Ende Juni wird eine Flotte von fast 20 Schiffen versuchen, die israelische Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen. Aksel Hagen, Abgeordneter der norwegischen Sozialistischen Linkspartei, wird dabei sein und sprach mit marx21.de
marx21.de: Aksel, warum hast du dich entschlossen, an der diesjährigen Gaza-Flotte teilzunehmen?
Aksel Hagen: Als Abgeordneter halte ich es für wichtig, einen Teil meiner Zeit auch Auslandsthemen zu widmen. Norwegen ist ein sehr kleines Land. Unsere Wirtschaft ist international sehr offen. Es ist undenkbar, als Politiker nur auf nationaler oder sogar nur regionaler Ebene zu agieren.
Ich habe mich seit vielen Jahren für den Konflikt zwischen Israel und Palästina interessiert. In den vergangenen Jahren hatten wir viele Studentinnen und Studenten aus Palästina in unserem Haus. Sie haben es mir vor zwei Jahren ermöglicht, Ramallah im Westjordanland zu besuchen.
Dort habe ich unvergessliche Eindrücke gewonnen von den Geschichten, die man normalerweise nur in den Zeitungen liest. Am nachhaltigsten wirken die Checkpoints auf mich, wo ich jeden Tag erleben konnte, wie unterschiedlich die israelischen Soldaten uns aus Norwegen und unsere palästinensischen Freunde behandelten. Als sich also diesmal die Gelegenheit bot, waren meine Freunde und ich der Ansicht, dass ich an der Flotte teilnehmen sollte.
Ist die Flotte nicht inzwischen überflüssig? Ägypten hat kürzlich in Rafah den Grenzübergang nach Gaza geöffnet. Die Türkei hat entschieden, kein Schiff zu schicken.
Für mich ist die Flotte eine politische Aussage über die Lage der Palästinenser. Es ist richtig, dass die Grenze zwischen Ägypten und Gaza jetzt – eingeschränkt – geöffnet ist, aber die Grenze zwischen Israel und Gaza nicht. Es geht nicht nur um Gaza, das ist ein Teil davon. Es geht auch nicht nur um Palästina, denn die Lage ist auch für die Israelis schwierig. Beide leiden unter der jetzigen Situation. Ich bin nicht gegen die Israelis, ich bin gegen die offizielle Politik Israels.
Nach der Erschießung von neun Menschen an Bord der Flotte im vergangenen Jahr wurde viel über den Charakter der Flotte geredet. Sie wurde als von türkischen Islamisten organisiert beschrieben und als teilweise von Faschisten finanziert. Wer steht hinter der jetzigen Flotte?
Ich weiß, was im vergangenen Jahr passiert ist. Ich weiß auch, dass es verschiedene Versionen der Ereignisse gibt. Meiner Erfahrung nach kann ich sagen, dass die Flotte sehr gut organisiert ist. Dahinter steht ein breites Spektrum von Leuten aus seriösen Organisationen. Sie unterstreichen, dass es wichtig ist, gewaltfrei zu bleiben und die Menschenrechte zu achten.
Kann die Linke bei einer gemeinsamen Kampagne auch mit Islamisten zusammenarbeiten?
Ich habe kein Problem mit Religionen, egal welchen. Wenn du dabei aber an extremere Gruppierungen denkst: So weit ich weiß, nimmt keine extremistische Gruppe an der Flotte teil. Das norwegische Schiff ist mit keiner politischen Partei verbunden. Viele der Organisatoren sind vom Palästinakomitee, das seit vielen Jahren aktiv ist. Die meisten Mitglieder sind auch Linke, aber es gibt auch Leute von konservativeren Gruppen. Zusätzlich zum Palästinakomitee gibt es ein paar Gewerkschafter und ein paar Medienleute.
Erwartest du in diesem Jahr einen erneuten Zusammenstoß mit dem israelischen Staat?
Ich weiß es nicht. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass die Israelis sagen, sie würden die Flotte anhalten und dass sie fürchten, dass es zu Gewalt kommen könne. Die norwegische Regierung hat ebenfalls gesagt, es könne zu Gewaltakten kommen. Aber ich denke, das ist wohl Teil der politischen Diskussion. Die Israelis wollen verhindern, dass die Flotte in See sticht. Sie versuchen uns Angst einzujagen.
Aber ich habe keine Angst. Ich denke, wenn sie uns aufhalten, dann mit friedlichen Mitteln. In diesem Jahr ist die Diskussion über den Nahen Osten sehr viel dynamischer. Die Entwicklungen in den Nachbarländern erschweren es Israel, wie zuvor weiterzumachen. Es wird immer schwieriger der restlichen Welt zu erklären, dass es keine Lösung geben soll. Israel muss sich verstärkt nach Unterstützung umsehen.
(Das Interview führte Jan Maas. Übersetzung: Rosemarie Nünning)
Zur Person:
Aksel Hagen, geboren 1953, wurde 2009 als einer von elf Abgeordneten für die Sosialistisk Venstreparti (Sozialistische Linkspartei) in das norwegische Parlament gewählt. Er ist Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Kirchenfragen und setzt sich dort unter anderem für die Abschaffung der Hausaufgaben in der Grundschule ein. Die Sozialistische Linkspartei wurde 1975 als linke Alternative zur sozialdemokratischen Norwegischen Arbeiterpartei gegründet. Sie hat knapp 10.000 Mitglieder.
Mehr im Internet:
- Sosialistisk Venstreparti: Sozialistische Linkspartei, Norwegen
- US to Gaza: Teilnehmer der Flotte nach Gaza aus den USA
- Ship to Gaza Norway: Teilnehmer der Flotte nach Gaza aus Norwegen
- Free Gaza: Teilnehmer der Flotte nach Gaza aus Deutschland
Mehr auf marx21.de:
- Kritisiert in Deutschland – Entrechtet in Israel: Mehrere Mitglieder der LINKEN, die sich 2010 an der Gaza-Hilfsflotte beteiligten, verteidigen die Hilfsaktion gegenüber der Kritik von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (DIE LINKE). marx21.de dokumentiert einen offenen Brief von Inge Höger, Annette Groth und Norman Paech
- Die Medien und die Gaza-Friedensflotte: Christine Buchholz, friedenspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE und Niema Movassat, MdB, DIE LINKE widerlegen Behauptungen, die in einigen Medien gegen die Free-Gaza-Friedensflotte 2010 ins Feld geführt wurden
- »Das war ein Akt der Seepiraterie«: Der schwedische Autor Henning Mankell berichtete beim Auftakt seiner Lesereise in Berlin von seinen Erlebissen beim israelischen Angriff auf den Free-Gaza-Konvoi 2010