Der Krieg in Syrien eskaliert weiter. Die Bilder von der Zerstörung Aleppos durch russische und syrische Bomber sind erschütternd. Doch die Hoffnung, dass eine Vereinbarung zwischen den USA und Russland das Morden beenden wird, ist trügerisch, meint Frank Renken
Im September vereinbarten die Regierungen in Moskau und Washington eine Waffenruhe in Syrien, die in den Medien als Hoffnung für den Frieden dargestellt wurde. Nichts hätte weiter von der Wirklichkeit entfernt sein können. Die sogenannte Waffenruhe war von vornherein lediglich eine auf sieben Tage angelegte Frist, in der sich die russischen und amerikanischen Streitkräfte auf gemeinsame Ziele festlegen wollten. In der nächsten Phase ihres Plans sollten dann diejenigen Gruppen unter den Aufständischen koordiniert angegriffen werden, die sie einvernehmlich als »Terroristen« kategorisieren können.
Unmittelbares Ziel Washingtons war es, zusammen mit Moskau die Gruppe »Fatah asch-Scham« anzugreifen. Zu dem Zweck hätten sich die anderen bewaffneten Gruppen ruhig verhalten sollen. Der so gespaltene Widerstand wäre dann leichter zu besiegen gewesen. Kein Wunder, dass sich keine der bewaffneten Gruppen in Aleppo auf diesen Plan des Teilens und Herrschens eingelassen hat.
Arrangement zwischen Imperialisten
Die zwischen dem amerikanischen Außenminister John Kerry und seinem russischen Kollegen Sergei Lawrow ausgehandelte Vereinbarung ist über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg getroffen worden. Keine der bewaffneten Parteien war eingebunden. Dies wäre allerdings die Voraussetzung gewesen, wenn man einen dauerhaften Waffenstillstand wollte. Es ging um koordinierte Bombardierungen durch amerikanische und russische Streitkräfte in einem gemeinsamen Operationsgebiet im Nordwesten des Landes. Bislang bombardieren amerikanische und russische Streitkräfte unterschiedliche Ziele – die einen vornehmlich im Osten, die anderen vornehmlich im Westen Syriens.
Die Vereinbarung sollte die Grundlage für ein dauerhaftes Arrangement zwischen den imperialistischen Mächten auf syrischem Boden legen. Seit Monaten schon treffen amerikanische und russische Streitkräfte in einem gemeinsamen Lagebesprechungszentrum vor Ort militärische Absprachen. Das US-Außenministerium war offenbar gewillt, nun weiterzugehen und eine Lösung mit Moskau zu finden, die auf die Stabilisierung des Regimes von Bashar Assad in der bevölkerungsreichen Westhälfte des Landes hinausgelaufen wäre.
Gespalten über Syrien
Doch die Regierung in Washington ist in ihrer Syrienpolitik gespalten: Anders als das Außenministerium war das Verteidigungsministerium gegen diese Absprache, weil es die russische Position gestärkt hätte. Dieser Riss innerhalb der Regierung führte zum Zusammenbruch der Vereinbarung. Wenige Tage nach ihrer Unterzeichnung griffen US-Luftstreitkräfte eine Einheit der mit Moskau verbündeten syrischen Armee an, weitab von Aleppo im amerikanischen Operationsgebiet, bei Dair as-Saur. Die Bomben töteten mehr als 60 Soldaten. Umstände und Dauer des Angriffs ließen wenig Zweifel daran, dass er gezielt durchgeführt wurde. Offenbar verfolgte die vom Pentagon geführte Luftwaffe der USA das Ziel, die zwischen Kerry und Lawrow getroffene Vereinbarung zu torpedieren. Mit Erfolg: Als Erwiderung griffen zwei Tage später russische oder syrische Flugzeuge einen Hilfskonvoi nahe Aleppo an und töteten rund zwanzig UN-Mitarbeiter.
Die Vereinbarung zwischen Washington und Moskau brach zusammen. Die syrische Armee startete daraufhin eine Offensive gegen die von den Rebellen gehaltenen Stadtteile im Osten Aleppos. Dort sind 250.000 Menschen eingeschlossen. Wichtige Grundnahrungsmittel wie Zucker fehlen, ebenso Medikamente. Es gibt keinen Zugang zu fließendem Wasser. Es werden Fassbomben, Splitterbomben und bunkerbrechende Bomben eingesetzt. Offenbar ist das Regime gewillt, den Osten Aleppos notfalls komplett zu vernichten, um den Widerstand zu brechen.
Bundeswehr unterstützt Bombardement
Vor dem UN-Sicherheitsrat bezeichnete US-Botschafterin Samantha Power das russische Vorgehen als »barbarisch«. Mehr Heuchelei geht nicht. Die US-Streitkräfte selbst bombardieren, unterstützt von der Bundeswehr durch Luftbetankung und Zieldefinierung, seit Herbst 2014 unablässig Ortschaften in Syrien und Irak. Die US-Bomber hinterlassen ihrerseits Ruinen, auch ihre Angriffe kosten unzählige Menschen das Leben. Doch weil es sich um Gebiete handelt, die der Islamische Staat (IS) kontrolliert, wird kaum darüber berichtet.
Im Kampf gegen den IS unterstützen die US-Streitkräfte kurdische und arabische Aufständische. Sie sind nicht viel mehr als Kanonenfutter für die Planer im Pentagon. So halfen die USA im August zunächst kurdischen Aufständischen der mit der PKK verbündeten YPG, um den vom IS gehaltenen Landkorridor an der türkisch-syrischen Grenze um die Ortschaften Dscharablus und Manbidsch zu erobern. Eine Woche später rückten türkische Bodentruppen mit Panzern in das Gebiet vor, um die Etablierung eines befreiten kurdischen Gebiets zu verhindern. Aus Sicht Washingtons hatte die YPG mit der Niederlage des IS in dem Gebiet ihre Aufgabe erfüllt. Die US-Regierung ließ in dem Konflikt die eben noch mit ihnen verbündeten kurdischen Rebellen fallen. Washington forderte die YPG ultimativ auf, den türkischen Panzern das Gebiet zu räumen und sich auf die andere Seite des Euphrats zurückzuziehen.
Aufteilung von Syrien
Die Bevölkerung in Syrien hat von keiner der intervenierenden Mächte etwas zu erwarten. Auch für die kurdischen Befreiungskräfte werden weder Assad noch Russland oder die USA Garanten national-demokratischer Selbstbestimmung sein. Keiner der intervenierenden Staaten spielt eine fortschrittliche Rolle. Sie haben Syrien zu einem Schlachtfeld gemacht, auf dem sie ihre eigenen regionalen Interessen durchzusetzen versuchen. Angeblich kämpfen sie alle gegen den »Terror«. Doch unter dem Strich kommt es zur Aufteilung Syriens in verschiedene Einflusszonen, die militärisch abgesichert werden.
Der Krieg, den die internationalen Mächte auf diese Weise anfachen, ist selbst nichts anderes als Terror. Die Linke muss deshalb den sofortigen Abzug aller ausländischen Truppen aus Syrien und den Stopp aller Waffenlieferungen nach Syrien fordern. Eine Zukunft hat das Land nur, wenn es zu einer Erneuerung der revolutionär-demokratischen Kräfte kommt, die zu Beginn des arabischen Frühlings auch das neoliberale Assad-Regime erschütterten.
Hintergrund: Von der Revolution zum Krieg
Im Jahr 2011 kam es in Syrien zu einem Massenaufstand gegen das Regime Assads. Er war inspiriert von den Revolutionen, die in Tunesien und Ägypten zum Sturz der dortigen Diktatoren führten. Doch die unmittelbaren Ursachen für den syrischen Aufstand waren hausgemacht: Baschar Assad, und vor ihm sein Vater Hafiz Assad, beherrschten seit über 35 Jahren das Land mit eiserner Faust. In den zehn Jahren vor der Revolution wurden neoliberale Reformen durchgeführt, die die Assads und einige wenige andere Familien superreich machten, während der Lebensstandard der Masse immer weiter absank. Im Jahr 2007 kam es zu einer verheerenden Dürre. Tausende verarmte Landbewohner strömten in die Städte.
Der Aufstand wurde durch eine Routineaktion der Polizei ausgelöst. In der Stadt Dera‘a kam es am 6. März 2011 zur Verhaftung und Misshandlung von Jugendlichen, die regimefeindliche Parolen auf Häuserwände geschrieben hatten. Dies löste Massenproteste aus, die sich explosionsartig über das ganze Land verbreiteten. Im Sommer 2011 demonstrierten jeden Freitag Millionen in verschiedenen Städten im ganzen Land. Wie in Tunesien und Ägypten zuvor forderten sie die Freilassung von Gefangenen, die Aufhebung des Ausnahmezustands und die Demokratisierung des Lands.
Das Regime verurteilte die Demonstranten pauschal als »islamistisch-inspirierte Terroristen« und reagierte mit brutaler militärischer Gewalt. Doch immer mehr Soldaten weigerten sich, auf das eigene Volk zu schießen. Zehntausende begingen Fahnenflucht. Deserteure bildeten in der zweiten Jahreshälfte 2011 einen lockeren Zusammenschluss unter dem Namen »Freie Syrische Armee«. Nachdem das Regime im folgenden Jahr die Kontrolle über viele Ortschaften verlor, ging es dazu über, sie kollektiv zu bestrafen und aus der Luft zu bombardieren.
Regionalmächte wie Saudi-Arabien, Katar und die Türkei begannen, mit eigenen Interessen in den Konflikt zu intervenieren. Bestimmte sunnitisch geprägte Oppositionsgruppen wurden finanziert und mit Waffen ausgestattet. Das Regime holte sich massive Unterstützung von Verbündeten aus Iran, Irak und Libanon. Was als Volksaufstand begann, wandelte sich so in einen zunehmend militarisierten Konflikt. Ab dem Jahr 2014 traten dann die USA und ihre Verbündeten, darunter Deutschland, und später Russland offen militärisch in den Konflikt ein. Aus der Revolution wurde ein Bürgerkrieg, aus dem Bürgerkrieg ein komplexer Stellvertreterkrieg.
Foto: Chaoyue Pan
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