Der Berliner LINKEN ist es gelungen, Wähler zurückzugewinnen. Das ist sehr gut. Jetzt kommt möglicherweise ein rot-rot-grüner Senat. Doch wenn sich die Hoffnungen auf einen Politikwechsel nicht erfüllen, droht Frust. Und eine starke AfD hockt schon in den Startlöchern, um daraus Kapital zu schlagen
Die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen drücken eine politische Polarisierung aus: Während die Volksparteien an Stimmen verlieren und die Grünen stagnieren, gewinnen die AfD und die LINKE Stimmen hinzu. Für die LINKE ist es erfreulich, das sich die schlechten Ergebnisse von Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt nicht wiederholt haben, aber die Partei steht jetzt vor zwei großen Fragen: a. Wie umgehen mit der AfD? und b. Wie umgehen mit der rot-rot-grünen Mehrheit?
Auch wenn die AfD ihre Erfolge von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt nicht wiederholen konnte, ist es verheerend, dass die Partei aus dem Stand in derartiger Stärke ins Abgeordnetenhaus einziehen konnte. In einzelnen Bezirken Berlins ist ihr Ergebnis teilweise ähnlich hoch wie in Mecklenburg-Vorpommern. Die AfD hat fünf Direktmandate in Pankow, Lichtenberg, Marzahn, Hellersdorf und Köpenick gewonnen. Zwei davon hat sie der LINKEN abgenommen.
Die AfD gewann wie folgt von anderen anderen Parteien: SPD (24.000), CDU (39.000), Linke (12.000), die Grünen (4000, unterdurchschnittlich ), Nichtwähler (69.000), Sonstige (46.000), wobei hier fast alle Wähler anderer Rechtsaußenparteien die AfD gewählt haben. Unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielte die AfD bei den unter 35-Jährigen (8-10 Prozent), bei den Frauen (11 Prozent, Männer 18 Prozent), überdurchschnittliche Ergebnisse gab es bei Arbeitern (28 Prozent) und Erwerbslosen (22 Prozent).
Die Motivlage bei der Wahl der AfD ist ganz ähnlich wie in Mecklenburg-Vorpommern. Von den AfD-Wählern sagten 91 Prozent, sie wählen AfD,aus Protest gegen die anderen Parteien zu setzen. Dieser Protest ist aber nicht diffus, sondern hat eine rassistische Zielrichtung. 99 Prozent der AfD-WählerInnen finden gut, dass sie die Partei den Zuzug von Flüchtlingen weiter begrenzen will, 95 Prozent finden gut, dass sie die Ausbreitung des Islams in Deutschland verhindern will.
Die AfD kann nun sieben Stadträte stellen, in Neukölln, Spandau, Reinickendorf und allen Ostbezirken. Das könnten die anderen Parteien durch Nichtwahl verhindern. Allerdings gibt es unter den Parteien und innerhalb der LINKEN selbst eine Diskussion um den Umgang mit der AfD. Zum einen gibt es die Hoffnung, die AfD zerlege sich unter dem Druck der parlamentarischen Arbeit von selbst. Zum anderen gibt es den Einwand, Proteste gegen die AfD werteten die Partei nur auf.
Beide Herangehensweisen sind gefährlich, denn sie bedeuten, die AfD frei agieren zu lassen. Ihre Anziehungskraft fußt zum großen Teil darauf, sich als Opposition zu den angeblich gleich etablierten „Systemparteien“ darzustellen. Überlassen diese anderen Parteien der AfD die Bühne, wird sie genau das fortsetzen und weiter an Rückhalt und Unterstützung gewinnen. Es kommt vielmehr darauf an, besonders den faschistischen Flügel der AfD anzugreifen – etwa den „German Defence League“-Aktivisten Kay Nernstheimer –, so den Streit in der AfD zuzuspitzen und hoffentlich die Strategie, sich als bürgerliche Stimme des gesunden Menschenverstandes zu verkaufen, zu sprengen.
Es lohnt sich, das gute Ergebnis der LINKEN im Einzelnen zu betrachten: In den 3 Ostbezirken Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick gab es Verluste, in den gemischten Ost-West-Bezirken und den Westbezirken Gewinne. Deutlich überdurchschnittliche Gewinne konnte die LINKE in dem gemischten Ost-West-Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und in Neukölln erzielen. In den 3 Wahlkreisen in Nord-Neukölln, wo der Aktivitätsschwerpunkt des Bezirksverbandes war, ist sie mit über 20 Prozent bei den Zweitstimmen fast gleichauf mit Grünen und SPD.
Interessant war in Neukölln außerdem, dass der Direktkandidat der SPD religionsfeindlich gegen Muslime auftrat und mit dieser Linie hinter der Direktkandidatin der LINKEN Irmgard Wurdack zurückblieb, die mit „Aufstehen gegen Rassismus“ gegen die Islamophobie Stellung bezog. Sie konnte wie viele Direktkandidaten des linken Flügels in der Partei aus Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln über 10 Prozentpunkte bei den Erststimmen hinzugewinnen. Die größeren Gewinne der Linkspartei insgesamt kamen von der SPD (20.000), den Grünen (21.000), den Piraten (22.000) und den Nichtwählern (16.000), an die AfD wurden 12.000 Stimmen abgegeben.
Die LINKE konnte in der Opposition in den letzten fünf Jahren wieder etwas an Vertrauen unter den Wählern gewinnen. Der Berliner Landesverband ist deutlich kämpferischer, auch antirassistischer aufgetreten als die Verbände in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt und hat die sozialen Interessen der Mehrheit klar artikuliert: „Wem gehört die Stadt?“. Dort wo die Partei durch Arbeit in den Bewegungen und mit einem noch stärker polarisierenden Profil gegen den Senat aufgetreten ist und auch antikapitalistische Propaganda transportierte, konnten sogar überdurchschnittliche Zugewinne erzielt werden.
Der LINKEN ist es in Berlin nur teilweise gelungen, sich als Sprachrohr der sozialen Interessen der Arbeiterklasse und der Erwerbslosen sichtbar zu machen. Die LINKE hätte noch besser abschneiden können, wenn sie früher und stärker den Unmut der Bevölkerung mit dem SPD-geführten Senat über die Mietentwicklung, über die Personal- und Lohnentwicklung im öffentlichen Dienst und den Zustand im Berliner Bildungswesen zum Ausdruck gebracht hätte. Durchweg präsent war die Landespartei bei antirassistischen und antifaschistischen Aktivitäten. Die Demo am 3.9. „Aufstehen gegen Rassismus“ mit 6000 Teilnehmern war ein Signal gegen Rassismus.
Die meisten Berliner und auch die Mehrzahl der LINKEN wünschen sich jetzt eine rot-rot-grüne Regierung. Die LINKE sollte den Wählern deutlich machen, dass ihre Erwartungen nur erfüllt werden können, wenn es neben dem rot-rot-grünen Senat eine massive soziale Bewegung unter Beteiligung der Gewerkschaften gibt. Ohne Aufhebung der Schuldenbremse bzw. ohne eine radikale Steuererhöhung für die Reichen und Konzerne auf Bundesebene wird es keine ausreichenden Finanzmittel geben, um die berechtigten Erwartungen der Berliner erfüllen zu können. Die LINKE ist nicht nur eine parlamentarische Partei, sondern auch mit den sozialen Bewegungen verbunden.
Wenn sie nicht in der Lage ist, im Senat die Erwartungen zu erfüllen, wird sie zur Desillusionierung in den sozialen Bewegungen beitragen und sich so der Mittel berauben, sich gegenüber SPD und Grünen durchzusetzen. Darum muss die LINKE in den Verhandlungen über eine mögliche Regierungsbeteiligung Mindestbedingungen formulieren, welche die Lage spürbar schnell verbessern und dafür auch mobilisieren: 100.000 preiswerte Wohnungen, 10.000 neue Stellen im öffentlichen Dienst, Ausbau des Bildungssystems und der Infrastruktur, kein Ausbau der A100, Abschiebestopp.
Wenn der Senat diese Mindestbedingungen nicht erfüllt, wird die LINKE wie auch schon bei der letzten Regierungsbeteiligung 2002-2011 für die Enttäuschung mit abgestraft werden. Es ist zu befürchten, dass es der AfD dann als rassistischer Oppositionspartei mit Anti-System-Rhetorik gelingt, diesen Unmut zum Aufbau ihrer Partei zu nutzen, und dass damit auch der faschistische Flügel der AfD weiter gestärkt wird. Es darf unter solchen Bedingungen bezweifelt werden, dass eine Regierungsbeteiligung in Berlin die LINKE für den Bundestagswahlkampf stärkt. Es ist vielmehr die Aufgabe der LINKEN, das zurückgewonnene Vertrauen auszubauen und nicht wieder zu verspielen.