Linke sollten entschieden gegen das Bild von »guten« und »schlechten«, von »echten« und »falschen« Migrantinnen und Migranten auftreten. Das wusste schon Clara Zetkin. Was hätte sie wohl zu Sahra Wagenknecht gesagt? Von Yaak Pabst
Auf dem Parteitag der LINKEN behauptete die Fraktionsvorsitzende der LINKEN Sahra Wagenknecht in ihrer Rede: »Arbeitsmigration bedeutet am Ende nur, dass die Unternehmen es leichter haben, Lohndrückerei zu betreiben«. Doch sollte die Linke deswegen die Arbeitsmigration ablehnen? Für die Linke war eigentlich immer klar: Jeder und Jede hat das Recht auf völlige Bewegungsfreiheit. Arbeitsmigration ist kein Verbrechen. Die LINKE würde einen großen Fehler machen, wenn sie das Spiel der Herrschenden von »guten« und »schlechten«, von »echten« und »falschen« Migrantinnen und Migranten mitspielt.
Kapitalismus ist das Problem nicht Migrantinnen und Migranten
Das Unternehmerinnen und Unternehmer die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ausnutzen, ist weder neu, noch liegt das an den Migrantinnen und Migranten – die Ausbeutung der Ware Arbeit ist der Kern der kapitalistischen Wirtschaft. Geschlossenen Grenzen, Einwanderungskontrollen oder mehr Abschiebungen verhindern nicht die beständigen Angriffe der Unternehmerklasse auf Arbeitsbedingungen und Löhne.
Die globale Reserve-Armee der Arbeit
Historisch haben die imperialistischen Kernländern »ihre« Kolonien im Nahen Osten, Afrika aber auch in Südamerika, Osteuropa und Asien, als Quellen für billige Arbeitskräfte und Rohstoffe ausgebeutet. Der Imperialismus hat in diesen Ländern eine »gigantische globale Reserve-Armee der Arbeit« geschaffen. Dieses Abhängigkeitsverhältnis wirkt bis heute – 232 Millionen Menschen leben als Migrantinnen oder Migranten nicht in ihrem Geburtsland. In den 35 entwickelten Industrieländern (OECD-Staaten) hat die im Ausland geborene Bevölkerung dementsprechend stark zugenommen und macht im Durchschnitt 12,3 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Flucht und die Arbeiterklasse
Die Migrationsbewegungen im Kapitalismus verändern die Zusammensetzung der Arbeiterklasse. Einheimische und zugewanderte Beschäftigte sind zwar in ihrer gemeinsamen Erfahrung der Ausbeutung vereint, aber auch durch die unterschiedlichen Nationalitäten und die rassistische Ausländergesetzgebung gespalten. Dies schafft Potential für Konflikte, aber auch für Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse. Die lohnabhängig Beschäftigten haben objektiv kein Interesse an der Aufrechterhaltung von Grenzregimen und Einwanderungskontrollen, sowie an der damit verbundenen repressiven Gesetzgebung und den polizeilichen Schikanen. Sie behindern den gemeinsam Kampf.
Clara Zetkin gegen Sahra Wagenknecht
Die Debatte wie sich Linke zu Migration positionieren sollen, ist nicht neu. Sie begleitet die Linke und die Arbeiterbewegung seit ihren Anfängen. Von Karl Marx und Friedrich Engels über Karl Kautsky und Wladimir Iljitsch Lenin bis Karl Liebknecht und Clara Zetkin: Diese Marxistinnen und Marxisten sprachen sich alle für die Abschaffung aller Beschränkungen aus, welche bestimmte Nationalitäten vom Aufenthalt in einem Lande und den sozialen, politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen könnten.
Sahra Wagenknecht stellt sich gegen diese Tradition. Sie vertritt eine Position wie damals der rechte Flügel der Sozialdemokratie. Clara Zetkin kritisierte diesen Flügel scharf. Nach dem Internationalen Sozialistenkongress 1907 in Stuttgart, auf dem Sozialistinnen und Sozialisten aus der ganzen Welt unter anderem über die Frage der Einwanderung diskutierten, schrieb sie: »Die fünf Gegenstände, auf die sich der Stuttgarter Kongress in seinen Verhandlungen beschränkt hat, waren: die Kolonialpolitik, der Militarismus, das Verhältnis von Partei und Gewerkschaften, die Ein- und Auswanderung und das Frauenwahlrecht. In allen diesen Fragen kam ein Gegensatz der prinzipiellen und der opportunistischen Auffassung zum Ausdruck, und der Meinungskampf in den einzelnen Kommissionen sowie im Plenum des Kongresses war ein treues Spiegelbild des Widerstreits der verschiedenen Tendenzen, der das Innere der modernen Arbeiterbewegung in allen Ländern aufwühlt, zur Selbstkritik und zur Vertiefung der sozialistischen Auffassung führt. Ein nahe verwandtes Problem hatte die Frage der Ein- und Auswanderung aufgerollt. Auch hier entstand der unbedingten Klassensolidarität der Proletarier aller Länder und Rassen eine Gegnerin in der kurzsichtigen Politik, die Lohninteressen organisierter Arbeiter in den Einwanderungsländern, wie Amerika und Australien, durch Einwanderungsverbote gegen rückständige, angeblich ‘nicht organisationsfähige’ Proletarier aus China und Japan schützen wollte. Es sprach aus dieser letzteren Tendenz derselbe Geist der Ausschließung und des Egoismus, der die alten englischen Trade Unions als eine Arbeiteraristokratie in Gegensatz zu der großen Masse der vom Kapitalismus am brutalsten ausgebeuteten und herabgedrückten Klassengenossen gebracht hatte. Der Kongress hat hier, im Sinne und Geiste der deutschen Gewerkschaften und ihrer Praxis entsprechend, die Solidarität der Klasse als eines großen Weltbundes des Proletariats aller Rassen und Nationen hochgehalten, wie er in der Kolonialfrage den großen Weltbund der gleichen und verbrüderten Menschheit aller Kulturstufen und Weltteile zum Triumph geführt hat«. (Clara Zetkin, »Der Internationale Sozialistenkongress zu Stuttgart« in der Zeitschrift »Die Gleichheit«, Bd. 1, S. 360-362)
Arbeitsmigration, Klassensolidarität und der Kampf um gleiche Rechte
Klassensolidarität heute ist keine hohle Phrase. Um Geflüchtete vor Lohndumping zu schützen, brauchen sie die gleichen Rechte wie die Einheimischen. Sie müssen sich gewerkschaftlich organisieren dürfen. DIE LINKE fordert als einzige Partei alle benachteiligenden Regelungen und Gesetze aufzuheben, wie das Asylbewerberleistungsgesetz, die Residenzpflicht und Arbeitsverbote für Geflüchtete. Außerdem fordert DIE LINKE, die Unterbringung in Sammellagern sofort abzuschaffen, Abschiebungen zu beenden und ein Bleiberecht für alle. All das ist eine wichtige Voraussetzung dafür das auch Migrantinnen und Migranten sich gegen Unternehmer und Staatswillkür wehren können. Um Migrantinnen und Migranten sowie Einheimische vor Lohndumping zu schützen, fordert DIE LINKE die Anhebung und flächendeckende Durchsetzung des Mindestlohns. Statt Hartz IV für Einheimische und Sachleistungen für Geflüchtete will sie eine sofortige Mindestsicherung von 1050 Euro, ohne Sanktionen, für Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können. Das ist die richtige Antwort auf das Lohndumping der Unternehmer.
Wie sieht Klassensolidarität heute aus?
Die Geschichte der Migrantinnen und Migranten im Nachkriegsdeutschland zeigt, dass Klassensolidarität und der Kampf um gleiche Rechte für alle eine Waffe ist, die auch die deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter vor billiger Konkurrenz im Interesse der Kapitalisten schützen kann. Die Welle der »wilden Streiks« von angelernten und ungelernten Arbeiterinnen und Arbeitern in den frühen 1970er Jahren, in denen Migrantinnen und Migranten eine führende Rolle spielten, sind dafür ein Beispiel oder auch die Streiks der Beschäftigten des Einzelhandels zur Verteidigung ihres Manteltarifvertrages im Jahr 2013. Daran können wir heute anknüpfen, indem wir als Linke uns für eine vollständige Bewegungsfreiheit der Arbeiterklasse einsetzen und gleichzeitig für gleiche soziale, politische und ökonomische Teilhabe kämpfen.
Schlagwörter: Arbeiterklasse, Arbeitsmigration, Clara Zetkin, DIE LINKE, Flucht, Parteitag, Sahra Wagenknecht