Wer baut die Hochhaustürme in den glänzenden Metropolen? Arbeiterinnen und Arbeiter, die das Wirtschaftswachstum mit ihrer Gesundheit bezahlen. Ein neuer Film aus der Türkei zeigt ihren Alltag und ihre Hoffnungen
Von Phil Butland
Der Bauarbeiter Ibrahim (Menderes Samancilar) arbeitet in großer Höhe. Er ist Kurde und baut in der türkischen Metropole Istanbul Hochhäuser, in denen er sich nie eine Wohnung leisten könnte. Die Arbeit ist prekär, wird unregelmäßig bezahlt und Ibrahim hat es schwer, über die Runden zu kommen. Neben seinem eigenen Lebensunterhalt muss er auch Geld an seine Frau und seine Kinder schicken. Ihr Haus wurde von einem Erdbeben zerstört, nun leben sie irgendwo außerhalb der Stadt.
Yusuf (Musab Ekici) ist Ibrahims Neffe. Er arbeitet für dieselbe Baufirma, will aber nicht wie sein Onkel enden. Yusufs Strategie ist meist unsolidarisch – er schleimt sich beim Bauleiter ein und träumt davon, irgendwann eine eigene Firma zu gründen. Als unzufriedene Arbeiter über die Arbeitsbedingungen schimpfen und über Streik nachdenken, denunziert Yusuf sie beim Bauleiter.
Lebenslust und Verzweiflung
Abgesehen von ein paar tragischen Ausnahmen passiert im Film relativ wenig, weil im Leben von Ibrahim und Yusuf relativ wenig passiert. Yusuf flirtet mit seiner neuen Freundin Nihal (Kübra Kip) und schreibt ihr Gedichte mit Hilfe eines Arbeitskollegen, der Jura studiert. Ibrahim, auf der Suche nach Geld, wettet bei einem Hahnenkampf. Doch beschert ihm dies mehr Schreck als Glück.
Trotz der Verzweiflung strahlt der Film auch Lebenslust aus. Regisseur Kivanç Sezer gelingt es in seinen Bildern, die Schönheit der Betonmonster, die Ibrahim und Yusuf bauen, zu zeigen. Vorbeiziehende Vogelschwärme verleihen ihnen fast etwas Poetisches. Yusufs und Nihals frische Beziehung steht für Zukunftshoffnungen.
Umso trauriger ist es dann, dass bei Ibrahim eine tödliche Krankheit diagnostiziert wird (»DIE tödliche Krankheit«, sagt Ibrahim selbst, unfähig, das Wort »Krebs« auszusprechen). Während der Behandlung muss Ibrahim aufhören, zu arbeiten, sagt der Arzt. Aber Ibrahim hat in seinem Leben offiziell erst 1071 Tage gearbeitet – und erst ab 1800 Tagen gibt es ein Anrecht auf Krankenversicherung. Tatsächlich arbeitet der 54-Jährige seit vierzig Jahren, aber seine prekären Jobs werden von der Versicherungsfirma nicht anerkannt.
Klassenkampf als Alltag
Während Ibrahim immer mehr Schulden machen muss, betrügt sein Chef die Arbeiter durch dubiose Tochterfirmen um ihren Lohn. Ibrahims Alltag ist bestimmt von dem immerwährenden Klassenkampf, in dem er sich absolut machtlos fühlt.
In Interviews ist Regisseur Sezer deutlich geworden: Sein Film handele »von einem System, in dem die Arbeiter keinen Wert abgesehen von ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit haben (…) In diesem Geflecht von Scheinfirmen, Unteraufträgen und unsicheren Arbeitsbedingungen ist ein Menschenleben nur ein ersetzbares Element, mit dem Profit gemacht wird.«
Der Film endet nicht mit einem großen Erfolg, aber immerhin mit einem Akt des Widerstands. Zwar behalten die Profiteure des Systems ihre Gewinne, aber es gelingt, die menschliche Würde zu bewahren.
Allerdings reicht Würde nicht aus. In der Türkei sterben jeden Tag drei Arbeiterinnen und Arbeiter durch vermeidbare Arbeitsunfälle. Kivanç Sezer kämpft dafür, dass die Zustände sich ändern. »Die Flügel meines Vaters« ist der erste Teil einer Filmtrilogie, die die Arbeits- und Wohnsituation in der Türkei infrage stellt und anprangert.
Die HDP/HDK Berlin organisiert am 6. und 13. Dezember Vorführungen des Films in Anwesenheit des Regisseurs. Es verspricht nicht nur, ein spannender Abend zu werden, sondern auch ein Schritt im Kampf um Würde und Gerechtigkeit. Hoffentlich wird der Film bald auch in anderen Städten gezeigt.
Babamin Kanatlari (Die Flügel meines Vaters)
Regie: Kivanç Sezer
Türkei 2016
Nar Film
101 Minuten
Vorführung organisiert von der HDP/HDK Berlin in Anwesenheit des Regisseurs:
6. und 13. Dezember im Eiszeit Kino in Berlin, 19 Uhr
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Schlagwörter: Filmkritik, HDP, Kino, Kultur, Türkei