Die neue Führung der AfD um Frauke Petry hat den wirtschaftsliberalen Flügel aus der Partei gedrängt. Nun versucht sich die Partei als Sammelbecken der gesamten rechtsextremen Szene zu etablieren. Dabei setzt sie auf eine bewährte Strategie. Von Volkhard Mosler
Olaf Henkel ist aus der AfD ausgetreten. Nun bezeichnet der ehemalige stellvertretende Vorsitzende die Partei unter der neuen Führung von Frauke Petry als »NPD light«. Der Weg der AfD hin zu einer neuen Nazipartei sei »unaufhaltsam«. Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel bezeichnet die AfD als »offen rechtsradikale« Partei, welche die Sprache der NSDAP pflege. Dass die NPD in der Tradition von Hitlers Nazis steht, ist unbestritten. Doch gilt das wirklich auch für die AfD? Was unterscheidet überhaupt eine faschistische von einer rechtspopulistischen Partei?
Jede politische Partei beruft sich auf bestimmte historische Traditionen, aus denen sie möglicherweise auch hervorgegangen ist. Der Faschismus in Deutschland ist untrennbar mit dem Nationalsozialismus der NSDAP und dem Namen Adolf Hitler verbunden – ein Dilemma, mit dem die Neugründungen faschistischer Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg umgehen mussten. Ein offenes Bekenntnis zur Nazitradition wäre politischer Selbstmord gewesen. Die Verbrechen von Auschwitz stehen einem solchen Vorhaben wie riesige Mahnmale im Weg. Insofern überrascht es wenig, dass die beiden erfolgreichsten faschistischen Parteien der Bundesrepublik schon im Namen ein Scheinbekenntnis zur Demokratie tragen: die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und die Republikaner.
Faschisten in Deutschland sind gezwungen, sich mit ihrer eigenen ideologischen Tradition auseinanderzusetzen, und das führt sie immer wieder in Konflikt mit ihrem vermeintlichen Bekenntnis zu Demokratie und Republik. Früher oder später werden in solchen Parteien Stimmen laut, die den Holocaust verharmlosen oder leugnen. Oder es melden sich diejenigen zu Wort, die endlich Schluss machen wollen mit der seit 1945 andauernden »Umerziehung des deutschen Volks« durch die Besatzungsmächte.
Mimikry der Nazis
Das Versteckspiel faschistischer Parteigründer hat in der Vergangenheit durchaus funktioniert: Immer wieder ging die Öffentlichkeit der Mimikry der Nazis auf den Leim. Als ein Jahr nach Kriegsende ehemalige Funktionäre der NSDAP die Deutsche Reichspartei (DRP) gründeten, gaben sie sich scheinbar »antifaschistisch«. In ihrem Programm von 1946 hieß es: »Wir bekämpfen auf das Stärkste die nationalsozialistische Staats- und Weltanschauung (…) in der Erkenntnis, dass jede Form des Faschismus ihrem Wesen und Ursprung nach schlechthin undeutsch ist.«
Auch die 1964 aus der DRP hervorgegangene NPD bekannte sich in ihrem ersten Parteiprogramm von 1967 offiziell zur parlamentarischen Demokratie. In einer internen Verordnung untersagte der Parteivorstand den Mitgliedern Äußerungen, die als antisemitisch interpretiert werden könnten. Damit hatte die NPD in der politischen Öffentlichkeit zunächst Erfolg. Selbst liberale Zeitungen wie »Die Zeit« bescheinigten ihr, keine Nachfolgepartei der NSDAP zu sein. Zugleich schlug die CSU unter Franz Josef Strauß gegenüber der NPD dieselbe Taktik ein wie Seehofer heute gegenüber der AfD: Er versuchte, sie rechts zu überholen.
Als die NPD durch den Widerstand der Studentenbewegung, nach verschiedenen Wahlniederlagen Ende der 1960er Jahre und noch einmal Ende der 1970er Jahre nach antifaschistischen Kampagnen wie »Rock gegen rechts« in eine schwere Krise stürzte, spaltete sich ein Teil der Partei ab und gründete in den 1980er Jahren die Republikaner. Ähnlich wie beim Entstehen der NPD sollte eine »verbrauchte« faschistische Partei durch eine respektablere Neugründung ersetzt werden. Ähnlich wie bei der jungen NPD waren auch die Republikaner unter ihrem ersten Vorsitzenden Franz Handlos, einem ehemaligen Bundestagsabgeordneten der CSU, eine Sammlung von nationalkonservativen und faschistischen Zirkeln. Letztere stammten aus der abgewirtschafteten NPD, Erstere vor allem aus der CSU und der CDU.
Raus aus der Schmuddelecke
Im Jahr 1985 kam es zur Spaltung der Republikaner. Handlos und ein Kreis ehemaliger enttäuschter CSU-Mitglieder zogen sich zurück. Franz Schönhuber, der sich 1981 in seinem Buch »Ich war dabei« öffentlich zu seiner SS-Vergangenheit bekannt hatte, übernahm mithilfe von ehemaligen NPD-Mitgliedern die Führung der Partei und bestimmte fortan deren Kurs. Er distanzierte sich zwar von den »Ewiggestrigen« der NPD, was ihn aber nicht daran hinderte, mit gestandenen Nazikadern aus der NPD in der neuen Partei zusammenzuarbeiten. Die Parallelen zur Entwicklung der AfD sind nicht zu übersehen.
Die Spaltungen von DRP (1949), NPD (1967), Republikanern (1985) und AfD (Essener Parteitag, 2015) folgten einem einheitlichen Muster: Nazis suchten zunächst das Bündnis mit »seriösen« politischen Kräften aus dem nationalkonservativen Lager, um aus der Schmuddelecke herauszukommen. In den beiden letzten Fällen nutzten sie Rechtsabspaltungen der Union, um sich das Schild des respektablen Nationalkonservativismus umhängen zu können.
Mit dieser Strategie gelang es den Republikanern im Jahr 1989, zwei beachtliche Wahlerfolge zu erzielen. Sowohl bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin als auch bei der Europawahl gewannen sie mehr als sieben Prozent der Stimmen. Erst im Anschluss konnten Aktivistinnen und Aktivisten eine erfolgreiche antifaschistische Gegenmobilisierung initiieren. Voraussetzung hierfür war eine jahrelange geduldige Aufklärung über den faschistischen Kern der Republikaner. Selbst das hinderte den Politikwissenschaftler Claus Leggewie und den SPD-Vordenker Peter Glotz nicht daran, die Partei vom Makel des Faschismus freizusprechen. Schon Anfang der 1930er Jahre waren die bürgerlichen Verharmloser den Legalitätsschwüren der Faschisten auf den Leim gegangen. Sie tun es bis heute.
Der rote Faden: fanatischer Nationalismus
Der deutsche Faschismus nach dem Zweiten Weltkrieg kehrt unweigerlich immer wieder zurück zum Nationalsozialismus: zu seiner Verteidigung, seiner Beschönigung, seiner Verherrlichung, mal offener, meist kryptisch-verdeckt, in Andeutungen. Allerdings hat der Faschismus – auch das zeigt seine Geschichte – kein für ihn typisches Programm. Jeder Versuch, ihn rein programmatisch zu fassen, muss daher scheitern. Seine Ideen wechseln von Land zu Land und von Epoche zu Epoche. Der einzige durchgehende rote Faden ist ein fanatischer Nationalismus, der seine Rechtfertigung aus der angeblichen Überlegenheit des eigenen Volkes oder der eigenen »Rasse« bezieht.
Viel wichtiger jedoch als dieses oder jenes ideologische Moment ist – und das unterscheidet ihn von allen rechtskonservativen und reaktionären (»populistischen«) Parteien – seine Methode der Machtausübung. Der Faschismus zielt darauf, eine Massenbewegung aufzubauen, die stark genug ist, die Arbeiterbewegung, ihre Organisationen und die Institutionen der bürgerlichen Demokratie zu zerschlagen.
Dabei stützt er sich wesentlich auf die von der Krise des Kapitalismus bedrohten Mittelschichten (heute »Wutbürger« genannt). Er bedient sich antikapitalistischer Parolen, sein Tatendrang entlädt sich aber gegen Minderheiten wie Juden, Muslime, Flüchtlinge, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung oder Homosexuelle. Naziparteien unterscheiden sich also nicht durch ihre rassistische Ideologie von anderen Parteien. Im Gegenteil: Diese teilen sie durchaus mit konservativen und sogar liberalen Kräften. CSU-Mann Seehofer argumentiert hier mitunter ähnlich wie die Sprecher des rechten Flügels der AfD. Aber Seehofer organisiert keine rassistischen Massendemonstrationen gegen Flüchtlingsunterkünfte. Außerdem will er die nächsten Wahlen gewinnen und weiter mithilfe der Parlamente in Bayern und Berlin herrschen, nicht diese zerschlagen.
Die AfD unterscheidet sich vom »klassischen« Faschisten
Weder die NPD noch die Republikaner oder gegenwärtig die AfD haben eigene Stoßtrupps für den Straßenkampf aufgebaut. Das gilt auch für den Front National in Frankreich oder die FPÖ in Österreich. Insofern unterscheiden sich diese Parteien vom »klassischen« Faschismus in Deutschland, Italien und Spanien unter Hitler, Mussolini und Franco.
Aus diesem Grund haben liberale und linke Theoretiker in den vergangenen Jahrzehnten den Front National, die FPÖ oder aber auch die NPD als nicht-faschistische Parteien analysiert. Würde man dieser Sichtweise folgen, gäbe es in Europa zurzeit nur in Griechenland und in Ungarn faschistische Parteien (Goldene Morgenröte, Jobbik). Nur sie haben in der Tat SA-ähnliche Kampfgruppen aufgebaut.
Aber mit einer solchen engen Auffassung des Faschismus würden wir es uns zu einfach machen. Republikaner und NPD besaßen zu ihren Hochzeiten einen handlungsfähigen Saalschutz, der aus Rücksicht auf die Öffentlichkeit und ein mögliches Parteiverbot nicht uniformiert auftrat. Zudem existieren neben diesen Parteien durchaus Stoßtrupps in Form der »freien Kameradschaften«. Diese sind zwar formell unabhängig, stehen aber oft als Schlägertrupps bei Demonstrationen und Massenveranstaltung bereit. Die FPÖ ist eng mit organisierten deutsch-nationalen Burschenschaften verzahnt, die sich auf der Straße behaupten wollen. Schließlich sind sich die führenden Vertreter der Nazis bewusst, dass eine zu frühe Offenlegung ihres gesamten »Programms« kontraproduktiv wäre im Sinne der »ursprünglichen Akkumulation« ihrer späteren Massenbewegung. Die Maske des Konservativismus ist in dieser Etappe unverzichtbar. Einzig die NPD hat in Deutschland diese Maske fallen lassen – mit entsprechenden Folgen, nämlich der weitgehenden politischen Isolation.
Den faschistischen AfD-Kadern steht nichts mehr im Weg
Deswegen war auch nicht die NPD, sondern die AfD in der Lage, im Herbst dieses Jahres in Thüringen und Berlin zur politischen Speerspitze einer neuen Welle rassistischer Massendemonstrationen gegen Flüchtlinge zu werden.
Vor über einem Jahr, im September 2014, analysierten wir in marx21 noch: »Die AfD ist (aber) keine faschistische Partei. Sie kann jedoch zum Sammelpunkt der Nazis werden.« Mit dem Sturz und anschließenden Rückzug des wirtschaftsliberalen Flügels um den früheren Parteivorsitzenden Bernd Lucke beim Essener Parteitag im Juli steht einer Kaperung der AfD durch faschistische Kader nichts mehr im Weg. Angeführt von Alexander Gauland hat sich der profaschistische Flügel in mehreren Landesverbänden durchsetzen können.
Gauland stammt politisch aus der hessischen CDU. Unter der Führung von »Stahlhelmern« wie Alfred Dregger und Walter Wallmann hatte dieser Landesverband stets ein offenes Ohr für den völkisch-sudetendeutschen Witikobund und andere faschistische Kaderschmieden. In den 1980er Jahren arbeitete Gauland als Staatssekretär von Ministerpräsident Walter Wallmann. Damals scheiterte er mit dem Versuch, ein ehemaliges Mitglied des Witikobunds zum Ministerialrat für Kirchenfragen zu machen. Diese Affäre verarbeitete später der Schriftsteller Martin Walser in seinem Roman »Finks Kriege« (1996). Gauland verstand sich und versteht sich noch immer als Vermittler zwischen den »Stahlhelmern« in der CDU und den faschistischen »Eliten«.
Die faschistische Rechte ist also gerade dabei, unter Gaulands Protektion – er gilt mit seiner über 40-jährigen CDU-Mitgliedschaft immer noch als ehrenwerter nationalkonservativer Vordenker – die AfD zu erobern. Prototypen dieser neuen »Führer« der AfD sind die Vorsitzenden der Landesverbände Thüringen und Nordrhein-Westfalen, Björn Höcke und Marcus Pretzell. Sie verlangen den Schießbefehl gegen Flüchtlinge an Europas Grenzen und sprechen von Flüchtlingen als »Kanaken«. Ihre Reden gleichen Aufrufen zu Morden, Brandanschlägen und fremdenfeindlichen Pogromen.
Zeit, der AfD die nationalkonservative Maske abzureißen
Doch die Geschichte zeigt, dass die Fraktionsstreitigkeiten über die Zukunft der AfD keineswegs beendet sind. Als die Republikaner in den Jahren 1989 und 1990 auf eine breite antifaschistische Bewegung trafen und ihre Umfragewerte vorübergehend sanken, kündigte ihr Vorsitzender Schönhuber den Parteiausschluss von 300 ehemaligen NPD-Mitgliedern an.
Deshalb ist es höchste Zeit, der AfD die nationalkonservative Maske abzureißen, sie als Partei zu entlarven, die sich auf dem Weg zu einer faschistischen Organisation befindet, und sie entsprechend zu bekämpfen.
Der Transformationsprozess schreitet schneller voran, als es noch vor einem Jahr zu erwarten war. Das liegt nicht zuletzt daran, dass mit Pegida und den daraus folgenden rassistischen Massenmobilisierungen eine Bewegung entstand, die den profaschistischen Kräften in der AfD den Boden bereitete. Dementsprechend ist es auch kein Zufall, dass Höcke als Erster die Gelegenheit ergriff, es in Erfurt Pegida nachzumachen. Die rassistische Massenbewegung wirkt auf die internen Kräfteverhältnisse der AfD wie ein Brandbeschleuniger. Deshalb muss sie gestoppt werden.
Foto: Franz Ferdinand Photography
Schlagwörter: AfD, Alexander Gauland, Björn Höcke, Faschismus, FPÖ, Frauke Petry, Goldene Morgenröte, Hitler, Inland, NPD, NSDAP, Pegida, Rechtsextremismus, Rechtspopulismus