Eine lesbische Aktivistin wird ermordet, eine Kommissarin mit Asperger-Syndrom ermittelt. In der dritten Staffel der skandinavischen Krimiserie »Die Brücke« geht es vor allem um Frauenbilder und Geschlechterrollen. Von Boris Marlow
Selbst der »Tatort« hat das Motiv nun aufgegriffen: Zum Bremer Ensemble gehört neuerdings eine BKA-Ermittlerin, die offensichtlich genauso begabt in ihrem Job wie unbeholfen im Umgang mit ihren Mitmenschen ist. Tatsächlich haben autistisch anmutende Charaktere zum Erfolg einer ganzen Reihe von neueren Krimiserien beigetragen. Man denke nur an Lisbeth Salander aus Stieg Larssons »Millenium«-Trilogie oder den von Benedict Cumberbatch verkörperten »Sherlock Holmes«.
In dieser Hinsicht unübertroffen ist bislang die Figur Saga Norén aus der skandinavisch-deutschen Koproduktion »Die Brücke – Transit in den Tod«. Norén leidet unter dem Asperger-Syndrom. Das Zwischenmenschliche liegt ihr nicht, sie ist entwaffnend ehrlich, direkt und zeigt nahezu keine Gefühlsregungen. Ironie versteht sie ebenso wenig wie sie in der Lage ist, die Mimik ihres Gegenübers zu deuten.
Ausstieg wegen Antisemitismus
Dass die Darstellung ihrer Figur niemals ins Lächerliche abrutscht, ist das Verdienst von Sofia Helin. Auch in der dritten Staffel von »Die Brücke« spielt die schwedische Schauspielerin die Saga Norén wieder beeindruckend intensiv.
Verzichten muss Norén derweil auf ihren bisherigen dänischen Kollegen Martin Rohde. Der hatte am Ende der zweiten Staffel selbst einen Mörder getötet – und wurde dafür von Saga ins Gefängnis gebracht. Jenseits der Fiktion hat Rhodes Ausfall durchaus politische Hintergründe: Darsteller Kim Bodnia stieg unter anderem wegen des wachsenden Antisemitismus an den Drehorten aus. In einem Interview sagte der Schauspieler, besonders in Malmö habe er sich als Jude während der Dreharbeiten zunehmend unbehaglich gefühlt. Seinem Wunsch, das Thema einzubeziehen, habe das Filmteam jedoch nicht entsprochen.
Familie, Frauenbilder und Geschlechterrollen
Politisch kommt die dritte Staffel dennoch daher. Diesmal geht es vor allem um Familie, Frauenbilder und Geschlechterrollen. Das verdeutlicht schon der erste Mord: Auf einer Baustelle in Malmö wird ein seltsames Ensemble entdeckt. Schaufensterpuppen, zu einer idyllischen Familienszene am Esstisch gruppiert, die Münder mit roter Farbe grotesk überzeichnet. Doch die Mutterfigur ist keine Puppe, sondern eine präparierte Leiche. Die ermordete Frau war die Inhaberin einer Kinderwunschklinik und eine bekannte lesbische Aktivistin.
Derweil wird auch Saga Norén von ihrer Familiengeschichte eingeholt: Plötzlich taucht ihre Mutter auf, zu der sie vor Jahren den Kontakt abgebrochen hat. Und selbst in der trauten Kleinfamilie von Sagas neuem Kollegen Henrik Sabroe ist nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint.
»Die Brücke« in skandinavischer Tradition
Insgesamt knüpft »Die Brücke« an die Tradition jener skandinavischer Krimis an, die unter dem Genre »Nordic Noir« firmieren. Sie sind gekennzeichnet durch die Kombination von blutigen Serienmorden, einer unterkühlten Ästhetik und dem Blick in die Niederungen der skandinavischen Gesellschaft. Doch die eigentliche Stärke der dritten Staffel machen die Psychogramme aus, welche die Drehbuchautoren von den einzelnen Personen zeichnen. Vor allem die emotionale Weiterentwicklung einer eigentlich gefühlsunfähigen Figur wie Saga gelingt auf überaus plausible Art und Weise. Das lässt selbst über einzelne Schwächen im Plot hinwegsehen.
Eine der Besonderheiten der Serie ist übrigens der Ort der Handlung, die Öresundregion. Die Kommissare ermitteln gewissermaßen grenzenlos, überqueren mehrfach pro Folge die knapp acht Kilometer lange Brücke zwischen dem schwedischen Malmö und der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Doch das dürfte nun erst mal vorbei sein: Im November hat Schweden wieder Grenzkontrollen an der Brücke eingeführt.
Angaben zur Serie:
DVD
Die Brücke – Transit in den Tod, Staffel III
Regie: Rumle Hammerich
Dänemark, Schweden, Norwegen, Deutschland 2015
ZDF Enterprises
568 Minuten
(online kostenfrei abrufbar in der ZDF-Mediathek)
Schlagwörter: Dänemark, DVD, DVD-Serie, Fernsehen, Fernsehserie, Kultur, Schweden, TV, TV-Serie