Die deutsche Stahlindustrie fordert Schutzzölle gegen chinesische Billigkonkurrenz. Unterstützt wird sie dabei von der IG Metall, die hofft so weiteren Arbeitsplatzabbau zu verhindern. Der falsche Weg, meint Jürgen Ehlers
China überschwemmt mit den Weltmarkt billigem Stahl, um seine Anteile auf Kosten der Konkurrenz zu erhöhen. Die deutschen Stahlproduzenten wollen diese Situation zu ihrem Vorteil nutzen, indem sie die Rolle hilfloser Opfer einer schmutzigen Konkurrenz aus Asien spielen. Sie fordern Schutzzölle und verlangen von der EU-Kommission, die Pläne aufzugeben, beim Handel mit CO2-Emissionsrechten einzugreifen. Die EU will Zertifikate vom Markt nehmen, um sie zu verteuern. Denn deren Preis ist schon lange so niedrig, dass er keinen Anreiz bietet, den CO2-Ausstoß zu verringern. Im letzten Sommer betrug der Preis pro Tonne CO2 7,50 Euro – zu Beginn des Emissionshandels 2005 lag er mit 29 Euro deutlich höher.
Die IG Metall lässt sich vor den Karren spannen
Die IG Metall hat sich vor den Karren der Stahlbarone spannen lassen und im April einen pressewirksamen Aktionstag veranstaltet. Im Aufruf der Gewerkschaft heißt es: »Am Montag gehen Deutschlands Stahlarbeiter bundesweit auf die Straße. Sie fordern Hilfe im Kampf gegen Dumping-Konkurrenz und CO2-Auflagen. (…) Die deutsche Stahlindustrie ist in ihrer Existenz bedroht. Geht sie unter, verlieren 85.000 Menschen ihren Arbeitsplatz.«
Um die eigenen Profitinteressen durchzusetzen, spielen die Stahlkonzerne zynisch die Angst vor Arbeitslosigkeit aus – und die Führung der IG Metall trägt dies kritiklos mit. Dabei führt sie Zahlen der Konzerne an, die den Untergang der Stahlindustrie belegen sollen, falls die EU ihre Pläne umsetzt. Zweifel daran sind dringend geboten. Nach Angaben der EU-Kommission wurden in den letzten Jahren rund 40.000 Arbeitsplätze in der europäischen Stahlindustrie abgebaut, obwohl die Zertifikate für den CO2-Ausstoß so billig waren. Von 1980 bis 2015 hat sich allein in der deutschen Stahlindustrie die Zahl der Beschäftigten um 70 Prozent verringert, während die produzierte Stahlmenge etwa gleich geblieben ist.
Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit
Vor über dreißig Jahren hatte die Gewerkschaft noch einen klareren Blick auf die sich widersprechenden Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern: Der Kampf um eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich begann in der deutschen Stahlindustrie.
Die Kampagne war das Ergebnis einer Diskussion vor allem unter den Vertrauensleuten in der Stahlindustrie, ausgelöst durch die große Ernüchterung durch die Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit nach den Jahren der Vollbeschäftigung. Alle Hoffnungen, dass die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus endlich überwunden sei, stellten sich damals als Illusion heraus. Der Kampf um die 35-Stundenwoche war der Versuch, einen Weg einzuschlagen, der die Profitlogik in Frage stellte, um endlich ein Leben frei von Existenznöten führen zu können.
Händchenhalten sichert keine Arbeitsplätze
Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, über Angebot und Nachfrage eine krisenfreie Wirtschaftsentwicklung sicherzustellen, weil es nicht darum geht, Bedürfnisse zu befriedigen, sondern möglichst hohe Profite zu machen. Deswegen entstehen Überkapazitäten, wenn die Gewinne sprudeln, und bei Absatzflauten werden selbst modernste Anlagen verschrottet. Das geht zu Lasten der Umwelt und der Menschen, während gleichzeitig der Bedarf nach Stahl in armen Ländern, um Wasserleitungen, Brücken und Häuser zu bauen, nicht befriedigt wird.
Händchenhalten mit der Stahlindustrie hat noch nie einen einzigen Arbeitsplatz gesichert. Nur wenn die Profitlogik in Frage gestellt wird, wie beim Kampf um die Arbeitszeitverkürzung oder den Umweltschutz, eröffnen sich Handlungsperspektiven, die über die nationale Standortpolitik hinausweisen und zu besseren Lebensbedingungen für alle Menschen führen können.
Foto: Steamtalks
Schlagwörter: Arbeitslosigkeit, Arbeitszeitverkürzung, EU, IG Metall