Die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern belegt es erneut: Die AfD schafft es, eine diffuse Unzufriedenheit mit dem herrschenden Politikbetrieb aufzunehmen und gegen Flüchtlinge und Muslime zu lenken. Das sollte ein Weckruf für die antirassistischen Gegenkräfte sein.
Die AfD ist weiter im Aufwind und erreichte bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern aus dem Stand 20,8 Prozent. Sie hat allen anderen Parteien Stimmen weggenommen. Die AfD konnte 56.000 der Nichtwählerinnen und –wähler von 2011 mobilisieren, außerdem noch 23.000, die 2011 sehr kleine Splitterparteien gewählt hatten. Der CDU hat die AfD 23.000 Stimmen abgenommen, der NPD 20.0000, der Partei DIE LINKE 18.000, der SPD 16.000 und den Grünen 3000.
Die meisten Wahlanalysen charakterisieren die AfD als die »neue Protestpartei«. Dafür spricht, dass knapp drei Viertel Prozent der AfD-Wähler angeben, aus Enttäuschung mit anderen Parteien ihre Stimme der AfD zu geben. Es ist Tatsache, dass es die Grunderfahrung des überwältigenden Teils der Bevölkerung ist, dass sich ihre konkreten Lebensumstände nicht durchgreifend verbessern – egal unter welcher Parteien- und Regierungskonstellation. Daraus resultieren Abstiegsängste. Unter immer größeren Teilen der Bevölkerung verbreitet sich seit Jahren ein diffuser antisystemischer Frust, der die politische Basis der »Etablierten« auflöst und die Legitimität der politischen und ökonomischen Ordnung insgesamt aushöhlt.
Kernelement Rassismus
Doch mit der Formel der »Protestpartei«, die weit verbreiteten Unmut mit dem Politikbetrieb und den Parteien aufnimmt, ist nur die Hälfte der Geschichte erzählt. Denn der Protest, den die AfD und ihre Wähler politisch artikulieren, ist keineswegs diffus, sondern hat eine klare Richtung: Gegen Flüchtlinge und Muslime, im AfD-Duktus also »den Ausländer« an sich. Die Zahlen aus Mecklenburg-Vorpommern sprechen hier eine deutliche Sprache: Volle 100 Prozent der AfD-Wähler finden es gut, dass die AfD »den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen begrenzen will«. 95 Prozent der AfD finden es gut, dass die AfD »die Ausbreitung des Islams in Deutschland verhindern will«.
Diesen Einstellungen liegen keinerlei konkrete Erfahrungen zugrunde: Mecklenburg-Vorpommern hat nur 23.000 Flüchtlinge aufgenommen und der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung ist verschwindend gering. Ebensowenig sind diese weitverbreiteten rassistischen Einstellungen eine »natürliche« Reaktion verarmter Menschen auf ihre soziale Notlage – 74 Prozent der AfD-Wähler bezeichnen ihre eigene wirtschaftliche Situation als gut. Die AfD ist stärkste Partei unter Arbeitern geworden. Wir alle wissen, dass sich die Arbeitswelt in punkto Lohn, Befristung und Arbeitsdruck durch den neoliberalen Umbau seitens Regierung und Kapital zum Nachteil der Beschäftigten entwickelt hat. Dadurch erklärt sich aber nicht das Einbrechen der AfD in das noch nicht völlig nach unten durchgereichte Facharbeitermilieu, von dem gewerkschaftlich Aktive voll Sorge berichten.
Rassistische Saat geht in Mecklenburg-Vorpommern auf
Nein, was in Mecklenburg-Vorpommern wie bei der vorhergehenden Wahl aufgegangen ist, ist die Saat vieler Jahre rassistischer Stimmungsmache, allen voran gegen Muslime, seit zwei Jahren auch gegen Flüchtlinge. Eine Studie zur »Enthemmten Mitte« von Leipziger Forschern hat im Juni die drastische Verlaufskurve antimuslimischer Einstellungen aufgezeigt. 2014 stimmten noch 36,6 Prozent der Aussage zu: »Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden«, 2016 sind es schon 41,4 Prozent. 43 Prozent stimmten 2014 der Aussage zu: »Durch die vielen Muslime fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land«, 2016 waren es schon 50 Prozent.
Verantwortlich dafür sind eine mediale Öffentlichkeit, die Muslime und Flüchtlinge bevorzugt im Kontext von Terror darstellt. Aber auch Parteien wie CDU/CSU und SPD, die dieses Spiel über Jahre mitspielen. Der Zustrom von Flüchtlingen wurde nicht zum Anlass genommen, die Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur aus Mitteln des konzentrierten Reichtums im Land auf die Tagesordnung zu setzen. Sondern Flüchtlinge und einheimische Bedürftige gegeneinander auszuspielen. Ergebnis: 83 Prozent der AfD-Wähler in Mecklenburg-Vorpommern sind der Meinung, dass für »Flüchtlinge mehr getan wird als für die einheimische Bevölkerung«. Das ist faktenwidrig – den Flüchtlingen fehlt es an allem: Zugang zu menschenwürdigem Wohnen, zu Bildung, zum Arbeitsmarkt. Aber es ist ein Bild, welches die Grundlage für die Obergrenzen-Rhetorik der CSU war: »Es gibt zu wenig – und von dem Wenigen, was es gibt, nehmen uns die Flüchtlinge alles weg, deshalb sollen keine mehr kommen.« Dieses Bild hat sich jetzt in einem rassistischen Vorurteil verfestigt und ist in Form der AfD wählbar. Genau dies ist in Mecklenburg-Vorpommern passiert.
Benzin ins Feuer
Dieselben Politiker, welche diese Vorurteile verbreiten, nehmen sie jetzt als »berechtigte Sorge der Bürger« zum Anlass, mit Debatten von Burka-Verbot über Bevorratungsempfehlungen für den Terrorfall bis hin zu noch härteren Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr Benzin ins Feuer zu gießen. Jede dieser Debatten und jede ergriffene Maßnahme zur Diskriminierung von Muslimen und Flüchtlingen ist ein Sieg für die AfD und wird ihr Zulauf bescheren. Denn es ist klar, dass sie – sollte sie weiter wachsen – die gesamte politische Agenda nach rechts verschieben kann. Noch am Wahlabend betonte SPD-Mann Sellering, dass aus seiner Sicht bei 23.000 Flüchtlingen die Kapazitätsgrenze des Landes erreicht ist – ein erneuter Ritterschlag für die Hauptbotschaft der AfD-Propaganda.
Das Kalkül, rechte Kräfte zu marginalisieren, indem Konservative und Sozialdemokratie selber rechte Ideen hofieren, geht nicht auf. Im Gegenteil, die AfD hat im Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern die hingelegte Klaviatur von Ressentiments virtuos bespielt mit Plakaten von »Asylchaos stoppen« und »Islamismus bekämpfen« bis hin zu sozialen Forderungen wie »Kindergarten kostenfrei«.
Beides ist bei der AfD inhaltlich verbunden. Ihre Kernbotschaft lautet, dass nur ein hartes Vorgehen gegen »die Ausländer« die Ressourcen für den Sozialstaat schafft: »Unsere unterfinanzierten Länder, Kreise und Kommunen leiden erheblich unter den Kosten für die stark steigende Zahl der Asylbewerber.« Diese Argumentation war schon Kennzeichen der NPD, die bei der Wahl von der AfD sowohl politisch als auch an Wählern beerbt wurde. Eine solche Verbindung von Rassismus und sozialer Demagogie blendet die gesellschaftliche Realität aus, dass der Ressourcenmangel unten ein Produkt der Konzentration von Reichtum an der Spitze der Gesellschaft ist.Um dem etwas entgegenzusetzen, muss eine Linke dem Rassismus offensiv entgegentreten und den Fokus auf das lenken, was in der linken Tradition gemeinhin als Klassenspaltung bekannt ist.
Mecklenburg-Vorpommern: Eine Niederlage der LINKEN
Das ist in Mecklenburg-Vorpommern leider nicht gelungen. Die LINKE in Mecklenburg-Vorpommern hat den AfD-Zug nicht aufhalten können, sondern ist selbst unter die Räder geraten. Das Wahlergebnis von 13,2 Prozent drückt den verlorenen Rückhalt der Partei nicht so stark aus wie die absoluten Zahlen. Konnte die LINKE, damals noch als PDS, 1998 noch 264.299 Wählerstimmen auf sich vereinen, waren es 2016 nur noch 106.259.
Dabei machte die Partei im Wahlkampf gute Vorschläge zugunsten der besseren Integration der Flüchtlinge, für eine sozialere Politik, für eine gerechtere Verteilung der Reichtümer und Einkommen von oben nach unten. Doch die Grundanlage der Kampagne mit Slogans wie »Aus Liebe zu MV« und »Heimat ist, wo Familie ist«, war alles andere als eine Kampfansage gegen Rassismus und das Kapital. Es nützt offensichtlich nicht, möglichst staatstragend und etabliert aufzutreten in einer Zeit, in der immer mehr Menschen berechtigte Zweifel daran haben, ob der etablierte Politikbetrieb in ihrem Interesse funktioniert.
Dazu war die Kampagne immer verknüpft mit der Perspektive auf die Bildung einer Regierungskoalition mit SPD und Grünen – verbunden mit der Ansage die »Schuldenbremse« und die entsprechende »Haushaltsdisziplin« unbedingt respektieren zu wollen. Das hat es der AfD einfacher gemacht, die LINKE ins »Altparteienkartell« einzusortieren, unter denen sich nichts ändert.
Aus dieser Warte wäre es für die LINKE fatal, jetzt wie es bspw. für den Berliner Senat diskutiert wird, mit der SPD eine Regierung zu bilden. Denn damit überlässt die LINKE die Opposition komplett der AfD, die natürlich jede Kürzungsmaßnahme der Regierung ausweiden wird um sich als Alternative darzustellen.
Die Lehren aus der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern
Als allgemeine Lehre aus der Wahl wird jetzt in der LINKEN debattiert, das »soziale Profil der Partei zu schärfen«. Doch ohne eine generelle Offensive der Partei gegen den Rassismus, auf deren Grundlage die AfD aufbaut, wird das ganze Schärfen ins Leere laufen. Wenn die AfD sagt, »Weg mit der Moschee«, dann ist »Weg mit Hartz IV« als alleinige Antwort der LINKEN eine Themaverfehlung. Hier ist eine Verteidigung des Rechts der Muslime auf freie Religionsausübung angesagt und der aktive Schulterschluss mit der muslimischen Community. Aktivisten der Partei DIE LINKE und ihr Umfeld müssen in die Lage versetzt werden, rassistischen Argumenten dort entgegenzutreten, wo sie jetzt immer offener geäußert werden: Im Betrieb, in der Schule, im familiären Umfeld. Die Zahl derjenigen, die zutiefst besorgt sind über den Aufschwung der AfD und vor allem der steigenden gesellschaftlichen Akzeptanz ihrer Argumente, geht in die Hunderttausende, wenn nicht Millionen. Wenn die LINKE in den kommenden Monaten und Jahren einer der Katalysatoren eines antirassistischen Aufbruchs werden kann, dann hat sie schon mal eine wichtige Rolle für die Zukunft gefunden. Aus diesem Grund wirbt marx21 in und außerhalb der Partei für eine Teilnahme am Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«, was sich genau dies zum Ziel gesetzt hat.
Auf dieser Grundlage braucht die Partei eine genauere Diskussion, was mit der »Schärfung des sozialen Profils« gemeint ist. Denn der LINKEN gebricht es nicht an richtigen programmatischen Vorschlägen zur Bekämpfung von Armut und Konzernmacht und auch nicht an Plakaten, auf denen diese Forderungen zugespitzt stehen. Das Kernproblem der LINKEN ist nicht das falsche Programm, sondern strategische Hilfslosigkeit in der Umsetzung desselben. Das hat nämlich bisher weder in Regierungsverantwortung noch mittels Proklamieren des Programms in der Opposition funktioniert. Hinter den Forderungen der LINKEN müssen reale Kräfte gruppiert werden. Nämlich die Menschen, die sich schon jetzt einsetzen für besseren Wohnraum für alle, einen guten öffentlichen Dienst und alles weitere, welches das Leben von Geflüchteten wie der alteingesessenen Bevölkerung verbessert. Also muss sich die LINKE in die sozialen Kämpfe werfen und erfahrbar sein als Nutzwert für die Selbstorganisation derjenigen, die gegen die Zumutungen des Kapitalismus agieren. Das wäre eine wirkliche Schärfung des sozialen Profils.
Foto: Franz Ferdinand Photography
Schlagwörter: AfD, Alternative für Deutschland, Analyse, Angela Merkel, CDU, CSU, Flüchtlinge, Islamfeindlichkeit, Islamhass, Islamophobie, Landtagswahl, Landtagswahlen, Linke, Rassismus