Die Diskussion über Prostitution wird viel zu polarisiert geführt. Ein Debattenbeitrag von Rosemarie Nünning
Auf der einen extremen Seite stehen jene, die meinen, Prostitution sei ein Ausdruck sexueller Selbstbestimmung und ein Beruf wie jeder andere. Sie fordern »Entstigmatisierung« und die Erweiterung des positiv gemeinten Prostitutionsgesetzes aus dem Jahr 2002. Auf der anderen extremen Seite wird nach dem Vorbild skandinavischer Länder unter dem Stichwort Sexkaufverbot die Bestrafung der Männer gefordert, die zu Prostituierten gehen. Alice Schwarzer von der feministischen Zeitschrift »Emma« wünscht sich dazu noch die regelmäßige medizinische Zwangsuntersuchung der in diesem Bereich Tätigen (Artikel: »Alice Schwarzers Irrweg« auf marx21.de).
Prostitution und selbstbestimmte Sexualität
Zu dem ersten Argument lässt sich sagen, dass eine eher geringe Anzahl die Tätigkeit als Prostituierte vielleicht selbst wählt, während die Mehrheit aus Armut dazu getrieben wird. Selbstgewählte Prostitution ist aber nicht dasselbe wie selbstbestimmte Sexualität. Prostitution ging historisch Hand in Hand mit der Ablösung der egalitären Urgesellschaft durch Klassengesellschaft und Frauenunterdrückung. Sie beinhaltet, dass Männer sich zur Erfüllung ihrer sexuellen Bedürfnisse Frauen bedienen – was das Gegenteil gleichberechtigter und selbstbestimmter Sexualität ist. Zudem sind bis heute 90 Prozent der sich Prostituierenden Frauen, während der kleine Anteil von Männern sich fast immer für Männer prostituiert.
Der bürgerliche Staat ist kein Partner
Eine »Welt ohne Prostitution« und Frauenunterdrückung mit Erscheinungen wie Sexismus oder Lohndiskriminierung ist also durchaus erstrebenswert. Die Frage ist, ob diese mithilfe des bürgerlichen Staats, seiner Gesetzgebung und seines Repressionsapparats zu erreichen ist. Oder ob der Staat einer kapitalistischen Gesellschaft, der tagtäglich institutionell Frauenunterdrückung reproduziert, Erzieher »der Männer« sein kann.
Ein Sexkaufverbot hat verheerende Folgen für die betroffenen Frauen
Bezüglich der angeblichen Erfolge in Schweden nach dem »Sexkaufverbot« von 1998 (es gab insgesamt rund 3000 Prostituierte) heißt es in dem Regierungsbericht aus dem Jahr 2010, es könne »mit einiger Sicherheit« angenommen werden, dass »die Gesamtprostitution zumindest nicht angestiegen« sei. Als Regionalsender im Internet Scheinanzeigen für Prostitution schalteten, meldeten sich innerhalb einer Woche über eintausend männliche Interessenten darauf. Prostitution findet jetzt im Dunkelbereich statt, mit viel höherer Gefährdung der dort Tätigen hinsichtlich Zuhälterei, Gewalt oder gesundheitlicher Gefährdung durch ungeschützten Sex. Aus diesem Grund warnt auch die UNO vor Kriminalisierung in diesem Bereich, insbesondere wegen der Gefahr der HIV-Infektion.
Das »Prostituiertenschutzgesetz« trifft die Schwächsten
Inzwischen hat das Familienministerium unter Manuela Schwesig von der SPD ein »Prostituiertenschutzgesetz« vorgelegt, wonach sich Prostituierte künftig behördlich registrieren und regelmäßig beraten lassen müssen. Wer unangemeldet erwischt wird, soll bis zu 1000 Euro Geldbuße zahlen. Das wird die Schwächsten treffen, die Armuts- und Drogenbeschaffungsprostituierten.
Sexkauf, Verbote und die Linke
Dieses Gesetz ist ein Rückfall in altes preußisches Polizeirecht und stellt die Legalisierung der von Polizei und Bundeskriminalamt bis heute geführten inoffiziellen Karteien dar. Registrierte Prostituierte werden es schwerer haben auszusteigen, viele werden in den Untergrund gehen. Wer es ernst meint mit dem Wohl von Frauen in der Prostitution, muss gegen dieses Gesetz antreten. Eine Welt ohne Prostitution heißt aber auch, für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen.
Zur Autorin: Rosemarie Nünning ist Vorstandsmitglied der LINKEN im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und Unterstützerin von marx21. Sie ist aktiv im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und Mitautorin der kürzlich erschienen Broschüre »Prostitution – Sexarbeit, Kriminalisierung und Frauenunterdrückung«.
Auf marx21.de eröffneten wir die Debatte mit dem Beitrag von Katharina Sass. Sie meint: »Ein Sexkaufverbot stärkt die Stellung der Prostituierten«. Darauf antwortete Rosemarie Nünning. Ihre These: »Verbote verschieben Prostitution nur in den Untergrund, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Frauen«. Hier findest du eine erneute Antwort von Katharina Sass und den Replik von Rosemarie Nünning. Was denkst du? Sollten wir als Linke für ein Verbot von Sexkauf eintreten?
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Schlagwörter: Feminismus, Inland, Prostitution, Sex, Sexarbeit, Sexualität