Während Bundesinnenminister de Maizière schon wieder ein »Sicherheitspaket« präsentiert, schreien seine Amtskollegen aus den Ländern nach noch mehr Repression gegen Geflüchtete, Migranten und Muslime. Mit Terrorbekämpfung hat das Ganze wenig zu tun, dafür umso mehr mit Rassismus. Von Martin Haller
Mit besorgter Mine trat Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Donnerstag vor die Presse und stellte das neue Sicherheitskonzept vor, mit dem sein Ministerium die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland eindämmen will. Dumm nur, dass viele der Maßnahmen des »Sicherheitspaketes« herzlich wenig mit Terrorismusbekämpfung zu tun haben. Vielmehr geht es um rassistische Stimmungsmache und einen Ausbau des staatlichen Repressions- und Überwachungsapparates.
Politik gegen Migranten
So sollen straffällig gewordene Ausländer und sogenannte ausländische Gefährder in Zukunft verstärkt in Haft genommen und schneller abgeschoben werden. Dafür soll im Aufenthaltsgesetz der neue Haftgrund »Gefährdung der öffentlichen Sicherheit« geschaffen werden. Die Duldung ausreisepflichtiger Ausländer soll verkürzt werden, wenn sie etwa falsche Angaben zur Identität machen. Zudem will de Maizière, dass Menschen, denen Terrorismus vorgeworfen wird, die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren sollen, sofern sie einen weiteren Pass haben.
De Maizière begründete seine Gesetzesinitiative mit den Gewalttaten in Würzburg und Ansbach im Juli. Viele Menschen hätten Sorge vor weiteren Anschlägen. Der Staat müsse daher besonnen und entschlossen zugleich auf Terrorgefahren reagieren. In beiden Fällen waren die Täter Geflüchtete, denen Kontakt zum »Islamischen Staat« unterstellt wird. In diese Richtung wurde auch ermittelt als in München ein Amokläufer zehn Menschen erschoss. Doch bald stellte sich heraus, dass der Täter kein »Islamist«, sondern Rassist war, der gezielt Jugendliche mit Migrationshintergrund als Opfer aussuchte.
Terror und Amok
Doch anders als Ansbach und Würzburg wird die Gewalttat von München keine politischen Konsequenzen nach sich ziehen. Die Frage, wie es zu solchen »Explosionen von Gewalt« kommen könne und ob die Tat absehbar war, müsse sich eher an das direkte Umfeld des 18-jährigen Täters richten als an die Sicherheitsbehörden, so de Maizière. Wenn ein psychisch-kranker Rassist Menschen tötet, ist es also der Amoklauf eines Einzelnen und hat individuelle Ursachen. Tötet, wie in Ansbach oder Würzburg, ein psychisch-kranker Muslim, handelt es sich hingegen um Terrorismus. So lässt sich dann auch rechtfertigen, das Aufenthaltsrecht für Ausländer zu verschärfen und somit alle Geflüchteten und Migranten unter Generalverdacht zu stellen.
Nach den Anschlägen überboten sich Politiker der Union mit Forderungen nach härterem Durchgreifen der Sicherheitsbehörden gegen Ausländer und schnelleren Abschiebungen von Geflüchteten. Dass die unmittelbar bevorstehende Abschiebung des syrischen Flüchtlings, der für die Bombenexplosion in Ansbach verantwortlich sein soll, ein möglicher Auslöser seiner Tat war, interessiert niemanden mehr.
Mehr Polizei und Überwachung
Neben der Verschärfung des Aufenthaltsrechts sieht de Maizières Gesetzespaket einen weiteren Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparates vor. Demnach sollen unter anderem die Sicherheitskräfte des Bundes, insbesondere die Bundespolizei, um »eine mittlere vierstellige Zahl« aufgestockt werden. Zudem soll es Änderungen bei der Vorratsdatenspeicherung, eine Verbesserung der Videoüberwachung und eine Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht geben.
Das sogenannte Sicherheitspaket der Bundesregierung ist bereits das Dritte seit den Anschlägen von Paris im November 2015. Schon damals wurde der Etat des Bundesinnenministeriums um 1,5 Milliarden Euro aufgestockt – fast ein Viertel des Gesamtetats nochmal oben drauf. Insgesamt sollten die Sicherheitsbehörden zusätzlich knapp 4.000 neue Stellen bekommen und die Bundespolizei neue »robuste Einheiten« erhalten. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz sollte im Bereich Extremismus- und Terrorismusbekämpfung erheblich verstärkt werden. Kein halbes Jahr später, im März 2016, folgte nach dem Anschlag von Brüssel ein weiteres Paket: noch einmal 1,5 Milliarden Euro mehr für die nächsten Jahre. Für die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz sollten insgesamt 750 neue Stellen geschaffen werden.
Mehr Repression schafft keine Sicherheit
Auf nahezu jeden Anschlag in Europa folgte ein »Sicherheitspaket« aus dem Hause de Maizière. Mehr Sicherheit schafft dies derweil nicht. Die Gefahr von Anschlägen scheint vielmehr weiter zugenommen zu haben. Das hindert Politikerinnen und Politiker von Union und SPD jedoch nicht immer weitere Gesetzesverschärfungen und mehr Polizei und Überwachung zu fordern. Dahinter steckt nichts weiter als die gefühlte Unsicherheit der Bevölkerung für einen immer weitergehenden Ausbau des staatlichen Repressionsapparates zu missbrauchen.
Dazu gehört auch die immer lauter werdende Forderung die Möglichkeiten für einen Bundeswehreinsatz im Innern zu erweitern. Bereits heute ist ein Einsatz der Armee im Inland unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Seit den Notstandsgesetzen von 1968 darf die Bundeswehr zur Katastrophenhilfe oder bei einem »Inneren Notstand« auch ohne Verteidigungsfall innerhalb der Grenzen eingesetzt werden. Nun trommeln führende Unionspolitiker, unter anderem Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, für eine weitere Aufweichung des Prinzips der Trennung von Militär und Polizei, wie sie nach den Erfahrungen der NS-Zeit im Grundgesetz festgeschrieben wurden. Die Vorstellung, dass dadurch Anschläge, wie in Ansbach, Würzburg, Paris, Brüssel oder Nizza verhindert hätten werden können, ist absurd. Es geht darum die Angst vor Anschlägen zu nutzen, um Tabus zu brechen und die Bevölkerung an Bundeswehreinsätze auch im Innern zu gewöhnen, nicht nur als Nothelfer. So waren etwa beim Einsatz zum G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 auch über 2.400 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Einsatz.
Was die Terrorgefahr hingegen tatsächlich senken würde, wäre ein sofortiges Ende der Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Syrien und dem Irak. Doch stattdessen ist die Bundesregierung dabei das »Engagement« der Bundeswehr im »Krieg gegen den Terror« immer weiter auszubauen und Deutschland immer tiefer in den Krieg zu verstricken.
Hilfe statt Rassismus
Auch ein Ende der Kriegsbeteiligungen der Bundesrepublik hätte die Attentate von Würzburg und Ansbach womöglich nicht verhindert. Bei beiden handelte es sich um Verzweiflungstaten von Menschen, die sich seit längerem in psychischer Behandlung befanden. Der Täter von Ansbach, ein 27-jähriger syrischer Flüchtling, hatte bereits zuvor zwei Suizidversuche begangen. Sein Antrag auf Asyl war abgelehnt worden, die Abschiebung stand unmittelbar bevor.
Auch mehr Polizei und Überwachung werden solche Attentate oder Amokläufe nicht verhindern können. Was helfen würde, wäre hingegen eine Verbesserung der katastrophalen Lage, in der sich Geflüchtete in Deutschland befinden und ein Ausbau der sozialen und psychologischen Unterstützung für die nicht selten traumatisierten Menschen. Abschiebungen stoppen, Wohnungen statt Massenunterkünfte, Arbeitserlaubnis und Ausbildungsplätze – all das wären richtige Schritte, um die Gefahr zu senken, dass Geflüchtete aus Verzweiflung in den erweiterten Suizid getrieben werden. Doch stattdessen stellt die Bundesregierung sie unter Generalverdacht, während sie gleichzeitig mit islamfeindlichen Parolen und Forderungen den wachsenden Rassismus nährt.
Burka-Verbot als Anti-Terror-Maßnahme
Während sich Behörden, Politik und Medien lange Zeit über die offensichtlich rassistischen Motive des Münchner Amokläufers ausschwiegen und diese auch nach ihrem Bekanntwerden keine Debatte über Rassismus auslösten, führten die »islamistischen« Motive der Attentäter von Ansbach und Würzburg zu einem öffentlichen Aufschrei. Plötzlich galten alle Flüchtlinge als verdächtig und der Islam wurde mal wieder als die große Gefahr aufgebauscht, während weiterhin fast täglich Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen stattfinden. Die Amadeu-Antonio-Stiftung schreibt dazu: »Die Zahl rechter Gewalttaten nimmt seit Jahresbeginn weiter zu. Dabei werden immer häufiger bewohnte Unterkünfte Ziel von Anschlägen. Auch Körperverletzungen sind an der Tagesordnung.« Dennoch scheint für die Politik klar zu sein: Die Gefahr geht von Flüchtlingen und radikalisierten Muslimen aus.
So verwundert es nicht, dass neben dem Ausbau des Sicherheitsapparates auch eine weitere Einschränkung der Rechte von Flüchtlingen, Migranten und Muslimen gefordert wird. Bereits am Mittwoch, einen Tag vor der Vorstellung des Gesetzespaketes des Bundesinnenministeriums, wurde der Entwurf der sogenannten »Berliner Erklärung« der Landesinnenminister der Union öffentlich. Die eingeforderten Maßnahmen reichen von einem Burka-Verbot und der strengeren Kontrolle von Moschee-Finanzen bis hin zur Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Damit gehen sie noch deutlich weiter als Bundesminister de Maizière, der sich gegen ein staatliches Verbot der Vollverschleierung und für die aktuelle Gesetzeslage zur doppelten Staatsbürgerschaft aussprach.
Rassismus als Wahlkampfstrategie
Dass die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft oder ein Verbot der Burka nichts mit dem Kampf gegen Terror zu tun hat, ist mehr als offensichtlich. Worum es eigentlich geht, wird deutlich beim Blick auf die Urheber dieser Forderungen. Während sich etwa die Innenminister Bayerns und Baden-Württembergs, Joachim Herrmann und Thomas Strobl – beide nicht gerade als Antirassisten bekannt – gegen das Burka-Verbot stellten, sind es ihre Amtskollegen aus Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, die am lautesten nach Verboten und Repressalien gegen Migranten und Muslime schreien. Berlins Innensenator Frank Henkel nannte die Burka einen »Käfig aus Stoff, der nicht in das deutsche Straßenbild gehöre.« Ähnlich äußerte sich der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns Lorenz Caffier.
Das ist kein Zufall: In beiden Ländern wird noch im September gewählt, in beiden Ländern sind die Spitzenkandidaten der CDU die amtierenden Innenminister und in beiden Ländern befinden sich ihre Umfragewerte im Keller. Henkel versucht bereits seit Monaten als Law-and-Order Mann zu punkten. Dazu gehört nicht zuletzt die absichtlich herbeigeführte Eskalation des Konfliktes mit dem linken Hausprojekt in der Rigaer Straße, die bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Auch Caffier gibt den Hardliner und steht Henkel in seinen rassistischen Äußerungen in nichts nach. Dahinter steckt Kalkül: Henkel und Caffier versuchen sich mit ihren rechtspopulistischen Parolen gegenüber der Konkurrenz von rechts durch die AfD zu behaupten, die in beiden Bundesländern mit starken Fraktionen in den Landtag bzw. das Abgeordnetenhaus einzuziehen droht.
Wasser auf die Mühlen der AfD
Der Plan scheint nicht aufzugehen: In Mecklenburg-Vorpommern fiel die CDU in den jüngsten Umfragen mit 23 Prozent wieder hinter die SPD zurück und in Berlin rutschte sie mit 18 Prozent sogar noch hinter die Grünen. Die AfD befindet sich derweil wieder im Aufwind. In Berlin steht sie Umfragen zufolge aktuell bei 14 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern sogar bei 19. Das verwundert nicht, denn das Nachahmen der Parolen vom rechten Rand hat der Union noch nie genützt. Im Zweifel wählen die Menschen das Original. Und noch schlimmer: Die rassistische Hetze der Unionsminister ist zusätzliches Wasser auf die Mühlen der AfD. Sie befördert ein Klima, in dem Rechtspopulisten und Faschisten weiter ausgreifen können. Der Rechtskurs der Union stärkt den Rassismus und die AfD. Muslime, Migranten und Flüchtlinge sind die unmittelbar Leidtragenden, aber der drohende Rechtsruck gefährdet uns alle.
Mit der bevorstehenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im März und der Bundestagswahl im Herbst droht uns auch 2017 ein Wahljahr, in dem sich Politikerinnen und Politiker von Union und AfD gegenseitig mit rassistischen und repressiven Forderungen zu überbieten versuchen. Der Kampf gegen Rassismus wird daher eine der zentralen Herausforderungen für die gesamte Linke bleiben. Die Chancen, dass er erfolgreich sein wird, stehen jedoch nicht schlecht. Nach wie vor gibt es viel Solidarität mit Geflüchteten. Diese Solidarität muss genauso auch Muslimen gelten, welche von der AfD, die das Flüchtlingsthema mittlerweile für »verbraucht« hält, als ihr neues Hauptfeindbild auserkoren wurden und die auch von der Bundesregierung zunehmend unter Beschuss geraten.
Aufstehen gegen Rassismus
Schon in drei Wochen bietet sich die nächste Gelegenheit: Das Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«, das sich im Frühjahr als Reaktion auf das Erstarken der AfD gegründet hat, ruft für Samstag, den 3. September zu einer bundesweiten Demonstration und einem Konzert in Berlin auf. Damit soll ein klares Zeichen gegen Rassismus gesetzt und kurz vor den Wahlen die Stimmung in der Stadt geprägt werden – gegen die AfD und auch gegen Henkel.
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