Wenige Monate vor der Landtagswahl in Bayern wird die AfD einen Bundesparteitag in Augsburg abhalten. Im marx21-Interview sprachen wir mit Stefan Jagel, der gewerkschaftlich engagiert ist sowie aktiv ist im Bündnis Aufstehen gegen Rassismus in Augsburg, über die Notwendigkeit von öffentlichkeitswirksamen Protesten, der politischen Ausrichtung von Gewerkschaften und deren Rolle in Zeiten des gesellschaftlichen Rechtsrucks.
marx21: Am 30. Juni/1. Juli findet der Bundesparteitag der AfD in Augsburg statt. Sind Gegenproteste geplant?
Stefan Jagel: Ja, natürlich. Einer rechten Partei wie der AfD dürfen wir keine öffentlichen Räume überlassen.
Warum?
Derzeit findet ein politischer Rechtsruck statt: Die AfD schafft es, die Meinungshoheit zu erlangen und dadurch den politischen Kurs vieler Parteien zu bestimmen. Das sieht man an der CSU, die versucht mit einem ähnlichen Kurs, wie ihn die AfD fährt, Wähler zu gewinnen. Die faschistische AfD fordert und die CSU springt: Eingriffe in die Grundrechte wie durch das Polizeiaufgabengesetz, aber auch Einschränkungen im Asylrecht, bei dem es nun bayrische Sonderlösungen geben soll, sind Programm. Je eher die CSU weiter nach rechts rückt, umso stärker wird die AfD in den Umfragen. In der Nachkriegszeit ist das der heftigste Ruck nach rechts. In Zeiten wie diesen darf man der AfD mit dem Bundesparteitag nicht auch noch öffentliche Räume überlassen.
Bisher hat die AfD für die kommende Landtagswahl in Bayern keinen Spitzenkandidaten aufgestellt. Zeigt das nicht, dass sie sich zukünftig selber zerlegen wird?
Ich denke nicht, dass sich die AfD von alleine zerlegen wird: Sie liegt nach den aktuellen Umfragen zu den bayrischen Landtagswahlen zwischen 12 und 14 Prozent. Je nach Umfrage liegen sie sogar vor der SPD. Es ist wichtig, dass es nicht normal wird, dass eine rechte Partei wie die AfD in Parlamenten sitzt und als politische Kraft hingenommen wird. Wenn man die AfD deren Bundesparteitag in Augsburg als Bühne für ihren Wahlkampf nutzen lässt, gewährt man auf diese Weise auch einen politischen Rechtsruck. Diesen Normalisierungsprozess dürfen wir nicht mittragen. Wir dürfen ihnen weder die Deutungshoheit noch die Parlamente überlassen.
Wertet man mit solchen Protesten die AfD nicht eher auf?
Ich glaube, dass Protest und alle Protestformen wichtig sind, denn nur dadurch können gesellschaftliche Verhältnisse widergespiegelt werden. Dazu gehört es eben auch, dass man die Ablehnung rassistischer und reaktionärer Hetze wie die der AfD zum Ausdruck bringt. Genauso, wie die AfD öffentliche Räume für ihre Meinungsmache nutzt, ist es nur legitim, dass sich eine starke Stimme gegen rassistische und diskriminierende Politik präsentiert. Wegschauen oder Wegducken kann keine Lösung sein.
Die Gegendemonstrationen gegen die AfD-Demo in Berlin Ende Mai waren groß, Zehntausende Berliner stellten sich der AfD entgegen. Kann das Bündnis in Augsburg daran anknüpfen?
72.000 Gegendemonstranten sind eine Größenordnung, die beachtlich ist. Die Proteste in Berlin haben gezeigt, dass ein beachtlicher Teil der Gesellschaft die AfD nicht hinnehmen will und kann. Das wollen wir in Augsburg auch zeigen. Natürlich wünschen wir uns zum Bundesparteitag in einer Woche ähnlich viele Protestierende.
Die Polizei sieht sich bereits mit massiven Sicherheitsvorkehrungen vor. Könnte eine möglicherweise gewaltsame Eskalation der Gegendemonstrationen die Proteste nicht überschatten?
Ich denke, dass derzeit viel Wirbel um nichts gemacht wird. Es gibt ein breites Bündnis in Augsburg, das friedliche, aber auch vielfältige und bunte Proteste trägt. Eher beschwört die bayrische Polizei etwas herauf, was überhaupt nicht da ist: Wenn der Verfassungsschutz behauptet, dass Tausend Autonome erwartet werden, soll letztendlich nur erreicht werden, dass sich Protestierende bereits vorab spalten.
Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder, die bei der Bundestagswahl die AfD gewählt haben, ist ziemlich hoch. Bei 15 Prozent. Haben Gewerkschaften überhaupt ein Problem mit der AfD?
Wenn Gewerkschaftsmitglieder über den gesellschaftlichen Schnitt hinaus der AfD ihre Stimme geben, besteht ein massives Problem. Damit sich die AfD nicht weiter flächendeckend in Betriebsräten verankern kann, braucht es eine klare Haltung gegen Rassismus, Abschiebungen und Verschärfungen der Asylpolitik. Da muss viel stärker kritische Bildungsarbeit geleistet werden. Da stehen Gewerkschaften in der Verantwortung.
Haben Gewerkschaften also eine Mitschuld daran, dass ihre Mitglieder die AfD wählen?
Teilweise. Dabei muss auch gesehen werden, dass Gewerkschaftsmitglieder unsere Gesellschaft widerspiegeln: steigende Mieten, unsichere Arbeitsverhältnisse und Abstiegsängste sind nur einige Anzeichen der tatsächlichen Verschlechterung der Lebensverhältnisse. Dies, aber auch die gefühlte Ohnmacht der Menschen konnte die AfD aufgreifen und für ihre Zwecke instrumentalisieren. ‚Der Kampf um die Köpfe‘ geschieht derzeit hauptsächlich in den Betrieben. Dort muss man verstärkt ansetzen: nur mit einer kämpferischen und fordernden Lohnpolitik kann man sich der AfD entgegenstellen. Dazu gehört natürlich auch antirassistische Bildungsarbeit zu unseren Aufgaben.
Wäre es für Gewerkschaften nicht einfacher, über die AfD und deren Rassismus zu schweigen?
Natürlich wäre es einfacher, es wäre aber politisch falsch. Es ist unsere historische Pflicht und Verantwortung, eine deutliche antirassistische Position zu beziehen und damit zusammenhängend Politik zu betreiben. Daran führt kein Weg vorbei.
Was können Gewerkschaften für den Kampf gegen Rassismus und gesellschaftlichen Rechtsruck tun?
Das fängt bei progressiver Lohnpolitik an und endet bei betrieblicher Bildungsarbeit, wie der Ausbildung von Stammtischkämpferinnen und -kämpfern. Dazu gehört auch, dass betriebliche und politische Kämpfe verbunden werden. Bei allen Gelegenheiten muss deutlich werden, dass unsere Gesellschaft ein massives Verteilungsproblem hat. Das ist das eigentliche Problem, nicht die Migrationsfrage. Ausgrenzende und diskriminierende Hetze kann nicht die Lösung des Problems sein. Dies werden wir nicht dulden, was auch von gewerkschaftlicher Seite auf die Straße getragen werden muss. Deswegen ist es wichtig, dass man nächstes Wochenende in Augsburg den Rassisten keinen Zentimeter schenkt.
Das Interview führte Ivan Lucic.
Schlagwörter: AfD, Augsburg, Bayern, Bundesparteitag, Faschismus, Gewerkschaft, Inland, Landtagswahl, Protest, Rassismus, Rechtsruck