Im Interview mit Irmgard Wurdack berichtet die Bundesgeschäftsführerin von »Aufstehen gegen Rassismus« über ihren Aktionismus gegen die AfD im Bundestagswahlkampf.
Irmgard, du bist Bundesgeschäftsführerin von »Aufstehen gegen Rassismus«. Ihr arbeitet explizit gegen die AfD. Wieso ist es eurer Meinung nach so wichtig, eine Normalisierung der AfD zu bekämpfen?
Die AfD ist keine »normale« bürgerliche Partei. Sie war von Anfang an ein Sammelbecken von nationalkonservativen Rassist:innen und Neonazis. Der formal aufgelöste, offen faschistische »Flügel« um Björn Höcke ist stärker denn je. Das wurde beim letzten Bundesparteitag der AfD in Dresden sehr deutlich. Deshalb sagen wir von Aufstehen gegen Rassismus: Mit der AfD besteht zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte die reale Gefahr einer faschistischen Partei mit bundesweitem Masseneinfluss.
Doch wir von Aufstehen gegen Rassismus kämpfen nicht nur gegen die offenen Nazis der AfD, sondern verstehen uns als antifaschistisches UND antirassistisches Bündnis. Denn auch die marktradikalen Nationalkonservativen um Jörg Meuthen sind alles andere als »gemäßigt«. Von den Faschist:innen in der Partei unterscheiden sie sich nicht in ihrem aggressiven Rassismus, insbesondere gegen geflüchtete und muslimische Menschen. Auch sie hetzen u.a. mit Verschwörungsmythen wie den vom »Großen Austausch« (die angeblich bewusst gesteuerte Verdrängung einer »alt-deutschen« Bevölkerung durch Muslime:a und Migrant:innen) und lieferten damit die Stichworte für die Attentäter von Halle und Hanau, die insgesamt zwölf Menschen ermordeten, genauso wie für Stephan Ernst, den Mörder von Walter Lübcke. Beide Flügel der AfD wirken als parlamentarischer Arm des rechten und rassistischen Terrors in Deutschland.
Rassismus ist die ideologische Klammer zwischen den beiden Flügeln der Partei. Auch Antifeminismus spielt eine wichtige Rolle. Die AfD erlebte ihren ersten Höhenflug 2014 auf dem Höhepunkt der islamfeindlichen Pegida-Bewegung mit dem Einzug in die Landesparlamente von Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Die beiden Flügel unterscheiden sich vielmehr in ihrer Strategie: Während Meuthen und Co. auf einen Marsch durch die Institutionen der bürgerlichen Demokratie setzen, um letztlich einen autoritären Polizeistaat nach dem ungarischen Modell von Viktor Orban zu erreichen, wollen Höcke und Co. eine faschistische Diktatur errichten.
Keine Bühne den Hetzern!
Welche Strategie verfolgt »Aufstehen gegen Rassismus« im Kampf gegen Rechts?
Wir setzen darauf, immer wieder deutlich zu machen, dass es mit dieser Partei keinerlei Zusammenarbeit geben darf. Jede Plattform, auf der ein:e Funktionär:in der AfD Hetze verbreiten kann, ist eine zu viel und trägt zu ihrer Verharmlosung bei.
Gesellschaftlich breite und entschlossene Proteste auf der Straße in Hör- und Sichtweite gegen die Auftritte der AfD in breiten Bündnissen mit Gewerkschaften und Parteien, muslimischen, jüdischen und Kirchengemeinden, antirassistischen Initiativen bis hin zu Antifa-Gruppen sind der Schlüssel zur Isolierung der AfD. Je nach Kräften und Situation vor Ort können das Demos, Blockadeaktionen, Kundgebungen, Mahnwachen oder Aktionen zur »kreativen Begleitung« von AfD-Ständen sein.
Mit unseren Aktionszeitungen, Flyern, Stickern, Plakaten und Aufrufen unterstützen wir Aktivist:innen in ganz Deutschland während, aber auch zwischen den Wahlkämpfen. Darüber hinaus organisieren wir bundesweit Stammtischkämpfer:innen-Seminare, in denen Interessierte sich befähigen, die übliche Schrecksekunde nach rassistischen und rechten Parolen schneller zu überwinden und der Situation angemessen zu reagieren.
Wie wichtig diese außerparlamentarischen Aktivitäten sind, zeigt, dass die AfD vielerorts lediglich ihre eigenen Funktionär:innen zu Wahlkampfveranstaltungen mobilisieren kann. Auch mit Infoständen macht sich die AfD im Vergleich zum Bundestagswahlkampf 2017 rar. In Niedersachsen etwa ist die AfD dank unzähliger Proteste gegen ihre Veranstaltungen und Auftritte derart zerstritten, dass sie bei den Kommunalwahlen nicht einmal mehr für alle Wahlkreise ausreichend Kandidat:innen aufgestellt bekommen hat und sich ihr Stimmenanteil von 7,9 Prozent 2016 auf 4,6 Prozent fast halbiert hat.
In Ostdeutschland ist der Widerstand gegen Rechts erfolgreich!
Siehst du Unterschiede im Auftreten der AfD zwischen Westen und Osten (oder Süden und Norden)?
Grob gesagt ist die AfD in den ostdeutschen Bundesländern zwar doppelt so stark wie in Westdeutschland. Allerdings wäre ich mit einer Zuschreibung nach Himmelsrichtungen sehr vorsichtig. In Baden-Württemberg etwa kandidiert nach den Auseinandersetzungen um die AfD-Nazis Gedeon, Mandic und Räpple und selbst nach deren Ausschluss bzw. Austritt mit Christina Baum eine Höcke-Vertraute auf einem aussichtsreichen Listenplatz für den Bundestag.
Die Stärke der AfD in Ostdeutschland hat nicht zuletzt historische Gründe. In den 1990er Jahren fanden Neonazis eine neue Basis in den ostdeutschen Bundesländern, nachdem sie in Westdeutschland vielerorts dank großer Gegenproteste zurückgedrängt worden waren. Dabei konnten sie andocken an rassistischen Ablenkungsmanövern von den tatsächlichen Ursachen der steigenden Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern aufgrund des Ausverkaufs der dortigen Betriebe sowie am halb geduldeten Aufschwung des Rassismus gegen DDR-Vertragsarbeiter:innen in den 1980er Jahren.
Nach der Wende haben dann die CDU-Regierungen Rassismus und Neofaschismus geleugnet oder verharmlost und sind eher gegen Antifaschist:innen und Antirassist:innen vorgegangen. Wenn in Sachsen bei der U18-Wahl die AfD mit über 16 Prozent bei den Schüler:innen vorn liegt, wird klar, dass es eines massiven Umdenkens und Aufklärens über die Gefahren von Neofaschismus und Rassismus bedarf.
Hinzu kommt, dass die CDU im Osten auf vielen kommunalen Ebenen mit der AfD zusammenarbeitet, zum Beispiel im Block mit der AfD gegen linke/grüne Anträge stimmt oder sogar AfD-Anträgen zustimmt. Die Brandmauer gegen Rechts wird mit der CDU immer wieder eingerissen, besonders im Osten
Doch auch in Ostdeutschland ist der Widerstand gegen Rechts erfolgreich! So gab es u.a. in Leipzig wiederholt starke erfolgreiche Massenmobilisierungen gegen Querdenken und ihre Nazikumpanen. In Dresden haben lautstarke Proteste jüngst eine Veranstaltung von Höcke und Pegida empfindlich gestört. Auch in kleineren Orten in Sachsen gibt es immer wieder Widerstand gegen Auftritte von Höcke, Kalbitz und Co.
Aufstehen gegen Rassismus heißt Entlarven, Isolieren, Runterdrücken
Die AfD liegt in aktuellen Umfragen bei 11 Prozent (BTW-Ergebnis: 10,3 Prozent). Wie glaubst du, bekommen wir die AfD langfristig unter 5 Prozent?
Wir brauchen einen langen Atem, um die AfD zu schwächen. Im September 2018 stand die AfD bei 18 Prozent in den Umfragen. Durch massive Gegenproteste und die Entlarvung des »Flügels« als faschistischen ist es gelungen, sie zu isolieren und runter zu drücken.
Die AfD nutzt die Resourcen, die sie durch die Präsenz in den Parlamenten hat, um ihre Strukturen aufzubauen, aber der Widerspruch zwischen dem Nazi-Flügel und den Nationalkonservativen bleibt bestehen. Hier müssen wir unbeirrt weiter machen. Erfahrungen aus Kämpfen etwa gegen die NPD, aber auch aus der Lichterkettenbewegung, können uns zuversichtlich stimmen, dass sich auch die Normalisierung der AfD wieder zurückdrehen lässt. Das wird uns gelingen, wenn wir es schaffen, den Widerstand gegen die AfD auszuweiten und diesen verstärken.
Große Bedeutung in diesem Kampf kommt dabei den Gewerkschaften und deren Mobilisierungskraft zu. In Griechenland haben politische Massenstreiks den entscheidenden Durchbruch gegen die Faschisten der Goldenen Morgenröte erreicht. In Deutschland brauchen wir klare Bekenntnisse der Gewerkschaften und mehr Mut zum Handeln.
Was können wir als antifaschistische und linke Bewegung mit Blick auf die Gegenmobilisierung besser machen?
In der Pandemie konnten wir lange nur mit angezogener Handbremse zu Protesten mobilisieren. Das wirkt teilweise noch bis heute nach. Inzwischen können und müssen wir uns und den Teilnehmenden an unseren Protesten durchaus mehr zutrauen. Große, kraftvolle und deshalb wirksame Mobilisierungen sind möglich und nötig.
Hinzu kommt, dass vielerorts die Szene der Pandemie-Leugner:innen von Querdenken als auch ihre Radikalisierung nicht ernst genommen wurde und es immer noch nicht wird. Es ist uns nur sehr selten und nur mit großen Kraftanstrengungen gelungen, Gegenproteste über unsere eigenen Reihen hinaus auszuweiten. Der Mord in Idar Oberstein ist hier der aktuelle und brutale Höhepunkt. Berichte und Auswertungen der Social Media-Profile des Täters ergaben, dass er keineswegs ein verwirrter Masken-Spinner ist. Er folgte 2019, also bereits vor(!) Beginn der Pandemie, vorwiegend AfD-Accounts und interagierte auch mit diesen.
Die Gewerkschaften müssen ihre Mobilisierungskraft entfalten
Was würdest du dir für zukünftige Proteste gegen die AfD wünschen? Wo muss die Zivilgesellschaft deiner Meinung nach noch lernen?
Noch ist es der AfD und ihren Vorfeldorganisationen nicht gelungen, in den Betrieben zu organisieren. Doch nächstes Jahr sind erneut Betriebsratswahlen und das Vordringen in diese traditionellen Bereiche der Linken ist erklärtes Ziel insbesondere des offen faschistischen »Flügels« der AfD. Bei den vergangenen Parlamentswahlen mussten wir erneut erleben, dass die AfD durchaus erfolgreich Arbeiter:innenstimmen abgreift. Damit die Nazis nicht mit pseudo-antikapitalistischen, schein-sozialen Forderungen vordringen können, braucht es einerseits eine klassenkämpferische Gewerkschaftsarbeit und eine starke Linke in den Betrieben, aber auch eine klare Kante vonseiten der Gewerkschaften gegen Rechts.
Hier können wir an positive gemeinsame Mobilisierungserfahrungen gegen den Höhenflug der AfD 2018 anknüpfen, etwa gegen die AfD-Bundesparteitage in Köln, Braunschweig und die große #unteilbar-Demo mit einer Viertelmillion Menschen in Berlin. Oder auch an die entschlossenen Massenproteste und -blockaden von Antifaschist:innen über Gewerkschaften und Parteien bis hin zu vermeintlich »unpolitischen« Vereinen rund um die Kampagne und das Bündnis »Dresden Nazifrei« gegen die Nazi-Aufmärsche anlässlich des Gedenkens an die Bombardierungen von Dresden.
Damit meine ich neben der Teilnahme an und aktiven Mobilisierung von antifaschistischen und antirassistischen Protesten Unvereinbarkeitsbeschlüsse von Gewerkschaften mit ausdrücklicher Nennung der AfD. Das ist bis dato nur bei der GdP und der EVG der Fall.
AfD als offen faschistische Bewegungspartei mit bundesweitem Masseneinfluss
Mit Hinblick auf den Bundesparteitag der AfD vom 10. bis 12. Dezember in Wiesbaden, welche Gefahren siehst du von diesem Parteitag ausgehen?
Wenn Höcke die Deutungshoheit der Partei gegen Meuthen gewinnt, dann wird wahrscheinlich aus der AfD eine offen faschistische Bewegungspartei mit bundesweitem Masseneinfluss, die noch dazu in allen Parlamenten und im Bundestag vertreten ist. Zumindest kann man erwarten, dass Meuthen abgewählt und ein dem Flügel genehmer Vorsitzender installiert wird. Der Flügel um Höcke wäre dann seinem Ziel der Machteroberung innerhalb und über die AfD einen wichtigen Schritt weiter. Die Gefahr, die dann von der AfD ausgehen würde, ist für viele Menschen, gerade muslimischen Glaubens, existenzbedrohend.
Welche Erwartungen richtest du an den Protest gegen den AfD-Bundesparteitag? Was müssen wir an diesem Wochenende erreichen?
Es braucht an diesem Wochenende gesellschaftliche und politische Spektren übergreifenden, zahlenmäßig starken und zugleich entschlossenen Protest in den Straßen von Wiesbaden. Insbesondere der LINKEN und den Gewerkschaften kommt hier große Verantwortung zu, Konsens zwischen den Spektren herzustellen und unseren Protest zu forcieren.
Irmgard, wir danken dir für das Gespräch.
Interview: Simo Dorn
Schlagwörter: AfD, AfD Parteitag, Antifaschismus, Aufstehen gegen Rassismus, Björn Höcke, Faschismus, Jörg Meuthen