Die Proteste »Aufstand für den Frieden« brachten Zehnttausende auf die Straße. Eine erste Einschätzung der Kundgebung von Christine Buchholz, Jan Richter und Ulrike Eifler
1. Die Kundgebung »Aufstand für Frieden« war ein großer Erfolg. Die Veranstalter:innen sprechen von 50.000 Teilnehmenden. Sie kommen damit der Realität deutlich näher als die Polizei, die von 13.000 sprach. Das ist nicht nur angesichts des kaltnassen Wetters beachtlich, sondern weil die Diffamierung der Kundgebung in den letzten Tagen aus unterschiedlichen Richtungen kam. Wirtschaftsminister Habeck warnte im ARD-Brennpunkt am 24.2. – bis zu Beginn wiederholten diverse Zeitungen, Portale und Radiosender seine Aussage. Die Kundgebung reflektiert eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit dem Kurs der Bundesregierung in Bezug auf den Ukraine-Krieg und die Sorge vor einer weiteren Eskalation des Krieges. Ordnet man die Kundgebung ein in viele weitere – zumeist kleine – Proteste, die um den Jahrestag des Krieges stattgefunden haben, könnte dieser Protest zum Ausgangspunkt für eine neue Anti-Kriegsbewegung werden.
2. Die Zusammensetzung der Kundgebung war, wie üblich auf den großen klassischen Friedensdemonstrationen der Vergangenheit, gemischt. Es waren viele Menschen mittleren Alters, Ältere, aber auch Familien dort. Die Teilnehmenden waren ostdeutsch geprägt, gleichwohl Besucher:innen aus verschiedenen Teilen Deutschlands dabei waren. Nach unseren Schätzungen waren mehrere Hundert Mitglieder der LINKEN anwesend – strömungs- und gliederungsübergreifend, aus allen Landesverbänden (neben Berlin gab es größere Kontingente aus Brandenburg, Sachsen und Hessen), Aktive aus dem Studierendenverband LINKE.SDS und von der Linkjugend Solid aus Berlin.
3. Im Vorfeld hatten mehrere rechte Strukturen zur Teilnahme aufgerufen und es waren auch vereinzelt, bzw. in kleinen Gruppen Rechte in der Kundgebung präsent, ohne diese jedoch prägen zu können. Jürgen Elsässer, der im Vorfeld versucht hatte, die Kundgebung zu vereinnahmen, wurde mit einer Handvoll Begleiter, nachdem die Ordner:innen der Kundgebung ihn nicht aufhalten konnten, von einer Gruppe Teilnehmer:innen v.a. aus der LINKEN aufgehalten. Sie kesselten ihn mit Transparenten mit der Aufschrift »Mit AFD & Co ist kein Frieden zu machen« und »Solidarität statt Rassismus – Refugees Welcome – russische Deserteure aufnehmen« ein und konfrontierten ihn und sein Trupp mit »Nazis raus«-Rufen. Mit Megafonen erklärten wir (bis zum Beginn des Bühnenprogramms) Umstehenden, um wen es sich bei Elsässer handelt, und dass mit den »Nazis raus«-rufen, nicht die Teilnehmer:innen der Friedenskundgebung, sondern Elsässer und sein Trupp gemeint seien. Schließlich verließ die Gruppe unter Polizeischutz die Kundgebung.
4. Die Initiator:innen hatten im Vorfeld erklärt, dass AfD und Rechtsextremisten nicht erwünscht seien. Die Ordnerinnen und Ordner kommunizierten an den Zugängen zum Kundgebungsplatz den Demo-Konsens, waren aber zum Teil überfordert und zum Teil widersprüchlich bei der Umsetzung. Die Unterschätzung der Gefährlichkeit der extremen Rechten gibt es auch in der Friedensbewegung, deshalb müssen wir weiter argumentieren und deutlich machen, dass AfD, Compact & Co nicht für Frieden stehen, sondern für Aufrüstung, Militarismus und Krieg und dass sie von Veranstaltungen der Friedensbewegung konsequent ausgeschlossen werden müssen.
5. DIE LINKE war über einzelne Fahnen, zwei Hochtransparente (eins gegen Aufrüstung, Waffenlieferungen und Krieg, ein anderes gegen rechts), sowie durch 120 Demoschilder, die zwei Berliner Bezirksverbände auf Eigeninitiative erstellt hatten, sichtbar. Darüber hinaus kamen vereinzelte Flyer aus den Bezirksverbänden zum Einsatz. Ein zentrales Verteilmaterial, dass sich wie der Flyer aus der BO Wedding gegen den Krieg, Waffenlieferungen und die AFD stellt, wäre sicher hilfreich gewesen. Noch besser wäre eine Einladung zu einer zentralen Veranstaltung der LINKEN etwa 14 Tage nach der Kundgebung gewesen.
6. Diese Kundgebung war keine »Querfront«-Veranstaltung. Einzelne Faschist:innen haben sich ermutigt gefühlt zu kommen. Es gibt Personen in dieser Bewegung, die offen für die Zusammenarbeit mit Faschist:innen sind und dies auch deutlich artikulieren. D.h. es ist eine Bewegung voller Widersprüche und nicht ohne Probleme. Die Führung jedoch ist keine Querfront, sondern ein punktuelles Bündnis. Deswegen ist es entscheidend, dass sich DIE LINKE jetzt einbringt – praktisch und politisch. Ob eine Friedensbewegung erfolgreich wird – und nicht zu einer Querfront – hängt auch davon ab, wer mit welchen Argumenten um ihre Ausrichtung kämpft.
7. Wir halten es für einen großen Fehler aufgrund einer schwerwiegenden Fehleinschätzung, dass sich DIE LINKE nicht von zentraler Ebene aus in den Kampf um die Ausrichtung dieser Bewegung eingebracht, sondern diese vom Rand kommentiert hat. Wir fordern die Partei auf, jetzt eine Diskussion darüber zu beginnen, wie sie wirksam werden kann, um die Bewegung gegen den Krieg aufzubauen und darin ihre Rolle zu bestimmen.
8. So unappetitlich die Teilnahme von Nazis ist – wenn wir uns nicht an Protesten beteiligen, sobald Rechte versuchen, sie zu vereinnahmen, dann werden wir erpressbar. Am 25.2. konnten diejenigen antifaschistisch wirksam werden, die Teil des Protestes waren. Wir dürfen die Friedensbewegung nicht alleine lassen, gerade angesichts des massiven medialen Drucks, der sie erwartet. Die Ostermärsche und der Tag der Befreiung kommen mit ähnlichen Herausforderungen auf zu – ob wir wollen oder nicht.
9. DIE LINKE wird gebraucht: Unsere sichtbare Anwesenheit hat viele Teilnehmende erleichtert bzw. beruhigt, die aufgrund der medialen Verächtlichmachung unsicher ob ihrer Teilnahme waren und uns von ihrer Zerrissenheit berichteten. Unser Auftritt als LINKE auf dem Protest hat aber auch gezeigt, dass wir die Partei in Aktion vereinen können. Lasst uns als Antikriegspartei wieder handlungsfähig werden!
Foto: sahra-wagenknecht.de / Christine Buchholz / Ulrike Eifler
Schlagwörter: Antiimperialismus, DIE LINKE, Friedensbewegung, Imperialismus, Ukraine