Der Programmparteitag der AfD in Stuttgart hat gezeigt, wie gefährlich die Partei ist. Die »gemäßigten« Kräfte um die Bundessprecher Jörg Meuthen und Frauke Petry sind kein Garant gegen den weiteren Ruck nach rechts. Von Jules El-Khatib
Am vergangenen Wochenende fand der Bundesparteitag der AfD (Alternative für Deutschland) statt, auf dem sich die Partei ein Programm gegeben hat. Die vor dem Parteitag sich hochschaukelnden Differenzen über den Grad an Islamfeindlichkeit, über national-neoliberale oder national-soziale Ausrichtung und über die Öffnung nach rechts (NPD u.a.) drohten zu einer Zerreißprobe für die Partei zu werden.
AfD Parteitag: Der Preis der Einheit
Nachdem 2015 der neoliberale Flügel um Lucke rausgedrängt wurde, konnte der »gemäßigte« rechtspopulistische Petry-Flügel sich dieses mal noch behaupten. Die neue »Achse« Meuthen/Gauland einigt sich im Vorfeld auf Kompromisslinien in den zentralen Fragen über Islamfeindlichkeit und über den Vorschlag, den stellvertretenden Bundesvorsitzenden Martin Glaser zum Kandidaten der AfD für das Amt des Bundespräsidenten. Der Preis für diesen Kompromiss war ein Rechtsruck der AfD-Führung Petry/Meuthen. Meuthen selbst galt in der Partei bisher als »gemäßigt«. Seine Begrüßungsrede war alles andere als »gemäßigt«. Und umgekehrt konnte der neofaschistische Flügel um Alexander Gauland, Björn Höcke und Hans-Thomas Tillschneider auf dem Parteitag deutlich machen, dass sie ihren Einfluss auf weite Teile der Partei ausweiten konnten.
Das Kräfteverhältniss der Flügel in der AfD
Die Diskussionen über das Programm hatten schon deutlich vor dem Parteitag Einzug gefunden in die Öffentlichkeit. Ursache war die Streichung des neoliberalen Kapitels zu Sozialpolitik im Programmentwurf, der dem Gauland-Flügel widerstrebte. Auf dem Parteitag konnte der Flügel um Petry/Meuthen einen Großteil seiner Forderungen durchbringen, auch wenn es zu etlichen knappen Entscheidungen kam. So beschloss die Partei, dass die Erbschaftssteuer abgeschafft werden soll, was vor allem dem mittelständischen Kapital und reichen Familienunternehmern dient, was allerdings von fast allen in den Partei befürwortet wurde, da das Kleinbürgertum einen Großteil der Wählerschaft ausmacht. Auch sollen Hartz-IV-Empfänger Steuern zahlen, wenn sie noch kleine Nebenverdienste erhalten, was auf eine Schwächung der Schwächsten hinausläuft. Der Gauland-Flügel konnten sich dagegen beim Mindestlohn durchsetzen, welcher von der AfD nun auch unterstützt wird, nachdem sie diesen Anfangs wehement abgelehnt hatte. In den Kampfabstimmungen auf dem Parteitag, zeigt sich jedoch das gegenwärtige Kräfteverhältnis zwischen dem neofaschistischen und dem rechtspopulistischen Flügel. Da ist einmal der Antrag des Bezirks Niederbayern zu nennen, der nicht nur den Bau von Minaretten sondern den Bau von Moscheen verbieten wollte. Der Bundesvorstand beantrage »Nicht-Befassung« und konnte sich damit nur knapp durchsetzen.
AfD: Zusammenarbeit mit der NPD?
Die zweite Kraftprobe erfolgte über die Auflösung des saarländischen Landesverbandes durch den Bundesvorstand. Etwas mehr als 50 Prozent 2000 anwesenden Mitglieder stimmten für die Auflösung, 40 Prozent stimmten dagegen, 10 Prozent enthielten sich. Zuvor hatte Frauke Petry indirekt mit ihrem Rücktritt gedroht, falls ihr Antrag auf Auflösung keine Mehrheit finden sollte. »Ich brauche Sie als loyale Mitlieder genauso dringend, wie Sie mich als einen maßgeblichen Repräsentanten in der Öffentlichkeit«, hatte sie dem Parteitag zugerufen. Unter den 10 Prozent Enthaltungen dürften nicht wenige Stimmen sein, die einen Bruch mit Petry zur Zeit für einen Fehler hielten, in der Sache aber auf Seiten Höckes stehen. Bei der Abstimmung ging es um die Zusammenarbeit mit Nazikreisen aus der NPD und anderen faschistischen Vereinigungen. Petry interpretierte den Beschluss hinterher als »Signal an die Partei, dass nicht jeder machen kann, was er will.«
Höcke – der im Übrigen auf dem Parteitag schwieg, aber zugleich bei seinem verspäteten Einzug in die Halle mit lauten Bravorufen und stehender Ovation eines großen Teils des Parteitags empfangen wurde, sodass der Parteitag sogar kurzzeitig unterbrochen werden musste – hat dagegen den Beschluss nach der Abstimmung noch einmal kritisiert. Petry irrt sich, wenn sie meint, dass dieser Beschluss „ein Signal an die Partei“ sei. Er ist vielmehr eine lahme Ente und ein Signal dafür, wie schwach Petry mit ihrer Verteidigung des immer noch aus Lucke-Zeiten gültigen Beschlusses der Unvereinbarkeit der AfD-Mitgliedschaft und einer früheren Mitgliedschaft in der NPD inzwischen ist. Wie um Petry vorzuführen hatte der AfD-Landtagsabgeordnete (Sachsen-Anhalt) Jan Wenzel Schmidt den NPD-Aussteiger Stefan Träger als Wahlkreismitarbeiter eingestellt und es dürfte auch nicht der einzige Fall sein. (Bei über 50 neuen Mitarbeitern)
Und der Parteitagsbeschluss soll jetzt noch einmal an die Bundesschiedskommission überwiesen werden, in dem der Höcke-Flügel eine Mehrheit hat. Angesichts einer vorangegangen Rücktrittsdrohung ist dieser Beschluss eine Niederlage für Petry und nicht für Höcke. Nicht zu vergessen ist bei dem Beschluss schließlich auch, dass der Parteitag in Stuttgart stattfand. Der Landesverband Ba-Wü ist nach NRW der zweitgrößte und mit Meuthen als Vorsitzenden, gilt er immer noch als mehrheitlich rechtspopulistisch-neoliberal. So gesehen hatte Petry auch noch einen Platzvorteil, eine überzeugende Mehrheit sieht anders aus. Unter Gaulands taktischer Führung ist der neofaschistische Flügel einer offenen Kraftprobe mit dem »gemäßigt«-rassistischen Flügel ausgewichen.
Punktsieg für Gauland und Höcke
Gauland und Höcke haben trotzdem einen Punktsieg davon getragen. Die Beschlüsse zum Islam sind auch ohne allgemeines Bauverbot gegen Moscheen eindeutig und offen rassistisch. Wie die Nazis 1933 hat die AfD den Tierschutz bemüht (Schächtungsverbot) um ihre rassistische Menschenfeindlichkeit gegen Muslime (und Juden !) mehrheitsfähig erscheinen zu lassen. Das Finanzierungsverbot von Moscheebauten durch ausländischen Geldgeber läuft praktisch auf einen Neubauverbot hinaus, weil Muslime bis heute nicht als Religionsgemeinschaft gleichberechtigt mit anderen Religionen Kirchen- oder Moscheesteuer erheben können. Der Änderungsantrag eines niedersächsischen Parteitagsteilnehmers gegen den Leitantrag in der Formulierung »Der Islam gehört nicht zu Deutschland« lautete: »Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland.« Seine Begründung, die AfD solle den Dialog mit den Muslimen suchen und für einen aufgeklärten Islam eintreten, ging in lautstarkem Gejohle der großen Mehrheit unter. In der Gegenrede sprach ein Vertreter des Höcke-Flügels aus Sachsen, Hans-Thomas Tillschneider, im Namen der »Patriotischen Plattform«. Eine Aufklärung des Islam sei »weder möglich noch wünschenswert« rief er. »Wenn wir eine Islamisierung Europas zurückweisen, dürfen wir keine Europäisierung des Islam fordern.« In einer Nachbetrachtung auf den Parteitag kritisiert die »Patriotische Plattform« scharf die Regieführung des Parteitags durch den Bundesvorstand Petry/Meuthen. Der Antrag des »Flügels« zur Deutschen Leitkultur sei so unter dem Vorwand der Zeitknappheit »unter den Tisch gefallen«, ebenso der Antrag auf Streichung der Forderung nach Imamausbildung an deutschen Universitäten. Solche Schwächen und Halbheiten führt der »Vorstand der patriotischen Front« auch darauf zurück, dass die Zusammensetzung der Programmkommission aus Lucke-Zeiten noch »zu wenig echtes Interesse« an einer »viel stärkeren Korrektur des Leitantrags« gehabt hätte.
AfD: Die nächste Kraftprobe
Die nächste Kraftprobe kommt bestimmt und die Patriotische Plattform kündigt es auch schon an: »Der Bundesparteitag zu Nominierung der Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl und alle kommenden Parteitage müssen in der Mitte Deutschland stattfinden.« Der Name Petry fällt zwar nicht, aber die Kampfansage gegen eine Spitzenkandidatin Petry ist auch so überdeutlich. Petry geht nicht gestärkt aus dem Parteitag hervor. Die Berliner Zeitung beobachtet: »Andere bestimmen den Kurs. Jörg Meuthen, neben Petry Bundessprecher der Partei. „Willkommen in AfD-Land“, begrüßt der Baden-Württemberger das Parteivolk in Stuttgart. 806000 Stimmen bei der Landtagswahl im März für seine AfD, so viele wie in allen anderen Bundesländern zusammen. In Nebensätzen wie diesen zeigt sich, woher fortan der Wind weht. Es ist Meuthen, der im Zusammenspiel mit dem Brandenburger Alexander Gauland auf dem Stuttgarter Treffen Struktur, Richtung und die entscheidenden Stichworte vorgibt.«
AfD: Reaktionäres Gesellschaftsbild
Trotz des Flügelstreits herrschte in vielen anderen Fragen Einigkeit. So lehnt die Partei eine geschlechtergerechte Sprache ebenso ab, wie eine stärkere Inklusion von Menschen mit Behinderung und einen offenen Umgang mit Homosexualität in Schulen. Auch sollen Abtreibungen noch weiter erschwert, aber nicht in gänze verboten werden. Ihr reaktionäres Gesellschaftbild offenbarte sich auch in der Forderung die Strafmündigkeit noch weiter herunterzusetzen und somit schon 12 Jährigen einen Weg in die Knäste zu ebnen.
Islamfeindlichkeit als gemeinsamer Nenner
Gemeinsamkeiten offenbarte die Partei vor allem, wenn es um den gemeinsamen Feind ging, den Islam. So soll in Deutschland das schächten verboten werden, was es für muslimische und jüdische Menschen unmöglich macht, ihre Glaubensvorschriften auszuüben. Gleichzeitig fordert die Partei ein Verbot von sogenannten »islamischen Herrschaftssymbolen« zu denen vor allem das Minarett gezählt wird. Auch Muezzinrufe sollen, wenn sie denn überhaupt mal vorkommen in Deutschland, Teil der Vergangenheit werden. Noch deutlich stärker gegen das Leben von muslimischen Menschen richtet sich die Forderung nach einem Kopftuchverbot für Lehrerinnen und Schülerinnen. Ein Mitglied, das sich für einen Dialog mit muslimischen Verbänden aussprach, wurde dagegen lauthals ausgebuht und ausgepfiffen. Die Position zum Islam offenbaren deutlich, dass die AfD nach dem Kampf gegen die EU und Flüchtlinge, nun ihr nächstes Feindbild gefunden und sich dem Kurs der europäischen Rechten anschließt, die alles daran setzen Muslime aus der Gesellschaft zu drängen.
AfD Flügelkämpfe noch nicht beendet
Der Parteitag der AfD hat ihr ein Grundsatzprogramm gegeben, Einigkeit herrscht aber nicht zwischen den Flügeln, wie sich grade in der Haltung zum saarländischen Landesverband offenbart. Der neofaschistische Flügel gewinnt nach dem Erfolg in Sachsen-Anhalt an Gewicht und versucht auch sich in westlichen Bundesländern durch Demonstrationen unter Beteiligung von Höcke und Poggenburg zu etablieren. Die Partei ist im Aufwind: Sie ist in die Landtage von Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg eingezogen. Im Herbst wird sie wohl auch in Mecklenburg-Vorpommern ins Schweriner Parlament einziehen. Mit dem Parteitag in Stuttgart ist die AfD weiter nach rechts gerückt. Wie der Front National in Frankreich oder die FPÖ in Österreich will die Partei mit einer rassistischen Kampagne gegen den Islam in den Wahlkampf ziehen. Die Erfolge die rechte Parteien in anderen europäischen Ländern mit dieser Strategie feiern konnten, sollten uns eine Warnung sein – die AfD bleibt brandgefährlich.
Foto: Metropolico.org
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