Während sich die AfD weiter im Aufschwung befindet, tobt in ihrem Inneren ein Flügelkampf. Die gefährlichsten Kräfte der Partei sind jedoch nicht diejenigen, bei denen man es auf den ersten Blick erwartet. Von Volkhard Mosler
Trotz steigender Umfragewerte ist die Führung der AfD seit Monaten durch schwere Auseinandersetzungen über den Kurs der Partei geprägt. Alle Kommentatoren sehen die AfD auf dem Weg nach rechts. Die offene Frage ist, wie weit sie dabei geht. Der ehemalige AfD-Vize Konrad Adam hofft, dass die »gemäßigten Kräfte noch einmal die Oberhand gewinnen«. Der inzwischen ausgetretene Mitgründer der AfD, Olaf Henkel, prophezeit dagegen, die Partei werde zur Nachfolgeorganisation der NPD.
Noch vor einem Jahr sah die große Mehrzahl der Kritiker der AfD auf der einen Seite einen wirtschaftsliberalen Flügel um Bernd Lucke, Olaf Henkel und Konrad Adam und auf der anderen einen nationalkonservativen, rechten Flügel hinter Frauke Petry, Alexander Gauland und Björn Höcke.
Nun muss sich ein nationalkonservatives und ein wirtschaftsliberales Programm jedoch nicht widersprechen. Lucke und Henkel sind nationalkonservative Wirtschaftsliberale. Anleihen beim Rassismus gegen Roma und Sinti und gegen Muslime gab es auch schon unter ihrer Führung. Ihre Kritik am Euro ist nationalistisch begründet und auch ihr Familienbild ist eindeutig konservativ. Eine Unterscheidung der Parteiflügel in wirtschaftsliberal und nationalkonservativ machte also bereits damals wenig Sinn.
Seit der Abspaltung des Lucke-Flügels gilt Frauke Petry als Vertreterin eines gemäßigteren Rechtspopulismus, Höcke als Vertreter des »extrem rechten« Flügels und Alexander Gauland als Mittler. Doch dieses Bild täuscht. Tatsächlich stehen sich in der AfD mittlerweile ein nationalkonservativer und ein neofaschistischer Flügel gegenüber, wobei der letztere starken Aufwind hat und bereits große Teile der Landesverbände und der Bundespartei kontrolliert. Der Kopf dieses Flügels ist jedoch niemand anderes als der angebliche Mittler Alexander Gauland.
Neofaschisten in der AfD
Bereits kurz nach der Gründung der AfD 2013 hatte der Hamburger Landesvorsitzende Jörn Kruse gewarnt, »dass sich in mehreren Landesverbänden systematisch rechte Gruppen formieren, die auf Inhalte und Image unserer Partei Einfluss nehmen wollen.« Sie seien zwar nicht sehr zahlreich, dafür aber »gut vernetzt und sehr aktiv«.
Heute sitzen im dreizehnköpfigen Bundesvorstand der AfD mit Alexander Gauland, Albrecht Glaser, André Poggenburg und Julian Flak mindestens vier Vertreter des neofaschistischen Flügels. Außerdem kontrollieren sie die Landesverbände Thüringen, Brandenburg, Hessen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt. In mehreren Landesverbänden sind die Mehrheitsverhältnisse noch unklar.
Der neofaschistische Flügel rekrutiert sich vor allem aus geschulten ehemaligen Anhängern der Republikaner, der Pro-Parteien, der »Freiheit« und auch der NPD, wenngleich es formal einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber ehemaligen NPD-Mitgliedern gibt. Allerdings hat der Thüringische Fraktionssprecher Höcke sich geweigert, eine Erklärung abzugeben, dass er nicht unter einem Pseudonym in NPD-Publikationen geschrieben hat. Außerdem unterläuft er den Beschluss, indem er NPD-Mitglieder gegen den Vorwurf verteidigt, »rechtsextrem« zu sein.
Zwei der wichtigsten Vertreter des braunen Netzwerks in der AfD sind hingegen immer auf Abstand zur NPD geblieben: Albrecht Glaser und Alexander Gauland. Beide sitzen im fünfköpfigen geschäftsführenden Vorstand als stellvertretende Parteivorsitzende, beide haben in ihren Landesverbänden Hessen (Glaser) und Brandenburg (Gauland) die uneingeschränkte Führung und beide haben eine gemeinsame schwarz-braune Vergangenheit.
Gaulands schwarz-braune Vergangenheit
Gauland und Glaser traten Anfang der 1970er Jahre in die hessische CDU ein. Glaser war zuvor Bundessprecher der Deutschen Burschenschaften, die nach dem Krieg zum Sammelbecken von Neonazis wurden. Gauland war Mitglied im »Ring Christlicher Deutscher Studenten« (RCDS) und wurde 1970 vom späteren hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann in die CDU geholt. Die hessische CDU galt bis Ende der 1960er Jahre eher als fortschrittlich und sozial. Mit der Wahl Alfred Dreggers zum Landesvorsitzenden 1967 vollzog sich jedoch ein scharfer Rechtsruck.
Dregger hatte, wie viele andere politische Funktionäre seiner Generation, seine Mitgliedschaft in der NSDAP verheimlicht. Noch in den 1990er Jahren verteidigte er den Angriff Nazideutschlands auf Russland als Abwehrkrieg gegen den Bolschewismus. Walter Wallmann, damals Oberbürgermeisterkandidat der CDU in Marburg, war 1956 mit mehreren anderen »Aktiven« aus der schlagenden Verbindung Germania ausgeschlossen worden. Er hatte sich öffentlich mit dem Bonner Burschen Klaus Petrus solidarisiert, der in einem Artikel die Konzentrationslager der Nazis gerechtfertigt hatte. Das ging selbst den »Alten Herren« der Germania zu weit.
Der Marburger und Gießener RCDS war damals personell identisch mit dem rechten Naziflügel der schlagenden Verbindungen (Germania, Danubia, Alemannia, Rhein-Franken, Dresdensia-Rugia). Es bestanden auch enge Verbindungen zum Nazi-Think-Tank Witikobund, einer Art Kaderschule von früheren Mitgliedern der Sudetendeutschen Nazibewegung. Nichts kennzeichnet die Scharnierfunktion vom rechten Flügel der hessischen CDU unter Wallmann und Dregger besser als die Affäre um Wolfgang Egerter und Alexander Gauland.
Die »Affäre Gauland«
Egerter war von 1971 bis 1986 stellvertretender Vorsitzender des Witikobundes und zugleich CDU-Funktionär. Die »Zeit« berichtete 1966, dass »von 634 Mitgliedern des Witikobundes mehr als 600 vor 1945 nationalsozialistische Funktionäre« gewesen seien. Im Jahr 1987 erhielt Egerter vom neu gewählten hessischen Ministerpräsidenten Wallmann das Bundesverdienstkreuz für dessen Einsatz zur Wahrung deutschen Kulturgutes. Alexander Gauland war inzwischen zum Leiter der Staatskanzlei Wallmanns in Wiesbaden aufgestiegen. 1989 ernannte Gauland Egerter zum Kirchenbeauftragten der Landesregierung. Der Schriftsteller Martin Walser veröffentlichte 1996 über die als »Affäre Gauland« bekannt gewordene Ernennung Egerters den Roman »Finks Krieg«.
Gauland und Egerter gingen nach der Wende in die neuen Bundesländer. Egerter leitete als Staatssekretär unter Ministerpräsident Bernhard Vogel das »Hessen-Büro« in der Erfurter Landesregierung, das wesentlich am Aufbau von Justiz, Polizei und Verfassungsschutz in Thüringen beteiligt war. Gauland wurde Chefredakteur der Märkischen Allgemeinen in Potsdam.
Es ist kein Zufall, dass mit Andreas Kalbitz nun auch ein »Witikone« zum zweiten Vorsitzenden der von Gauland geführten AfD Brandenburg gewählt wurde. Auch seine Beziehungen ins Milieu der Marburger schlagenden Verbindungen hat Gauland durch Gastvorträge wieder aufgefrischt.
»Die NPD ist zu igittigitt«
Gauland und Glaser sind als Führer des neofaschistischen Flügels deshalb so wichtig, weil sie selbst nicht aus einer der zahlreichen Nazi-Sekten stammen, sondern sich beide auf eine vierzigjährige CDU-Mitgliedschaft berufen können, die sie von der Tradition des Neofaschismus im Nachkriegsdeutschland scheinbar abgrenzt.
So wird Gauland auch nicht müde, sich von der NPD zu distanzieren. Er schreibt: »Die NPD ist eine Partei, die über Adolf Hitler nicht hinausgekommen ist. Damit erübrigt sich jede Diskussion. Ich kann aber nicht verhindern, dass irgendein NPD-Mann auch einmal vernünftige Äußerungen von sich gibt … Die NPD ist zu igittigitt. Da bleibt nur die AfD.«
Gauland verweist auch gerne darauf, dass er einen Kreisvorsitzenden aus der AfD ausgeschlossen habe, der auf Facebook eine antisemitische Karikatur geteilt habe: »Wir können uns einen solchen Schwachsinn nicht leisten, soviel Dummheit geht auf keine Kuhhaut. … Wir müssen Neonazis klar ausgrenzen.« Ähnlich verfährt sein alter Kampfgefährte Glaser. Einem Kritiker, der ihn islamophob und rassistisch nannte, drohte er mit juristischen Schritten. Zugleich deckte er aber einen ehemaligen Republikaner im hessischen Landesvorstand der AfD, der seine Mitgliedschaft bei der Wahl geheim gehalten hatte.
Distanz zum Nationalsozialismus
Gauland und Glaser haben in der hessischen CDU eins gelernt: Offener Antisemitismus und Bekenntnisse zu Hitlers Nazideutschland führen zum politischen Absturz. Doch die Distanz zum Nationalsozialismus ist vor allem taktischer Natur und macht die beiden umso gefährlicher. Denn beide schützen in ihren Landesverbänden und im Bundesvorstand Leute wie Höcke und Poggenburg, die die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der AfD gegen ehemalige NPD- und DVU-Mitglieder unterlaufen. Höcke bekannte erst kürzlich, mit der Berufung auf ein »christlich-jüdisches Abendland« nichts anfangen zu können, weil er im Judentum eine dem Christentum »antagonistische Religion« sieht.
Der Bruch in der Afd mit der Lucke-Führung wurde von Höcke und Poggeburg bewusst provoziert. Im März 2015 traten sie organisiert als »Flügel« auf und veröffentlichten zusammen mit Gauland die »Erfurter Resolution«, in der die Abgrenzung der AfD gegenüber faschistischen Organisationen unter der Führung Luckes indirekt kritisiert wird: Dadurch werde »die politische Spannbreite der AfD über Gebühr und ohne Not begrenzt«. Erst nachdem dieser Aufruf von zweitausend AfD-Mitgliedern unterzeichnet worden war, trat Lucke die Flucht nach vorne an und veröffentlichte seinen »Weckruf«, in dem er die Mitglieder vor einem Rechtsruck der AfD warnte. Was Lucke und seine Anhänger jedoch unterschätzten: die rassistische Massenbewegung Pegida hatte dem neofaschistischen Flügel bereits starken Auftrieb verliehen. Gauland war einer der ersten, der den Schulterschluss mit Pegida vollzog. Heute sind auch Petry und die gesamte Führung auf dieser Linie.
Gauland ist kein Mittler
Gauland ist kein Mittler zwischen den verschiedenen Flügeln der AfD, sondern der Strippenzieher des braunen Netzwerks. Geschickt nutzt er seinen Einfluss, um die Faschisten in der Partei zu schützen und zu fördern. Als etwa Frauke Petry nach dem offen rassistischen Ausfall Höckes über das angebliche Fortpflanzungsverhalten von Afrikanern dessen Austritt forderte, war es Gauland, der seine schützende Hand über Höcke hielt und ihn »einen sehr klugen Mann« nannte. Dann versuchte Petry, den neofaschistischen Flügel rechts zu überholen und forderte den Einsatz von Schusswaffen gegen Flüchtlinge, womit sie auf heftigen medialen Gegenwind stieß. Diese Gelegenheit nutze Gauland wiederum, um sich öffentlich als gemäßigter Nationalkonservativer darzustellen und Petry unter Druck zu setzen: »Gezielt schießen auf Menschen kommt für die AfD nicht in Frage.« Indem er Petry absprach, für die Partei zu sprechen, tat Gauland so, als wäre er bereits Bundesvorsitzender. Jetzt steht er als Saubermann da, Petry als schießwütiges Flintenweib.
Dass es ihm dabei nicht um die Sache ging, sondern um die Stärkung seiner Position, geht schon daraus hervor, dass er selbst noch im November 2015 einen solchen Waffeneinsatz gegen Flüchtlinge unterstützte. Damals hatte der Lebensgefährte von Petry und AfD-Vorsitzende in NRW Marcus Pretzell einen Schusswaffengebrauch an der Grenze als »ultima Ratio« befürwortet. Gauland meinte dazu im Interview: »Ich sehe das genauso.«
Neofaschisten enttarnen
Gauland weiß, dass er den »gemäßigteren« Flügel in der AfD weiterhin braucht. Noch sind keine offensichtlichen Versuche, Petry aus der Führung zu drängen, erkennbar. Vielmehr geht es ihm darum, Petry zu schwächen und davon abzuhalten, die Vertreter des neofaschistischen Flügels anzugreifen.
Um sie schlagen zu können, müssen wir die AfD als das brandmarken, was sie ist: eine Partei, die zunehmend von Faschisten kontrolliert wird. Nur wenn es gelingt die vermeintlich biederen Konservativen, wie Gauland und Glaser, als Strippenzieher hinter diesem Prozess zu enttarnen, kann verhindert werden, dass in Deutschland eine neue faschistische Partei entsteht, die weit ins bürgerliche Lager ausgreifen kann.
Weiterlesen:
Heidemarie Paschkewitz-Zeul/ Achim Kessler: »Brauner Sumpf in der hessischen CDU«, Dokumentation als pdf
Andreas Kemper: »Wieviel NPD höckt in der AfD?« und weitere Aufsätze auf Kempers Blog, der die Verbindungen der Neofachisten in der AfD mit der organisierten Naziszene dokumentiert
Schlagwörter: AfD, Alexander Gauland, Faschismus, Gauland, Inland, Nazis, Neofaschismus, Rassismus