Der Kampf des ANC gegen die Apartheid in Südafrika war eine der größten Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts. Karsten Schmitz erzählt ihre Geschichte
Am 12. September 1977 starb der schwarze Aktivist Steve Biko in einer Gefängniszelle in Pretoria – 30 Jahre alt, allein, nackt und gezeichnet von schwerer Folter. Schergen des südafrikanischen Apartheidsregimes hatten ihn verhört. Aus dem Verhörzimmer kam Biko ohnmächtig, mit zahlreichen Knochenbrüchen und einer schweren Hirnverletzung heraus.
Biko wusste, dass er sich mit seinem Einsatz für Gleichberechtigung in Lebensgefahr begeben hatte. Doch er blieb standhaft und lebte nach seiner Devise: »Es ist besser, für eine Idee zu sterben, als für eine Idee zu leben, die sterben wird.« Er wurde neben Nelson Mandela zur Symbolfigur des schwarzen Befreiungskampfes am Kap – ein Kampf, der Jahrhunderte gewährt hatte und 1994 mit der Abschaffung der Apartheid und der Wahl von Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas endete.
Landnahme, Krieg, Sklaverei und Vertreibung
Das »Kap der Guten Hoffnung« nannte der Portugiese Bartolomeu Diaz den südlichsten Zipfel Afrikas 1487 bei seiner Entdeckung – doch für die Einheimischen fanden die guten Hoffnungen ein jähes Ende. Auf die Portugiesen folgten die Niederländer. Die Siedler nahmen gewaltsam Land, die einheimischen Stämme wehrten sich. 1659, nur sieben Jahre nach der Gründung der ersten permanenten Versorgungsstation, brach der erste Krieg zwischen ihnen und den Neuankömmlingen aus. Es folgten weitere Kriege, die die Einheimischen wegen schlechter Bewaffnung verloren. Außerdem starben viele von ihnen an den Krankheiten, die die Siedler eingeschleppt hatten. Weiteren wurde das Vieh genommen. Sie verarmten, wurden getötet oder als Sklaven in den Dienst der Siedler gezwungen. Deren Zahl nahm rasch zu. Bekannt wurden sie als die »Buren«, sie selbst nannten sich Afrikaaner und sprachen ein Niederländisch, dessen eigentümliche Ausprägung seit dem 17. Jahrhundert zur Bezeichnung der Sprache als Afrikaans führte.
1806 verleibte sich Großbritannien die niederländische Kapkolonie ein. Die Briten legten separate Reservate für Schwarze an – und damit die Grundlage für das spätere Apartheidsregime. Mit der Entdeckung von Diamanten und Gold schnellte der Bedarf an Arbeitskräften dramatisch in die Höhe. Die Lebensbedingungen in den Reservaten waren so schlecht, dass Schwarze Arbeit in den Städten und Minen suchen mussten. Um sie besser kontrollieren zu können, zwang man sie seit 1872, einen Pass mit einer Aufenthaltsgenehmigung mit sich zu führen.
Zwischen den Buren und den Briten brach 1899 der Krieg aus, aber wegen ihres gemeinsamen Interesses an den Bodenschätzen versöhnten sie sich wieder, und 1910 wurde die südafrikanische Union gegründet – das heutige Südafrika, das aus der Vereinigung der beiden britischen Kronkolonien Kap und Natal mit den beiden Burenrepubliken Oranje Vrystaat und Transvaal hervorging.
Durchsetzung der Rassentrennung
Im Jahr 1913 erklärte ein Gesetz 7,3 Prozent der Fläche Südafrikas zu »Homelands«, zu Reservaten, die Schwarzen vorbehalten waren und außerhalb denen sie kein Land erwerben durften. Die Weißen, die dieses Land gepachtet hatten, wurden nun heimatlos. Viele von ihnen zogen in die Städte, wo sie den armen Teil der weißen Klasse bildeten. Diese Buren betrachteten die Schwarzen als Rivalen, und mit Streiks setzten sie durch, dass Schwarze von qualifizierten Arbeiten ausgeschlossen wurden. Viele Schwarze wurden in den folgenden Jahren entlassen, um Platz für Weiße zu machen.
Kurz zuvor, 1912, war der heute regierende »Afrikanische Nationalkongress« (ANC) gegründet worden. Er hatte sich den von Mahatma Gandhi in Indien entwickelten Ideen eines gewaltfreien Protestes verschrieben und versuchte durch Petitionen an die Regierung, die Lage der schwarzen Bevölkerung zu verbessern. Fünfzig Jahre lang blieben seine Bemühungen erfolglos – das Apartheidssystem wurde gesetzlich immer weiter ausgebaut und verschärft. 1948, nach dem Wahlsieg der »Nationalen Partei« wurde das bislang informelle System fest in den südafrikanischen Institutionen verankert.
1950 wurde der »Population Registration Act« erlassen und eine Behörde gegründet, deren Aufgabe darin bestand, die Bevölkerung Südafrikas in Weiße, Asiaten, Farbige und Schwarze einzuteilen. Dieser Gliederung folgte die geografische Trennung der Wohngebiete. Es folgten massive Zwangsumsiedlungen, um bestehende Wohngebiete zu »entmischen«. Zwischen 1960 und 1980 mussten deshalb über zwei Millionen Menschen, zwischen fünf und zehn Prozent der Bevölkerung, den Wohnort wechseln. Der Zutritt zu den Wohngebieten anderer Ethnien war – auch für Weiße – nur mit schriftlicher Genehmigung gestattet.
Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien wurden verboten. Der »Bantu Education Act« von 1952 legte ein minderwertiges Schulsystem für Schwarze fest. Präsident Verwoerd begründete damals: »Über gewisse Formen niederer Arbeit hinaus gibt es in der europäischen Gemeinschaft keinen Platz für den Schwarzen … Ihm eine Erziehung angedeihen zu lassen, die das Ziel seiner Aufnahme in die europäische Gemeinschaft verfolgt, hat deshalb keinen Sinn … Warum sollte man einem Bantu-Kind Mathematik beibringen, wenn es sie in der Praxis gar nicht gebrauchen kann«. Entsprechend sah die Mittelzuweisung aus: Eine Studie aus dem Jahr 1974 stellte fest, dass für jedes weiße Kind jährlich 483 Rand ausgegeben wurden, für schwarze Kinder hingegen nur 28 Rand.
Angehörige verschiedener Ethnien durften sich ab 1953 nicht mehr im selben Restaurant, Bus oder Zug, geschweige denn am selben Strand aufhalten. Sogar in den öffentlichen Toiletten, auf Parkbänken und im Krankenwagen herrschte die Rassentrennung. Die Privilegierung der weißen Minderheit gegenüber der überwältigenden schwarzen Mehrheit von 80 Prozent war damit in rechtliche Formen gegossen.
Repression und bewaffneter Widerstand
Dem gewaltfreien Widerstand der Schwarzen begegnete das Regime mit verschärften Repressalien. Einen Höhepunkt bildete hier das Massaker von Sharpeville. Dort versammelte sich am 21. März 1960 eine Demonstration gegen die rassistischen Passgesetze, die dem Aufruf des »Panafrikanischen Kongresses« (PAC) gefolgt war, der sich 1959 vom ANC abgespalten hatte. 69 unbewaffnete Menschen starben im Kugelhagel der Polizei, Hunderte wurden verletzt.
Das Regime verhängte den Ausnahmezustand, das Militär fuhr in den Townships auf, sowohl ANC als auch PAC wurden im April 1960 verboten, wodurch deren Aktivisten und Anhänger in den Untergrund bzw. ins Exil gedrängt wurden. Mit strengsten Strafen ging der Kapstaat gegen die schwarze Befreiungsbewegung vor. Auf »Unterstützung des ANC«, und sei sie noch so gewaltfrei, standen zehn Jahre Gefängnis.
Der ehemalige ANC-Vorsitzende Albert Luthuli, der die Politik der Gewaltlosigkeit lange Zeit vertreten hatte, resignierte angesichts des Blutbads von Sharpeville: »Wer wird leugnen, dass ich dreißig Jahre meines Lebens damit zugebracht habe, geduldig, zurückhaltend, bescheiden und letztlich vergebens an eine verschlossene und verriegelte Tür zu klopfen?«
Der ANC nahm den bewaffneten Kampf auf und gründete die militärische Untergrundorganisation Umkhonto we Sizwe, Speer der Nation. Ihr erster Kommandeur war der junge Anwalt Nelson Mandela. In dem Manifest von Umkhonto hieß es 1961: »Im Laufe ihrer Geschichte wird jede Nation einmal vor die Alternative gestellt, sich zu unterwerfen oder den Kampf aufzunehmen.« Umkonto we Sizwe griff das Apartheidsregime durch eine Reihe von Sabotageakten an. Mandelas Zeit als Kommandeur des Untergrunds währte nicht lang.
Im August 1962 wurde er verhaftet und 1964 zusammen mit sieben Mitstreitern nach mehreren Verhandlungen im Rivonia-Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt, unter ihnen auch der einzige Weiße der Gruppe, Denis Goldberg. Im Prozess verteidigte Mandela seinen Entschluss zum bewaffneten Kampf: »Ich habe mich nach einem ruhigen und nüchternen Abwägen der politischen Lage, die auf jahrelanger Tyrannei, Ausbeutung und Unterdrückung meines Volkes durch die Weißen beruht, entschieden«. Noch nach seiner Freilassung, 1990 bis 2008, wurde er von den USA als »Terrorist« geführt und brauchte bei Einreisen eine Sondergenehmigung.
Inspiration von der Black-Power-Bewegung
Die Verhaftung ihrer Führung hatte die Bewegung zurückgeworfen – bis Tausende von Kilometern entfernte Ereignisse eine neue Protestwelle entfesselten. In den amerikanischen Ghettos hatte sich die Black-Power-Bewegung formiert; nach der Ermordung Martin Luther Kings brannten landesweit die Ghettos. Die Bilder von Schwarzen, die sich gegen ihre Unterdrückung durch Weiße wehrten, beeindruckten besonders die jungen Schwarzen Südafrikas.
Die Folgen des neuen Bewusstseins waren zum Teil heftige Studentenunruhen. Am 16. Juni 1976 boykottierten Schüler in Soweto den Unterricht, als das Regime unter Zwang versuchte, das verhasste Afrikaans als Schulsprache einzuführen. Mit dem Boykott begann ein Aufstand in Soweto – dem »South Western Township«. Der Aufstand richtete sich sowohl gegen die harsche Unterdrückung als auch gegen die desolaten Lebensumstände: 1976 mussten 86 Prozent der Häuser ohne Strom auskommen, 93 Prozent ohne Dusche und Bad, 97 Prozent ohne heißes Wasser. Mehr als die Hälfte der Einwohner der Johannesburger Vorstadt war arbeitslos.
In brutalen Polizeieinsätzen wurden innerhalb weniger Tage 500 bis 1000 Schwarze getötet; man inhaftierte eine Vielzahl Kinder und Jugendlicher und folterte sie, um die Anführer des Aufstandes zu ermitteln. Eine Eindämmung des Widerstandes war trotz scharfer Repressalien aber nicht mehr möglich – der Todeskampf des Regimes hatte begonnen. Denn nun trat ein Gegner auf den Plan, dem der Apartheidsstaat nicht gewachsen war – die in den letzten Jahrzehnten entstandene schwarze Arbeiterklasse.
Die schwarze Arbeiterbewegung in Südafrika
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte Südafrika eine ungeheure Industrialisierung durchlaufen. Im Zeitraum von 1946 bis 1969 versiebenfachte sich die Produktion der Güter und Dienstleistungen – das Bruttoinlandsprodukt stieg von 2,4 auf 16,3 Milliarden Dollar. In den ersten zehn Jahren seit Ende des Zweiten Weltkrieges nahm das Wirtschaftswachstum jährlich um acht Prozent zu. In den sechziger Jahren beschleunigte es sich auf eine jährliche Rate von zehn Prozent. Die Entwicklung zum Industriestaat führte zur Herausbildung der schwarzen Arbeiterklasse. Zum Zeitpunkt des Soweto-Aufstands waren siebzig Prozent aller südafrikanischen Arbeiter schwarz. 1951 lebten ungefähr zweieinhalb Millionen Menschen in den Städten, 1976 waren es zehn Millionen.
Das Apartheidssystem war in großen Teilen eine Reaktion auf diese Entwicklung. Die Fabriken, Bergwerke, Farmen, Büros und Villen der weißen Südafrikaner erforderten ein riesiges Reservoir billiger schwarzer Arbeitskraft, wenn die Siedler ihre Privilegien und die multinationalen Konzerne ihre Profite behalten wollten. Auch die Deutsche Bank, die Dresdner Bank, die Commerzbank, die Daimler AG und Rheinmetall profitierten in einem so hohen Maß vom Apartheidregime, dass noch im Oktober 2007 Verfahren gegen sie eröffnet werden sollten. Wichtigster Direktfinanzierer der Apartheid war der deutsche Staat, bei dem Südafrika mit 27,3 Prozent seiner Auslandsschulden in der Kreide stand.
Eine ortsfeste schwarze Arbeiterklasse wäre eine lebensgefährliche Bedrohung für das weltweit gewinnträchtige Apartheidssystem gewesen, das seinen Zweck erfüllte, die Bildung einer solchen städtischen Arbeiterklasse zu verhindern. Theoretisch sollten alle Schwarzen nur vorübergehend Bewohner der Städte sein, die den Weißen vorbehalten waren. Aber die rassistischen Maßnahmen hatten ihr Ziel nicht erreicht. Innerhalb der schwarzen Arbeiterklasse hatten sich Kampfeswille entfaltet und organisatorische Erfahrungen angesammelt. Anfang 1973 schüchterte eine große Streikwelle, deren Zentrum Natal bildete, die Herrschenden ein und erzwang kleinere Zugeständnisse in Fragen des Rechts auf gewerkschaftliche Organisation.
Revolutionäre Situation und Ende der Apartheid
Hunderttausende von Arbeitern streikten 1976 in Solidarität mit den Aufständischen von Soweto. Der Damm war gebrochen – Ende der siebziger und die gesamten achtziger Jahre hindurch nahm sowohl die Schlagkraft der gewerkschaftlichen Organisation als auch die Streikfrequenz zu. 1985 wurde der mit dem ANC verbundene Gewerkschaftsdachverband COSATU gegründet – ausdrücklich mit der Absicht, nicht nur wirtschaftliche Rechte, sondern auch ein nicht-rassistisches und demokratisches Südafrika zu erkämpfen.
Zeitgleich intensivierte der ANC den bewaffneten Widerstand – Hunderte Aktivisten waren in Nachbarländern wie Angola ausgebildet worden und nahmen jetzt den Kampf gegen das Apartheidsregime auf. Auf internationaler Ebene nahm die Solidarität zu, in vielen Städten sprossen Südafrika-Komitees aus dem Boden.
Neben der wachsenden Bewegung setze die wirtschaftliche Situation das Regime unter Druck. Der Goldpreis fiel und damit auch die Einnahmen des Rohstoffexporteurs Südafrika. Seit 1964 stagnierte das Pro-Kopf-Einkommen. Der immer größer werdende Unterdrückungsapparat verschlang Unsummen. Das hatte auch Konsequenzen für die weiße Bevölkerung Südafrikas. Deren Privilegien konnten nicht mehr in dem gewohnten Maße aufrecht erhalten werden. Das Regime sah sich zu Steuererhöhungen gezwungen, die unter Weißen höchst unpopulär waren; die personelle Ausstattung der erheblich ausgebauten Armee, Polizei und Geheimpolizei erforderte die Einführung einer Wehrpflicht für Weiße.
Mit dem Sinken des Lebensstandards der weißen Arbeiter gelang dem ANC sogar die Rekrutierung seiner Mitstreiter unter Menschen weißer Hautfarbe.
Das Apartheidssystem hatte Ende der achtziger Jahre total abgewirtschaftet. Das Bantu-System, das den südafrikanischen Minengesellschaften und anderen Industriebranchen Millionen Arbeiter zu Hungerlöhnen geliefert hatte, war politisch zusammengebrochen und drohte, zu Zentren revolutionärer Aufstände zu werden. Die Townships waren weitgehend unregierbar geworden. Straßenkomitees entwickelten sich zur bewaffneten Gegenmacht. Weltweite Sanktionen trieben Südafrika in die Isolation, und in weißen Wirtschaftskreisen verbreiteten sich in den achtziger Jahren zunehmend oppositionelle Ansichten, wie auch unter der weißen Bevölkerung insgesamt. Der Kampf der schwarzen Bevölkerung drohte, vom Guerillakampf zum bewaffneten Volksaufstand überzugehen: eine klassische revolutionäre Situation.
Das Regime lenkte ein, um dem Aufstand zuvorzukommen. Ab etwa 1988 begannen zunächst geheim gehaltene Verhandlungen mit den ANC-Führern im Exil. 1989 trat Frederik Willem de Klerk die Nachfolge von Pieter Willem Botha als südafrikanischer Staatspräsident an. De Klerk nahm gleich Verhandlungen mit dem noch immer inhaftierten ANC-Führer Mandela auf und ließ ihn aufgrund des steigenden Druckes zusammen mit den übrigen politischen Gefangenen im Jahr 1990 frei. ANC und PAC wurden legalisiert. In einem Referendum im März 1992 sprachen sich 68,7 Prozent der Weißen für die Abschaffung der Rassentrennung aus. Getragen durch den lokalen Widerstand und eine Welle internationaler Solidarität hatte die schwarze Befreiungsbewegung das rassistische und mörderische Apartheidssystem besiegt.
Was noch aussteht, ist die Lösung der sozialen Frage, auf die die Antwort aber nur international ausfallen kann.
Foto: Godfrey Rubens
Schlagwörter: ANC, Apartheid, Befreiungsbewegung, Befreiungskampf, Massaker, Rassismus, Schwarze, Südafrika