Auch in der Coronakrise setzt die AfD auf Rassismus. Sie knüpft dabei nahtlos an die Propaganda an, mit der faschistische und rassistische Parteien in Deutschland seit mehr als hundert Jahren den drohenden »Volkstod« beschwören. Von Volkhard Mosler
Seuchen waren immer schon ein Politikum. Dabei wurden und werden sie »externalisiert«, sie werden als vom Ausland und von Fremden ins Land getragene Krankheiten ausgemacht oder gar zu bewusst inszenierten Angriffen religiöser oder ethnischer Minderheiten auf Gesundheit und Leben der Mehrheitsgesellschaft erklärt.
Das Urmodell solch einer auf »fremde« Sündenböcke zielenden Externalisierung von Krankheiten waren die Judenpogrome in Deutschland und Europa zwischen 1347 und 1351. Im späten Mittelalter hatten sich Pesterreger in großen Teile der damals schon vernetzten Welt verbreitet. Die Pest wurde durch Tierflöhe auf Menschen übertragen. Schiffsverkehr und internationale Handelsstraßen sorgten dafür, dass es zur Ausbreitung und zur ersten Pandemie der Menschheit kam. Vielerorts wurden die Juden dafür verantwortlich gemacht und es kam in zahlreichen Städten zu Pogromen.
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Die AfD und Corona
Heute knüpft die AfD an dieses Urmodell des Rassismus an. In allen ihren Stellungnahmen zur Corona-Epidemie fordert die AfD an erster Stelle die Schließung der Grenzen und »Einreiseverbote für Personen aus besonders belasteten Staaten«. Aber nationale Abschottung ist in Zeiten globaler Mobilität keine Lösung, vor allem dann nicht, wenn der Krankheitserreger längst alle Grenzen überschritten hat.
Dass es ihr nicht darum geht, das Coronavirus und seine Ausbreitung zu bekämpfen, sondern ihren Hass auf Migranten und Flüchtlinge zu verbreiten, zeigt ein Antrag der AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag mit dem Titel »Grenzen sichern – akute Gefahren für die Sicherheit aller unverzüglich abwehren« vom 4. März. Erste Forderung des Antrags lautet: Durch »eine unverzügliche Großübung an den deutschen Außengrenzen des Freistaats Sachsen« solle die Bereitschaftspolizei Sachsens »Handlungswilligkeit zur Unterbindung der illegalen und unkontrollierten Einreise zeigen«. Tschechische und polnische Polizeieinheiten sollten in die »Vollübung« eingebunden werden.
Vorwand für Rassismus
Nun können vorübergehende Grenzschließungen unter dem Gesichtspunkt der Infektionsbekämpfung sinnvoll sein, wenn dadurch noch gering oder nicht von Infektionen betroffene Gebiete vor dem Austausch mit belasteten Gebieten geschützt werden. Da aber Bayern schon Anfang März, dem Zeitpunkt der Antragstellung, bereits achtmal mehr Corona-Fälle hatte als Polen und beide »Länder« an Sachsen angrenzen, hätte eine Grenzschließung allenfalls an der sächsisch-bayerischen Grenze Sinn ergeben. Der Antrag gegen die »akute Gefahr für die Sicherheit« der sächsischen Bevölkerung ist für die AfD aber nur ein Vorwand, um ihre Hetze gegen Migranten und Flüchtende betreiben zu können. Im Antrag gibt die AfD auch unumwunden zu, dass sich die Maßnahmen »nicht gegen tschechische oder polnische Staatsbürger« richteten, sondern gegen illegal eingereiste Personen, die man in »medizinisch notwendige Quarantäne« nehmen müsse. Warum aber sollten die gefassten »illegalen« Zuwanderer, die über die tschechische oder polnische Grenze nach Sachsen gelangen, unter Quarantäne gestellt werden, polnische oder tschechische Staatsbürger jedoch nicht?
Die sächsische Landtagsfraktion der AfD setzt hier jedoch nur um, was die Partei bereits in ihrem Europawahlprogramm von 2018 unter der Überschrift »Schutz der Bevölkerung vor Infektionskrankheiten und Epidemien« beschlossen hatte. Auch hier ging es nicht um Gesundheitsschutz, sondern um Rassismus. Die einzigen »Schutzmaßnahmen«, die der AfD einfielen, sind »verbindliche Untersuchungen von anerkannten Migranten«, die »alle meldepflichtigen Erkrankungen umfassen« sollen.
AfD verknüpft Migration und Seuchengefahr
Dahinter steckt eine klare Strategie, die in der Geschichte der rassistischen Agitation in Deutschland keineswegs neu ist: Flüchtlinge und Zugewanderte sollen als Träger von Krankheiten und als Seuchengefahr verunglimpft und damit letztlich entmenschlicht werden. So begründet die AfD ihre Forderung mit der Behauptung, dass »seit Beginn der Flüchtlingskrise […] ein signifikanter Anstieg meldepflichtiger Infektionskrankheiten zu verzeichnen« sei.
Das für die Erfassung und Veröffentlichung der Statistiken zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) hatte seit 2015 zunächst gesonderte Zahlen für Infektionserkrankungen bei Geflüchteten erhoben, dies dann aber ab Januar 2018 eingestellt. Die Begründung lautete: »Das RKI sieht derzeit keine erhöhte Infektionsgefährdung der Allgemeinbevölkerung durch Asylsuchende.« Die AfD behauptete dagegen, das RKI habe die Veröffentlichung »aus politischen Gründen ausgesetzt«, um das wahre Ausmaß der Gefährdung der Bevölkerung durch den Zustrom von Migrantinnen und Migranten zu verschleiern.
Diese Mischung aus Verschwörungstheorie und Desinformation ist nichts Neues. Das Ziel: diffuse Ängste zu schüren und die menschenfeindliche Ausgrenzung von ganzen Bevölkerungsgruppen zum eigenen Vorteil zu nutzen. Dabei beschränkt sich die AfD mit ihrer Hetze jedoch nicht auf Flüchtlinge, sondern fordert die namentliche Erfassung von meldepflichtigen Infektionskrankheiten und ärztlichen Untersuchungsergebnissen auf einem biometrischen Gesundheitspass für sämtliche »anerkannte Migranten«. Demnach wären etwa zehn Millionen legal in Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländer gezwungen, solche Gesundheitspässe bei sich zu tragen.
Erster Schritt zur Gesundheitspolizei
Diese Forderung der AfD steht im klaren Widerspruch zum Infektionsschutzgesetz, das eine »Pseudonymisierung« der Daten für das elektronische Melde- und Informationssystem vorschreibt – ganz zu schweigen davon, dass solche Maßnahmen natürlich nicht auf einzelne Bevölkerungsgruppen beschränkt sein dürften.
Zudem steht die Forderung der AfD im Widerspruch zur ärztlichen Schweigepflicht. Namenslisten von erkrankten oder infizierten Personen wären jederzeit abrufbar. Dem politischen Missbrauch von Krankenakten stünde nichts mehr im Weg. Es wäre ein erster Schritt zur Schaffung einer Gesundheitspolizei, wie sie in Form der Gesundheitsämter während des Nationalsozialismus schon einmal in Deutschland existierte.
AfD-Forderung erinnert an NSDAP
Und auch die Forderung an sich erinnert frappierend an die Propaganda der NSDAP während der Weimarer Republik sowie der völkisch-nationalistischen Bewegung im deutschen Kaiserreich. Denn faschistische und rassistische Parteien haben in Deutschland schon seit mehr als hundert Jahren den drohenden Volkstod beschworen. Im Kaiserreich warnten konservativ-völkische Politiker vor einer »Polonisierung« Ostdeutschlands und in der Weimarer Republik hetzte die völkische Rechte vor allem gegen die Zuwanderung von »Ostjuden«.
Als Osteuropa und Russland in den Jahrzehnten vor und nach dem ersten Weltkrieg von einer Welle antisemitischer Pogrome erschüttert wurden, kam es zu einer großen Fluchtbewegung in das Deutsche Reich. Die Reichsregierungen warnten vor »kriminellen Ostjuden«, die zudem Träger ansteckender Krankheiten seien. Als in Hamburg 1892 fast 9000 Menschen einer Cholera-Epidemie zum Opfer fielen, setzte eine wilde antisemitische Agitation ein, die den »Ostjuden« die Schuld an der Epidemie gab.
Missbrauch der Seuchengefahr
Die Historikerin Christina Heizmann fasst in ihrer Dissertation »Fremd in der Fremde« den Missbrauch der Seuchengefahr durch die Antisemiten so zusammen: »Die Darstellung von Juden als einer medizinisch-hygienischen Gefahr für deutsches Volk und Territorium wurde zu einem festen argumentativen Muster, das die Gefahr durch die Zuwanderung von jüdischen Flüchtlingen eindrucksvoll unterstrich.« Metaphern aus der Bakteriologie wurden auf die Jüdinnen und Juden angewandt: »So wie Bakterien als Fremde und Feinde den Körper eines bisher Gesunden gefährdeten, bedrohten auch die Juden durch ihre Einwanderung in ›Massen‹ die Sicherheit und Gesundheit des Reichs.«
Das damals in Osteuropa weit verbreitete Fleckfieber wurde als »Judenkrankheit« bezeichnet. Da die Krankheit vorwiegend durch Wanzen, Flöhe und Läuse übertragen wurde, war schnell die Assoziation von Juden mit »Ungeziefer« hergestellt. Die verbale Entmenschlichung durch Tiervergleiche ging der realen, physischen Vernichtung voraus.
Adolf Hitler und seine NSDAP konnten nahtlos an die frühere antisemitische Propaganda anknüpfen. In seiner Hetzschrift »Mein Kampf« beschrieb Hitler Mitte der 1920er-Jahre »den Juden« wie folgt: »Er ist und bleibt der typische Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet (…) wo er auftritt, stirbt das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab.« Von da war es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Vernichtungsrhetorik des Holocaust. Anfang November 1941 schrieb Hitlers Propagandaminister Josef Goebbels nach einem Besuch des Ghettos von Wilna in sein Tagebuch: »Die Juden sind die Läuse der zivilisierten Menschheit. Man muss sie irgendwie ausrotten, sonst werden sie immer wieder ihre peinigende und lästige Rolle spielen.« Heinrich Himmler, Reichsführer der SS und Organisator der Judenvernichtung, äußerte sich ähnlich: »Sich von Läusen zu befreien, ist keine Frage der Ideologie, sondern eine Sache der Sauberkeit.«
Die Sprache der Bakteriologie
Die Geschichte der rassistischen Agitation gegen Geflüchtete und das, was die Nazis daraus machten, zeigt eines ganz deutlich: Hitler und seine Mörderbande haben die Sprache der Bakteriologie für ihren Antisemitismus nicht erfunden, diverse konservative Innenminister des Kaisers hatten zuvor die aus dem Osten flüchtenden Jüdinnen und Juden als Krankheitsträger, Kriminelle und Schmutzkonkurrenz auf den Arbeits- und Wohnungsmärkten entwürdigt und zu Menschen zweiter Klasse erklärt.
Die Nazis haben lediglich den Schmutz aufgelesen und »angereichert«, den andere aus der bürgerlichen Gesellschaft, meist aus konservativ-reaktionären Kreisen, vorgefertigt hatten. Ebenso sehen wir heute, wie die AfD anknüpfen kann an die islamfeindliche und rassistische Ideologie, die bürgerliche Politiker von Sarrazin bis Seehofer seit Jahren verbreiten. Wenn die AfD heute Geflüchtete und Migranten als Seuchenträger diffamiert, ist dies nur der erste Schritt, sie direkt zu »Parasiten« zu erklären.
Der Autor:
Volkhard Mosler ist Redakteur von theorie21.
Schlagwörter: AfD, Antifaschismus, Corona, Coronavirus, Gesundheitspolitik, Inland, Nazis, NSDAP, Rassismus