie der Gruppe ableiten lässt. Nur wer davon überzeugt ist, das absolut Richtige und Wahre zu denken, ist in der Lage, andere erbarmungslos als Dummschwätzer zu bezeichnen. Emanzipation ist bei der Liste Links keineswegs gleichbedeutend mit einem »Sozialismus von unten«. Vielmehr vertritt die Gruppe einen »Sozialismus von oben« – nach dem Motto: »Ich habe die Wahrheit mit Löffeln gefressen. Wenn du emanzipiert sein willst, dann musst du so sein wie ich. Willst du? Nein? Dann willst du die Wahrheit nicht sehen.«
Bei einem Bundeskongress von Die Linke.SDS brachte Liste Links einen Antrag ein. Dieser enthielt folgende Passage, die sehr passend das bisher beschriebene Vorgehen der Gruppe beschreibt: »Die konservativen Instanzen Kirche, Ehe und Familie sind an der Bestätigung der konkurrenzhaften Verhältnisse insbesondere durch die Verallgemeinerung von ›Normalitäts-‹, Leistungs- und Verwertungsanforderungen wesentlich beteiligt. Daher ist die Souveränität gegenüber dieser versuchten Degradierung des Menschen zu einem braven und untertänigen Wesen ein zentraler Aspekt kultureller Emanzipation – durch Kritik, Ironisierung und Satire.«
Hinzu kommt: Liste Links hat gar nicht den Anspruch, den SDS oder DIE LINKE zur Massenorganisationen aufzubauen. In ihrer Logik können sich Menschen nur durch bessere Gedanken selbst befreien. Da ist es nur folgerichtig, diese so oft wie möglich für ihre »bürgerlichen Standpunkte« zu kritisieren. Nur so können sie zur richtigen Erkenntnis gelangen. Menschen, die nicht dem Ideal der Liste-Links-Kader entsprechen, werden als »liberal«, »bürgerlich«, »konservativ« oder ähnliches durch ein umfangreiches Repertoire an Respektlosigkeit und Schmähung diffamiert. Das ist alles andere als emanzipativ und solidarisch, sondern lediglich herrschaftlicher Dogmatismus.
Rund um den Campus in Hamburg
Zum Zwecke der Aufklärung verteilen die Mitglieder von Liste Links Woche für Woche Tausende Flugblätter auf dem Campus der Hamburger Universität. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass es seit mehr als zwei Jahrzehnten kaum Veränderungen an der Optik und an der inhaltlichen Ausgestaltung gab. Sie enthalten viele abstrakte allgemeingültige Phrasen und uneingeordnete linke Versatzstücke und arbeiten viel mit appellhaften Imperativen (»Es sei zu machen«/»Es habe zu geschehen«).
Ihr Aufklärungsansatz hat unter anderem dazu geführt, dass sie Vollversammlungen, in denen die Studierenden kurz davor waren auf die Straße zu gehen und für ihre Rechte einzutreten, elend lange Selbstverständnisdebatten (»Wer sind wir eigentlich? Wie kann eine humanistische Hochschule aussehen?«) aufgezwungen haben – bis nach ein paar Stunden von den ursprünglich 2000 Anwesenden nur noch 40 im Raum waren.
Als das zentrale Umgestaltungsinstrument der Gesellschaft betrachtet Liste Links die Hochschule und deren Gremien, denen sie gewissermaßen weltverändernden Charakter zuschreiben. Je stärker in institutionalisierten Reformprozessen das eigentliche Potential von wissenschaftlicher Bildung entfaltet wird, umso mehr werden die Menschen in der Gesellschaft befreit: »Es geht um die Re-Kultivierung des Studiums und die Demokratisierung der Hochschulen zur Bildung mündiger Subjekte bzw. zur Entwicklung gesellschaftlich verantwortungsvoller Wissenschaften: für Frieden, internationale Solidarität, gesellschaftliche Partizipation, Gesundheit, Bildung und Kultur.«
In dieser Orientierung drückt sich derweil ein fragwürdiges Demokratieverständnis aus: Warum nimmt im politischen Konzept von Liste Links ausgerechnet ein Gremium so viel Raum ein, in dem Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kaum Mitsprachrechte haben (in der Regel haben die Professoren die Stimmenmehrheit)?
Hinzu kommt die Tendenz, Sprüche ihres politischen Umfeldes gelegentlich mit gesellschaftlichen Stimmungen zu verwechseln. Deshalb vertritt Liste Links die Analyse, dass etwa die Bolognareform gesellschaftlich komplett diskreditiert sei, die Zivilklauselbewegung sich seit Jahren in der Offensive an den Hochschulen befände und ganz generell der Neoliberalismus gescheitert sei.
Fazit und Ausblick
Es geht uns nicht nur darum, das Weltbild der Liste Links und die daraus folgende politische Strategie zu kritisieren – auch wenn wir das für einen wichtigen Ausgangspunkt halten, da diese Gruppe es geschafft hat, mit ihrem Habitus, vermeintlich ganz weit links zu stehen, viele Genossinnen und Genossen zu verunsichern. Deswegen sei zum Abschluss noch einmal explizit festgehalten: Ein politischer Ansatz, der nicht an den realen Widersprüchen des Kapitalismus ansetzt, nicht auf die Selbstaktivität der Unterdrückten setzt und deswegen letztlich darauf hinausläuft, die Welt nicht zu verändern, sondern bei Appellen an das vermeintlich »Wahre« stehen bleibt, ist unserer Meinung nach nicht zielführend.
Der Weg nach vorne ergibt sich im Umkehrschluss: Das Gefühl der Ohnmacht, das der Kapitalismus produziert, kann nur durch Selbstaktivität überwunden werden. Selbstaktivität kann aber nicht von oben herab verordnet werden, sondern entwickelt sich in einem Prozess unzähliger positiver Erfahrungen, dass es einen Unterschied macht, sich zu engagieren. DIE LINKE kann diesen Prozess auf mehreren Ebenen befördern, zu denen schon ihre Existenz als politische Alternative zur vermeintlichen neoliberalen Alternativlosigkeit gehört. Ein sehr wichtiger Baustein ist aber die Förderung und Initiierung politischer und sozialer Proteste und Bewegungen. Hier fängt die Hamburger LINKE keineswegs bei null an: Die Beteiligung an der Kampagne zum Energienetze-Rückkauf oder dem NOlympia-Bündnis, die Solidarität mit Geflüchteten und der entschlossene Widerstand gegen rechts sind positive Erfahrungen, an denen Die LINKE einen spürbaren Anteil hatte und hat.
Allerdings ergeben sich fast unvermeidlich immer wieder Tendenzen des Stellvertretertums, die gar nicht beabsichtigt sein müssen, aber letztlich der Selbstaktivität entgegenstehen. Jede Bewegung fängt klein an und ist insofern stellvertretend, als dass sie für mehr Menschen spricht als an ihr aktiv teilnehmen. Diese Teilung zwischen Aktiven und Passiven zu überwinden, muss immer ein Anliegen einer politischen Bewegung sein. Dafür ist ihre Ausweitung unumgänglich. DIE LINKE kann dem Stellvertretertum etwas entgegensetzen, indem sie konsequent als Protestpartei im positiven Sinn handelt und die Bewegungen gegen TTIP (Großdemos im September 2016) und gegen die AfD (im Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«) und praktische Solidarität mit Beschäftigten im Arbeitskampf ins Zentrum ihrer Aktivitäten setzt. So kann sie zu einer aktiven Mitgliederpartei werden, die nicht mit herablassenden Belehrungen, sondern durch ihr Handeln und die Möglichkeit des Mitmachens überzeugt.
Dieser Beitrag ist ursprünglich bei VorortLINKS erschienen. In der dort veröffentlichen Version finden sich zusätzlich zahlreiche Zitatbelege.
Schlagwörter: Aufklärung, DIE LINKE, Die LINKE.SDS, Hamburg, Hegel, Marx, SDS